Zur Geschichte
von Cannabis: Verbürgtes,
Legenden, Mythen
Eine vollständige Kulturgeschichte des Hanfs zu verfassen wäre ein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen. Es müsste nämlich nicht nur die Geschichte einer steinalten Kultur- und Rauschpflanze nachzeichnen, sondern gleichzeitig diejenige ganzer Regionen der Erde über Jahrtausende hinweg.
Zusätzlich darin verwoben wäre der historische Werdegang vieler Völker und Stämme, sowohl untergegangener wie heute noch bedeutsamer. Die Geschichte des Hanfs jedoch zumindest in ihren Grundzügen zu kennen macht die Faszination verständlicher, die die Pflanze auf so viele Menschen ausübt. Es erleichtert zudem das Verständnis mancher Legenden- und Mythenbildung um Cannabis.
Seit Jahrtausenden besitzt die Cannabispflanze einen hohen Wert für die Menschen. Sie haben sich ihrer zur Fasergewinnung sowie als Nahrungs- und Heilmittel bedient. Das erste chinesische Papier war aus Hanf gefertigt. Die erste Gutenberg-Bibel wurde auf Papier aus Hanf und Flachs gedruckt. Lange vor Christus wurden Kleidung, Taue, Segelzeug und Fischernetze aus der robusten Hanffaser hergestellt.
Die psychoaktiven Inhaltsstoffe des Cannabis wurden gleichfalls bereits in vorchristlicher Zeit bei kultisch-religiösen Zeremonien und zu Heilungsritualen eingesetzt.
Der geografische Ursprung von Cannabis lässt sich nicht mehr mit Gewissheit bestimmen. Vieles spricht dafür, dass seine Urheimat in Zentralasien oder im indischen Himalaja liegt. Als Nutzpflanze wurde Hanf zuerst in China und Indien angebaut. Noch lange vor Christus gelangte das Gewächs durch Eroberungszüge, Wanderungsbewegungen und Handel nach Europa und Afrika. Im 16. und 17. Jahrhundert unserer Zeitrechnung wurde Cannabis gezielt in Nord-, Mittel- und Südamerika verbreitet.
Die frühesten kulturhistorischen Funde, welche die Verwendung von Cannabis zur Faserherstellung dokumentieren, stammen aus Grabungsstätten in China, die auf etwa 4200 Jahre vor Christus datiert werden. Cannabissamen waren den Chinesen ein wertvolles Nahrungsmittel. Als medizinisch vielfach einzusetzendes Heilmittel wird Cannabis erstmals im »Shen Nung Pen Ts’ao« erwähnt, einem chinesischen Heilkunde- und Arzneimittelbuch, welches dem Vernehmen nach von dem sagenhaften Kaiser Shen Nung im Jahre 2737 vor Christus verfasst wurde. Im »Ming-i Pieh-lu«, das im 5. Jahrhundert vom angesehenen Arzt T’ao Hung niedergeschrieben wurde, findet sich ein früher Verweis auf die rituelle Verwendung und die euphorisierenden Wirkungen von Cannabis. Dort heißt es zum Gebrauch des Gewächses: »Geisterbeschwörer und Schwarzkünstler verwenden es in Verbindung mit Ginseng, um die Zeit vorrücken zu lassen und künftige Geschehnisse zu offenbaren.«
In der indischen Kultur gilt Cannabis seit alters als »Geschenk der Götter«. Es wird als Pflanze mit magischen und heilenden Kräften verehrt. Das »Atharvaveda«, die Wissenschaft der Zaubersprüche, das als vierte Sammlung der heiligen vedischen Texte zwischen 1500 und 1200 vor Christus verfasst wurde, verweist auf die wohltuenden heilenden Eigenschaften von Bhang oder Marihuana bei der Behandlung von Krankheiten. Ebenso werden traditionelle sakrale Zeremonien zu Ehren der Götter beschrieben. Auch die ayurvedische Medizin, die den Menschen »als Ganzes« behandelt und deshalb in unserer westlichen Kultur immer mehr Anhänger findet, lobt die überaus nützlichen Wirkungen von Bhang bei zahlreichen Krankheitsbildern. Noch heute ist Cannabis als Opfergabe bei den indischen Tempelwächtern nicht wegzudenken, da es als geheiligter Vermittler zwischen den Menschen und den Göttern gilt.
Oft werden skythische Nomadenstämme als diejenigen Völkerschaften beschrieben, die Cannabis bewusst früh als Rauschmittel benutzt hätten. Es spricht jedoch einiges dafür, dass Geschichtsschreiber wie Archäologen eine skythische Legende an die nächste reihten, sodass es schließlich zu Überinterpretationen und zu Missverständnissen kam.
Die skythischen Reitervölker durchstreiften gegen 1500 vor Christus ganz Asien und das russische Sibirien. Ihre Wanderungen führten sie bis 700 vor Christus bis nach Indien und Persien, wo sie Cannabis bereits vorgefunden haben müssten. Wirtschaftliche Interessen bewegten die Skythen zu Handlungsreisen bis nach Europa. Im Kriegsfall praktizierten sie eine Politik grausamer Unbarmherzigkeit. In Friedenszeiten betrieben sie erfolgreich Landbau und erwiesen sich als geschickte Handwerker. So bauten sie zielgerichtet Hanf zur Tuchproduktion an. Außerdem verwendeten sie das magische Gewächs bei rituellen Begräbnisfeiern als Sakrament.
Besonders jener etwa 500 vor Christus vom griechischen Geschichtsschreiber Herodot beschriebene Brauch gab Anlass zu Missverständnissen. Herodot berichtete, wie die Skythen Zelte aus Tierhäuten und wollenen Decken bauten, in denen sie in speziellen Räuchergefäßen auf heißen Steinen Cannabissamen verbrannten: »Die Skythen nehmen von diesem Hanf die Samen und schlüpfen dann unter die bereits beschriebenen Wolldecken; hernach werfen sie den Samen auf die durch Feuer rot glühenden Steine; der hingeworfene Samen fängt sofort an zu rauchen und verbreitet einen solch wohlriechenden und kräftigen Dampf, dass kein hellenisches Schwitzbad diesen übertreffen dürfte; die Skythen brüllen dann vor Freude über ein solches Schwitzbad: Denn es dient ihnen statt eines Bades, weil sie nämlich überhaupt ihren Leib mit Wasser nicht waschen.«
Aus Herodots Schilderungen sowie einigen archäologischen Funden wurde der Schluss gezogen, dass die Skythen bereits Cannabis geraucht bzw. inhaliert hätten, um sich zu berauschen. Restlos überzeugende Beweise gibt es jedoch nur für die Tatsache, dass bei Begräbnisritualen und der damit einhergehenden Reinigungszeremonie Cannabissamen verbrannt wurden. Keine unmittelbaren Belege existieren indes für die Legende, dass bei solchen Ritualen bewusst harzreiche Cannabisblüten verdampft worden wären, um euphorische Zustände zu bewirken. Die Cannabissamen entfalten ihrerseits keine psychoaktiven Wirkungen. Sie dienten den Skythen nebst Zypressen, Zedern und Weihrauch ausschließlich als Räucherwerk. Auszuschließen ist nicht, dass die Skythen sich bereits an Cannabis berauschten. In jedem Falle war ihr ritueller Gebrauch der Rauschdroge etwas völlig anderes als der beliebige Cannabisgebrauch in unseren Zeiten.
Vergleichen lässt sich das reinigende skythische Dampfbad mit schamanistischen Schwitzhüttenritualen, wie sie sich bei heutigen »Wahrheitssuchern« zunehmender Beliebtheit erfreuen, nicht selten in Verbindung mit psychoaktiven Drogen.
Eine besonders hartnäckige Legende wird immer wieder absichtsvoll benutzt, um einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Haschischgebrauch und Aggressivität zu belegen. Sie betrifft die »Mörderbande der Assassinen«. Die Legende nimmt ihren Ursprung in der Erzählung über den »Alten vom Berge«, Scheich Hassan Ibn Al-Sabbah. Ihr zufolge wird der zielgerichtete Gebrauch von Haschisch in Verbindung gebracht mit einem in Persien beheimateten islamischen Kult. Dessen Anhänger seien mithilfe von Haschisch dazu angehalten worden, gedungene Morde zu begehen. Den historisch-politischen Nährboden, auf dem die Legende gedieh, bildeten frühe innerislamische Auseinandersetzungen um den rechten islamischen Weg und seinen führenden »Imam«. Die 1090 nach Christus gegründete Bruderschaft um Hassan Ibn Al-Sabbah und seine nachfolgenden Großmeister bestand aus den Ismaeliten oder »Nizari«. Sie hatten sich zum Ziel gesetzt, ihr politisch-religiöses Selbstverständnis im gesamten Islam durchzusetzen. Ihre Zeit endete 1256 mit dem Fall ihrer letzten islamischen Festung »Alamut«.
In den Jahren 1209/10 nach Christus berichtete erstmals der Abt Arnold von Lübeck, welcher sich mit den Kreuzzügen beschäftigte, über die Ismaeliten. Etwa hundert Jahre später trug Marco Polo zur weiteren Verfestigung der Legenden um den Orden bei. Zur Zeit seiner Berichte aus zweiter Hand waren die religiös motivierten Taten der Ismaeliten bereits zu sagenhaft ausgeschmückten Erzählungen gediehen.
Wie kam es nun aber zu der irreführenden und unhaltbaren Verbindung von Haschischgebrauch und fanatisierten Morden in der Legende um die Assassinen? Der Konsum von Haschisch in Persien, Arabien und im gesamten Nahen Osten war bereits bekannt. Das Wort »Haschischin« oder »Haschischesser« bezeichnete den Missbrauch der Substanz. Den Ismaeliten wurde der Beiname »Haschischin« verliehen, weil man ihnen gängigen Berichten zufolge unterstellte, gezielt ein Rauschmittel zu verwenden, um ihre Anhänger gefügig zu machen. Vermutlich enthielt die Bezeichnung »Haschischin« auch einen Unterton von Verächtlichkeit für ihre fanatischen Anschauungen und Gebräuche. Dass sie ihre Gegner gewaltsam aus dem Weg zu räumen pflegten, ist unbestritten. Dass sie dafür Haschisch verwendeten, ist erstens nicht belegt, und zweitens stimmt mordende Gewalttätigkeit in keiner Weise mit dem Wirkungsspektrum von Haschisch überein. Sofern die Ismaeliten überhaupt Cannabis gebrauchten, mussten sich die Attentäter jedenfalls vor ihren Anschlägen in strenger Enthaltsamkeit üben: »Haschisch macht sanft; der Dolch trifft dann nicht, da das Herz zu Zärtlichkeiten neigt«, belehrt eine ihrer Schriften.
Es bedurfte überhaupt keiner Droge, um gläubige Anhänger der religiösen Bruderschaft gefügig zu machen. Gläubiger Fanatismus wirkt wie eine Droge an sich und hat sich zu einer neuen Geißel der Menschheit ausgewachsen. Die afghanischen Taliban beispielsweise, welche mit ungebrochenem religiösem Eifer ihr Bild vom »Gottesstaat« durchzusetzen versuchen, sind zeitgenössische Nachfahren der Ismaeliten. Überall, wo religiös motivierter Fundamentalismus am Werk ist, findet der berühmte Satz des nahezu vergessenen Karl Marx sein neues Verständnis: »Religion ist Opium fürs Volk«, und spaltet Menschen in Rechtgläubige, Ungläubige oder Falschgläubige.
Die hartnäckige These, die Assassinen hätten unter Drogeneinfluss gemeuchelt, ist politisch weidlich ausgenutzt worden. Noch Jahrhunderte später stand sie Pate bei der Verfolgung von Marihuana als »Mörderkraut« in den USA.
Die zentralasiatischen und vorherrschend islamischen Regionen Afghanistans und des 1934 von China und der Sowjetunion geteilten Turkestans waren über Jahrhunderte hinweg traditionelle Hochburgen orientalischer Haschischkultur. Durch die politischen Verwerfungen und Konflikte der letzten Jahrzehnte haben sie zwar vorübergehend ihre Bedeutung als aktuelle Anbaugebiete für Cannabis eingebüßt. Doch inzwischen hat sich insbesondere Afghanistan wieder eine Spitzenposition im Cannabisanbau erobert. Was im Übrigen allerorten erhalten blieb, sind die uralten Gebräuche im Umgang mit Haschisch.
Im europäischen Raum waren die psychoaktiven Wirkungen von Cannabis lange Zeit unbekannt. Den antiken Griechen und Römern waren sie wenig vertraut. Wohl aber wurde etwa mit Beginn der neuen Zeitrechnung in Griechenland und im alten Rom die Verwendung von Cannabis als Heilmittel populär. Die berühmtesten Ärzte des Altertums, Plinius, Dioskurides und Galenus, verwendeten den Pflanzensaft und die Samen äußerlich angewendet gegen Schmerzen, Gelenkbeschwerden und Gicht. Die »oberen Zehntausend« im alten Rom genossen aber offensichtlich bereits ein wohlschmeckendes Hanfkonfekt. Galenus, der 129 bis 199 nach Christus lebte und als Arzt tätig war, vermerkte dazu: Wenn das Cannabiskonfekt »in großer Menge verzehrt wird, erzeugt es eine Wirkung auf den Kopf«.
Die pharmakologischen Erfahrungen der antiken Ärzte mit Cannabis beeinflussten die gesamte europäische Medizin bis zum Ende des Mittelalters. In den folgenden Jahrhunderten wurden allerdings zunehmend weitere Erkenntnisse mit den heilsamen Wirkungen von Hanfarzneien gesammelt. Die heilkundige Äbtissin Hildegard von Bingen, John Parkinson, ein englischer Kräuterarzt, der Schotte Sir William Brooke O’Shaughnessy und viele weitere Heiler priesen einhellig die medizinischen Qualitäten der Hanfpflanze.
Zur fantastischen Mythenbildung um Haschisch hat insbesondere eine kleine Gruppe französischer Intellektueller beigetragen, die zwischen 1845 und 1849 in Paris mit dem Stoff experimentierte. Es war vorwiegend ein Zirkel von Schriftstellern und Malern, die sich im Hôtel »Pimodan« auf der Seine-Insel Saint-Louis trafen und als der »Club des Hachichins« in die Cannabisgeschichte eingingen. Die literarischen Zeugnisse über ihre Rauscherlebnisse werden gerne unhinterfragt zitiert, um die dramatischen und tief greifenden Wirkungen von Haschisch zu belegen. Die Realität der Geschichte ist allerdings weit weniger romantisierend als die um den Club gesponnenen Mythen. Ausgangspunkt für den Haschischclub war der »Seelenarzt« Jacques Joseph Moreau de Tours, der, von klinisch-psychologischem Erkenntnisinteresse getrieben, an veränderten Persönlichkeitszuständen jenseits des »Normalen« interessiert war. Demzufolge verabreichte er seinen willigen »Versuchskaninchen« abenteuerlich hohe Dosen von Haschisch, die zudem oral genossen wurden, was ihre Wirkung noch einmal deutlich verstärkte. Die während mehrerer »Diners« im Club als Vorspeise servierte Haschischzubereitung war die zur damaligen Zeit geläufigste Art, das berauschende Mittel zu genießen. Es handelte sich um »Dawamesc«, eine des Öfteren als »grünliche Konfitüre« umschriebene Süßspeise auf der Basis von Haschischbutter, deren Herstellung Moreau de Tours exakt festgehalten hat. Die extrem hohen Dosen waren dazu gedacht, besonders bewegende Rauscherlebnisse hervorzurufen, die ausdrücklich als »Fantasia«-Trips bezeichnet wurden.
Théophile Gautier zeichnete seine Erlebnisse anlässlich mehrerer Abendmahle im Hôtel Pimodan in seinem erstmals am 1. Februar 1946 in »La Revue des Deux Mondes« veröffentlichten Bericht auf, nach dessen Titel der gesamte Zirkel seinen gleich lautenden Namen erhielt: »Le Club des Hachichins«. Gautier malt mit Worten:
»Eine leichte Wärme überkam mich, und der Wahnsinn, einer Woge gleichend, die gegen eine Klippe schäumt und sich wieder zurückzieht, um erneut gegen den Fels zu branden, trat in mich ein, verließ meinen Kopf wieder und brach dann völlig über mir zusammen. Die Halluzination, dieser seltsame Gast, war in mir lebendig geworden … Allmählich füllte sich der Salon mit ungewöhnlichen Figuren, wie man sie nur auf den Stichen Callots oder den Aquatinten Goyas findet; ein Mischmasch aus Lumpen und Fetzen, tierischen und menschlichen Gestalten. Zu jeder anderen Zeit hätte ich mich in einer solchen Gesellschaft nicht wohlgefühlt, doch jetzt lag nichts Drohendes in diesen Ungeheuern. List, nicht Bosheit blitzte aus ihren Augen. Nur bei einem gutmütigen Grinsen vermochte man die ungleichen Hauer und spitzen Zähne zu entdecken … Der etwas krampfhaften Ausgelassenheit am Anfang folgte nun ein unaussprechliches Wohlbehagen, ein Frieden ohne Ende. Ich befand mich in der glücklichsten Phase des Haschischrausches … Ich fühlte meinen Körper nicht mehr, die Fesseln der Materie und des Geistes waren gelöst; nur kraft meines Willens bewegte ich mich in ein Medium, das mir nicht den geringsten Widerstand entgegensetzte. Auf diese Weise, vermute ich, agieren Seelen in der Welt, in der wir nach dem Tode einkehren … Ich begriff, welche Freude höhere Wesen und Engel je nach dem Grade ihrer Vollkommenheit spüren, wenn sie Ätherwelten und Himmel durchstreifen, und wie sich Ewigkeit im Paradies anfühlt … Mühsam erhob ich mich und ging auf die Tür zu, welche ich erst nach geraumer Zeit erreichte, da mich eine unbekannte Macht nach jedem dritten Schritt wieder einen zurückzog. Nach meiner Schätzung mussten zehn Jahre verstrichen sein, als ich diese Entfernung zurückgelegt hatte … In der Tat fühlte ich, wie meine Glieder zu Stein erstarrten. Bis zur Körpermitte war ich zu einer Statue geworden … Nichtsdestotrotz gelangte ich zum Treppenabsatz, und ich versuchte hinunterzugehen … Als ich hinabblickte, sah ich einen Abgrund aus Stufen, Strudel von Wendeltreppen, verwirrende Spiralwindungen. Diese Treppe muss einfach bis zum Ende der Welt vorstoßen, dachte ich, während ich mechanisch weitertappte. Erst am Tage nach dem Jüngsten Gericht würde ich unten ankommen … Dann verlor ich völlig die Nerven; ich wurde wahnsinnig und fantasierte … Verzweiflung hatte mich gepackt, denn als ich mit der Hand an meinen Schädel fuhr, spürte ich, dass er offen war. Daraufhin schwand mir das Bewusstsein.«
Mit einem früheren Haschischrausch, dessen aufeinanderfolgende Phasen als Bericht am 10. Juli 1843 im Journal »La Presse« erschienen, liefert Gautier dem ärztlichen Erkenntnisinteresse Moreaus weiteren Stoff:
»Mein Körper schien sich aufzulösen und durchsichtig zu werden. Das Haschisch, das ich gegessen hatte, sah ich sehr deutlich in meiner Brust in Form eines Smaragds, der Millionen kleiner Fünkchen sprühte … Rings um mich waren ein Rieseln und Einstürzen von Steinmassen in allen Farben und in stetem Wechsel, das nur mit dem Spiel des Kaleidoskops verglichen werden kann. In manchen Augenblicken sah ich nur noch meine Kameraden, jedoch verändert, halb Mensch, halb Pflanze, mit dem nachdenklichen Aussehen eines Ibis, auf dem Fuße eines Vogels Strauß stehend, mit den Flügeln schlagend … Nach einer halben Stunde verfiel ich von neuem wieder der Wirkung des Haschischs. Dieses Mal waren die Visionen sehr viel komplizierter und ungewöhnlicher. Milliarden von Schmetterlingen, deren Flügel wie Fächer rauschten, flogen mit dauerndem Summen in einer merkwürdig erleuchteten Luft umher. Gigantische Pflanzen und Blumen mit kristallenen Kelchen, enorme Pfingstrosen, goldene und silberne Betten stiegen auf und breiteten sich rings um mich aus mit einem Knistern, das an Feuerwerk erinnerte. Mein Gehör hatte sich merkwürdig gesteigert, ich hörte das Geräusch der Farben. Grüne, blaue, gelbe Töne kamen in scharf unterschiedenen Wellen zu mir. Ein umgeworfenes Glas, ein Ächzen des Stuhles, ein leise ausgesprochenes Wort vibrierten und widerhallten in mir wie Donnergetöse … Noch nie hatte ich solches Glücksgefühl erlebt. Ich löste mich auf, war so weit entfernt von mir, meiner selbst so entledigt, dieses widerwärtigen Zeugen, der einen stets begleitet, dass ich zum ersten Mal die Existenz der Elementargeister verstand, der Engel und der vom Körper getrennten Seelen. Ich war wie ein Schwamm mitten im Meer. Jede Minute durchzogen mich Wellen von Glück, die durch meine Person ein- und ausgingen; denn ich war ja durchdringbar geworden, und bis ins Letzte hinein nahm ich die Farbe der fantastischen Umgebung auf, in die ich versetzt war. Töne, Düfte, Licht kamen durch unzählige schmale Kanälchen, so fein wie Haar, zu mir, in denen ich die magnetischen Ströme pfeifen hörte. – Nach meiner Berechnung dauerte dieser Zustand ungefähr 300 Jahre, denn die Empfindungen folgten sich dermaßen zahlreich, dass eine Zeitwahrnehmung unmöglich schien … Eine dritte Phase, die letzte und zugleich bizarrste, beendigte meine orientalische Sitzung. In dieser verdoppelte sich mein Blick. Zwei Bilder jedes Gegenstandes spiegelten sich in meiner Netzhaut und erzeugten eine vollständige Symmetrie. Aber bald nachdem die magische Substanz vollständig verzehrt war und nun noch intensiver auf mich zu wirken begann, war ich für eine Stunde vollkommen von Sinnen. Alle pantagruelischen Träume durchzogen meine Fantasie: Einhörner, Greifen, Riesenvögel usw., kurz, die ganze Menagerie der Traumungeheuer trippelte, funkelte, flatterte und klapperte durch das Zimmer.«
Solche und ähnliche Berichte zum Ruhme des Haschischs sind verständlicherweise geeignet, Mythen zu kreieren, die sich später verselbstständigen. Wer mit den Wirkungen der Droge wenig vertraut ist, wird den Berichten Glauben schenken und von Haschisch wundersame Wirkungen erwarten. Doch Gautiers Erzählungen sind mit besonderer Vorsicht zu genießen. Sie erklären sich nur vor ihrem konkreten geschichtlichen Hintergrund. Der Arzt Moreau wollte Halluzinationen erforschen, und Gautier hat sie ihm geliefert. Die Stärke der von ihm berichteten Haschischwirkungen ist auf das Essen von Dosierungen zurückzuführen, wie sie kein normaler Haschischkonsument jemals zu sich nimmt, nicht einmal heutige Bongraucher, welche sich ins Cannabiskoma beamen. Aber selbst solch außergewöhnlich große Mengen von Haschisch reichen als Erklärung für die Schilderungen Gautiers nicht aus. Das berichtete Maß der Raum- und Zeitauflösung sowie der Sinnesverschiebungen, die völlige Losgelöstheit vom Körper, die Verbundenheit mit den Elementargeistern und letztlich das Übermaß an inneren Bildern und fantastischen Visionen gehen über die mit Haschisch erreichbaren Wirkungen hinaus. Sie gehören viel eher in das Wirkungsspektrum weitaus mächtigerer Halluzinogene und Entheogene, die in die Welt der Geister, Götter und Ahnen zu führen vermögen. Gautier war hochgebildet und literarisch begabt. Beides kommt zwar der sprachlichen Gestaltung seiner Erzählungen zugute, führt aber mit zur unrealistisch überhöhten Schilderung seiner Rauscherlebnisse. Moreau persönlich macht darauf aufmerksam, welch brillanter Schriftsteller Gautier war und wie sehr seine Berichte von dessen »poetischer Imagination« geprägt seien. Gautier stilisiert seine Halluzinationen regelrecht. Dem Drang, Außergewöhnliches und Sensationelles bezeugen zu müssen, erliegt auch Gérard de Nerval, der festhält: »Das Haschisch macht gottgleich; indem der Rausch die Augen des Leibes trübt, erleuchtet er die Seele.«1)
Ein hinreichendes Indiz dafür, dass die ekstatischen Berichte der Pariser Literaten sprachlich überhöht sowie in moderner Terminologie auch dem speziellen »Set« und »Setting« des exklusiven Clubs geschuldet waren, ist die Tatsache, dass ihre malenden Kollegen sich weit weniger enthusiastisch zeigten. Sie erfuhren keinerlei visionäre Inspirationen für ihre Kunst und zeigten sich von Haschisch enttäuscht.
Charles Baudelaire, der ebenfalls dem Pariser »Club des Hachichins« angehörte, ging in seiner berühmten »Dichtung vom Haschisch« wesentlich nüchterner an die Sache heran. Er analysierte die verschiedenen wellenartig anflutenden Wirkungsstadien des Rauschmittels Haschisch. Um seinen »sezierenden« Abstand von der Droge zu verstehen, muss man wissen, dass Baudelaire zur fraglichen Zeit bereits opiumabhängig und folglich mit den leidvollen Begleiterscheinungen eines unkontrollierten Rauschmittelgebrauchs vertraut war. Er geht der »Moral« des Haschischs nach. Vom »Standpunkt einer spiritualistischen Philosophie aus« erscheint es ihm tadelnswert, »die menschliche Freiheit und den unerlässlichen Schmerz zu verringern«, indem ein Mensch die Bedingungen des Lebens nicht annimmt, sondern es vorzieht, über »ein verbotenes Spiel« mit machtvollen Suchtmitteln seine Seele zu verkaufen. Von diesen Gedanken ist es nur ein kleiner Schritt zu den entwicklungspsychologisch und psychotherapeutisch eingebundenen Theorien unserer Tage, welche den Suchtmittelmissbrauch zu erklären versuchen.
So vorübergehend die Episode um den Pariser Zirkel der »Haschischesser« war, so überdauernd sind die von ihm begründeten Mythen um die Wirkungen des Stoffes bis heute. Sie stehen in keinem Verhältnis zur Realität, insbesondere nicht zu der eingeschränkten Bedeutung, die Haschisch zur damaligen Zeit als psychoaktive Substanz hatte. Nur in Griechenland wurde die Droge in größerem Umfang als Rauschmittel genossen. Der Anbau von Cannabis zur Gewinnung von Haschisch war in Griechenland etwa ab Ende des 19. Jahrhunderts verbreitet. Beliebte Konsumstätten waren die »Tekés«, die Cafés für die Haschischraucher in Piräus und Athen. Die Blütejahre des Hanfanbaus sowie der Genuss von Haschisch gingen einher mit der Hochzeit der »Rebetika«-Musik. Etwa 1930/40 flauten der Cannabisanbau und -konsum in Griechenland durch immer schärfere Betäubungsmittelgesetze der griechischen Regierung ab.
Ein dramatischer Bruch im Umgang mit Cannabis erfolgte zu Beginn des 20. Jahrhunderts. In Amerika und Europa wurden die politische, wirtschaftliche, pharmakologische und gesellschaftliche Bewertung von Cannabis völlig umgedreht. Die Ursachen für diesen gesteuerten Meinungswechsel sind vor allem in den Vereinigten Staaten zu finden. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass das weltweite Verbot von Cannabis von jenem Land gestartet wurde, dessen erste Flagge noch aus einem Hanfstoff gefertigt war.
Die Cannabisprohibition hat ihren ideologischen Ursprung in der hart geführten Auseinandersetzung zwischen Menschen weißer und schwarzer Hautfarbe in Südafrika und stärker noch in den USA. Dort hatte sich bis etwa 1930 das Rauchen von Marihuana stark verbreitet. Kulturell war Marihuana schon länger bei den Mexikanern verwurzelt. Dann wurde es von der schwarzen Bevölkerung in den USA zu ihrer Droge auserkoren. Verbreitet wurde ihr Konsum unter anderem durch die Jazzmusik, lange Zeit als »Negermusik« verschrien. Später hoch angesehene schwarze Jazzmusiker setzten Marihuana manch musikalisches Denkmal. Zu ihnen zählt auch Louis Armstrong, dessen Stimme und Trompete unvergessen sind und der dem verbotenen Kraut eine Liebeserklärung macht: »Ich habe durch Gras eine Menge Schönheit und Wärme erfahren. Das war mein Leben, und ich schäme mich deswegen überhaupt nicht. Mary Warner, mein Liebling, du warst wirklich die Beste.«
Neben rassistischen Gründen für das Cannabisverbot spielten der religiöse Puritanismus sowie mächtige wirtschaftliche Interessen der Textil- und Papierindustrie eine Rolle. Die Baumwollproduzenten und die chemische Industrie, die Papier künftig aus Holz herzustellen gedachte, wollten die Hanffaser vom Markt verdrängen.
Auf der Zweiten Internationalen Opiumkonferenz setzten die USA 1925 in Genf ein internationales Verbot von Cannabis durch. Haschisch und Marihuana sollten in ihrer Gefährlichkeit der Bewertung von Opium, Morphium, Heroin und Kokain gleichgestellt werden. Folglich wurde Cannabis in das seit 1912 bestehende 1. Internationale Opium-Abkommen von Den Haag aufgenommen. Die »Eiferer« in den USA kannten fortan kein Halten mehr. Insbesondere mit einem Namen ist die Cannabishysterie in den USA untrennbar verbunden: mit Harry J. Anslinger, der von 1930–1962 Leiter der zentralen amerikanischen Drogen- und Rauschgiftbehörde war (Bureau of Narcotics). Er erklärte Marihuana zum »Staatsfeind Nummer eins« und startete eine gezielte, systematische Propaganda gegen das Kraut, die modernen Werbekampagnen alle Ehre gemacht hätte. Die Propagandabotschaften, die Marihuana als wahnsinnig machendes »Mörderkraut« und »Killer der Jugend« anprangerten, zeigten Wirkung. Mit dem hergestellten Zusammenhang zwischen Marihuanagenuss und Kriminalität sowie Mord und Totschlag wurde in der Öffentlichkeit weiter Stimmung gegen Cannabis gemacht. Die Legende um die »skythischen Mörderbanden« trieb neue Blüten.
Anslinger lancierte auch die Umstiegsthese von Marihuana auf Heroin, wenn der gewohnte Sinneskitzel nicht mehr befriedige. Seine Behörde bestimmte maßgeblich die Drogenpolitik der Vereinten Nationen. Im Jahr 1961 erreichte sie mit der »Single Convention on Narcotic Drugs« die weltweite Ächtung von Cannabis. Anbau und Besitz von Hanf waren fortan in allen UN-Staaten mit Strafverfolgung bewehrt. Der Grundstein zum heute noch existierenden weltweiten Hanfverbot war gelegt. Es gab in den USA allerdings von Beginn an auch Widerstand gegen Anslingers Methoden und Ziele. Eine 1938 vom New Yorker Bürgermeister La Guardia eingesetzte wissenschaftliche Kommission veröffentlichte 1944 einen ausführlichen Bericht, der die gesamte Marihuanahysterie für übertrieben und unbegründet erklärte.
Im Übrigen ist traditioneller Cannabis ein überaus robustes Gewächs. Es ist nicht nur resistent gegen Pflanzenschädlinge aller Art, sondern widersteht bis heute jeglicher politisch, wirtschaftlich, ideologisch oder gesundheitlich begründeten Repression. Trotz aller Bemühungen, den Cannabisgebrauch regelrecht auszurotten, wurde dieses Ziel selbst in den USA nie erreicht. Ab Mitte der 60er-Jahre war Marihuana trotz Verbots in allen Bevölkerungsschichten des Landes verbreitet, ohne Unterschied in der Hautfarbe oder im sozialen Herkommen. Die »Flower-Power«-Bewegung setzte sich mit »love & peace« gewaltfrei und beharrlich durch. Heute ist Cannabis trotz der beachtlichen Konkurrenz von neu kreierten Designerdrogen und »Research Chemicals« wieder die meistgebrauchte illegalisierte Droge, nicht nur in den USA, sondern weltweit.
Die Geschichte des Hanfverbots in Deutschland ist im Wesentlichen gekoppelt an die Verpflichtungen durch internationale Verträge. Durch das Zweite Opiumabkommen, welches das Deutsche Reich ab 1929 mit dem Reichs-Opium-Gesetz umsetzte, wurde der Besitz von Hanf zum Zwecke der Berauschung erstmals für die Konsumenten verboten. Davon unberührt blieb zunächst der Hanfanbau zur Erzeugung von Rohstoffen, der im Zweiten Weltkrieg sogar staatlich gefördert wurde, weil die Nazis es für wert befanden: »Die Kriegswirtschaft verlangt die heimischen Fasern. Vielseitig ist die Verwendung: Garne, Netze, Leinenstoffe, Drillichzeug und Zeltbahnen, Schläuche und Gurte werden aus Hanffasern hergestellt. Die Sicherung der Versorgung der Heimat und ganz besonders der Wehrmacht mit unentbehrlichem Gut ist eine Aufgabe. Das Landvolk weiß, worum es geht. Der Krieg verlangt den äußersten Einsatz.« Nach dem Krieg waren Hanfzubereitungen als Heilmittel noch bis 1958 in deutschen Apotheken erhältlich. Nach und nach verschwand der Hanf indes aus den heimischen Gärten, wo er lange Zeit wie selbstverständlich wuchs. In geschlechtsspezifischer Abwandlung des bekannten Spruches »Was die Großmutter noch wusste« wurde er von vielen älteren Männern wie selbstverständlich als Tabakersatz geraucht. Niemand dachte sich Böses dabei. Ebenso wenig sprach jemand von Haschisch oder Marihuana. In die Pfeife gestopft wurde Hanf als »seltsames Kraut«, das etwas »rauschig« machte, zum »Knaster« oder »starkem Tobak«.
Nachdem Mitte der 60er-Jahre die »Flower-Power«-Bewegung auch die damalige Bundesrepublik Deutschland voll erfasst hatte und im Gefolge Haschisch, Marihuana, LSD und Meskalin Eingang in die Gewohnheiten der zunehmend politisierten jungen Erwachsenen nahmen, verabschiedete die Bundesregierung 1971 die erste Fassung des bundesdeutschen Betäubungsmittelgesetzes (BtMG). Seine Überarbeitung von 1982 verbot neben dem Konsum von Cannabis zugleich den Anbau von Hanf als Nutzpflanze. Die zweite Novellierung des BtMG von 1992 schrieb neue Paragrafen ins Gesetz, die bei als gering anzusehenden Verstößen gegen das Cannabisverbot größeren Ermessensspielraum bei der Strafverfolgung ermöglichen.
Infolge des berühmt gewordenen Haschischurteils des Lübecker Landgerichts traf das Bundesverfassungsgericht 1994 eine bedeutsame Grundsatzentscheidung im Zusammenhang mit der Verfassungsmäßigkeit des generellen Verbotes von Cannabis. Das Urteil legt fest, dass bei Besitz von geringen Mengen Cannabis zum Eigengebrauch aus Gründen der Verhältnismäßigkeit von einer gerichtlichen Strafverfolgung abzusehen sei, wenn keine Fremdgefährdung vorliege. 1996 wurde zudem der Anbau von THC-armem Nutzhanf wieder freigegeben. Allerorten setzen sich in Deutschland überdies Hanfinitiativen für die Legalisierung von Cannabis und seine Freigabe als Medikament ein.