Das Servicekapitel
für Mütter und Väter
Wir würden weit mehr gewinnen,
wenn wir uns zeigten, wie wir sind,
als bei dem Versuch,
das zu scheinen, was wir nicht sind.
(La Rochefoucauld)
Seien Sie wissbegierig!
Wenn Eltern erfahren, dass ihre Söhne oder Töchter Cannabis konsumieren, geraten die meisten von ihnen in helle Aufregung. Manche, vor allem Mütter, werden sogar derart von Panik ergriffen, dass sie wie gelähmt sind. Aber selbst dort, wo Eltern versuchen, mit ihren Kindern vernünftig zu sprechen, kommt nicht immer die angestrebte Verständigung zustande. Das liegt unter anderem daran, dass in solchen Gesprächen Welten aufeinanderprallen. Mütter und Väter, Lehrer und Sozialarbeiter müssen über etwas sprechen, was ihnen allzu oft gänzlich fremd ist. Vielleicht wissen sie noch manches über die Droge an sich, aber die Wirkungen, die Begleitumstände des Konsums sowie die vielfältige Zubehör- und Growerwelt der Haschischkultur sind unbekanntes Terrain. Infolgedessen lautet eine Standardäußerung zahlreicher kiffender Jugendlicher: »Mit meinen Eltern zu reden bringt überhaupt nichts. Die wissen doch überhaupt nicht, was beim Kiffen abgeht oder was ich meine.«
Deshalb: Seien Sie als Eltern wissbegierig! Gehen Sie an Ihrem Wohnort in einen der spezialisierten Läden, welche die Utensilien der Cannabiskultur feilbieten. Irgendwo in Ihrer Nähe werden Sie einen entsprechenden »Head-« oder »Grow-Shop« ausfindig machen. Die Läden mit einschlägigen Namen wie »Hanf-Galerie«, »Kawumm«, »Gras Grün«, »Sweet Smoke« und wie sie alle heißen, sind völlig legal. Die Droge Cannabis untersteht zwar dem Betäubungsmittelgesetz, aber der Handel mit den Utensilien, von denen jeder weiß, wozu sie bestimmt sind, ist nicht verboten. Manche Ware von Hanfläden ist insofern etwas »heiß«, als trickreich und geschickt auch Produkte vermarktet werden, deren Vertrieb nach dem BtM-Gesetz eigentlich unter Strafe gestellt ist.
Hanfläden sind für alle Interessierten eine informative Quelle, sich das kleine Einmaleins des Kiffens erklären zu lassen. Nutzen Sie als Eltern diese Möglichkeit. Gehen Sie mit offenen Augen durch einen solchen Laden, schauen Sie sich neugierig um, fragen Sie. Es könnte Ihnen bei einem längeren Verweilen in einem Hanfladen allerdings passieren, dass Sie dort zufällig auf einen Ihrer Söhne, eine Ihrer Töchter oder andere Ihnen bekannte Kinder treffen.
In jedem Fall haben die Läden einen regen Publikumsverkehr. Vielleicht sind Sie überrascht, unangenehm berührt oder gar schockiert von dem kindlichen Alter mancher Jungen und Mädchen, die bereits wie selbstverständlich ein Rauchgerät ihrer Wahl erwerben möchten. Lassen Sie sich desgleichen nicht irritieren von manch verklärtem oder verzücktem Ausdruck in den Gesichtern der Cannabisliebenden. Der Ausdruck ist durchaus wörtlich zu verstehen, denn nicht wenige der mit Haschisch und Marihuana vertrauten Menschen pflegen ein regelrechtes Liebesverhältnis zu ihrer Droge. Manche Altkiffer sind mit dem Objekt ihrer Begierde in die Jahre gekommen. Ihr Liebesverhältnis zu Cannabis gleicht allerdings häufig mehr dem einer abgenutzten, freudlosen Ehe als einem freudigen Beziehungstanz.
Lassen Sie sich vorurteilsfrei und nicht wertend auf das Betreten eines Hanfladens ein. Bedenken Sie, dass es für Sie um einen informativen Einblick in eine Ihnen vermutlich unvertraute Welt und nicht um einen Kampf an der »Drogenfront« geht. Der Besuch eines solchen Ladens kann nicht verhindern oder aus der Welt schaffen, dass vielleicht gerade Ihr Kind gern Cannabis raucht. Er eröffnet Ihnen aber neue Gesprächsebenen, auf denen sich dann tatsächlich ein Dialog zu entwickeln vermag. Sich besser auszukennen mit dem, was Kindern und Jugendlichen in deren Lebenswelt wichtig ist, gibt Ihnen als Eltern mehr Sicherheit. Unsicherheit, Angst oder gar Panik haben noch in keinem Fall dazu beigetragen, interessanten Drogen den Rang abzulaufen. Sie verschärfen die Situation eher.
Wenn Sie tatsächlich einmal einen der einschlägigen Läden betreten, können nicht nur Sie davon profitieren. Ein nützlicher Effekt vermag durchaus in die andere Richtung zu wirken. Den Besitzern und Angestellten entsprechender Geschäfte schadet es nicht, wenn sie in unaufgeregten Gesprächen auch einmal etwas über die berechtigten Sorgen und die Gefühle der Mütter und Väter ihrer Kunden erfahren. Auf diesem Auge sind die »Hänflinge« nämlich meistens erschreckend blind, auch wenn sie das selbst so nicht wahrhaben möchten. Ein wirklich guter Verkäufer in einem Hanfladen lässt allerdings auch »Safer-Use«-Hinweise zu einem überdachten und verantwortungsvollen Umgang mit Cannabis in seine Verkaufsgespräche einfließen.
Erstehen Sie in einem Hanf- oder normalen Zeitschriftenladen durchaus auch einmal eine aktuelle Ausgabe einer verfügbaren Szenezeitschrift. Ihnen werden die Augen übergehen bei all dem, was Sie zu lesen und zu sehen bekommen werden, so fremd wird Ihnen diese Welt sein.
Ihre Neugier sollten Sie allerdings nicht so weit treiben, dass Sie sich als cannabisunerfahrener Elternteil dazu entschließen, die Droge selbst zu probieren, um nach einer derart verspäteten Eigenerfahrung anders mitreden zu können. Erstens wäre das ein grenzüberschreitender Eintritt in die abgegrenzte jugendkulturelle Welt Ihrer Kinder. Zweitens würden Sie auf Ihrer Suche, sich Cannabis zu beschaffen, eine eher klägliche Figur abgeben, und drittens wäre nicht auszuschließen, dass Sie an einem solchen Eigenversuch in der Folge mehr Gefallen finden würden, als Ihnen in Ihrer Situation guttäte.
Wie Sie Ihre Kinder ermutigen,
die Bekanntschaft mit Cannabis
zu suchen
»Wie absurd«,
sagte die Eintagsfliege,
als sie zum ersten Mal
das Wort »Woche« hörte.
Es hinterlässt leicht einen schalen Nachgeschmack, Ihnen als Erziehungsberechtigten direkte Empfehlungen für den Umgang mit Ihren Kindern zu geben, denn Rat-»Schläge« können nur allzu leicht als verletzende Schläge empfunden werden, wenn sie den Eindruck erwecken, vom »Expertengipfel« gereicht zu werden.
Mein Ziel ist es, vor allem Ihre präventiven Handlungsmöglichkeiten als Mütter und Väter zu stärken. Dabei wähle ich allerdings zunächst den Weg durch die Hintertür, indem ich Ihnen als Eltern paradoxe und verquere Hinweise gebe, wie Sie Ihre Kinder ermutigen können, Cannabis zu gebrauchen. Ein solches Vorgehen lässt Ihnen größeren eigenen Interpretationsspielraum als direktive Verhaltensempfehlungen.
Nachstehende Strategien für Ihre Elternrolle sind hervorragend geeignet, Ihre Söhne und Töchter zu ermutigen, die Bekanntschaft von Haschisch oder Marihuana zu suchen:
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Tun Sie als Eltern so, als wären Sie bestens über Cannabis informiert, aber lassen Sie sich von Ihrem Kind dabei erwischen, dass Sie noch immer der Ansicht sind, Haschisch würde gespritzt.
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Betonen Sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Gefährlichkeit von Cannabis als Einstiegsdroge, während Sie selbst dabei eine Zigarette rauchen. Bestehen Sie zudem unnachgiebig darauf, dass das gewohnheitsmäßige Trinken von Alkohol etwas völlig anderes sei als der Genuss von Haschisch und Marihuana.
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Reden Sie mit Ihren Kindern mindestens einmal am Tag darüber, wie groß Ihre Angst ist, sie könnten Cannabis probieren.
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Kontrollieren Sie regelmäßig einmal pro Woche Kleidung und Zimmer Ihrer Kinder auf Ihnen verdächtige Substanzen oder merkwürdige Gerätschaften zum Rauchen von Cannabis.
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Setzen Sie sich mit Ihren Kindern niemals als Familie zusammen.
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Vermeiden Sie insbesondere gemeinsame Mahlzeiten. Wenn Sie es dennoch nicht verhindern können, als Familie zusammen zu essen, so tun Sie dies nur vor dem eingeschalteten Fernsehgerät.
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Geben Sie ohne Gegenwehr Ihren Widerstand gegen einen unbegrenzten Zugang Ihrer Kinder zu Fernsehen, DVDs, Computerspielen und Internet auf. Sie haben ohnehin keine Chance, diesen Kampf zu Ihren Gunsten zu entscheiden.
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Vermeiden Sie familiäre Feste und Traditionen, die sich regelmäßig wiederholen und auf die sich Ihre Kinder freuen können. Vermeiden Sie vor allem, von Ihrem eigenen Geburtstag Notiz zu nehmen und sich feiern zu lassen.
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Hören Sie Ihren Kindern niemals zu und sprechen Sie über sie, aber nicht mit ihnen.
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Treffen Sie keine Entscheidung und setzen Sie keine Grenze, bevor Sie nicht wenigstens eine Stunde mit Ihren Kindern über deren Berechtigung diskutiert haben.
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Entschuldigen Sie sich niemals bei Ihren Kindern, wenn Sie einen Fehler gemacht haben. Beharren Sie immer auf Ihrem elterlichen Recht.
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Lassen Sie Ihre Kinder keinerlei Erfahrungen mit Zeiteinteilung, Müdigkeit, Kälte, Verantwortung, Herausforderungen, Abenteuern, Risiken, Kränkungen, Fehlern, Schwierigkeiten usw. machen.
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Kümmern Sie sich ständig um alle Angelegenheiten Ihrer Kinder. Lassen Sie sie so wenig wie möglich selbstverantwortlich ihre Angelegenheiten regeln.
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Lösen Sie immer alle Probleme für Ihre Kinder. Vermeiden Sie dabei unter allen Umständen, dass das Verhalten Ihrer Kinder spürbare Konsequenzen für jene hat.
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Folgen Sie niemals der Einladung zu einem Elternabend an der Schule Ihrer Kinder. Das wäre pure Zeitverschwendung.
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Gehen Sie selbst wegen jeder Kleinigkeit zum Arzt, und nehmen Sie bei jedem Kopfschmerz unbedingt sofort eine Schmerztablette. Es ist überaus wichtig, dass Ihre Kinder auf diese Weise von Ihnen lernen, dass es für ungute Gefühle immer eine schnelle Lösung von außen gibt.
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Sofern konkrete Entscheidungen anstehen, ob Sie Ihr Geld und Ihre Zeit in materiellen und passiven Konsum oder in eine familiäre Aktivität investieren sollen, wählen Sie immer die materielle, passive Seite.
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Zeigen Sie Ihren Kindern, wie lebenswichtig es ist, immer und überall per Handy erreichbar zu sein, sogar im Bett.
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Gewähren Sie Ihren Kindern spätestens ab 10 Jahren ein superteures Handy, damit Sie diese überall anrufen bzw. jene hemmungslos simsen können. Vergessen Sie nicht, mit Ihren Kindern zu vereinbaren, dass Sie deren Rechnungen begleichen.
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Lassen Sie sich von Ihren Kindern immer nur als Mutter und Vater ansehen, niemals als Frau und Mann, die sich lieben und gerne berühren.
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Erziehen Sie als Mutter eine Tochter unbedingt zu Ihrer besten Freundin.
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Vermeiden Sie als Vater unter allen Umständen, dass Ihr Sohn Sie einmal traurig oder gar weinen sieht. Jegliche Gefühlsduselei schadet Ihrem männlichen Ansehen. Ausgesprochen schädlich wirkt es sich aus, wenn Sie Ihrem Sohn sagen, dass Sie ihn lieben.
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Geben Sie bei allem, was Sie tun, immer mehr auf die Meinung Ihrer Nachbarn und das äußere Erscheinungsbild Ihrer Familie als auf die Bedürfnisse Ihrer Kinder.
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Lassen Sie Ihre Kinder niemals zu Bett gehen, bevor Sie ihnen nicht wenigstens zehn Dosen »Fertigmacher« am Tag verabreicht haben.
Menschen sind keine Engel, und Sie als Mütter und Väter sind keine Übermenschen. Sie leisten den absolut schwierigsten aller »Jobs«. Beim besten Willen vermögen Sie im Leben nicht zu vermeiden, Fehler zu machen. Aber es gilt eine goldene Regel zu beherzigen: Lange bevor Kinder den »Geschmack von Freiheit und Abenteuer« brauchen, benötigen sie die uneingeschränkte Liebe ihrer Eltern, emotionale Achtsamkeit, berührende Zuwendung, sichere Geborgenheit sowie bestätigendes Vertrauen in ihre persönlichen Fähigkeiten. Über einen derart sturmsicheren Hafen als Halt gelingt es Eltern langfristig am ehesten, »konkurrenzfähig« zu bleiben und die Nachfrage von Söhnen und Töchtern nach Rauschmitteln jedweder Art entbehrlich zu machen.
Wenn das Kind in den Brunnen
gefallen ist
Selbst die beste Prävention ist keine absolute Garantie dafür, einen aus dem Ruder laufenden Cannabiskonsum von Jugendlichen verhindern zu können. Haben Ihre Söhne oder Töchter erst einmal mit dem Gebrauch von Haschisch oder Marihuana begonnen und Geschmack daran gefunden, brauchen Sie als Mütter und Väter eigene Standfestigkeit, Konsequenz und Beharrlichkeit, um dem Problem angemessen zu begegnen.
Ihr dringender Wunsch als Eltern, dass die Söhne oder Töchter den Konsum von Cannabis unmittelbar wieder aufgeben mögen, ist zwar nur allzu leicht verständlich, aber eher unrealistisch. Für Sie als besorgte Eltern stellt sich mithin die schwierige Aufgabe, mit Ihren Kindern gemeinsam möglichst unbeschadet jene Phase durchzustehen, während der die Droge einen Platz in deren Leben einnimmt. Da es in der Realität viel eher männliche Jugendliche sind, welche einen bedenklichen Cannabisgebrauch entwickeln, werde ich in diesem speziellen Kapitel von den Drogen gebrauchenden Söhnen schreiben.
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Stellen Sie sich als Eltern innerlich darauf ein, heftigsten Gefühlsbädern unterworfen zu werden, falls Sie einen Sohn durch eine »Kifferkarriere« begleiten müssen. Ihre Empfindungen werden schwanken zwischen hoffnungsvoller Zuversicht, wenn Sie bei Ihrem Kind Anzeichen von positiver Veränderung wahrzunehmen glauben, sowie Niedergeschlagenheit, Depression und Hilflosigkeit, wenn Ihr Sohn wieder vermehrt kifft, sich rücksichtslos unsozial verhält und sich über alle Regeln hinwegsetzt. Für Momente werden Sie ihn regelrecht hassen und ihn hinauswerfen wollen. Wenig später werden Sie wieder Ihre Liebe zum Kind spüren. Machen Sie sich umgehend mit den Eigengesetzlichkeiten der süchtigen Beziehungsstruktur vertraut. Hilfreich dazu sind die Bücher »Drogen & Sucht« sowie »Sucht – eine Herausforderung im therapeutischen Alltag«.
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Wenn Sie zum ersten Mal bemerken, dass Ihr Sohn Cannabis konsumiert, beobachten Sie aufmerksam, aber nicht inquisitorisch die weitere Entwicklung. Beobachten meint nicht, über Jahre hinweg dem Konsum zuzusehen und darüber hinaus nichts zu unternehmen. Machen Sie sich in jedem Fall umgehend selber sachkundig, auch um eigene Angst- oder gar Panikgefühle zu mildern.
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Geht der Cannabisgebrauch Ihres Sohnes über einen gemäßigten Gelegenheits- bzw. Freizeitkonsum hinaus und verfestigt er sich zudem durch harte Gebrauchsmuster, dürfen Sie keinesfalls untätig bleiben, schon gar nicht im frühen Einstiegsalter zwischen 11 und 14 Jahren.
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Setzen Sie klare, eindeutige Grenzen. Stellen Sie sich gleichzeitig darauf ein, dass Ihr Sohn in heftigsten Widerstand gehen und versuchen wird, die Grenzen zunächst zu dehnen, dann zu überschreiten und schließlich gänzlich zu ignorieren. Er wird Ihnen das Recht absprechen, ihm überhaupt etwas zu sagen zu haben.
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Versuchen Sie als Mutter oder Vater unter allen Umständen, die Beziehung zu Ihrem Sohn zu halten, selbst wenn es ihnen noch so schwerfällt, weil er Ihre Beziehungsangebote immer wieder in absolut kränkender und verletzender Art und Weise entwerten wird. Verstehen Sie diese Prozesse als Ausdruck der süchtigen Dynamik. In der Phase chronischen Cannabisgebrauchs geht Jugendlichen im Verein mit der eigenen Überheblichkeit häufig das Gefühl dafür verloren, wie sie sich selbst und andere Menschen zutiefst verletzen.
Wenn Eltern zum ersten Mal eine Drogenberatungsstelle aufsuchen und um Rat fragen, weil ihr Sohn kifft, ist eine Standardantwort immer: »Halten Sie die Beziehung zu Ihrem Kind!« Im Grundsatz ist an dieser Empfehlung auch nichts zu deuteln. Nebulös bleibt für viele unter Druck stehende Eltern jedoch häufig die Frage: »Wie mache ich das, die Beziehung zu halten?« In der hochkritischen Zeit eines starken Cannabisgebrauchs von Söhnen ist die Eltern-Kind-Beziehung unter Umständen so stark belastet, dass sie praktisch nicht mehr existiert. Eine Beziehung, welche kaum noch lebendig ist, können Eltern schwer halten. Sie können sie bestenfalls neu entstehen lassen. Damit Mütter und Väter sich in ihrer Ratlosigkeit nicht alleingelassen fühlen, benötigen sie deshalb konkretere Hinweise, wie sie ihre Handlungsfähigkeit aufrechterhalten können.
Aus der praktischen Arbeit mit leidgeprüften Müttern und Vätern in Elterngruppen stammen die nachstehenden Verhaltensempfehlungen, welche nach und nach zu greifen vermögen, wenn das Kind tief in den Brunnen gefallen ist. Patentrezepte oder gar Königswege sind sie nicht. Strategien, welche sich bei einem bestimmten Sohn der einen Familie als hochwirksam erwiesen haben, können bei einem anderen Jugendlichen aus einer zweiten Familie gänzlich versagen. Eltern brauchen folglich Fingerspitzengefühl, um selbst zu entscheiden, welche Strategie sie bei ihrem Sohn verfolgen möchten. Alle Eltern jedoch, die beharrlich mit einzelnen Schritten aus nachstehender Liste experimentiert haben, konnten sich über langfristige positive Ergebnisse freuen.
Falls du als jugendlicher Cannabiskonsument die Empfehlungen für Eltern liest, bleib bitte fair. Sie werden dir wenig schmecken. Du wirst zu Recht den Eindruck haben, dass sie dir deine Räume als Konsument enger machen sollen. Falls du zu den kompetenten Cannabiskonsumenten gehörst, welche tatsächlich und nicht bloß in ihrer Einbildung einen kontrollierten Umgang mit Haschisch oder Marihuana pflegen, brauchst du dich wenig angesprochen zu fühlen. Die Rückenstärkung für die Mütter und Väter ist für diejenigen Fälle gedacht, in denen der Cannabisgebrauch der Söhne außer Kontrolle zu geraten und eindeutig schädliche Konsequenzen nach sich zu ziehen droht.
Besorgte Mütter und Väter wählen aus den wiedergegebenen Erfahrungswerten anderer Eltern diejenigen aus, die sie selbst in ihrer ganz speziellen familiären Situation »übers Herz bringen«:
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Versichern Sie Ihrem Sohn bei allem, was Sie tun, immer wieder Ihre Zuneigung. Bekräftigen Sie, dass er Ihr Sohn ist und dass Sie auch in schwierigen Zeiten zu ihm halten möchten. Sie wenden sich nicht gegen ihn als Person, sondern gegen ein Suchtmittel.
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Machen Sie den Haschisch- oder Marihuanagebrauch Ihres Sohnes auf gar keinen Fall zum einzigen lebensbestimmenden Thema in der Familie. Halten Sie die Augen offen für die liebenswerten Seiten Ihres Sohnes. Vernachlässigen Sie ob Ihres »Sorgenkindes« nicht weitere Kinder, die Ihrer Zuwendung bedürfen.
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Akzeptieren Sie grundsätzlich keinen Cannabisgebrauch Ihres Sohnes in Ihren eigenen vier Wänden. Finden Sie bei Ihrem Sohn offen herumliegendes Haschisch oder Marihuana, vernichten Sie den Stoff. Verlangt Ihr Sohn, dass Sie ihm den Verlust gefälligst bezahlen sollen, weisen Sie sein Ansinnen klar und bestimmt zurück.
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Entsorgen Sie Rauchutensilien für harte Gebrauchsmuster aus dem Zimmer Ihres Sohnes. Den sich daran entzündenden Aggressionsausbruch dürfen Sie nicht scheuen. Lassen Sie sich nicht auf Diskussionen ein, dass Ihr Sohn die Rauchgeräte nur für einen Freund verwahre, dessen Eltern nichts von seiner Kifferei wissen sollen. Weisen Sie bekifften Freunden Ihres Sohnes konsequent den Weg durch die Tür.
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Wenn Sie kiffende Freunde Ihres Sohnes kennen, nehmen Sie Kontakt zu deren Eltern auf. Reden Sie Klartext, welches »Spiel« da läuft. Tauschen Sie sich bei Bedarf häufiger mit anderen Eltern aus, um »Schlupflöcher« zu schließen, welche der Clique Gelegenheit zu ungestörtem Cannabiskonsum bieten können.
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Nehmen Sie bei gewohnheitsmäßigem Cannabisgebrauch Ihres Sohnes auch keinen Eigenanbau von Hanfpflanzen hin. Gelegentlich entscheiden Eltern in dieser Frage anders, wenn sie fest davon überzeugt sind, dass ihr Sohn nur gelegentlich kifft. Sie drücken dann bei dessen Eigenanbau von Hanfpflanzen ein Auge zu und nehmen die Position ein, es schade ihrem Sohn weniger, wenn er selbst erzeugtes Marihuana in guter Qualität gebrauche, als sich auf dem illegalen Markt mit dubiosen Dealern einzulassen. Eine solche Entscheidung kann verantwortungsbewussten Eltern zwar niemand abnehmen, aber es verschlechtert im Zweifelsfalls ihre Position. Sie machen sich sehenden Auges zu Komplizen.
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Fahren Sie Ihren Sohn nirgendwohin, von wo aus er bekifft nach Hause gekommen ist. Ansonsten sind gemeinsame Autofahrten eine der wenigen verbleibenden Gelegenheiten, hilfreiche, beziehungstiftende Gespräche zu führen.
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Geben Sie Ihrem Sohn sein ihm regelmäßig zustehendes Taschengeld, aber darüber hinaus keine zusätzlichen Summen. Macht er durch unterschiedlichste Begründungen Geldbedarf für Dinge geltend, welche Sie ihm normalerweise bezahlen, lassen Sie sich die korrekte Verwendung des Geldes durch Quittungen nachweisen.
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Hat Ihr Sohn durch sein regelmäßiges Kiffen erhöhten Geldbedarf, achten Sie auf Ihren Geldbeutel. Bemerken Sie Fehlbeträge und wird deutlich, dass Ihr Sohn Sie bestiehlt, müssen Sie Ihr Geld verschließen. Das ist für Eltern immer niederschmetternd, lässt sich aber bisweilen nicht vermeiden.
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Wird deutlich, dass Ihr Sohn Geld von Geschwistern stiehlt oder sich an deren Eigentum vergreift, um Waren zu »verticken«, müssen Sie die Geschwister schützen. Es ist auch für Brüder und Schwestern belastend, wenn sie ihr Eigentum oder gar ihr Zimmer verschließen müssen, aber es macht Grenzen deutlich und schützt auch den Kiffer vor weiteren Übergriffen.
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Stört es Sie, wenn Ihr Sohn zu gelegentlichen gemeinsamen Mahlzeiten bekifft erscheint, schicken Sie ihn umgehend vom Tisch weg. Machen Sie ihm klar, dass Sie ihn nicht grundsätzlich ablehnen, sondern nur im zugekifften Zustand nicht mit ihm zusammen essen möchten.
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Kommt Ihr Sohn regelmäßig stark bekifft nach Hause, können Sie sich entschließen, ihn umgehend wieder dahin zurückzuschicken, woher er gekommen ist. Vor einem solchen Hinauswurf schrecken viele Mütter und Väter zurück, weil sie befürchten, es könnte Schlimmeres passieren. Umgekehrt trauen viele Söhne ihren Eltern eine solch deutliche Reaktion überhaupt nicht zu. Kommt Ihr Sohn am folgenden Tag unbekifft zurück, steht ihm die Tür selbstverständlich wieder offen.
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Dreht sich die Spirale weiter, werden Sie als Eltern ohnehin anfangen, darüber nachzudenken, ob Sie Ihren Sohn nicht ganz hinauswerfen sollen. Fühlen Sie sich ob solcher »Ausstoßungsgedanken« nicht zusätzlich schuldig. Sie wohnen der phasenweise absolut unerträglich erscheinenden Situation zwangsläufig inne. Informieren Sie sich bei den zuständigen Ämtern über die rechtliche Lage und eventuelle finanzielle Belastungen, damit Sie Ihren Handlungsspielraum zuverlässig einzuschätzen wissen. Lassen Sie Ihren Sohn diesen Schritt wissen. Ihr inneres Ziel bleibt weiterhin, die kritische Zeit mit Ihrem Sohn zusammen zu bewältigen, ohne ihn tatsächlich an die Jugendhilfe zu verweisen.
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Bei aller inneren elterlichen Not: Versuchen Sie, auf der reifen Erwachsenenebene ein wechselnden Situationen angemessenes inneres Gleichgewicht zu wahren zwischen erlaubendem Gewähren und Grenzen setzendem Versagen. Für Ihren Sohn soll Ihre innere Linie erkennbar bleiben. Sehen Sie es sich aber nach, wenn Sie nicht in jeder neuen Situation gleich konsequent zu handeln vermögen. Sich im Wechselbad der Gefühle immer gleich »straight« zu verhalten, ist ein unerfüllbarer, mitgefühlloser Anspruch.
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Trotz und wegen aller Belastung: Vergessen Sie als Mutter oder Vater ihr eigenes Wohlbefinden nicht. Widmen Sie sich Aktivitäten, die Ihnen guttun. Wertvolle Hilfe leisten können Ihnen dabei die Übungen aus meinen Büchern zu »Imaginationen« und zu »Mitgefühl«. Geben Sie unter keinen Umständen über Jahre hinweg eigene Urlauspläne auf, weil Sie der Meinung sind, Sie könnten Ihren Sohn nicht allein zu Hause lassen. Zur Not richten Sie es in Ihrer Wohnung oder in Ihrem Haus so ein, dass die Bereiche abgesperrt sind, zu denen Ihr Sohn während Ihrer Abwesenheit keinen Zugang haben soll. Wenn Sie sich als Eltern mit einer solchen Maßnahme mies fühlen, ist das sehr verständlich, aber Sie haben bloß die Auswahl zwischen weiteren schlechten Gefühlen: wieder auf Urlaub, Entlastung und Erholung zu verzichten oder wegzufahren und nicht zu wissen, wie Sie Haus oder Wohnung wiederfinden, falls Sie kein Vertrauen in Ihren Sohn setzen können. Bei Ihrer Abwesenheit nur für den eigenen eingeschränkten Bereich verantwortlich zu sein kann für Ihren Sohn auch Anreiz wie Chance zur Anerkennung altersgemäßer Verantwortungsübernahme sein.
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Lassen Sie unter keinen Umständen zu, dass das süchtige Virus Ihre eigene elterliche Beziehung gefährdet oder tatsächlich spaltet und sprengt. Beraten Sie sich als Elternpaar über anstehende Maßnahmen und Reaktionen. Sie widerstehen damit erfolgreich den »Finten« Ihres Sohnes, die darauf angelegt sind, Sie als Mutter und Vater geschickt gegeneinander auszuspielen.
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Geben Sie bei allen Wechselbädern der Gefühle nie die Hoffnung auf, mit Ihrem Sohn zusammen am Ende des Tunnels wieder das Licht zu entdecken.
Der Drogengebrauch von Kindern und Jugendlichen bringt für Eltern wie Geschwister in aller Regel ein Maß an seelischer Belastung mit sich, welches eigentlich über das Erträgliche hinauswächst. Das Ziel ist, die Belastung gemeinsam zu bewältigen, um wieder uneingeschränkt liebesfähig zu sein. Kinder und Jugendliche brauchen auf diesem Weg häufig jahrelange Begleitung. Eine leidgeprüfte Mutter brachte es in einer Gruppe für Mütter und Väter kiffender Kinder für sich auf den Punkt: »Ein Kind lässt man doch nicht fallen.« Auch wenn die Lage noch so hoffnungslos erscheint, die Erfahrungen aus der Elternarbeit zeigen, dass sich bei Kiffern vieles auch noch nach langen Jahren des Ringens und der vergeudet erscheinenden Lebenszeit zum Positiven wendet. So hat ein 24-jähriger junger Mann nach 10 Jahren militanter Kifferkarriere, Rast- und Ruhelosigkeit sowie heftigsten Zerwürfnissen mit seinen Eltern zu guter Letzt sich von heute auf morgen eine Lehrstelle ergattert, nachdem sein Vater jede letzte Zögerlichkeit hat fahren lassen und ihn vor die Wahl stellte, endlich etwas zu seinem Lebensunterhalt beizutragen oder aber auf jegliche finanzielle Unterstützung zu verzichten. Den Vater hat die Bestärkung in einer Elterngruppe in diese Lage versetzt. Spätestens, wenn Eltern nicht mehr selbstständig weiterwissen, kommen die für sie absolut hilfreichen Elterngruppen ins Spiel. Entweder gehören sie zum Regelangebot von Drogenberatungsstellen, oder sie organisieren sich selbsttätig als Elternkreise.
Elterngruppen:
Die organisierte Hilfe zur Selbsthilfe
In letzter Konsequenz weiß nur jemand, der es selbst erlebt hat, wie es wirklich ist, mit einem Kind zu leben, das Rauschmittel gebraucht oder gar süchtig abhängig ist. Außenstehende vermögen sich zwar »einzufühlen« oder »mitzufühlen«, teilen aber nicht den Alltag einer durch Suchtmittel belasteten Familie.
Fragt man Eltern, ob sie der Meinung sind, ihr Kind zu kennen, werden die allermeisten diese Frage bejahen, mit der Einschränkung vielleicht, dass ihr Kind durchaus seinen eigenen Kopf besitze. Eltern begleiten ihre Kinder von Geburt an durchs Leben, fördern sie nach Kräften und sind wohlwollende Zeugen aller freudig notierten Entwicklungsfortschritte. Umso erstaunlicher muss es dagegen anmuten, wenn so viele Kinder und Jugendliche davon sprechen, ihre Eltern seien blind für ihre Sorgen und Nöte. Selbst Cannabisgebrauch würden sie lange Zeit nicht bemerken. Das ist ein ernst zu nehmender Hinweis darauf, dass in vielen Familien die Wahrnehmungs- und Beziehungsebene nicht mehr stimmig funktionieren. Schreitet ein beginnender Cannabisgebrauch in solchen Fällen problembehaftet fort, treffen die Veränderungen ihres Kindes viele Eltern völlig unvorbereitet und schmerzlich.
Persönlichkeitsveränderungen während der Pubertät sind bei heranwachsenden jungen Menschen an der Tagesordnung und normal. Dass bestimmte Veränderungen ihrer Kinder allerdings durch einen sich verfestigenden Rauschmittelgebrauch bewirkt sind, wollen viele Eltern lange Zeit nicht wahrhaben. Sie blenden verdächtige Anzeichen regelrecht aus. So verstreicht wertvolle Zeit. Erst wenn das Verhalten ihres Kindes ihnen immer rätselhafter wird, seine gewohnten Reaktionen und Interessen, sein Aussehen und Auftreten, sein vertrauter Freundeskreis sich auffällig verändern, merken die Eltern auf. Wenn zusätzlich noch die Leistungen des Kindes in der Schule in den Keller sacken, es sich zunehmend dem elterlichen Willen widersetzt, abends nicht nach Hause kommt, sich an keine familiäre Regelung und Absprache mehr hält, sind Mütter und Väter vollends alarmiert. Auf Nachfragen erhalten sie entweder gar keine oder bestenfalls ausweichende, übellaunige Antworten. Durchkämmen sie, misstrauisch geworden, das Zimmer ihres Kindes, finden sie zwar möglicherweise Indizien, die ihren Verdacht auf Drogengebrauch zur Gewissheit werden lassen. Sie ruinieren aber gleichzeitig die letzten Reste einer vertrauensvollen Beziehung. Gespräche mit den »Sorgenkindern« kommen kaum noch zustande. Wenn doch, heißt es von ihrem Kind nur: »Was wollt ihr eigentlich von mir? Ich habe das doch alles voll im Griff.« Beunruhigte Eltern lassen sich durch solche Einschätzungen nur allzu gern beschwichtigen. Doch ihre Sorgen lassen sich nicht so einfach verscheuchen. Zwischen Vertrauen in ihr Kind und argwöhnischer Kontrolle schwankend, werden sie in ihrem eigenen Verhalten inkonsequent. Möglicherweise grübeln Eltern darüber nach, was in der Familie schiefläuft, ob sie als Mutter oder Vater Fehler gemacht, sich zu wenig oder gar zu einengend um ihr Kind gekümmert haben. Junge Menschen mit Drogengebrauch kommen jedoch in aller Regel aus ganz normalen Familien. Außerdem existieren in unserer Gesellschaft so viele Einflüsse von außen auf Kinder und Jugendliche, dass selbst die aufmerksamsten Eltern ihnen kaum noch etwas entgegenzusetzen vermögen. Der jederzeit mögliche Drogengebrauch eines Kindes kann etwas mit dem eigenen Elternverhalten zu tun haben. Es muss aber nicht zwangsläufig so sein. Mit ihrem Grübeln darüber sind die Eltern unter Umständen längere Zeit hin- und hergerissen zwischen Verantwortung und Schuldgefühlen, Hilfsversuchen und ratloser Hilflosigkeit. Die Familienverhältnisse leiden. Das inkonsequente Verhalten von Müttern und Vätern, die sich oft nicht mehr einig sind über die nächsten Schritte, fördert ungewollt das abweichende Verhalten ihres Kindes. Dreht sich die Spirale weiter, wird das Drogenverhalten letztlich zum beherrschenden Familienthema, welches alle anderen überschattet. Es bindet alle verfügbaren Energien. Spätestens zu diesem Zeitpunkt sitzen alle Beteiligten in der Falle, aus der sie keinen Ausweg mehr sehen. Niemand fühlt sich mehr in der Lage, etwas Sinnvolles zu bewirken. Die Familienbeziehungen drehen sich doll.
Kommt Ihnen als Mutter oder Vater hiervon einiges bekannt vor? Falls ja, zögern Sie nicht länger. Denn nicht selten wenden sich erst in einer ausweglos erscheinenden Lage vorzugsweise Mütter und viel seltener Väter an eine Beratungsstelle. Dort finden sie zum einen die Möglichkeit, mit professionellen Drogenberatern zu sprechen, zum anderen erfahren sie zusätzlich, dass es inzwischen vielerorts Elterngruppen gibt, die Hilfe zur Selbsthilfe leisten. Bei größeren Beratungsstellen gehören Elternkreise zum festen Gruppenangebot der Einrichtung. Wo solches nicht der Fall ist, finden Eltern Rat und Unterstützung bei den bundesweit zahlreich vertretenen Ablegern der »Elternkreise drogengefährdeter und drogenabhängiger Jugendlicher«.