James

Angst wirbelte wie ein Schwarm Wespen durch seinen Kopf. Er roch verbrannte Lilien, spürte Lukes Hand auf seiner Schulter. Er sah Sami, der nicht aufwachte. Ertastete seine Schlagader. Fand keinen Puls.

Wieder und wieder spielte sein Körper den schlimmsten aller möglichen Fälle durch. Dass dieser Fall nicht eingetreten war, spielte anscheinend keine Rolle.

Sie waren zurück in Whitechapel, in Samis Wohnung. Sami selbst saß auf seiner Couch, bleich wie ein Leintuch und sichtlich mitgenommen. Die junge Frau mit den braunen Haaren – Birdie, erinnerte sich James – desinfizierte die Platzwunde auf seiner Stirn und verarztete sie mit einem Klammerpflaster.

Er war mit dem Kopf auf dem Pflaster aufgeschlagen. Nachdem Bhaskar ihn nach James’ Verbleib gefragt hatte. Nachdem Sami sich geweigert hatte, zu antworten, und Bhaskar ihn mit einem Energiepuls in den Rücken schachmatt gesetzt hatte.

James starrte auf das blutige Handtuch auf der Couch und schloss die Augen. Sami war in Ordnung. Er atmete, er war wach. Er musste sich nicht übergeben, sah nicht doppelt oder zeigte andere Anzeichen für eine Gehirnerschütterung.

Er war in Ordnung.

Luke allerdings …

James öffnete die Augen. Er lehnte am Küchentresen, mit mehreren Metern Abstand zwischen sich und der Sitzecke. Bis eben hatte er noch mit Sherin telefoniert, einer Polizistin, die

Was war da los, verdammt nochmal?, hatte Sherin gefragt. Der halbe Garten liegt in Schutt und Asche, und dein Freund sieht aus, als hätte man ihm einen Eimer Säure vor den Latz gekippt.

James blieb ihr die Antworten schuldig und hoffte, dass Diane später die Wogen glätten würde. Seine Erinnerung spülte den Geruch von schwelender Kleidung hoch, und er schüttelte den Kopf, um das Echo abzuschütteln.

»Ich glaube, du bist mit dem Schrecken davongekommen«, sagte Birdie. »Aber es ist wahrscheinlich sicherer, wenn du eine Weile lang nicht schläfst. Hast du was, womit du das Taubenei auf deiner Stirn kühlen kannst?«

Sami murmelte etwas, das wie »Gefrierfach« klang. Birdie ging zum Kühlschrank, während Sami sich nach James umsah. Er runzelte die Stirn, als er ihn so weit entfernt vorfand. James wusste, dass er reagieren sollte, aber es erschien ihm so sinnlos, jetzt mit Sami zu sprechen. Was sollte er auch sagen? Tut mir leid, dass du beinahe umgebracht wurdest? Dass Bhaskar deinen Garten zerstört und Luke sich für uns geopfert hat?

James verschränkte die Arme vor der Brust und kämpfte die Übelkeit herunter, die sich seine Kehle hinaufdrängte.

Birdie ging zurück zu Sami, und Erin folgte ihr dicht auf den Fersen. Sie ließ sich auf einen Sessel fallen und hielt Sami eine Packung Kekse entgegen.

»Hab gehört, die sollen helfen«, sagte sie.

Sami stieß ein erschöpftes Lachen aus, dann nahm er das Coolpack aus Birdies Hand und einen der Kekse.

»Oh«, sagte Birdie. »Sind das die mit Karamell?«

James verschränkte die Arme noch fester und sah zu, wie Erin die Tube Aloe-vera-Creme vom Tisch nahm und ihr gerötetes Gesicht damit eincremte. James’ eigene Haut spannte und

Es hätte so viel schlimmer ausgehen können.

Nyx trat zu ihm und reichte ihm eine Packung mit Wunddesinfektionstüchern. »Gut, dass Sami und Mirabell regelmäßig ihren Erste-Hilfe-Kasten auffüllen.«

James nickte stumm. Sein Blick huschte zurück zu Sami, der sich das Coolpack an die Stirn hielt.

»Er ist in Sicherheit«, sagte Nyx.

»Nicht, solange ich in seiner Nähe bin«, widersprach James. Nyx gab ein Schnalzen von sich, erwiderte jedoch nichts.

Ihre verhaltene Reaktion war so typisch, dass ihn eine Woge der Zuneigung überrollte. Nyx war hier. An seiner Seite. Nachdem er beinahe draufgegangen wäre, ohne ihr überhaupt zu erzählen, dass er zurück in London war.

Er hatte wirklich mehr Glück als Verstand.

Bereits auf dem Weg hierher hatten sie geklärt, warum Nyx im Garten aufgetaucht war. Sie hatte versucht, James zu erreichen, vermutlich kurz nachdem er sein Handy ausgeschaltet hatte. Als sie nur seine Mailbox erreichte, hatte sie Sami alarmiert. Der war sofort losgerannt, um James zu warnen. Wahrscheinlich war er Bhaskar direkt in die Arme gelaufen.

Wusste Bhaskar, wer Sami war? Hatte er den Garten überwachen lassen, in der Hoffnung, dass James dort auftauchen würde? Oder hatte er James verfolgt, und Sami war ihm in die Quere gekommen?

James zerknüllte das Päckchen Desinfektionstücher in seiner Hand. Er hätte nie bei Sami Unterschlupf suchen dürfen. Wieso zur Hölle hatte er andere Menschen in diesen ganzen Mist mit hineingezogen? Erst Sami, dann Luke.

»Scheiße«, murmelte er und presste den Daumen seiner freien Hand zwischen seine Brauen. Mit jeder Sekunde kroch

Nyx zupfte das Päckchen mit den Wundtüchern aus seiner Faust und öffnete es.

»Wir stecken ziemlich in Schwierigkeiten, oder?«, fragte sie.

Er stieß ein humorloses Lachen aus. »Oh ja.«

Nyx schüttelte den Kopf, dann zog sie eins der Desinfektionstücher aus der Packung. »Achtung«, warnte sie und begann, über James’ Schnittwunden zu tupfen. Er sog scharf die Luft ein, hielt jedoch still. Als er den Blick wieder zur Couch richtete, stellte er fest, dass Erin ihn und Nyx beobachtete.

»Wir müssen uns unterhalten«, sagte Nyx.

Das war die Untertreibung des Jahrhunderts. »Ja«, sagte er. »Ja, das müssen wir allerdings.«

Nyx stieg durch ein Fenster auf das Dach der Garage, die sich zwischen Samis Wohnung und dem Nachbarhaus befand. James hatte bereits ein Bein über den Sims geschwungen, als Erin ihn zurückhielt.

»Können wir reden?«, fragte sie.

»Gib mir einen Moment, okay?«, sagte er. »Nyx und ich müssen ein paar Sachen klären.«

Erin verzog das Gesicht, sagte jedoch nichts weiter.

»Ich bin bald zurück«, versprach er, dann kletterte er nach draußen.

An der Wand des Nachbarhauses lehnten Plastikklappstühle. Nyx hatte bereits einen davon aufgestellt und holte einen zweiten. Sie klappte ihn auf und schob ihn in Position, alles, ohne James anzusehen. Als er sich neben sie stellte und sie sanft an der Schulter berührte, ging ein Schauder durch sie hindurch.

»Hey, Eulchen«, sagte er.

Sie drehte sich zu ihm, den Blick immer noch gesenkt, dann

Irgendwann ließen sie einander los. James stupste mit dem Finger gegen Nyx’ Haarspitzen. Sie hatte ihr Haar kürzer schneiden lassen und die Strähnen, die ihr sonst ins Gesicht hingen, zu einem Knoten zurückgebunden.

»Ich mag die neue Frisur«, sagte er. Nyx sah älter aus. Ein bisschen schmaler, als er sie in Erinnerung hatte. Plötzlich wog die Tatsache, dass er sie ein Jahr lang nicht gesehen hatte, noch schwerer als zuvor. Verdammt, sich von ihr abzuschotten war einfach nur dumm gewesen.

»Seit wann bist du zurück?«, fragte Nyx.

»Seit gestern«, antwortete er. Er sparte sich die hohlen Phrasen. Ich hätte dich angerufen, aber. Ich hätte dich gewarnt, aber.

Nyx betrachtete ihn mit einem nachdenklichen Blick, den er sehr gut kannte. Sie war von jeher ein stilles Wasser gewesen. Am Anfang hatte James sich Sorgen gemacht, ob er und Leon zu viel quatschten und ihr keinen Raum zum Reden gaben. Aber mit der Zeit lernte er, dass Nyx zufrieden war, wenn sie zuhören, wenn sie in ihrer Nähe entspannen konnte. Und dass sie dann sprach, wenn sie wirklich etwas sagen wollte.

Die Krux war: Sie ließ nicht immer raus, was in ihrem Kopf vorging. Sonst hatte James das nicht gestört, doch jetzt machte er sich Sorgen. War sie verletzt, weil er sich nicht bei ihr gemeldet hatte? Oder wütend? Es wäre einfacher gewesen, wenn sie ihn direkt angepflaumt hätte.

Nyx setzte sich breitbeinig auf einen der Klappstühle. James setzte sich ihr gegenüber.

»Es gibt einen Chaosträger in London«, sagte Nyx. »Das weißt du schon, oder?«

»Wie tief steckst du in der Sache drin?«

»Bis über den Kopf«, gestand er. »Diane hat Kontakt zu mir aufgenommen. Vor einem Jahr.«

Bei der Erwähnung von Dianes Namen richtete Nyx sich auf, und ihre Miene versteinerte. James redete trotzdem weiter. Es half nichts, jetzt musste alles heraus. Er erzählte, wie ihre Adoptivmutter ihn rekrutiert, wie er in ihrem Auftrag nach einem mythischen Artefakt gesucht hatte. Wie er dasselbe Artefakt benutzt hatte, um Erin vor dem Chaosverfall zu retten.

Nyx hörte sich alles an und schwieg eisern, bis James es nicht mehr aushielt.

»Sag was. Bitte.«

Nyx schloss die Augen. »Wir stecken also wieder in Dianes Netz fest.«

»Nicht ›wir‹«, sagte James und ohrfeigte sich innerlich, als sie zusammenzuckte. Das war falsch angekommen. »Ich wollte nicht, dass du mit reingezogen wirst«, erklärte er schnell. »Deshalb habe ich dir nichts gesagt. Ich wollte dich da raushalten. Ich dachte, es reicht, wenn Diane einen von uns einwickelt. War eine dämliche Entscheidung, das weiß ich jetzt. Es tut mir leid.«

Nyx schwieg. Er zwang sich, abzuwarten, aber er ballte die Fäuste so fest, dass seine Fingernägel sich in seine Handflächen drückten.

»Du wolltest uns immer beschützen«, sagte sie schließlich. ›Uns‹. Das bedeutete ›Nyx und Leon‹. Er entkrampfte seine Hände, verspannte sich jedoch sofort wieder, als sie weitersprach. »Du hast uns nie gefragt, ob wir das wollen.«

Die Worte trafen ihn wie ein Stich durch die Brust. Es war ihm nie in den Sinn gekommen, dass Nyx und Leon seine Versuche, sie zu beschützen, nicht guthießen. Wenn er sich vor

»Was jetzt?«, fragte sie. »Wie lautet euer Plan?«

Er blinzelte und schüttelte seine Verunsicherung, so gut es ging, ab. »Der Plan ist noch in der Mache, ehrlich gesagt. Eigentlich hatten w– hatte Diane gehofft, dass wir das Siegel nutzen können, um den Chaosträger zu entschärfen. Aber erstens wissen wir immer noch nicht, wer es ist, und zweitens haben wir keine Ahnung, ob die Kraft des Siegels ausreichen wird, um einen Träger zu stoppen.«

»Hast du mit Adeline gesprochen?«, fragte Nyx. Adeline war eine der zwei Nachtgeborenen, die sie in London kannten.

»Gleich als Erstes, nachdem Diane mir vom Träger erzählt hat«, sagte er. »Sie ist vor über einem Jahr zurück nach Frankreich gezogen. Sie ist es nicht.«

»Und Luke war es auch nicht«, mutmaßte Nyx.

»Nein.« Der Faden, der Erin mit dem Träger verband, war an Luke vorbeigeflossen – bis Bhaskar Lukes Spurensuche ein jähes Ende bereitet hatte.

»Meinst du, Luke schafft es?«, fragte sie.

Nein, dachte er sofort. Laut sagte er: »Vielleicht. Aber es wird hart für ihn.«

Ihr Gesicht verzerrte sich, bevor sie den Kopf senkte. »Diese verdammten Mistkerle.«

James sah auf Nyx’ gebeugte Schultern und hob dann den Blick zum wolkenverhangenen Himmel.

»Du hast Luke um Hilfe gebeten, oder?«, fragte seine Schwester. »Um den Träger zu finden?«

Er schluckte. »Ja.«

»Birdie und ich haben auch jemanden dazugezogen«, sagte sie. »Das lief fast genauso gut.«

Sie erzählte ihm von einem Orakel – von einem waschechten Orakel – und von dessen Vision. Vom Chaosträger, der aus der

Nyx, die seinen Schock bemerkte, nickte. »Ja, ich habe auch sofort an Leon gedacht.«

Ruhig bleiben, ermahnte James sich. »Ich glaube, irgendjemand will uns reinlegen.«

Nyx runzelte die Stirn. »Was meinst du?«

»Ich habe heute Morgen einen Anruf bekommen. Von einer unbekannten Nummer.« Er wollte weiterreden, aber plötzlich spielte seine Stimme nicht mehr mit. Wie gelähmt starrte er auf seine Knie, während in seinen Ohren das Weiße Rauschen brauste.

»James?«, hakte Nyx nach. »Was ist passiert? Wer hat dich angerufen?«

Er schluckte und hob den Kopf. »Ich weiß nicht, wer es war. Aber er hat mich Jay Bird genannt.«

Sie zuckte zusammen, als hätte er ihr einen Stromschlag verpasst.

»Ich weiß«, sagte er. »Ich war auch geschockt.«

Er konnte sehen, wie sie sich zusammenriss. Ihre Brust hob und senkte sich schneller, aber ihre Stimme blieb ruhig. »Was … was hat er noch gesagt?«

»Nur meinen Spitznamen«, sagte James. »Sonst nichts.«

Jay Bird. Wie sehr hatte er diesen Namen hören wollen. Auch jetzt quälte ihn der verzweifelte Wunsch, die Realität um ihre eigene Achse zu biegen und Leon zurückzuholen.

Aber das war unmöglich. Es war verdammt nochmal unmöglich.

»Ich weiß nicht, wie der Anrufer es angestellt hat«, sagte er. »Aber im ersten Moment dachte ich wirklich, es wäre Leons Stimme.«

Wut knisterte in ihm hoch, als er sich eingestand, wie

Nyx’ Stirnrunzeln vertiefte sich. »Du meinst, jemand hat so getan, als wäre er Leon?«

»Anders kann es nicht sein«, sagte er. »Was die unschöne Frage aufwirft, woher dieser Jemand seine Informationen hat.«

»Aber warum?«, fragte Nyx. »Was sollte es bringen, ausgerechnet Leon zu imitieren?«

»Keine Ahnung«, sagte James. »Vielleicht wollte uns der Anrufer verunsichern. Vielleicht will er, oder wer sonst noch hinter dem Anruf steckt, uns signalisieren, dass sie uns überwachen. Dieser Ingleby, kann es sein, dass er dich angelogen hat? Dass er den Chaosträger mit Absicht so beschrieben hat, dass er Leon ähnlich sieht?«

Nyx schien nicht überzeugt. »Vielleicht, aber–«

»Es kann nicht Leon gewesen sein«, unterbrach James, schärfer, als geplant. »Vielleicht wollen sie herausfinden, was mit ihm passiert ist«, schob er hinterher. »Diane hat uns gewarnt, dass wir niemals darüber reden dürfen. Ich glaube nicht, dass irgendjemand weiß, was wir getan haben, aber vielleicht ist doch was durchgesickert.« Der Verdacht traf ihn wie ein Stoß gegen die Brust. »Oh Scheiße, das würde erklären, warum der Orden Jagd auf uns zwei macht.«

Nyx’ Augen weiteten sich, und James hätte sich am liebsten geohrfeigt. Er hätte das vorsichtiger verpacken müssen.

»Ich habe niemandem davon erzählt«, sagte Nyx leise.

»Ich weiß.« James nahm ihre Hand und drückte sie. »Ich auch nicht.« Blieb nur noch Diane, aber James bezweifelte, dass sie die wahren Umstände von Leons Tod mit irgendjemanden besprochen hatte. Damit würde sie nur riskieren, alles, was sie aufgebaut hatte, zu zerstören. Außerdem würde sie Nyx und James nicht derart in Gefahr bringen.

James hoffte nur, dass es nicht mehr so schlimm werden würde wie in den ersten Monaten, als die Ereignisse, die zu Leons Tod führten, sich immer wieder abspulten. Nicht wie ein Film, den er nur betrachtete. Er hatte denselben Moment durchlebt, wieder und wieder. Hatte gespürt, wie seine Muskeln sich verkrampften und die Verzweiflung durch seine Eingeweide wütete.

Nein, eine Wiederholung brauchte er wirklich nicht.

Dass ihnen das Trauma von Leons Tod erneut vor die Füße geworfen wurde, beunruhigte ihn, aber es machte ihn auch wütend. Wieso brachte jemand Leon ins Spiel und riss damit alte Wunden auf? Reichte es nicht, dass sie sich der Bedrohung durch den Träger entgegenstellen mussten?

»Was auch immer hier läuft, irgendjemand zieht im Hintergrund die Fäden«, sagte er. »Und ich habe so eine Ahnung, wer es ist.« Er hielt seine Hand hoch und drehte sie, um die Schnittwunden zu zeigen.

»Du meinst, der Orden plant irgendwas«, sagte Nyx.

»Wie oft hatten wir es in London mit Agenten zu tun?«, fragte James. »Vor gestern kein einziges Mal. Aber jetzt tauchen sie überall auf, wo wir sind. Kann sein, dass sie nur auf der Suche nach dem Träger sind …«

»… aber du vermutest, dass mehr dahintersteckt«, vervollständigte Nyx seinen Satz.

»Ich weiß es einfach nicht.« James trommelte frustriert mit den Fingern auf seinem Schenkel, dann sagte er: »Wir brauchen Rückendeckung.«

»Ich weiß nicht, was ich sonst machen soll«, gab er zu. »Du?«

Nyx warf einen Blick zum Fenster. »Birdie behauptet, sie kann den Träger vom Abgrund zurückholen. Dass sie den Fluss der Chaoskraft in ihm eindämmen kann.«

»Was?«, fragte James überrascht. »Wie?«

»Das wollte sie mir noch nicht verraten«, antwortete Nyx. »Ich habe sie erst heute getroffen.«

James sah auch zum Fenster und erhaschte einen Blick auf die drei anderen, die immer noch um den Couchtisch herumsaßen. »Denkst du, wir können ihr vertrauen?«, fragte er.

Nyx zögerte. »Sicher bin ich mir nicht«, sagte sie. »Aber bisher hat sie mir keinen Grund gegeben, ihr nicht zu glauben.«

»Meinst du, sie wird es dir verraten?«

Nyx hob die Schultern. »Wir können sie fragen.«

James überlegte. »Ganz ehrlich, ich wäre froh, wenn wir noch eine andere Möglichkeit hätten, um den Träger zu entschärfen. Das Siegel ist leider keine sichere Sache. Aber selbst wenn Birdie irgendeinen besonderen Kniff kennt: Das ändert nichts daran, dass der Orden hinter uns her ist.«

Nyx nagte an ihrer Unterlippe. »Ingleby hat mehr oder weniger verraten, dass der Orden Nachtboten aus London entführt und Informationen aus ihnen herausfoltert.«

Das wurde ja immer besser. James rieb sich mit der Hand über die Stirn und zuckte zusammen, als seine geschundene Haut unter der Berührung schmerzte.

»Hey«, sagte Nyx und stieß ihn mit der Schuhspitze an. Als er sie ansah, blickte sie ihm ernst in die Augen.

»Du hast jemanden vor dem Chaosverfall gerettet.«

Er hob die Brauen, dann stieß er ein Schnauben aus. »Ja«, sagte er und schüttelte den Kopf. In all dem Durcheinander war diese Tatsache kaum zu ihm durchgesickert. »Ja«, wiederholte

Nyx beugte sich vor und legte eine Hand an ihr Knie.

»Ja«, sagte sie ebenfalls. James griff wieder nach ihrer Hand, und dieses Mal drückte sie seine Finger.

»Okay«, sagte Nyx. »Ruf Diane an.«