2. Oktober 1996

Esenshire

Taylor hatte in wenigen Worten berichtet, was über den Tod von Madeleine und Ian Cooper bekannt war, und das war wenig genug. Die Tatsache jedoch, dass Sam Palmer als Verdächtiger verhaftet wurde, würde von der Presse gierig aufgesogen und ausgeschlachtet werden.

»Welchen Eindruck haben Sie von ihm, Chief Inspector?«, fragte Chief Superintendent Forester und sah Taylor dabei neugierig über den Rand seiner Kaffeetasse an.

Taylor lehnte sich zurück. Sein Rücken schmerzte, und er hoffte, bald wieder aufstehen zu dürfen.

»Er schweigt. Er hat nicht einmal einen Anwalt angefordert«, sagte er schließlich.

Forester stellte seine Tasse ab und wedelte unwirsch mit der Hand. »Ich rede nicht von Palmer. Ich meine Holmes.«

Taylor nickte. »Ich verstehe, Sir. Nun, er ist engagiert und aufmerksam. Er hat Selbstbewusstsein und scheint zu wissen, welchen Weg er einschlagen will. Wir werden ihn schon auf die richtigen Bahnen lenken, Sir.«

»Da mache ich mir keine Sorgen, Taylor.«

»Wie ist man darauf gekommen, ihn zu uns zu schicken?«

»Sie meinen, wegen seiner Hautfarbe?«

Taylor nickte. »Ich habe damit kein Problem und Sergeant Duncan gewiss auch nicht. Aber Sie kennen die Dorfbewohner in dieser Grafschaft. Er wird sich gegen den latenten Rassismus zur Wehr setzen müssen.«

»Ich erwarte, dass Sie ihm dabei helfen, Taylor.« Es klang wie ein Befehl, und natürlich würde er das tun.

Taylor nickte. »Was nun die Presse in diesem aktuellen Fall angeht …«

Forester unterbrach ihn. »Lassen Sie die Aasgeier meine Sorge sein. Kümmern Sie sich darum, dass dieser Fall zügig abgeschlossen werden kann.«

»Ja, Sir«, antwortete Taylor und nahm den letzten Satz als Aufforderung, gehen zu dürfen. Er stand auf und verließ das Büro des Chief Superintendent. Wie so häufig in der Vergangenheit hielt Forester ihnen den Rücken frei, wenn es darauf ankam.

Zufrieden machte er sich auf den Weg zum Parkplatz und diesmal erreichte er seinen Dienstwagen ohne weitere Störung, abgesehen von dem heftigen Nieselregen, der ihn kaum die Hand vor Augen sehen ließ.

Er nahm sein Mobiltelefon zur Hand und wählte die Nummer von Peter Hartman.

Der Leiter der Spurensicherung nahm das Gespräch unmittelbar entgegen. »Hallo, Henry«, meldete er sich. Aus seiner Stimme klang ebenso Müdigkeit wie Resignation heraus.

»Was hast du für uns, Peter?«, fragte Taylor und unterdrückte ein Gähnen. Ein Blick auf seine Armbanduhr signalisierte ihm, dass er seit zehn Stunden auf den Beinen war.

»Abgesehen davon, dass ich vor drei Stunden mein Team nach Hause geschickt habe, kann ich dir nichts sagen, was du nicht schon heute Nacht wusstest. Aber die Obduktionen werden heute Nachmittag stattfinden. Und auch die toxikologischen Untersuchungen laufen bereits. Die Ergebnisse bekommst du dann von der Pathologie. Tut mir leid, dass ich nicht mehr für euch habe.«

Taylor versicherte ihm, dass er nicht mit abschließenden Ergebnissen gerechnet habe, und wünschte ihm einen wohltuenden Schlaf. Schließlich überlegte er, selbst nach Hause zu fahren und zwei oder drei Stunden ins Bett zu gehen.

Ein knallroter Fiat 500 mit cremefarbenem Dach unterbrach seine Gedanken, indem er mit hoher Geschwindigkeit auf den Parkplatz einbog und quietschend neben seinem BMW zum Stehen kam. Taylor stieg wieder aus und erkannte den Presseausweis des Harlington Echo auf dem Armaturenbrett. Eine junge Frau mit kurzen dunkelblonden Haaren stieg aus und holte einen Korb vom Rücksitz hervor.

Er betrachtete sie mit einer Mischung aus Neugier und Geringschätzung. Taylor ahnte, dass sie aufgrund der Ereignisse der vergangenen Nacht hier war und nun auf Informationen aus erster Hand hoffte.

Sie sah ihn an und lächelte freundlich, als sie auf ihn zukam und ihm die Hand reichte. Sie war groß gewachsen, und er konnte ihr in die Augen sehen, ohne nach unten blicken zu müssen. Aus dem Augenwinkel erkannte er die extrem hohen Absätze, die sie trug. »Kann ich Ihnen helfen, Miss …?«, fragte er.

»Das ist sehr freundlich von Ihnen. Ich suche Police Constable Geoffrey Holmes«, sagte sie und strahlte.

»Wir haben der Presse nichts mitzuteilen, Miss …«

»Sie sind Detective Chief Inspector Taylor, richtig? Verzeihung, Sir. Ich bin Claire Wedding. Die Verlobte von Geoffrey. Ich dachte, ich bringe ihm etwas zum Mittagessen, weil er doch schon so lange auf den Beinen ist«, sagte sie und blickte zwischen ihrem Fahrzeug, Taylor und dem Eingang des Polizeireviers hin und her.

Taylor schmunzelte. »Freut mich, Sie kennenzulernen, Miss Wedding.«

»Ich hoffe, es ist okay, wenn ich Geoffrey was vorbeibringe? Oder verstoße ich damit gegen irgendwelche Regeln? Ist er überhaupt hier?«

Das Grinsen in Taylors Gesicht wurde breiter. »Passen Sie auf, Miss Wedding. Nehmen Sie Ihren Korb, packen Sie Constable Holmes in Ihren Wagen und fahren Sie ihn nach Hause. Ich glaube, ein paar Stunden Schlaf werden ihm auch guttun. Und sagen Sie ihm, er soll um vier Uhr wieder im Büro sein.«