Esenshire

Chief Inspector Taylor schob den Kaffee zur Seite, den Geoffrey ihm gebracht hatte. Isabel Palmer hatte einen schwarzen Tee mit Zucker und Sahne gewünscht und trank jetzt einen Schluck.

Geoffrey saß neben Taylor und schlug eine leere Seite in seinem Notizbuch auf.

»Vielen Dank, Mrs. Palmer, dass Sie hierhergekommen sind«, sagte Taylor und versuchte vergeblich, in Isabel Palmers Gesicht eine Emotion zu erkennen.

»Ihr Hilfssheriff sagte, Sie haben meinen Mann eingesperrt«, sagte sie kühl, und Taylor nahm ein Grinsen wahr, das über ihr Gesicht huschte.

»In Ihrem Haus sind Madeleine und Ian Cooper tot aufgefunden worden. Die Spurensicherung ist noch dabei, den Ablauf der Tat zu rekonstruieren …«, begann Taylor.

»Aber Tat bedeutet, dass sie ermordet wurden, oder?«, unterbrach sie ihn und trank einen weiteren Schluck Tee. Geoffrey machte sich eifrig Notizen, und Taylor sah aus dem Augenwinkel, dass er immer wieder aufsah und sie anstarrte.

»Wir gehen im Augenblick von einem Tötungsdelikt aus, das ist richtig, Mrs. Palmer«, bestätigte Taylor.

»Was heißt das, Sie gehen davon aus? Hat er sie nun endlich umgebracht oder nicht?«

Geoffrey vermochte, im Gegensatz zu Taylor, nicht, seine Überraschung im Zaum zu halten. Er hatte den Mund bereits geöffnet und wollte etwas sagen, als Taylor ihn mit einer kurzen Handbewegung zum Schweigen brachte.

»Hatte Ihr Mann denn Grund, Mr. und Mrs. Cooper zu töten?«, fragte Taylor leise und beobachtete die Reaktion der Frau sehr aufmerksam.

Ihr Blick ging zur Wand, wanderte dann bis zum Fenster, ehe sie den Kopf ruckartig drehte und Taylor in die Augen sah. »Mein Mann hatte mehr Gründe, Ian zu töten, als jeder andere«, sagte sie schließlich.

Taylor beobachtete sie aufmerksam, während Geoffrey weitere Notizen machte.

»Hatte Ihr Mann geschäftliche oder private Probleme mit Mr. Cooper, Mrs. Palmer?«

Isabel Palmer wirkte plötzlich nervös und gehetzt. Ihre Augen durchpflügten unablässig den Raum, als suche sie irgendeinen Punkt, an dem sie sich festhalten konnten. Dann griff sie nach ihrer Handtasche, die auf dem Boden neben ihr stand, und holte eine Packung Zigaretten hervor.

»Darf ich?«, fragte sie.

»Tut mir leid, Ma’am. Ich fürchte, Sie müssen sich noch ein wenig gedulden«, bemerkte Taylor und wiederholte seine Frage erneut.

Diesmal war Isabel Palmer entspannter und antwortete ruhig und beherrscht, obwohl sie ihre heißersehnte Zigarette wieder einstecken musste. »Die schwedische Polizei ermittelte gegen Ian wegen Alkoholschmuggel. Er hat offensichtlich die Kaufhäuser meines Mannes dazu missbraucht, seinen Whisky nach Schweden zu schaffen und dort illegal zu verkaufen.«

Diesmal war es Taylor, der überrascht reagierte.

»Leider ist es nie zu einer Anklage gekommen, zumal der leitende Beamte seit über einem Jahr spurlos verschwunden ist. Es würde mich aber nicht wundern, wenn Ian ihn aus dem Weg geräumt hat«, fuhr sie unbeirrt fort.

»Moment, Sie beschuldigen hier Ian Cooper, einen schwedischen Polizeibeamten getötet zu haben? Und dafür musste er Ihrer Ansicht nach sterben?« Taylor beugte sich nach vorne, und seine Finger tippten auf der Tischplatte herum.

Isabel Palmer nickte lediglich und lächelte. »Natürlich weiß ich nicht, ob er es wirklich war. Ich weiß ja nicht einmal, ob dieser Polizist wirklich tot ist. Aber ich habe seit über einem Jahr keinen Kontakt mehr zu Olufson.«

Geoffrey hörte auf, Notizen zu machen, und blickte irritiert zu Taylor hinüber. Auch der Chief Inspector war für einen Augenblick zu perplex, um entsprechend reagieren zu können. Dann stand er auf und ging zwei Schritte Richtung Fenster.

»Augenblick, Mrs. Palmer. Sie behaupten also, Ian Cooper habe Lieferungen der Kaufhauskette Palmer & Ramsey dazu benutzt, Whisky nach Schweden zu schmuggeln, er habe in Schweden einen Polizisten getötet und sei deshalb von Ihrem Mann umgebracht worden?«

Isabel Palmer lächelte. »Für mich klingt das absolut logisch, Chief Inspector. Oder was meinen Sie?«

Taylor setzte sich wieder. Seine Augen waren auf Isabel Palmer gerichtet, aber seine Gedanken wanderten in unterschiedliche Richtungen. Eine davon führte ihn nach Schweden. Er kannte in Stockholm einen Kriminalbeamten, der ihm möglicherweise mehr über diese Anschuldigungen erzählen konnte. Auch wenn die Aussage von Isabel Palmer von Verachtung gegen ihren Mann getrieben sein mochte, und danach sah es für Taylor aus, wollte er keinen Gesichtspunkt ignorieren, der den Fall beeinflussen konnte.

»Also gut, Mrs. Palmer. Sie sagten, Sie kennen den Polizisten, der in Schweden gegen Ian Cooper ermittelte und der nun mutmaßlich verschwunden ist.«

Sie nickte und spielte mit der Zigarette, die sie nicht rauchen durfte. »Er heißt Bengt Olufson. Wir haben uns vor dreieinhalb Jahren kennengelernt, als mein Mann sein erstes Kaufhaus in Schweden eröffnet hatte. Wir hatten Sex miteinander und haben dies in den folgenden Monaten häufig wiederholt.« Ihre Augen funkelten Taylor herausfordernd an.

»Wie häufig?«, fragte Taylor tonlos.

»Meinen Sie, wie oft ich ihn seither besucht habe oder wie oft wir bei jedem dieser Besuche Sex hatten?« Sie lächelte und leckte sich frivol über die Lippen.

Taylor ignorierte sowohl die Bemerkung als auch die Geste. »War dieser Bengt Olufson auch in England? Oder sind Sie immer nach Schweden geflogen?«

»Oh, ich habe immer ihn besucht. Jedes Mal, wenn mein Mann seine Kaufhäuser inspiziert hat. Also etwa fünf- oder sechs Mal im Jahr. Dabei hatten wir dann intensiven …«

»Das habe ich begriffen«, unterbrach Taylor sie barsch. »Was hat Ihr Kontakt zu Olufson mit Ian Cooper zu tun?«

»Bengt ermittelte in Schweden gegen einen Schmugglerring, der große Mengen Alkohol illegal ins Land transportiert. Ich wusste, dass Ian wesentlich mehr Whisky herstellt, als er weltweit verkauft oder lagert. Also, was glauben Sie, wo der Überschuss landet?«

»Woher haben Sie diese Informationen? Haben Sie Coopers Firmenunterlagen eingesehen?«

Sie lächelte wieder und steckte sich die Zigarette zwischen die Lippen. »Ich gehe mit seinem Buchhalter ins Bett«, sagte sie.