Birmingham

Nigel Ramsey legte den Telefonhörer behutsam auf die Gabel zurück. Er hatte weniger als zwei Minuten mit Robin Clark gesprochen, und der Anwalt hatte ihm lediglich die wichtigsten Details genannt. Wichtig war aber vor allem, dass Sam Palmer jetzt nicht hier war und damit die Leitung der Firma praktisch brachlag.

Ramsey stand auf und ging nervös zum Fenster. Sein Blick schweifte umher, ohne wirklich etwas zu sehen. Schließlich blieb er irgendwo hängen, und Ramsey erkannte in der Ferne den Fernmeldeturm von British Telecom. Er schüttelte den Kopf und wollte sich wieder setzen, als es an seiner Tür klopfte.

»Ja«, murmelte er, gerade laut genug, dass sein Besucher es wohl hören konnte.

»Isabel«, rief Ramsey überrascht.

»Er hat es getan«, flüsterte sie, als sie eintrat, und setzte sich auf das helle Ledersofa.

»Clark hat vor wenigen Augenblicken angerufen. Ich kann nicht glauben, dass Sam Ian und Madeleine …«

»Er hat es getan, Nigel. Er hat sie beide getötet, weil Ian Cooper ein hochkrimineller Mensch ist. Und dafür wird Sam ins Gefängnis gehen. Verstehst du, was ich sage, Nigel?«, sagte sie leise, aber eindringlich.

Ramsey ging zu ihr und blieb unbeholfen vor ihr stehen. Er streckte die Hand nach ihr aus und ließ sie wieder sinken. »Ich kann es nicht glauben, Isabel.« Diesmal war er es, der flüsterte.

Die wenigen Informationen, die Clark ihm gegeben hatte, klangen so grotesk und wirr, dass Ramsey sie einfach nicht glauben wollte. Und jetzt erzählte Isabel Palmer ihm, dass Ian ein Krimineller gewesen sein soll. Er trat einen Schritt zurück und schüttelte den Kopf. »Ich kann das nicht glauben«, sagte er nur.

»Glaub, was du willst. Wichtig ist nur, dass am Ende die Gerechtigkeit siegt und mein Mann in einem Loch verrottet«, spie sie aus, und ihre Blicke wanderten in Ramseys Büro umher. Als sie fand, wonach sie augenscheinlich gesucht hatte, sprang sie auf und ging zu dem zierlichen Sekretär, in dem Ramsey seine private kleine Bar unterhielt. Sie nahm sich ein Glas und schenkte sich großzügig einen Whisky ein. »Willst du auch einen? Du siehst aus, als könntest du was vertragen«, lächelte sie ihn an.

Ramsey stand mit hängenden Schultern mitten im Raum und starrte auf das leere Sofa. Erst als Isabel Palmer ihm ein Glas in die Hand drückte, schien er aus seiner Lethargie zu erwachen.

»Warum sollte Sam so etwas Verrücktes tun und seinen besten Freund töten?«, fragte er und setzte sich auf die Kante seines Schreibtisches. Seine Augen waren auf Isabel Palmer gerichtet, aber sein Blick ging an ihr vorbei zur Wand, an der ein Bild des ersten Kaufhauses von Palmer & Ramsey hing.

»Es spielt keine Rolle, wieso. Wichtig ist nur, dass er es getan hat, Darling«, sagte sie und gab ihm einen Kuss auf die Wange.

Ramsey wandte sich ab. Er wusste, was sie von ihm erwartete, und er konnte es nicht. Er hatte zusammen mit Sam Palmer dieses Imperium geschaffen, und sein Partner hatte den weitaus größeren Anteil daran. Er brachte es nicht über sich, seinen Freund so eiskalt im Stich zu lassen, wie Isabel es konnte.

»Zieh jetzt bloß nicht den Schwanz ein. Das ist die große Chance. Deine große Chance. Wenn wir es klug anstellen, wird Sam im Knast landen, und du kannst allein die Leitung der Firma übernehmen.«

»Was erwartest du von mir …?«, jammerte Ramsey und wanderte unruhig im Zimmer umher. Das Whiskyglas hatte er noch immer in der Hand, ohne einen Schluck getrunken zu haben.

»Reiß dich zusammen, Nigel. Wenn du willst, dass wir eine gemeinsame Zukunft haben, dann darfst du das hier jetzt nicht versauen. Sam hat einmal in seinem Leben etwas Konsequentes getan, und wir haben die einmalige Chance, ihn damit zu hängen. Glaub mir, Darling, es ist richtig, was wir tun.«

Nigel Ramsey nickte stumm. Nur war er von ihren Worten nicht überzeugt. Und er konnte auch nicht glauben, dass sein Freund und Partner wirklich zu einem kaltblütigen Mord fähig war. Der Sam Palmer, den er kennengelernt hatte, war stets darum bemüht, mit allen Menschen klarzukommen, sich an alle Regeln und Gesetze zu halten und seine Frau zu lieben, ganz gleich, welche sexuellen Eskapaden sie beide begingen.

Und er wusste, dass sowohl Sam als auch Isabel Palmer reichlich sexuelle Kontakte außerhalb ihrer Ehe genossen hatten. Sie hatten beide nie versucht, es zu verheimlichen, und sogar ihn selbst hatte Isabel mehr als einmal zu einer gemeinsamen Nacht verführen wollen. Das jedoch kam für ihn einem Verrat an seiner Freundschaft zu Sam Palmer gleich. Gewiss, sie war sehr attraktiv, und es hätte ihm gefallen, sich ihr körperlich zu nähern, aber sie war nun einmal die Frau seines Freundes.

»Hast du ihn dazu gebracht, Ian und Madeleine zu töten?« Er drehte sich um und sah sie ernst an.

Isabel Palmer trat erschrocken einen Schritt zurück und fasste sich mit einer Hand theatralisch an den Hals. Dann lächelte sie unsicher und blickte ihn devot an. »Sei nicht albern, Nigel. Wie sollte ich so etwas denn fertigbringen? Sam interessiert sich schon seit vielen Jahren nicht mehr für mich. Oder was glaubst du, warum er seine kleine Sekretärin immer überallhin mitnimmt? Da ist es doch ganz natürlich, dass ich mir meine Aufmerksamkeit woanders holen muss.«

Das musste er ihr lassen, sie hatte wirklich die Gabe, sich selbst ins rechte Licht zu rücken und als Opfer darzustellen. Sam war also der Böse, und ihr widerfuhr endlich Gerechtigkeit. Wenn Ramsey es nicht besser gewusst hätte, hätte er ihr sogar geglaubt.

»Sam hat mir nie ein Wort davon gesagt, dass Ian in kriminelle Machenschaften verstrickt war und unsere Firma da mit reingezogen haben könnte«, sagte er lediglich.

Sie lächelte ihn an. »Natürlich nicht. Er ist doch genauso naiv wie du. Er hat es doch selbst nicht wahrhaben wollen, bis ich ihm die Beweise auf den Tisch gelegt habe.«

»Welche Beweise?«

»Die Unmengen Produktionsüberschüsse. Die Millionen Liter Whisky und Rum, die zwar produziert, aber plötzlich verschwunden waren.«

»Wovon redest du? Woher weißt du von so etwas?«

»Ach, Nigel. Du bist so süß unschuldig. Am Ende wirst du dasselbe Schicksal erleiden wie Sam«, sagte sie und verließ das Büro.