Henry Taylor und sein Sohn bogen auf das Gelände des Krankenhauses. Sie fanden einen Parkplatz und stiegen aus. Aus dem Augenwinkel sah Taylor, wie Geoffrey und Patricia den roten Alfa verließen und ihnen zum Eingang folgten. In der großen Halle herrschte die erwartete Geschäftigkeit, sie entdeckten Julia Whitfield dennoch sofort, die auf sie zugestürmt kam. Bevor Taylor etwas sagen konnte, fiel sie Felix um den Hals und begann zu weinen.
»Alles wird gut, Liebling«, sagte Felix und strich ihr durch die Haare.
Taylor stand wortlos daneben und blickte sich um. Schließlich legte er Julia eine Hand auf die Schulter. Sie hob ihren Kopf und sah ihn an. In ihren rotgeränderten Augen standen immer noch Tränen.
»Was ist geschehen?«, fragte er ungeduldig.
Julia löste sich von Felix und wischte sich die Tränen von den Wangen. Dann trat sie einen Schritt zurück und sah Taylor ernst an. »Ich weiß nicht, was passiert ist. Ich war auf der Toilette und als ich zurückkam, wurde ich von zwei Kellnern zurückgehalten. Ich sah meinen Vater und meine Mutter neben dem Tisch auf dem Boden liegen. Andere Gäste standen an ihren Tischen und gafften uns an. Einige Kellner knieten neben ihnen.«
Die Worte sprudelten wie ein Wasserfall aus ihr heraus. Ihre Augen waren glasig, und Taylor fürchtete, der Schock über die Ereignisse würde sie jeden Augenblick zusammenbrechen lassen.
»Am besten setzen wir uns erst einmal«, sagte er deshalb und führte sie zu einer Sitzgruppe, aus der soeben zwei ältere Pärchen aufgestanden waren. »Sergeant Duncan kennst du ja bereits«, sagte Taylor, und zeigte dann auf Geoffrey. »Das ist Police Constable Holmes.«
Julia lehnte sich erschöpft zurück und nickte freundlich.
»Felix, sieh mal zu, dass du was zu trinken besorgst. Wasser oder Limonade wären gut«, sagte Taylor, und Felix nickte, während er sich Richtung Kiosk entfernte.
»Wie geht es deinen Eltern? Hast du schon mit ihnen sprechen können?«
Julia schüttelte den Kopf. »Das ist es ja. Die Ärzte lassen mich nicht zu ihnen. Und sie sagen mir auch nichts. Ich hab solche Angst.« Sie wischte sich mit ihrem Ärmel die Tränen aus dem Gesicht.
Felix kam mit den Getränken zurück. Er setzte sich auf die Lehne des Sessels, in dem Julia Platz genommen hatte, reichte ihr eine Dose und verteilte die anderen an die Polizisten.
»Danke«, sagte Julia und lehnte ihren Kopf erschöpft gegen seinen Körper.
Taylor stand auf und drehte sich zur Rezeption um. »Ich versuche herauszufinden, was mit deinen Eltern geschehen ist«, sagte er und ging zum Empfang. Vier Besucher warteten vor ihm, und nach etwa zehn Minuten stand er vor einer dunkelhäutigen Frau unbestimmten Alters, die ihn gestresst anstarrte. Auf ihrem Namensschild stand Schwester Samantha.
»Ja?«, blaffte sie.
Taylor lächelte mild. »Mr. und Mrs. Whitfield sind heute am frühen Abend eingeliefert worden. Ich würde gerne wissen, wie es ihnen geht und wo sie zu finden sind.«
Ihre Augen verengten sich. »Sind Sie ein Verwandter?« Ihre Stimme war streng und kalt.
Taylor hatte nicht die Absicht, als Polizeibeamter aufzutreten. Er hätte darauf verwiesen, dass die Tochter wenige Meter entfernt saß und vor Sorge um ihre Eltern vollkommen entkräftet war. Das Verhalten der Frau veranlasste ihn nun jedoch dazu, es zu tun. Er holte seinen Dienstausweis aus der Hosentasche und hielt ihn ihr unter die Nase.
»Detective Chief Inspector Taylor von der CID Esenshire«, sagte er und sah Schwester Samantha herausfordernd an.
»Polizei?«
»Wenn Sie mir jetzt freundlicherweise sagen würden, wo ich die Whitfields finden kann«, bemühte er sich um einen nachsichtigen Tonfall.
Sie griff zum Telefonhörer. »Einen kleinen Moment bitte, Sir«, sagte sie und wartete. Sie sprach leise in den Apparat und legte dann auf. »Dr. Graham kommt in wenigen Augenblicken«, sagte sie und wandte ihre Aufmerksamkeit bereits auf den nächsten Besucher, der hinter Taylor gewartet hatte.
Taylor trat zwei Schritte beiseite und stand neben dem Tresen. Sein Blick pendelte zwischen den Aufzügen und der Sitzgruppe mit Julia, Felix und seinen beiden Beamten hin und her. Sie saßen dicht nebeneinander und hielten sich umarmt. Jetzt erst fiel Taylor auf, dass er die Limodose noch in seiner linken Hand hielt. Er ging zurück und stellte sie auf den kleinen Tisch neben den Sesseln.
»Ich weiß noch nichts Genaueres. Dr. Graham wird gleich …« Taylors Blick ging zum Tresen, an dem Schwester Samantha gerade mit einem grauhaarigen Mann in grauem Anzug sprach und in seine Richtung zeigte.
»Chief Inspector Taylor. Mein Name ist Doktor Benjamin Graham«, sagte er, als er vor ihm stand.
Taylor nickte und wies mit einer Handbewegung zu den übrigen Anwesenden. »Das ist Julia Whitfield, die Tochter von Ernest und Catherine Whitfield. Mein Sohn Felix sowie Detective Sergeant Duncan und Police Constable Holmes.«
Graham sah in die Runde, blickte dann zu den beiden jungen Leuten auf dem Sessel und nickte. »Ich verstehe. Sie möchten natürlich wissen, was geschehen ist«, sagte er und legte Taylor eine Hand auf den Arm. Damit zog er ihn ein kleines Stück beiseite. Außer Hörweite begann er leise zu sprechen.
»Wir haben Miss Whitfield bisher noch nicht gesagt, was passiert ist, und als Schwester Samantha mich anrief und sagte, die Polizei sei hier, da dachte ich zuerst, Sie hätten schon mehr Informationen als wir.«
Taylor sah ihn irritiert und verständnislos an.
»Mr. und Mrs. Whitfield sind tot. Wir haben noch keine näheren Informationen über die Todesursache, aber wir schließen eine Vergiftung nicht aus. Miss Whitfield zeigte keine Symptome, so dass wir nicht davon ausgingen, sie könnte ebenfalls vergiftet worden sein.«
»Vergiftet? Sie meinen, in dem Restaurant? Ist die örtliche Polizei eingeschaltet worden?« Taylor blickte besorgt über seine Schulter zu Julia hinüber. Sie beobachtete ihn nervös.
»Im Augenblick ist es noch zu früh, über mögliche Ursachen zu sprechen. Die beiden sind in der Rechtsmedizin. Ein Inspector Block leitet die Ermittlungen.«
Taylor atmete tief durch. »Wo finde ich Inspector Block?«
Graham sah nervös auf seine Armbanduhr und blickte sich zu den Aufzügen um. Taylor ahnte, dass Dr. Graham das Gespräch gerne beenden wollte.
»Ich weiß es nicht. Tut mir leid, Chief Inspector. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden.« Er reichte Taylor die Hand und ging davon.
»Was ist mit meinen Eltern?« Julia war langsam aufgestanden und bewegte sich wie in Trance auf Taylor zu.
Er legte eine Hand auf ihre Schulter, bereit, sie in die Arme zu nehmen und zu trösten. »Es tut mir sehr leid, Julia. Deine Eltern sind tot.«
Sie wirkte erstaunlich gefasst, als habe sie bereits mit einer solchen Nachricht gerechnet. »Was ist passiert?« Sie sah ihn regungslos an.
Jetzt war es Felix, der sie an sich ziehen und ihr Trost spenden wollte, aber sie wehrte ihn vorsichtig ab.
»Was ist passiert?«, fragte sie erneut. Diesmal klang ihre Stimme fordernder.
Taylor schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht, aber ich werde mich mit dem zuständigen Inspector in Verbindung setzen. Ich verspreche dir, wir werden es herausfinden.«
Julia nickte dankbar.
»Am besten, wir fahren nach Hause, und du erzählst uns alles haargenau«, entschied Taylor.
»Kann ich bei Ihnen mitfahren?«
»Natürlich fährst du mit uns«, sagte Felix. »Wie bist du denn hierhergekommen?«
»Mit einem Taxi «, sagte sie leise.
»Wir sollten jetzt nach Hause gehen«, schlug Taylor vor und schob Felix und Julia zum Ausgang.