Krist in Lundby hockte hinter ihrem Schreibtisch und blickte Rolf Nilsson, der seitlich neben ihr am Tisch saß, mitleidig an. Er hatte sich von ihr nur allzu bereitwillig überreden lassen, sie nach dem Ende seiner Schicht aufs Kommissariat zu begleiten und ihr alles zu erzählen, was er über den Mann auf dem Foto und den Chef wusste. Sie hatte ein kleines digitales Aufnahmegerät aufgestellt, und Rolf betrachtete das Mikrofon mit einer Mischung aus Neugier und Belustigung.
»Dann erzähl mir doch mal von Bengt Olufson«, forderte Kristin ihn auf und erntete einen verständnislosen Blick, während Rolf seinen Kopf zur Seite neigte und ein Auge dabei schloss. Er wirkte auf sie wie ein zurückgebliebenes Kind.
»Der Mann auf dem Foto, das ich dir gezeigt habe«, erklärte sie und hielt ihm erneut das Bild hin.
»Ach so, der«, sagte Rolf und grinste dabei amüsiert. »Bengt hat der also geheißen.«
Kristin zuckte unmerklich zusammen. Hatte er ihr soeben den Tod des Polizisten bestätigt? Oder war es nur eine Redewendung?
»Woher kennst du ihn?«
»Ich kenne ihn nicht.«
»Aber du hast ihn schon mal gesehen?«
Rolf nickte heftig und griff zu dem Glas Wasser, das vor ihm auf dem Tisch stand, trank gierig und stellte es wieder hin.
»Wo hast du Bengt gesehen?«, fragte sie und machte sich einige Notizen.
»Er war in der Halle«, sagte er nur und nahm sich einen Keks, den er in einer Schale auf dem Schreibtisch hinter sich entdeckt hatte. Kristin verdrehte die Augen.
»Er war also in der Halle«, echote sie und holte tief Luft. »Wann war das, wo steht diese Halle, was hat Bengt in dieser Halle getan?« Nur mit Mühe gelang es ihr, ruhig zu bleiben und Rolf Nilsson nicht anzuschreien.
Rolf sah sich ungerührt um und trank den letzten Schluck Wasser, ehe er langsam antwortete. »Ich glaube, es war im Februar. Ja, ich bin ziemlich sicher, dass es im Februar gewesen war, weil ich doch am einunddreißigsten Januar Geburtstag habe, und es war nicht sehr lange danach. Der Chef hat mir aber nicht gratuliert. Wahrscheinlich hatte er es nur vergessen, weil er doch so viel in der Halle zu tun hatte. Mit den ganzen Kisten und dann ja auch noch mit dem Mann auf dem Foto. Bengt, hast du gesagt, hat er geheißen, nicht wahr?«
Kristin saß kerzengerade. Es kam ihr vor, als habe ihr Körper soeben einem Stromstoß erlitten. Sie wusste es plötzlich. Wusste, dass Bengt Olufson tot war. Der Chef musste also demnach der Anführer des Schmugglerrings sein, auf dessen Spur Bengt gekommen war, und das hatte er mit dem Leben bezahlt. Und noch etwas wusste sie: Rolf Nilsson würde sie zu diesem Chef führen.
»Diese Lagerhalle steht in Trelleborg, richtig?«
»Ja, Trelleborg. Eine schöne Stadt. Ich war gerne dort, auch wenn ich nicht gerne gesehen wurde. Ich hatte mal Ärger mit der Polizei, weißt du?«
Kristin lächelte unwillkürlich.
»Aber beim letzten Mal hat Der Chef mich davor bewahrt, von der Polizei bestraft zu werden. Stattdessen durfte ich für ihn arbeiten.«
»In der Lagerhalle?«
Rolf nickte und griff sich noch einen Keks. »Ja, auch da, aber ich durfte auch alle möglichen Aufträge ausführen. Meistens kleine Botengänge und so.«
»Und was hast du in der Lagerhalle gemacht?«
Rolf kratzte sich das Kinn, und es schien, als müsste er überlegen, worin seine Aufgabe bestanden hatte. »Ich hab immer die Kisten aus dem großen Auto ausgeladen und dann in die vielen kleinen Autos wieder eingeladen«, sagte er schließlich.
»Wie oft hast du das gemacht? Jeden Tag?«
Rolf lachte laut und herzhaft. »Nein, höchstens …«, er machte eine Pause und rechnete an seinen Fingern nach, »vielleicht drei Mal im Monat. Ich musste dann immer schnell sein, weil Der Chef immer so gedrängelt hat.«
Kristin machte sich einige Notizen. Sie hatte die Aussage des jungen Mannes zwar auf Band, aber aus lauter Gewohnheit schrieb sie beinahe jedes Wort mit. Ihre Gedanken kreisten immer schneller und heftiger um Bengt Olufson. Wie hatte er die Halle gefunden? Was hatte er gesehen, gewusst, getan? Hatte Der Chef ihn erwischt und getötet? Was wusste Rolf noch alles?
»Weißt du, was in den Kisten war? Hast du mal reingesehen, oder hat dein Auftraggeber es dir vielleicht gesagt oder gezeigt?«
Die Antwort kam schnell, und sie war kurz: »Nö.«
»Aber der Mann auf dem Foto, Bengt Olufson, hat er die Kisten gesehen? Hat er vielleicht sogar hineingesehen?«
Rolf schüttelte den Kopf. »Weiß ich nicht. Er lag doch nur auf dem Boden.«
Kristin war irritiert. »Was meinst du mit er lag nur auf dem Boden? Meinst du den Fußboden in er Halle? Wie ist er dahingekommen?«
»Der Chef hat ihn da hingelegt. Bevor er ihn totgemacht hat.«
Kristin bekam glasige Augen, und sie wandte sich für einen Augenblick ab, um sich die Tränen aus dem Gesicht zu wischen. Auf keinen Fall würde sie vor einem Zeugen, und mochte er noch so wenig intelligent sein wie Rolf, in Tränen ausbrechen.
»Wie hat Der Chef ihn getötet, Rolf? Hat er ihn totgeschlagen?«
Rolf schüttelte den Kopf und lächelte, als habe sie etwas Dummes gesagt. »Nein, er hat ihn mit so was totgemacht, was du auch hast.«
Kristin nickte. »Eine Pistole also.«
Rolf grinste dümmlich. »Und dann hab ich ihn weggefahren.«
»Wohin hast du die Leiche des Polizisten Bengt Olufson gebracht, Rolf?«
Bei der Erwähnung von Olufsons Beruf zuckte Rolf zusammen und sah sie mit weit aufgerissenen Augen an. »Er war Polizist? So wie du?«
Kristin ignorierte seine Frage. »Wohin hast du seine Leiche gebracht?«
Rolf lächelte wieder. »Da ist doch diese Brücke, die sie da bauen. Die Öresundbrücke. Da ist jetzt ganz viel Beton drüber.«