Chief Inspector Taylor betrat angespannt das dunkle Backsteingebäude im Herzen Birminghams. Nachdem er seinen Dienstausweis am Empfang vorgezeigt und sich zusammen mit dem Grund seines Besuches in die dafür vorgesehene Liste eingetragen hatte, ging er ins zweite Untergeschoss hinunter. Er kannte sich hier inzwischen ebenso aus wie in seinem eigenen Revier.
Taylor wandte sich nach links und stand wenige Meter später vor der Tür von Sir Ralph Cameron. Der Gerichtsmediziner legte keinen Wert auf seine Adelsbezeichnung, die er seinem Urgroßvater zu verdanken hatte. Gleichwohl verbreitete er die Anekdote, die zur Ernennung des Earls im Jahr 1917 führte, bei jeder ihrer Begegnungen.
Taylor klopfte an und trat dann unaufgefordert ein. Cameron hielt nichts von unnötigen Worten, und Taylor lächelte beim Gedanken an ihre erste Begegnung, bei der er eine gefühlte Ewigkeit vor jener Tür gestanden und vergeblich auf eine Aufforderung zum Eintreten gewartet hatte. Schließlich hatte er die Tür einfach geöffnet und in Camerons fragendes Gesicht geblickt. »Ich dachte schon, Sie seien wieder gegangen«, hatte der Pathologe gesagt.
»Ah, Taylor, kommen Sie herein. Nehmen Sie Platz. Was brauchen Sie?«, sagte er jetzt und deutete mit einer Handbewegung auf einen Plastikstuhl, der neben seinem Schreibtisch stand. Dann wandte er sich wieder seinem Computerbildschirm zu und tippte weiter auf der Tastatur, ohne Taylor anzusehen.
»Whitfield«, sagte Taylor lediglich. »Haben Sie schon was für mich?«
»Whitfield? Was haben Sie mit den beiden zu tun? Ich dachte, da sind die Kollegen hier in Birmingham dran?« Cameron unterbrach seine Tätigkeit und schob seinen Stuhl vom Schreibtisch zurück. Der Neunundfünfzigjährige sah Taylor neugierig an.
»Beide wohnten in meinem Gebiet, aber ich will mich wirklich nicht in die Ermittlung der Kollegen einmischen«, lächelte der Chief Inspector.
»Der Abschlussbericht kommt erst noch. Das Labor muss noch einige Tests durchführen, aber ich verrate Ihnen nicht zu viel, wenn ich auf eine hohe Dosis GHB hinweise. Sie wissen, was Gamma-Hydroxybuttersäure ist?«
Taylor fühlte sich, als habe ihn der Schlag getroffen. Hatte er sich gerade verhört? Hatte Cameron soeben dieselbe Substanz genannt, mit der auch die Eheleute Cooper betäubt worden waren?
»Können Sie anhand der Zusammensetzung der Droge feststellen, woher das Mittel stammt?«
Cameron schüttelte den Kopf. »Das wird ziemlich schwierig. Die Osteuropäer sind führend bei der Herstellung dieser Droge, aber selbst dort gibt es hunderte von verschiedenen Kombinationen. Spielt das für die Ermittlungen eine große Rolle?«
»Vielleicht. Wir haben in Werdum Market einem Doppelmord, bei dem die Opfer zuvor ebenfalls mit KO-Tropfen betäubt wurden.«
»Sam Palmer?«
»Genau. Lässt sich feststellen, ob beide Substanzen identisch sind?«
Cameron rieb sich das Kinn und griff zu einer Papierakte. Er blätterte darin und schien nicht zu finden, wonach er suchte. Dann tippte er einige Daten in den Computer, und seine Nase kam dem Monitor gefährlich nahe, während er las. »Ich habe meine Lesebrille vergessen, und die Idioten von der IT sind nicht in der Lage, die Schriftart größer zu stellen«, lächelte er entschuldigend, als er Taylors besorgten Blick bemerkte. »Ah, ja, hier haben wir es. Ja, die Zusammensetzung liegt in der Tat vor. Haben Sie die Daten in Ihrem Fall zur Hand, Taylor?«
»Nein, aber ich werde Norris anweisen …«
»Lassen Sie nur. Ich werde Samuel selber anrufen. Kann aber Montag werden, bis wir die Daten abgeglichen haben. Ist das für Sie in Ordnung?«
Taylor bemühte sich um einen zerknirschten Gesichtsausdruck. In Wahrheit hatte er bislang mehr Antworten als erhofft bekommen. Insofern war Montag mehr als in Ordnung.
»Und das GHB ist die Todesursache bei den beiden Whitfields?«
»Wie gesagt, es stehen noch einige Tests aus, aber mich würde etwas Anderes überraschen.«
»Danke, Doktor.« Taylor stand auf und reichte Cameron die Hand. Dann machte er sich wieder auf den Weg zurück nach Esenshire.