Smule? Target.« Alva versuchte den jungen Seehund streng anzusehen und deutete auf die Trainingsstange, die sie vor ihm auf den Boden gelegt hatte. Es wäre einfacher gewesen, wäre Smule nicht so niedlich.
Er dachte nicht daran, mit der Schnauze gegen das Target zu tippen. Stattdessen rollte er sich über den Boden und betrachtete Alva dann abwartend.
»Glaubst du, dass du für das Gehampel einen Fisch bekommst? Im Leben nicht.«
Nina, die Chefbiologin der Robbenstation, kam zu ihr herüber. Sie hatte die Haare zum Zopf gebunden und trug wie Alva einen der gefütterten Sweater mit Seehund-Logo zur wasserfesten Hose und den hohen Gummistiefeln. Keine besonders elegante Arbeitsuniform, aber enorm praktisch. Und Nina stand sie sogar. »Na? Will er nicht?« Ihr Atem kondensierte in der Luft.
»Ich schwöre dir, der macht sich über mich lustig.«
Nina lachte. »Gestern war er auch schon so. Wahrscheinlich hat er Frühlingsgefühle.«
»Oder er sehnt sich ins Meer hinaus.« Alva hockte sich hin und klopfte mit den Fingerspitzen auf den eisigen Boden. »Na, komm schon, Smule.« Es war wichtig, dass sie regelmäßig mit den Robben übten, bestimmten Anweisungen zu folgen, damit die Tiere bei Tierarztbesuchen kooperierten.
Doch dieses Mal winkte Nina ab. »Lass ihn. Wenn er nicht will, will er nicht. Ich übe nachher noch mal mit ihm. Ich wette, deine menschlichen Patienten sind nicht so eigensinnig.«
»Nein, nie.« Es gelang Alva, ihre Miene dabei unbewegt zu lassen. »Vor allem die Zweijährigen sind meist richtig heiß auf die Untersuchung.«
Einen Moment schien Nina zu überlegen, ob sie es ernst meinte, dann lachte sie. »Du hast recht, entschuldige. Ich habe nicht nachgedacht.«
Aber normalerweise kam Alva tatsächlich gut mit ihren kleinen Patienten aus. Vielleicht lag es daran, dass sie Wut und Tränen der Kinder nie gegen sich gerichtet empfand, sondern immer herauszufinden versuchte, was dahintersteckte. In den drei Jahren, die Alva die Familienpraxis gemeinsam mit ihren Brüdern führte, hatte sie erst einmal erlebt, dass ein Vater unverrichteter Dinge mit seiner kleinen Tochter wieder nach Hause gehen musste. Zugegeben, normalerweise kam sie auch gut mit Smule aus, wenn sie am Wochenende in der Robbenstation aushalf. Er war ihr Liebling unter den drei Tieren, die nicht ausgewildert werden konnten und dauerhaft in der Station lebten.
Sie sah zum anderen Ende des Beckens hinüber, wo Bo, der zweite Stationsbiologe, mit der Kegelrobbe Tora übte und sie dann zurück ins Wasser schickte. Smule, Tora und Loki störte die erbärmliche Kälte nicht, die trotz des klarblauen Himmels immer noch herrschte.
Bo rieb die Hände aneinander, während er herantrat. Vor Kälte war seine Nasenspitze rot. »Hast du den Frost bestellt, Alva-Schatz?«
»Ich dachte, du wärst das gewesen. Ich bin nur für den Sonnenschein zuständig.«
»Und für die Fütterung, hoffe ich.«
»Auch für die, wenn du nett fragst.«
Es war inzwischen ein lieb gewonnenes Ritual zwischen ihnen. Bo stellte die Frage jeden Sonntag aufs Neue, und Alva gab jedes Mal die gleiche Antwort. Gleich an ihrem fünften Wochenende in der Station hatte sie die öffentliche Fütterung übernommen. Nicht weil sie begierig drauf gewesen wäre, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen, sondern weil ihre Kollegen es noch weniger mochten. Inzwischen machte es ihr Spaß, die Zuschauer durch die Robbenfütterung zu führen, obwohl es jetzt im gerade schüchtern anbrechenden Frühling immer nur wenige waren. Wenn sich jemand hierher verirrte, waren es meist Rentner aus dem Ort, die ein Ziel für ihren Sonntagsspaziergang brauchten.
Bo reinigte mit Tierpflegerin Silje und zwei anderen Freiwilligen – Biologiestudenten, die nur ein paar Wochen blieben – das Außengelände und bereitete eins der Quarantänebecken für ein Kegelrobbenbaby vor. Touristen hatten es in Sola am Strand gefunden. Derweil ging Alva mit Nina in die Futterküche und streifte die dicken Gummihandschuhe über, die sie beim Abwiegen der Fische trugen.
Gemeinsam hievten sie einen der Blöcke mit gefrorenem Fisch in das tiefe Spülbecken.
»Und? Wie geht’s Eirik?«
»Wem?«
»Hast du mir nicht mal von einem Eirik erzählt, den du kennengelernt hast?«
»Ach, der.« Irgendwo aus einer sehr dunklen Falte ihrer Hirnwindungen zog Alva eine Erinnerung hervor. Eirik war kurz nach Magnus gewesen, aber sie war mit ihm nie weiter gekommen als bis zum obligatorischen Nachmittagstreffen in Stavanger. »Er war leider ziemlich dumm.«
»Und sonst? Irgendwelche Neuigkeiten, was Männer angeht?«
Jedes Mal, wenn Nina diese Frage stellte, wünschte Alva, sie hätte ihr nie erzählt, wie vergessen vom Leben sie sich manchmal fühlte, nun, da ihre Brüder beide vergeben waren. »Nichts weiter«, sagte sie schlicht. »Ist ja auch nicht so, dass ich aktiv jemanden suchen würde.«
»Solltest du vielleicht.«
»Du meinst, weil ich dreißig werde und die Welt untergehen wird, wenn ich bis dahin keinen festen Freund habe?«
Nina lachte. »Vielleicht auch weil du seit Wochen davon sprichst, dass du dreißig wirst.« Nina selbst war fast zehn Jahre älter und mit einem Ingenieur verheiratet, von dem sie wechselweise genervt war oder schwärmte. »Ich werde dir zum Geburtstag eine Mitgliedschaft bei sukker.no schenken.«
»Untersteh dich.« Alva stellte einen der Futtereimer auf die Waage neben dem Spülbecken. »Der ist für Smule.«
Mit geübten Händen löste Nina einen großen Hering aus dem Block. »Du weißt doch, zwei von drei Mitgliedern finden ihre große Liebe bei sukker.no.«
»Und das dritte chattet monatelang mit unterbezahlten Studentinnen und ist zu blöd zu merken, dass der heiße Millionär auf dem Bild nicht existiert.«
»Du bist zu realistisch für die Welt.«
»Tut mir leid, dass ich dein Geburtstagsgeschenk ruiniert habe.« Sie warf einen Blick auf die Futterliste. »Oh, heute gibt es Lachs.«
Nachdem sie das Futter für die einzelnen Tiere abgewogen hatten, stellten sie die Eimer in die Kühlung und putzten die Edelstahlflächen der Küche. Es blieb noch genug zu tun, bis die Fütterung anfing.
Kurz vor drei warf Alva einen Blick nach draußen zu den Seehundbecken, wo Smule, Loki und Tora bereits erwartungsvolle Kreise zogen. Die Robben wussten genau, wann ihr Leibgericht zu erwarten war.
Bisher stand nur eine Familie mit Kleinkind am Becken. Die Eintrittsgelder würden nicht mal für den Fisch reichen. War das Grund genug für die Enttäuschung, die sie gerade fühlte?
Alva holte das Headset-Mikrofon aus dem Schrank, als Bo hereinkam. »Immerhin sechs Zuschauer heute.«
»Eben waren es nur zweieinhalb.«
»Jetzt sind es sechs. Eine Familie, ein älteres Paar – ich glaube, es sind eure Kindergärtnerin und ihr Mann –, und Moneyman ist wieder da.«
Alvas Enttäuschung verflüchtigte sich. »Er ist dein Fan, sag ich doch.«
»Das wird’s sein.«
Tatsächlich sah sich der Mann schon das dritte – oder sogar vierte? – Mal die Fütterung an. Alva kannte jeden Menschen hier in der Gegend, aber diesen Mann hatte sie bei seinem Besuch hier zum ersten Mal gesehen. Seitdem tauchte er regelmäßig kurz vor drei auf, schaute ganz vom Rand des Zuschauerbereichs aus zu, als versuche er, mit dem Schatten des Gebäudes dahinter zu verschmelzen, und verschwand direkt nach der Show wieder. Jedes Mal, wenn er da war, befanden sich hinterher 500 Kronen mehr als üblich in der Spendenbox. Er trug immer den gleichen schmal geschnittenen, dunklen Mantel, schwarze Jeans, schwarze Schuhe, unter der Jacke einen dunklen Kapuzenpullover. Alva wartete nur auf den Tag, an dem die schwarze Sonnenbrille dazukam.
Zeitgleich mit seinem Auftauchen vor ein paar Wochen war eine Jacht am Fischereianleger längsseits gegangen, deren Besitzer kaum jemand je zu Gesicht bekam. Man musste nicht Astrophysik studiert haben, um den Zusammenhang herzustellen. Aber was trieb jemanden so früh im Jahr mit einer Jacht her? Ab und zu, sehr selten, legten auch im Winter Segelboote hier an. Aber die blieben eine oder zwei Nächte, nicht wochenlang.
Der Mann war ein Rätsel, und Alva Solberg mochte es, Rätsel zu lösen.
»Bist du so weit?«, fragte Bo.
Alva überprüfte den Sitz des Headsets und tastete nach der Trillerpfeife. »Kann losgehen.«
Nach der kurzen Show hatten sie eben sauber gemacht und aufgeräumt, als der Transporter mit der neuen kleinen Robbe vorfuhr. Mit eindringlichen Kontaktlauten verkündete das Jungtier schon aus dem Auto heraus, dass es Hunger hatte.
»Ich untersuche den Kerl«, sagte Nina. »Machst du ein bisschen Fischbrei zurecht?«
Alva nickte. Sie wäre gern dabei gewesen, wie die kleine Robbe hereingebracht wurde, aber es war klar, dass das Füttern vorging. Sie pürierte Heringsfilet, versetzte es mit Elektrolytlösung und füllte die Mischung in einen Fütterungsschlauch, den sie Nina zum Quarantänebecken brachte.
Die Robbe war klein und trug noch die Lanugo, das volle, weiße Babyfell. In dem winzigen Gesicht wirkten die dunklen Knopfaugen größer, als sie sollten. Das Jungtier hatte viel zu wenig Babyspeck.
»Es ist ein Mädchen«, sagte Nina. »Zwei Wochen alt, schätze ich. Ziemlich mager, hoffentlich kommt sie durch.«
»Hast du ihr schon einen Namen gegeben?«
»Kannst du machen, wenn du willst.«
Alva sah das Tier an. Obwohl sie keine Biologin oder Tierpflegerin war, hatte sie genug Robben ankommen und wieder in die Freiheit schwimmen sehen, um Nina recht zu geben. »Hope.«
»Das ist nicht sehr subtil.« Nina kniete inzwischen über der kleinen Robbe und steckte ihr den Fütterungsschlauch ins Maul. Sie lächelte zu Alva hoch. »Aber wohl durchaus passend.«
Alva sah zu, wie Hope ihre erste Mahlzeit bekam, dann pürierte sie weiteren Fisch für zwei andere junge Heuler und half Bo und den anderen dabei, sich um die restlichen Tiere zu kümmern. Danach war sie erschöpft, aber glücklich, weil sie das Gefühl hatte, ihren Sonntag wirklich sinnvoll verbracht zu haben.
Die Robbenforschungsstation mochte eine Touristenattraktion sein und Lillehamn einen Platz auf der Landkarte sichern, aber gern gesehen war ihre Arbeit nicht überall. Besonders die Aufzucht der Jungtiere beäugten einige der älteren Nachbarn skeptisch – waren Robben doch die natürlichen Konkurrenten der Fischer, und in Lillehamn hatte man, lange bevor die Touristen kamen, vom Fischen gelebt.
Auf dem Heimweg machte Alva einen Umweg am Hafenplatz vorbei – wobei die Bezeichnung ›Hafen‹ für den einen Steg einigermaßen hochtrabend war. Svein und Hans beanspruchten mit ihren Kuttern wie immer die windabgewandte Seite, was der Jacht des Fremden nur die Luvseite überließ. Im Moment wehte nur eine Brise, aber wenn der Sturm richtig loslegte, musste das Boot mächtig gegen den Steg gedrückt werden.
Die Kutter lagen verlassen da, doch aus der Jacht drang ein schwacher Lichtschein. Alva hätte gern gewusst, ob es wirklich der Robbenfreund war, der dort drin … was auch immer tat. Spaghetti kochte vielleicht. Was machte jemand um diese Jahreszeit in Lillehamn, und wie verbrachte man auf so einem Boot die Zeit?
»Und, wie lebt es sich so am Ende der Welt?«
Jo lag ausgestreckt auf der Vorschiffskoje. Den Krimi, mit dem er sich die Zeit vertrieb, hatte er zur Seite gelegt, bevor er den Facetime-Anruf seiner Schwester annahm. »Gut«, sagte er.
»Ich behaupte immer noch, dass es eine Flucht ist.«
»Ich nenne es kreative Pause.«
»Wenn du meinst … Ich würde mich eher begraben, als mich in Lillehamn zu verkriechen, aber das musst du selbst wissen.«
Genau genommen war sein Aufenthalt hier genau das: der Versuch, einen Teil von sich zu begraben. Ein Stück Vergangenheit. Doch das würde er nicht mit seiner Schwester diskutieren. Es gehörte zu den Dingen, die er mit sich selbst ausmachen musste. »Was heißt ›Ende der Welt‹?«, fragte er stattdessen. »Hier steppt der Elch. Es gibt mehrere Touristenattraktionen.«
»Lass mich raten: das Heimatmuseum und das Heimatmuseum?« Kjerstis Augenbrauen wanderten zynisch bis zu ihrem akkurat geschnittenen Pony.
»Leider nicht mal eins. Aber eine Bar, die recht vielversprechend aussieht. Und eine Robbenaufzuchtstation.« Bei dem Gedanken daran sah er sich auf dem Display lächeln.
»Wahnsinn.«
»Außerdem ist an der Uferpromenade eine Baustelle, die aussieht, als würde sie irgendwann ein Café werden, und am Markt ein winziger syrischer Imbiss. Und ein bisschen außerhalb gibt es einen KiWi.«
»O Gott!« Kjersti schlug sich in theatralischer Verzweiflung die Hände vors Gesicht. »Hörst du dir bitte mal selbst zu? Du hast nicht allen Ernstes gerade von einem Supermarkt als Touristenattraktion gesprochen?«
»Ein bisschen Respekt bitte dem KiWi gegenüber. Immerhin ist es das Highlight meiner Tage, mir dort die Fertigpizza des Abends auszusuchen.«
»Du solltest zurückkommen in die Stadt, bevor du fett und verzweifelt wirst.«
»Ich komme nicht zurück, Kjersti. Nicht in nächster Zeit. Du weißt, warum.«
Sie ging nicht weiter darauf ein. »Schick mir nächstes Mal ein Foto von dem Seehundding. Von innen. Damit ich weiß, dass du deine Höhle auch ab und zu verlässt, außer um die sensationelle Attraktion namens Tiefkühlregal aufzusuchen.«
»Hast du mir nicht zugehört? Mir geht’s prima. Ich mache Urlaub.« Oder zumindest etwas in der Art. Sonntags fühlte es sich an wie Urlaub.
Das erste Mal war er lediglich in die Robbenstation gegangen, weil er nicht wusste, wohin mit sich und seiner Rastlosigkeit. Bisher hatte das Wetter nicht zugelassen, dass er auf einen der Berge in der Umgebung stieg. Nicht ohne sich auszukennen. Und die Robbenfütterung war auf jeden Fall besser als ein Sonntagnachmittag, an dem er vor lauter Langeweile Risikogeschäfte abschloss oder aus Versehen den Sportsender einschaltete.
Er hatte sich einen Platz im Schatten des Gebäudes gesucht, hinter der fiktiven Neunmeterlinie, wenn man das Seehundbecken als Tor betrachtete. Viel erwartet hatte er nicht, bloß ein paar pummelige Meeressäuger. Aber dann war diese Frau gekommen und hatte angefangen zu sprechen, und in seinem Kopf war Ruhe eingekehrt.
Er konnte nicht beschreiben, was genau es war, doch wenn die Robbentrainerin mit den grünen Augen ihren kurzen Vortrag über die Fütterung der Tiere hielt, ließ die Spannung hinter seiner Stirn nach. Alva hieß sie. Er mochte den Namen, er klang weich und warm und hübsch, wie sie.
Vielleicht war es die Frequenz, mit der Alva sprach. Irgendeine wissenschaftliche Erklärung musste es dafür geben, dass es in seinem Kopf, bis hoch zur Fontanelle, zu kribbeln anfing. Gleich darauf hatte er das Gefühl, seine Schädeldecke würde sanft abheben. Seligkeit, Schweben, Trance bei vollem Bewusstsein. Seit diesem ersten Mal ging er jeden Sonntag hin und sah vermutlich ziemlich weggetreten aus, während er vorgab, die Robbenfütterung zu verfolgen.
Er hatte versucht, Kjersti davon zu erzählen, aber sie hatte nur gelacht. »Du weißt, wie creepy das klingt, oder?«
Aus der Distanz betrachtet, mochte das stimmen, aber er konnte es nicht ändern. Irgendetwas berührte diese Frau, Alva, in ihm. Etwas Gutes, Heiles. Außerdem gab die Aussicht auf die Sonntage seiner Woche Struktur und sorgte dafür, dass er seinen Biss behielt. Er betrachtete sie als sein privates Incentive. Bis Sonntag das Fitnessprogramm wenigstens fünfmal durchziehen. Bis Sonntag herausfinden, ob es einen Bus in den Nachbarort gibt. Bis Sonntag höchstens zweimal Tiefkühlpizza essen. Die kleinen Dinge.
Wenn er sie bewältigt hatte, ging er am Wochenende in die Robbenstation und holte sich seine Dosis Frieden im Kopf ab. Das war der Deal, den er mit sich selbst abgeschlossen hatte, und Jo hielt sich an Deals, die er mit sich selbst schloss.
»Was macht das Geschäft?«, fragte er, um Kjersti von dem abzubringen, was er nicht besprechen wollte.
»Genau wie du vorausgesagt hast: Kurz vor dem Frühling ist eine gute Jahreszeit, um eine Fitness-App zu launchen. N’Core läuft gut an.«
»Also können wir tatsächlich damit rechnen, nach Plan irgendwann schwarze Zahlen zu schreiben, ja?«
»Im Moment liegen wir über den Erwartungen.«
Jo streckte sich. Sie hatten eine Menge in diese App investiert. »Hol dir einen Sekt. Wir stoßen an.«
»Ich hab schon mit Zayed angestoßen.«
»Verräter, der.« Jo lauschte seinen eigenen Worten. Sie klangen … normal. Entspannt. Wie etwas, das er früher gesagt hätte, als Zayed und er noch miteinander sprachen. Er zwang sich zu lächeln, normal und entspannt, während er sich hochrollte und mit dem Smartphone in der Hand zum Kühlschrank ging. »Ich kann auch mit mir selbst anstoßen.«
Kjersti ging nicht weiter auf das Thema ein. Während er Apfelschorle in eins seiner wenigen Gläser goss, sagte sie: »Norsk Glitter will ein Interview.«
»Ich gebe keine mehr.«
»Wir brauchen Norsk Glitter, Aki.«
»Jo«, sagte Jo scharf.
»Mist, entschuldige. Jo. Kannst du bitte trotzdem einsehen, dass ein Interview mit Norwegens größtem Klatschportal so gute Werbung ist, wie wir sie nie wieder bekommen?«
»Die werden kaum über unsere App mit mir reden wollen.«
»Dann dreh das Gespräch, das kannst du doch.«
»Ich überleg’s mir, okay?« Das klang gereizter als nötig. »Wie geht es Mama?«
Kjersti seufzte. »Das Übliche.«
»Wird sie eher versuchen, mir ihren neuen Online-Batikkurs schmackhaft zu machen, oder mit Selbstmord drohen, wenn ich sie anrufe?«
»Im Moment ist sie ganz gut drauf. Sie hat gerade etwas gefunden, für das sie brennt.«
»Was ist es?«
»Ein Buchprojekt zum Thema Seelenpartner.«
»Dunning und Kruger wären stolz auf sie.«
»Was?« Kjersti hörte sich abgelenkt an. Eine Tastatur klapperte. Wahrscheinlich kontrollierte sie gerade noch einmal die Abo-Verkäufe ihrer gemeinsamen Fitness-App.
»Dunning-Kruger-Effekt«, sagte Jo trotzdem. »Hat damit zu tun, dass sich besonders inkompetente Menschen in einem Bereich gern für ziemlich schlau halten.«
»Ach, das. Sei nicht so hart zu ihr, sie ist einfach so. Ruf sie mal an, ich glaube, sie würde sich freuen.«
Aber ich nicht, dachte Jo.
Nach dem Gespräch rief er Zayeds Nummer auf. Er starrte Zayeds Profilbild an, schloss das Fenster und schickte Kjersti ein Bild aus der Robbenstation, das er bei seinem ersten Besuch dort aufgenommen hatte. Dann zog er Sportkleidung an und ging laufen.
Die Wahrheit war: Er wollte kein Interview geben. Er wollte nicht mehr in der Öffentlichkeit stehen, sondern die Geister, die er gerufen hatte, endlich loswerden. Möglicherweise war ein gesponserter Segeltörn dafür nicht ganz das Richtige, zugegeben. Aber zu dem Zeitpunkt, als er den Vertrag unterschrieben hatte, hatte er einfach nach jedem Strohhalm gegriffen.
Beim Laufen kondensierte sein Atem vor ihm in der Luft, und er musste aufpassen, nicht auf gefrorenen Pfützen auszurutschen. Trotzdem taten seine Muskeln, was sie jahrelang trainiert hatten. Als Jo lange genug am Meeressaum hin und her gelaufen war, fühlte er sich warm und lebendig. Eigentlich war es okay, sein neues Leben. Ruhiger vielleicht, aber okay. Zum Runterkühlen trabte er langsam über den Hafenplatz. Sein Telefon vibrierte; es war wieder seine Schwester.
»Ist das auf deinem Bild die Frau mit der magischen Stimme?«
Ein magerer Dalmatiner schnüffelte an den Mülltonnen des heruntergekommenen Hauses am Rand des Platzes.
»Ja.« Jo ging in die Knie und streckte die Hand nach dem Hund aus – der sich prompt mit eingekniffenem Schwanz ein Stück entfernte. Na, dann nicht.
»Ich dachte, ich kriege ein Bild von den Seehunden.«
»Nächstes Mal bitte ich …«, er zögerte, und dann sprach er doch ihren Namen aus, »Alva, mal zur Seite zu rücken.« War dem Hund nicht kalt mit diesem dünnen Fell?
»Oder du wartest, bis die Fütterung vorbei ist.«
»Oder das.«
»Alva heißt sie?«
»Hmhm.«
Kjersti lachte in sich hinein. Sollte sie denken, was sie wollte.
Einer spontanen Idee folgend, änderte Jo seine Richtung. Er hatte keine Lust zum Kochen, aber es gab sogar in Lillehamn im Nichts ein Mittelding zwischen Fertigfraß und Selbstgekochtem. Vielleicht hatte der syrische Imbiss ja geöffnet.
Bevor er Jamal’s Place betrat, schlug er die beim Laufen hinuntergewehte Kapuze der Softshelljacke wieder hoch.
Eine Wand aus Wärme und Gewürzduft schlug ihm entgegen, aber es war nicht unangenehm. Mit einem einzigen Blick in den unspektakulären kleinen Raum hatte er vermutlich das Wesentliche gesehen. Drei Stehtische, eine Sitzecke, einen überdimensionierten Getränkekühlschrank und eine Bedientheke – alles in Neonlicht getaucht. An den orangefarben verputzten Wänden hingen goldgerahmte Bilder von Orten, die es nicht mehr gab. Außer ihm waren zwei Teenager die einzigen Gäste. Die beiden hielten an einem der Stehtische Händchen und nahmen kaum Notiz von ihm. Dafür leuchtete das Gesicht des walrossbärtigen Mannes hinter dem Tresen auf, als sei Jo sein seit Monaten verschollener, sehnsüchtig erwarteter Sohn.
Sicher. Wer tat das dieser Tage nicht – ihn sehnsüchtig erwarten? Trotzdem sorgte das Lächeln dafür, dass ihm nicht mehr ganz so kalt war. »Hei.« Er trat an den Tresen.
Eine halbe Stunde später verließ er den Imbiss wieder, satt, warm und um viele Geschichten aus Jamals Leben reicher. Die Großmutter in Damaskus, die dem Imbissbesitzer das Baklava-Rezept vererbt hatte, hätte Jo gern kennengelernt. Vielleicht würde er öfter herkommen, solange er in Lillehamn war. Jamal hatte ihm sogar noch eine Tüte voller Fischfrikadellen aufgenötigt, die er angeblich so spät am Nachmittag ohnehin nicht mehr verkaufen würde.
Jo hatte die Gabe angenommen und Jamal dafür umso mehr Trinkgeld gegeben. Er würde in den nächsten beiden Tagen also keine Pizza, sondern Fiskeboller zu Abend essen.
Der Hund von vorhin hatte sich in einer Ecke neben den Mülltonnen zusammengerollt. Hunde gingen doch von allein nach Hause, oder nicht? Der Wind war kalt, und das Pflaster musste eisig sein.
Wieder versuchte Jo, das Tier zu locken, doch das sah ihn nur müde an. Schließlich wickelte er die Fiskeboller aus der Alufolie, brach einen davon in kleine Stücke und legte sie auf den Bootssteg, wo sie nicht von den wenigen Sonntagabendautos platt gefahren werden konnten.
Bevor er vom Steg auf das Boot sprang, warf er noch einen Blick zurück. Der Hund reckte den Kopf in die Höhe und schnupperte.
Jo lächelte.
In der Kajüte nahm er das Telefon aus der Hosentasche, um es auf den Qi-Charger zu legen, und sah, dass es blinkte. Besonders viele Menschen hatten diese Telefonnummer nicht. Kjersti würde es kaum noch mal sein, und seine Mutter wartete immer, dass er anrief, nur um sich dann weinerlich zu beschweren, dass er es nicht täte. Also blieb bloß … Zayed.
Er sah aufs Display.
Es war nicht Zayed. Stattdessen meldete sich sein altes Leben in Form von Thore Janssen.
Ruf mal an, Alter.
Als hätten sie gestern zum letzten Mal gesprochen und nicht vor vier Monaten. Um Zeit zu gewinnen, verstaute Jo erst die Frikadellen im Kühlschrank, setzte Teewasser auf, duschte und zog sich um. In weicher Jogginghose und dicken Socken setzte er sich schließlich seitlich auf die schmale Sitzbank neben dem Ess-Wohnzimmer-alles-Tisch und zog die Beine hoch. Dann rief er seinen ehemaligen Teamkollegen an. »Hey.«
»Sitzt du?«
»Ja.«
»Hast du ein Bier?«
Jo betrachtete die dampfende Tasse neben sich. »Einen Pfefferminztee.«
»Reicht nicht«, sagte Thore. »Hol dir ein Bier. Oder besser noch Hartgas.«
»Was ist los?« Vor Jos geistigem Auge entfalteten sich tausend Möglichkeiten, was passiert sein könnte, keine davon attraktiv. »Sag nicht, Stig hört als Trainer auf, und ich soll sein Nachfolger werden.« Und auch nicht realistisch, geschweige denn witzig.
»Kalt.«
»Du hast ein Angebot von Paris Saint-Germain bekommen und gehst ohne mich?« Als er merkte, dass er nervös mit den Fingern auf der Tischplatte herumtrommelte, legte er die Hand flach neben die Tasse.
»Noch kälter«, sagte Thore. »Also, hast du jetzt endlich was zu trinken?«
»Ja.« Der Pfefferminztee dampfte noch.
»Okay. Also.« Jo sah fast vor sich, wie Thore in seinem Wohnzimmer auf und ab lief. »Ich dachte, es ist besser, ich sag’s dir, als wenn du es aus dem Internet erfährst. Sanna ist jetzt mit Martin zusammen. Sie wollen es morgen offiziell verkünden.«
Jo atmete aus. Joakim, das letzte Spiel ist nicht gut gelaufen für Ihre Mannschaft. Woran lag’s? – Nun, wir haben alles gegeben und gekämpft, aber das haben die anderen auch. Und am Ende hat es eben nicht gereicht. – Vor allem Ihre eigene Leistung könnten viele Fans als enttäuschend empfunden haben. Was haben Sie dazu zu sagen? Nichts. Nichts hatte er dazu zu sagen. Außer: »Okay.« Es klang sogar in seinen eigenen Ohren seltsam mechanisch.
»Tut mir echt leid, Mann.«
»Mit Sanna und mir, das ist schon seit einer Weile vorbei.« Falls überhaupt je wirklich was da gewesen war. Und dass sein Ego jetzt trotzdem das dringende Bedürfnis hatte, gegen die Bordwand zu schlagen, hatte hauptsächlich mit verletztem Stolz zu tun. »Danke, dass du mir Bescheid gesagt hast.«
»Und sonst?«, erkundigte Thore sich. »Alles fit?«
»Könnte besser nicht sein.«
»Ach Scheiße, Aki. War echt ’ne miese Nummer vom Vorstand, das Ganze.«
Jo schwieg. Er hasste das Lügengebäude, das sie um seinen Abschied vom Sport aufgebaut hatten. Thore war einer der wenigen, die wussten, dass er nicht freiwillig gegangen war, aber auch Thore kannte nicht die ganze Wahrheit. Wenn Jo im Vorstand gewesen wäre, er hätte sich auch gefeuert.
»Wenn ich was tun kann …«
Jo zwang sich ein Lächeln ins Gesicht. »Sei einfach nett zu Stig und den anderen. Und zu Martin.« Das Lächeln wurde ein bisschen verkrampft. »Es war meine eigene Entscheidung, auf dem Höhepunkt meiner Karriere aufzuhören.«
»Klingt beinahe nicht eingeübt.«
Jo betrachtete seinen Handrücken. Er hielt die Tasse inzwischen so fest, dass die Knöchel hell hervortraten. »Hör zu, ich hab gleich noch einen Termin.«
»Wenn du meinst …«
»Grüß deine Liebste und die Kinder.«
»Mach ich. Pass auf dich auf.«
Jo antwortete mit einem nichtssagenden Laut auf die Floskel und beendete das Gespräch.
Ausgetauscht.
Einfach so.
Die Wut brodelte ziellos in ihm herum und fand nichts, wogegen sie sich richten konnte. Eigentlich hatte er inzwischen gelernt, sie für sich zu nutzen, umzuwandeln in Ideen, Projekte, Erfolge. Uneigentlich starrte er jetzt blicklos gegen die Bordwand, wo der kleine Glücksbringer, den Zayeds Mutter ihm geschenkt hatte, im Rhythmus der Wellen hin und her schwang.
Er merkte, dass er die Kiefer aufeinandergepresst hatte, und lockerte sie nur mit Mühe. Ihm war so sehr danach, irgendetwas kaputt zu machen, dass er Kopfschmerzen davon bekam.
Nachdem sie eine halbe Stunde und drei mühsam absolvierte Segelscheinlektionen später immer noch hinter seinen Augen drückten, holte er sich eine Schmerztablette aus dem Badezimmerschrank.
Sanna und Martin also. Warum traf ihn das so?
Vielleicht übte Sanna in diesem Moment für den glückstrahlenden Livestream morgen – oder wie auch immer sie die Neuigkeit bekannt machen wollte. »Ich fand Martin ja immer schon interessant«, würde sie sagen. »Auch wenn er natürlich lange Zeit nur ein guter Freund war.« Und ein verdammter Auswechselspieler.
Jo ballte ein paarmal die Hände zu Fäusten und schüttelte sie aus. Die Sache war es nicht wert, dass er auch nur einen Gedanken an sie verschwendete, wirklich nicht. Schließlich hatte es auf sein Leben keinerlei Einfluss, mit wem Sanna jetzt zusammen war, es interessierte ihn nicht einmal wirklich. Also. Außerdem war es nicht so, dass er hier nichts zu tun hätte. Er rief die Website des neuen Offshore-Windparks auf, in den er zu investieren überlegte.
Prasseln auf dem Kajütendach lenkte ihn ab. Es klang anders als normaler Regen, kristallener. Ob der Hund noch dort draußen war, im Eisregen?
Falls ja, würde er das kaum lange überleben.
Kurz entschlossen schlüpfte Jo wieder in die Jeans, warf sich die wetterfeste Segeljacke über, ohne sie zu schließen, und ging mit einer Schüssel voller Fischbällchen hinaus auf den Steg. Die Portion, die er zuvor dort drapiert hatte, war verschwunden.
Zwischen Regen und Dunkelheit war der Hund nur als verschwommener, heller Fleck an der Hauswand zu erahnen. »Du bist ja immer noch da.« Jo blieb in sicherer Entfernung stehen, um den Hund nicht zu ängstigen, und warf ihm einen Leckerbissen zu, gerade so weit weg, dass sich das Tier bewegen musste, um ihn zu erreichen.
Der Hund reckte die Schnauze nach vorn.
»Na los, hol ihn dir.« Noch ein Fischbällchen, ein Stückchen näher an die neugierig zuckende schwarze Nase.
Der Hund kam nur mühsam auf die Beine. Entweder war er sehr alt oder krank oder beides. In jedem Fall war er völlig unterkühlt.
Jo ging in die Knie und lockte weiter. »Komm, du schaffst das. Ich tu dir nichts.«
Blitzschnell schnappte der Hund sich die beiden Fiskeboller und blieb dann unschlüssig stehen.
Jo fühlte, wie sich ein Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete. Er griff in die Schale.
Schwanzwedelnd sah der Hund ihn an.
Ohne ihn aus den Augen zu lassen, platzierte Jo eine weitere Frikadelle direkt vor sich auf den Boden.
Der Hund wurde mutiger. Schnell stakste er auf Jo zu, schnappte sich das Futter und schlang es hinunter.
»Gut so. Das machst du prima.« Ob er es wagen konnte, den Hund zu berühren? So aus der Nähe wirkte er nicht sehr verwildert. Jo legte sich das drittletzte Fischbällchen auf die flache Hand. »So, mein Junge, deine Chance auf eine warme Nacht. Traust du dich?«
Erstaunlich behutsam spitzte der Hund die Lippen. Es kitzelte, als die warme Hundeschnauze Jos eisige, nasse Haut berührte.
»Siehst du. Genau so.« Ganz langsam streckte er die Hand aus. Zu seiner Erleichterung zuckte der Hund nicht zurück, sondern ließ sich kraulen. Eindeutig war er an Menschen gewöhnt, auch wenn er kein Halsband trug. Vielleicht ein Bauernhofhund, der sich verlaufen hatte? »Wollen wir nach Hause gehen?«
Er hätte sich in den Hintern beißen können, dass er kein Seil mitgebracht hatte, um eine Art Leine daraus zu machen. Blieb nur zu hoffen, dass der Dalmatiner hungrig genug war, dem Duft aus der Schüssel zu folgen. Jo hielt sie noch einmal in Richtung Hundenase, dann ging er Schritt für Schritt in Richtung Boot, wobei er immer wieder einen vorsichtigen Blick über die rechte Schulter warf.
Der Hund zögerte und sah ihm hinterher.
Komm schon, dachte Jo. Wie nebenbei ließ er ein weiteres Fischbällchen fallen.
Und es funktionierte!
Der Hund folgte ihm.
Jetzt musste er ihn nur noch irgendwie dazu bewegen, mit auf die Jacht zu kommen. Wieder ließ er das Tier schnüffeln, dann sprang er hinüber. »Los, komm.«
Fiepend stand der Hund auf dem Steg. Der Regen wurde stärker, und Jo verfluchte sich dafür, die Jacke offen gelassen zu haben.
»Du schaffst das, da bin ich sicher.« Jo legte sich die vorletzte Frikadelle auf die Hand und hielt sie dem Hund hin. Die Schnauze wanderte nach vorn, Jo zog die Hand zurück. Wieder fiepte der Hund.
Zur Not würde er ihn hochheben müssen. Aber noch gab er nicht auf. Erneut bot er den Fisch an. »Los jetzt.«
Ob es der zunehmende Regen war, der den Hund dazu trieb, oder der Hunger, jedenfalls sprang er bei Jos nächstem Lockversuch mit einem Satz auf die Jacht. Auf dem nassen Kunststoff rutschte er aus, tapste unsicher herum, fing sich dann aber schnell wieder.
Triumphierend grinste Jo. »Siehst du. War gar nicht so schwer. Willkommen in meinem bescheidenen Zuhause.«
Der Hund folgte ihm anstandslos nach drinnen, und Jo spendierte den letzten Fischhappen. Mit großen schwarzen Augen sah der Hund ihn an. »Alle«, sagte Jo. »Nichts mehr da.« Morgen würde er im KiWi nicht nur neue Pizza, sondern auch Hundefutter kaufen müssen. Der Gedanke machte ihn seltsam froh, auch wenn ihm klar war, dass er den Hund als gefunden melden musste.
Er holte eins seiner Oslo-Elite-HK-Handtücher aus dem Bad und rubbelte sich Gesicht und Haare notdürftig trocken, wobei er beinahe über den Hund stolperte, der ihm so gut wie an den Fersen klebte. »Ich gehe nicht verloren. Ich will dich bloß auch gern abtrocknen. Du stinkst nämlich ziemlich nach nassem Hund.« Und wer weiß nach was noch allem.
Es war nicht ganz einfach, zwischen Herd und Tisch genug Platz zu finden. Beim Frottieren stellte Jo fest, dass der Hund ein Hundemädchen war und fast noch ein Welpe. Vielleicht doch kein Bauernhofhund, sondern ein Weihnachtsgeschenk, das aus Versehen zu groß geworden war oder sich nicht benommen hatte wie ein Stofftier? Nachdem die Hündin einigermaßen trocken war, wurde auch der Geruch etwas erträglicher. Jo ließ sich im Schneidersitz neben sie auf den Boden sinken. »Also. Ich bin Jo. Und du?«