– Kapitel 7 –
KAYDEN
»Zweihundertfünfzig Jahre Familiengeschichte«, verkündete Eldus Quinn mit ehrfürchtiger Stimme. Er deutete auf eine Doppelseite, die so eng beschrieben war, dass Kayden Mühe hatte, die Linien überhaupt als Schrift zu erkennen. Es mochten auch Ameisen mit Tinte an den Füßen darüber gelaufen sein. Und so weit reichte nicht einmal seine Ahnentafel zurück. Nur ein paar verwitterte Stelen in einer baufälligen Krypta. Hier aber hatte sich eine Familie über Generationen wirklich Mühe gegeben, ihr Andenken zu bewahren. Das verdiente zumindest Anerkennung.
»Aha«, murmelte Kayden, was Eldus aus dem Konzept brachte.
»Nun ja,« versuchte er, den Faden wieder aufzunehmen. »Ich will nicht prahlen, nein, das liegt mir fern, aber in diesem Wälzer stehen eine Menge kleiner Anmerkungen, die bestimmt der ein oder andere gern in die Finger bekommen würde. Schon als Kind habe ich es geliebt, wenn mein Vater mir davon erzählt hat. Von den ruhmreichen Quinns, die im Hintergrund mit Königen und Helden im Bunde gewesen waren. Immer auf der Seite des Guten, wie ich hinzufügen möchte. Eine Tradition, die keiner meiner Ahnen je durchbrochen hat, so schwierig die Lage auch gewesen sein mochte.« Gut, jetzt war Kayden beeindruckt.
Erneut ertönte der harte Klang von Hufeisen in der Gasse, schnell und laut auf dem Pflaster. Kayden hob den Kopf und lauschte. Wenn die vier Bengel aus
Des
Fischers Grab
irgendwo ihren Frust mit Rum betäubten, dann würde es nicht mehr lange dauern, bis die anderen »Fremden« davon Wind bekämen. Und verdammt, die würden ganz sicher Kehlen durchschneiden, wenn es sein musste. Die Jungen würden plappern, was das Zeug hielt. Von einem Nordmann, seinem ungewöhnlichen Schwert und von dessen Tischnachbarn, den sie glücklicherweise beim Namen kannten – Eldus Quinn.
Der hatte offenbar ähnliche Gedanken, dimmte die Laterne und blätterte hektisch in dem Buch.
»Ich habe das Schwert sofort erkannt, denn es ist meine Lieblingswaffe aus dem Großen Krieg«, brabbelte er und fand die Seite endlich. »Wir Quinns waren Kunstschmiede, Maler, Kalligrafen … Aber wir stellten auch Waffen her und damals, als sich die Dunkelheit das erste Mal regte, waren wir in Dukar ansässig und zwar Tür an Tür mit dem Haus der Feuerwirker. Beim Staub der Götter, was müssen das für aufregende, glorreiche Zeiten gewesen sein: Elementarwirker, magische Wesen, Drachen!«
Wachsmonster, Tod, Blut und noch mehr Blut
, fügte Kayden stumm hinzu. »Ein Krieg ist selten glorreich, Eldus. Glaub mir!«
Der Künstler nickte. »Verzeih, Kayden. Aber das waren die Geschichten, mit denen mein Vater mich in den Schlaf begleitet hat. Ich war nie ein Held. Und auch mein Vater war keiner. Nach dem Krieg ist meine Familie umhergezogen, bis es uns nach Eliandar verschlagen hat. Ich selbst wurde in Kalandria geboren.«
»Ihr hättet überall hingehen können«, sagte Kayden. »Mit eurem Wissen und euren Fertigkeiten.«
»Wir wollten so weit wie möglich von einem Ort entfernt sein – den Tothautlanden.«
»Verständlich. Aber nun sag mir, was ist so besonders an dem Schwert?«
Eldus fuhr mit dem Finger die Linien einer Skizze entlang, die erstaunlich realistisch Taidos schwarzes Schwert zeigte. Aus jedem Winkel war die düstere Waffe abgebildet, speziell die geheimen Zeichen auf der Klinge.
»Frag mich nicht, welche Legierung dafür benutzt wurde, das blieb ein Geheimnis des Schmieds. Aber ein Quinn ätzte die Zauberformel in die Klinge.«
»Ja, als ich es berührte, ordneten sich die Schriftzeichen neu und nur ich war noch in der Lage, es anzuheben«, bestätigte Kayden.
Ein wissendes Grinsen schlich sich in Eldus’ Mundwinkel. »Es gibt noch eine zweite Inschrift«, flüsterte er. »Aus guten Gründen wurde sie niemals im Buch abgebildet, aber ich weiß, was sie bedeutet.«
Mit einem leisen Schaben zog Kayden die Klinge aus der Scheide und die Augen des Künstlers leuchteten wie die eines Kindes, das einer Figur aus einem Märchenbuch begegnet.
Um besser sehen zu können, kniete sich der Nordmann mit dem Schwert neben Eldus und näher ans Licht.
Auf der Vorderseite prangten die Zeichen, welche sich verändert hatten, als Mooley es ihm überreicht und Kayden es zum ersten Mal in die Hand genommen hatte. Jedoch auf der anderen Seite – nichts. Auf dem flammenförmigen Parierschutz – nichts. Neben ihm gab Eldus ein enttäuschtes Knirschen von sich.
»Das verstehe ich jetzt nicht.« Er kramte ein Vergrößerungsglas aus seinem Mantel und inspizierte das dunkle Metall vom Knauf bis zur Spitze. »Mein Vater erzählte mir davon, immer wieder. Die Zauberin Meridiem und Taido wollten vorbereitet sein. Sie wob die Lichtglyphen, welche dann in das Schwert geätzt werden sollten.«
»Meridiem?«, horchte Kayden auf. »Beim
stolpernden Wanderer
. Wenn sie ihre sonnigen Finger im Spiel hatte, dann gute Nacht.«
»Du kennst sie? Du meine Güte!«, entfuhr es dem Mann. Er nahm ein wenig Abstand von Kayden, weil es wohl zu viel leibhaftig gewordene Geschichte auf einmal war.
»Flüchtig«, gab der Nordmann zu. »Aber wenn jemand einen Weg gefunden hat, die Schrift auf dieser ungewöhnlichen Klinge zu verbergen, dann sie! Du sagst, du kennst die Bedeutung der beiden Inschriften?« Eldus’ Lächeln kehrte zurück. Er schloss versonnen die Augen, als hörte er die Stimme seines Vaters, während er unter einer warmen Decke lag.
»Die auf der Klinge besagt:
Im Tanz der Sterne wirst du es finden.
«
,
zitierte er leise. »Die anderen, unsichtbaren Glyphen bedeuten hingegen:
Die Hände aus Feuer erheben das Licht.
«
Er blickte Kayden ratlos an, weil dieser ihn anschaute, als hätte Eldus ihm gerade das Wetter für den morgigen Tag prophezeit. Dann deutete er wieder auf das Schwert. »Vielleicht sind sie auf dem Griff? Immerhin ist er mit Draht ummantelt«, schlug er vor.
In diesem Moment flirrte der Ruf eines Kauzes durch die Gasse und Kayden schoss in die Höhe.
»Was ist denn?«, fragte Quinn. »Das war doch nur ein Vogel.«
»Nur ein Vogel?«, zischte der Feuerkrieger. »Eure Stadt ist so tot wie ein Schiffsnagel. Das war ein Waldkauz. Gibt es in diesem beschissenen Viertel etwa einen Wald? Vielleicht hat sich das Vieh verflogen, hm?« Jetzt wurde Eldus blass. »Die stimmen dort draußen ihre Taktik ab. Gibt
es hier ein Versteck für Notfälle?«
Hektisch und mit panischem Blick drehte Quinn den Kopf zur Gittertür, dann entlang der vielen Kisten und Bilder und schließlich sah er Kayden hilfesuchend an. »Die werden doch wohl kein Feuer legen, oder?«
»Nicht solange sie denken, dass ich ebenfalls anwesend bin, hoffe ich.«
»Drei Tage. Nur noch drei klitzekleine Tage.« Eldus schob eine Truhe aus dem Weg, duckte sich unter einem Balken hinweg und verschwand in einem dunklen Gang, der tiefer in sein Atelier führte. »Ich habe mir ein Schiff gekauft«, fuhr er fort. »In drei Tagen wird es hier sein. Dann verlade ich meine Habseligkeiten und verlasse diesen Ort.«
Kayden nahm die Laterne und folgte ihm. »Ein Schiff? Hat dieses Kaff überhaupt einen Hafen? Ich habe keinen gesehen.«
Eldus lugte unter die Wachsplane eines Gemäldes und schnaufte frustriert. »Er wurde in den letzten Jahren mehrmals überflutet, also gab man ihn auf«, erklärte er. »Ich werde ein Stück die Küste hinaufreiten und es dort in Empfang nehmen. So ist es abgemacht. Einen Karren für meine Kisten habe ich auch schon gemietet.« Er streckte sich, zog an einem alten eisernen Kerzenhalter an der Wand und zu ihren Füßen hob sich der Boden ein Stück an. »Das war einer der Gründe damals, dieses Haus zu kaufen. Es hat einen großen Keller, der tief unter die Klippen gehämmert wurde. Die wichtigsten Stücke meiner Familie sind dort gelagert. Es gibt sogar ein Belüftungsrohr, irgendwo. Frag mich nicht!« Er hob die Luke an, nahm die Laterne entgegen und stieg die rauen Stufen hinab. Dann hielt er inne und blickte hoch. »Willst du nicht mitkommen? Dort unten ist es sicher. Ist man erst einmal drin, kann man nur noch von innen die Verriegelung lösen!«
Einen Moment lang rang Kayden mit sich. Die ganze Sache auszusitzen, hatte etwas für sich. Doch es lag ihm nicht, sich ständig umzuschauen, ob jemand hinter einem Busch lauerte. Das war schlecht für den Nacken.
»Mach es gut, Eldus Quinn. Segle fort und soweit nach Süden wie möglich!«
Der Künstler seufzte. »Jenseits des
Endlosen Blaus
soll es Inseln geben. Mein Vater hat mir davon erzählt. Dahin will ich gehen. Endlich selbst ein Abenteuer erleben.« Kayden bückte sich und die beiden gaben sich die Hände zum Abschied.
»Gib auf dich acht, Eldus.«
»Du auch, Kayden, Feuerkrieger.« In dem roten Bart erschien ein wehmütiges Lächeln. Bestimmt hatte der Mann sich noch auf ein paar gute Geschichten gefreut.
»Die Inschriften. Sag sie mir noch einmal! Nur damit ich keinen Mist baue, falls es wichtig sein sollte.«
»
Im Tanz der Sterne wirst du es finden.
«
,
wisperte Quinn. »
Die Hände aus Feuer erheben das Licht.
«
»Danke. Und nun ab mit dir. Kopf unten halten und erst morgen früh nach dem Rechten sehen. Ist gesünder.«
»Was wirst du jetzt tun?«, fragte Eldus noch, während er Kayden half, die Luke zu schließen.
»Hm. So wie immer, schätze ich. Rein ins Getümmel und überrascht sein, dass man am Ende noch aufrecht steht.«
***
Die Luft schmeckte anders, wenn Gewalt sich anschlich. Intensiver und auf eine beruhigende Art vertraut. Denn Kayden kannte diesen Duft. Männer, die auf Blut aus waren, atmeten anders, rochen anders. Und die Umgebung schien diese Veränderung in sich aufzunehmen – wie ein Zuschauer, der begierig vor einem Bühnenvorhang hockte.
Er trat auf die kleine, von einer hohen Mauer umfasste Terrasse, die zu Edlus’ Haus gehörte, und schnupperte. Ja, da war sie! Eine Note von Pferdeschweiß, Stahl und Waffenfett, die sich aus dem Schneeregen reckte.
Neun zu eins! Keine besonders gute Quote. Ob die Frau dabei war, die ihn vom Dach des Windturms von Dukar ins Visier genommen hatte? Er hoffte es nicht, denn sein Bauch sagte ihm, dass Marvellus Pentas Schwester schon vor langer Zeit dem
dunklen Durst
verfallen war.
Eine weitere Frage war, ob sie Kayden lebend oder tot haben wollten. Mit beiden Möglichkeiten käme er zurecht, aber sie würden verschiedene Herangehensweisen bedeuten. Er musste lediglich in einem Stück die
Strahlenden Türme
erreichen. Wer dabei von den anderen dem
Wanderer
die staubigen Sandalen knutschte, war ihm einerlei. Am besten alle. Dann hätte sich das mit dem steifen Nacken vorerst erledigt.
Er nahm auch nicht an, dass seine Gegner davon ausgingen, Kayden
würde zur Vordertür heraus spazieren. Also hatten sie sich vermutlich in den Seitengassen positioniert. Mindestens einen vermutete er auf dem Dach, damit dieser den Überblick behielt. Pech für ihn.
Mit Kraft und etwas Schwung hievte sich Kayden über die Mauer, blieb in ihrem Schatten hocken und sah sich um. Eine ziemlich wackelige Holztreppe führte zu einem Anbau des Nachbarhauses hinauf, auf dem ein kleiner Verschlag stand, in welchem die Bewohner wohl einst Tauben gehalten hatten. Nirgendwo brannte Licht. Das Haus schien verlassen und Kayden prüfte die untersten Stufen, ob sie sein Nordmann-Gewicht aushielten. Sie schmatzten ein wenig unwillig, aber er schaffte es ohne Schwierigkeiten nach oben. Vorsichtig linste er an einem Erker vorbei und sah, dass sich zwei Häuser weiter eine Gestalt hinter den Treppengiebeln verschanzt hatte, eine Armbrust im Anschlag.
Es dauerte, sich anzupirschen, aber endlich war Kayden unterhalb des Spähers und zog sich langsam und auf Halt bedacht einen Balkon hinauf, der nach hinten ausgerichtet war. Mit klammen Fingern prüfte er, ob die Dachkante brüchig war. War sie nicht. Vorsichtshalber stellte er sich auf das eiserne Geländer, um möglichst schnell auf das nur leicht abfallende Dach steigen zu können. Geschafft! Er beruhigte sich einen Moment und war froh um den Regen, der überall leise tropfte und gurgelte. Wenn sich der Kerl jetzt umdrehte, könnte ihn womöglich nur noch ein beherzter Frontalangriff retten. Seine Pranke legte sich um dessen Mund und Nase, ein kurzes, erschrockenes Zucken, dann war es vorbei. Genickbruch. Schlaff sank der Körper in sich zusammen, rutschte ein Stück und blieb dann liegen. Kayden sah nicht nach, wen er da gerade getötet hatte. Er nahm die Armbrust, hob leicht den Kopf über den Giebel und machte das, was er in Brandawik ebenfalls gelernt hatte: Er ahmte einen Waldkauz nach, jedoch eine Nuance anders.
Gegenüber, in einem dunklen Spalt zwischen zwei Hauswänden, trat ein verhüllter Mann hervor, schaute zu ihm nach oben und machte eine Geste, was denn dieser Ruf nun bedeuten sollte. Mehr gab es nicht zu diskutieren, weil Kaydens Armbrustbolzen ihn mitten in den Hals traf. Der Aufprall riss den Kerl von den Füßen und schleuderte ihn zurück in sein Versteck.
Da waren es nur noch sieben.
***
Mann Nummer Drei erwischte er am Ende der Gasse. Kayden hatte sich durch die engen Hinterhöfe gedrängt und den Kerl dort mit einer Lanze stehen sehen, mit der normalerweise Wale harpuniert wurden. Er warf den Toten samt Lanze über eine Mauer und überlegte, ab wann er den offenen Kampf suchen könnte, ohne im Nachteil zu sein. Zudem war die Sehne der Armbrust gerissen, also ließ er die Waffe ebenfalls zurück. Er musste die Bande herauslocken, sonst lief er noch bis zum Morgen durch die Stadt, um jeden von ihnen aufzuspüren. Plötzlich aber hielt er inne. Eine Harpune? Dann waren sie nicht ausschließlich hinter ihm her, sondern wollten den Drachen gleich mit erledigen. Sie wussten also, dass er nicht allein gekommen war. Hatten Schiffe ihn gesichtet und war diese Nachricht dann bei Shizari gelandet? Ach, beim
tückischen Wanderer
! Er war müde ob der Fallen, die sie auslegte. Kayden war ein Mann, der die Dinge gern sofort klärte, egal wie sie endeten. Wenigstens konnte man dann weitermachen, was auch immer gerade anlag. Also traf er eine Entscheidung.
Und so flitzte ein Nordmann durch die finsteren Gassen, als hätte die Sturmgöttin persönlich eine Rechnung mit ihm offen. Kayden spurtete, setzte über Zäune hinweg, trampelte über Kräuterbeete oder Abfall, schlug Haken wie ein Hase, nächste Gasse, nächste Mauer – überall blieb er stehen und ahmte jeden Piepmatz nach, den er aus den Bergen Brandawiks kannte, inklusive sämtlicher Seevögel. Bald schon vernahm er Rufe von den Männern, die jede Tarnung sausen ließen, und Chaos entstand. Echos von rennenden Stiefeln hallten und es wurde zunehmend geflucht, als den Fremden klar wurde, dass ihre Truppe bereits erheblich geschrumpft war.
Nummer Vier prallte mit Kayden zusammen, als dieser nahe des Markplatzes um eine Ecke bog. Im Gegensatz zu dem nach ranzigem Öl stinkenden Kerl, der nicht wissen konnte, ob Freund oder Feind vor ihm stand, brauchte der Nordmann keinen zweiten Herzschlag, um seine Flammenklinge in dessen Rippen zu stoßen. Ein erstickter Laut, ein hohles Brabbeln, aus.
Fünf zu eins.
Doch dann fiel er auf den ältesten Trick der Welt herein: den panischen Hilferuf einer Frau. Äußerst beliebt bei Beutelschneidern in Skander. Kaum hatte Kayden zwei Schritte auf den Marktplatz getan und den Kopf nach Westen gewandt, wo der Schrei seinen Ursprung hatte, als
ihn etwas mit der Wucht eines Rammbocks traf und zu Fall brachte. Das Schwert wurde aus seiner Scheide geschleudert und schlitterte über den nassen Kopfstein. Seine linke Seite schmerzte erst und wurde dann taub. Über der Augenbraue fühlte er Blut die Schläfe hinunterlaufen, weil er mit dem Schädel auf den Boden geschlagen war. Die Schuppe hatte seine Rippen geschützt. Doch auch sie konnte nicht überall zugleich sein. Das wusste er aus Erfahrung.
Schnelle Schritte näherten sich. Jemand rief: »Du hast meinen Bruder getötet, du Drecksack!« Ein anderer brüllte: »Das Schwert gehört mir! Es gehört mir!«
Kayden hatte nicht oft am Boden gelegen, wenn er in den Blutkreis von Brandawik gegangen war oder in eine der unzähligen Tavernen an der Küste der Fjeld. Eines aber besaß jeder Soldat: Überlebensinstinkt und die jahrelange Routine, diesen mit aller Gewalt umzusetzen. Er ignorierte das taube Bein, drehte sich schlagartig auf die Seite, wobei der Mann, der ihn umgeworfen hatte, aus dem Gleichgewicht kam. Der Wichser musste mehr als das Doppelte wiegen wie Kayden, denn es war ihm unmöglich, den Fettsack abzuwerfen. Stattdessen tat er das, was in einem Nahkampf schon oft seine Haut gerettet hatte: Er vertraute auf die Kraft seiner Schwerthand. Wer jahrelang dadurch überlebte, dass er etwas festhielt, ob den Griff eines Speers, eines Schwerts oder eines Taus, der wusste, wie man zudrückte. Und das tat er.
Er packte den Mann am Hals und sämtliche Kraft, die er besaß, floss in die Hand. Es war ein dicker Hals, aber Kayden hatte die Pranken eines Nordmanns. Von einer Sekunde zur anderen wendete sich das Blatt. Denn eines bereitete allen Kämpfern Panik, wenn sie ohnehin schon außer Atem waren: nämlich gar keine Luft mehr zu bekommen. Röchelnd bog der Gegner sich durch, reckte den Kopf in den Nachthimmel. Genug Platz, um ihm mit einem Hieb den Kehlkopf zu zertrümmern. Endlich frei, versuchte Kayden aufzustehen, doch sein linkes Bein wollte nicht. Da sah er, dass der Mann eine Art dünne Rüstung trug, die von winzigen Stacheln übersät war. Und einer davon hatte sich unterhalb seiner Hüfte in seine Haut gebohrt. Verflucht! Mit hektischem Blick suchte er einen Fluchtweg. Humpelnd lief er los, zog das Bein nach und rief im Geiste nach Kasai. Der Kerl, der sein Schwert haben wollte, versuchte noch immer, es aufzuheben – ohne Erfolg. Kayden verpasste ihm einen Schlag von oben in den Nacken, bekam
irgendwie die Klinge zu fassen und schlurfte schnell weiter. Hinter ihm nahmen sie die Verfolgung auf. Er sah eine dunkle Gasse, schwarz wie der Eingang in die Unterwelt, und warf sich ihr entgegen. Da spürte er es: Seine Schuppe erwachte und das konnte nur eines bedeuten. Er wagte einen Blick über die Schulter. Drei Mann waren ihm auf den Fersen und dahinter sah er jemanden auf einem Ungeheuer sitzen, eine hässlich große Armbrust im Anschlag. Endlich aber vernahm er das Rauschen von Flügeln. Der Drache setzte mit Wucht auf dem Pflaster auf.
Mein Feuer brennt!,
hörte er Kasai knurren.
Der Nordmann sah, wie der Drache die Kiefer aufriss. Eine helle Glut sammelte sich in dessen Rachen. Kayden humpelte los, mitten hinein, wobei er fiel und sich taumelnd um die eigene Achse drehte.
Die Feuerwand gloste durch die Gasse. Kayden ruderte mit den Armen, als wollte er darin schwimmen gehen, doch genau mit dieser Bewegung lenkte er den feurigen Atem an sich vorbei. Die Flammen bogen sich um ihn herum wie Wasser um einen Flussfelsen, nur um sich dahinter wieder zu vereinen. Die armen Wichte waren einen Herzschlag lang schreiende Schattenrisse, dann Asche. Kayden erkannte noch, wie etwas auf ihn zu sauste. Ein langer Speer mit vier Klauen vorn an der Spitze, dessen Ende mit einem schwarzen Seil verbunden war. Er hörte Kasai aufbrüllen und verlor endgültig den Halt.
Dann war da nichts mehr, außer seinem Körper, der in eine flüsternde, allumfassende Finsternis tauchte.