– Kapitel 22 –
AIRA
Der Erdstein unterschied sich nur durch seine Farbe von dem Lichtsplitter, den Aira bereits in ihrem Medaillon um den Hals trug. Über die Jahrhunderte hinweg hatte er das Silbergrau der nördlichen Berge in sich aufgesogen, doch der Glanz, der von ihm ausging, war dennoch ungebrochen. Mit zitternden Fingern öffnete Aira den Mechanismus und hielt Waris das Amulett entgegen. Für einen Moment stand die Numar nur stocksteif da, den Blick so begehrlich auf den Splitter in ihrer Hand gerichtet, dass es beinahe so wirkte, als wollte sie ihn nicht hergeben. Dann jedoch streckte sie langsam die Hand aus und steckte das blütenförmige Gebilde in die dafür vorgesehene Aussparung. Es passte so genau hinein, als hätte ein talentierter Goldschmied seine Form zu Anbeginn der Zeit behauen. Zusammen mit dem Windstein und der schwarzen Perle bildete er nun ein halbes Auge mit einer Pupille in der Mitte.
Beeindruckt starrte Waris darauf. »Was das?«, fragte sie, wobei sie mit dem Zeigefinger auf die Perle deutete.
»Ich glaube kaum, dass es eine Bedeutung hat«, antwortete Aira. »Es scheint mir nur eine Zierde zu sein.«
»Zierde?« Ein solches Wort schien die Numar noch nie gehört zu haben. Vermutlich gab es derlei Tand in ihrer Kultur überhaupt nicht.
»Ein Schmuck, verstehst du? Einst waren die Splitter das Auge der hellen Macht. Und wir Menschen stellen uns ein Auge nun mal mit einer Pupille vor. Also hat derjenige, der das Medaillon gefertigt hat, die Perle als Platzhalter eingesetzt.«
»Das dumm!«, befand Waris. »Warum Dinge anders darstellen, als sind?«
»Womöglich war es ein Künstler aus Jandor«, seufzte Aira. Dann klappte sie das Medaillon wieder zu und legte ihrer Begleiterin beide
Hände auf die Schultern. »Du hast uns und deinem Volk einen großen Dienst erwiesen. Erzähl, wie du ihn gefunden hast!«
»Er gefangen in Höhle«, berichtete Waris. »Steckte in Stein fest. Ich ihn gelöst mit Erdwirkerkraft …« Sie brach ab und sah irritiert auf Klecks hinab.
Aira folgte ihrem Blick und nun bemerkte auch sie eine dicke Träne über die flauschigen Wangen des kleinen Fuchses kullern. »Was ist los? Warum weinst du?«, fragte sie entsetzt. Eigentlich sollte doch alles gut sein. Sie hatten den Lichtsplitter gefunden und niemand war verletzt oder gar zu Tode gekommen. Wenn überhaupt, war das ein Grund für Freudentränen. Doch der Gesichtsausdruck des Fuchsmädchens sprach eher von Trauer, Ungewissheit und Angst.
»Ich … weiß es selbst nicht«, fiepste Klecks. »Auf einmal bricht alles aus mir heraus … das Eingesperrtsein bei den Fjeld, die Angst um Kayden … und gerade eben habe ich geglaubt, Waris käme nie mehr aus der Höhle heraus.«
Es gab nicht viele Momente wie diesen, in denen zutage trat, dass Klecks trotz ihrer zweiundneunzig Lebensjahre immer noch ein Kind war oder zumindest den empfindsamen Geist eines solchen besaß. Mitfühlend kniete Aira sich hin und nahm sie in die Arme, woraufhin das Fuchsmädchen erst recht in Tränen ausbrach. Die Schnauze tief in Airas Schulter vergraben, ließ sie sich das Rückenfell kraulen und schluchzte dabei vor sich hin. Eine ganze Weile saßen sie so da, bis Waris sich schließlich aus ihrer Starre löste und zu Kiesel hinüber schlenderte, als ginge sie das alles nichts an. Anklagend starrte Aira ihr hinterher. »Einfühlungsvermögen ist nicht gerade deine Stärke, was?«
Anstelle einer Antwort schwang Waris sich einfach auf den Rücken des Gargoyles. Erst nachdem sie ihre Flugposition eingenommen hatte, ließ sie sich noch einmal dazu herab, einen Blick an Klecks zu verschwenden. Ihre Worte stachen wie Messer in Airas Herz. »Meine Stärke: Wissen, wann jemand lügt! Fuchs hat Geheimnisse.«
***
Der Flug nach Eliandar verlief äußerst einsilbig. Wie schon beim Hinflug saß Waris hinten, hielt nach allen Seiten Ausschau und beschäftigte sich abwechselnd damit, ihr Messer zu wetzen und sich in Schweigen zu üben.
Auch Klecks war auffallend ruhig, was Aira darauf zurückführte, dass sie unter der Anschuldigung der Numar litt. Je länger das Fuchsmädchen aber vor sich hin seufzte, ohne sich auch nur ansatzweise zu verteidigen, desto seltsamer kam ihr Verhalten auch der Prinzessin vor. Sie dachte an Orcas, dessen letzte Worte Klecks gegolten hatten, an deren eigene Aussage, diese Gespräche mit dem obersten Wirker würden sie traurig machen, und nicht zuletzt an den Tag, als der Hornvogel Shenoa sich vor ihr verbeugt hatte. All diese Momente waren für sich allein betrachtet nicht spektakulär genug, um die Anwesenheit von Klecks grundsätzlich zu hinterfragen. Aber wenn man sie in Summe betrachtete, dann lag tatsächlich der Verdacht nahe, dass sie irgendetwas wusste, was sie niemandem sagen wollte. Und es war nichts Gutes.
Warum hatte Meridiem das Fuchsmädchen noch mal als Kaydens Begleitung auserkoren? Weil sie ihn unterhalten sollte? Einen sturen Nordmann, der mit Gesellschaft so viel anfangen konnte wie ein Dornenhai mit einem Schwarm plappernder Makrelen? Wenn man es genau nahm, war Klecks die ganze Zeit über ein Ballast für ihn gewesen – ein äußerst liebreizender Ballast, den man gerne auf sich nahm. Aber das änderte nichts an der Tatsache, dass es keinen vernünftigen Grund gab, ein Wesen wie sie auf diese Reise mitzuschicken.
All das schwirrte Aira durch den Kopf, während sie gen Westen flogen, doch sie stellte keine ihrer vielen Fragen. Falls Klecks wirklich ein Geheimnis hütete, dann würde sie es sich nicht entlocken lassen. Nicht jetzt, wo die Stimmung trübe und die Numar hinter ihnen derart schlecht gelaunt war. Womöglich sah die Sache anders aus, wenn sie Kayden gefunden hatten. Ja, dann würde alles anders aussehen! Airas Herz klopfte, wenn sie sich vorstellte, ihre Nase in seiner Halsbeuge zu vergraben und den unwiderstehlichen Duft nach sonnenwarmer Eichenrinde einzuatmen, den er verströmte. Die immerwährende Glut hingegen sandte ihr andere Botschaften, so oft sie auch den Deckel öffnete und daran schnupperte. Mit jeder Stunde, die sie Eliandar näher kamen, schien der Gestank der Dunkelheit zuzunehmen und das orangefarbene Glimmen der Glutbrocken schwächer zu werden.
Kiesel flog an der nördlichen Küstenlinie entlang, die einen perfekten Orientierungspunkt bot. Zudem bekamen sie so einen Überblick über das bisherige Ausmaß von Shizaris Kriegstreiberei: Insgesamt fast achtzig Schiffe aus Ravan zählte Aira, noch ehe sie die Grenze zum Königreich
Numar passierten. Dort jedoch war Schluss. Alles sah danach aus, als hätte Elk Wolfshall seine Flotte einzig zu dem Zweck ausgeschickt, die Fjeld zu umzingeln. An die Numar hatte er sich entweder nicht herangewagt oder er rechnete fest damit, dass sie sich aus dem Krieg heraushalten würden, so wie sie es vor zweihundert Jahren getan hatten.
Der frühe Nachmittag war bereits angebrochen, als sie die ausgefranste Küste Eliandars erreichten, die schon bald nach Süden abfiel. Sie mussten ihr nur weiter folgen, dann würden sie abends in der Hauptstadt Kalandria ankommen, auf die Kayden damals Kurs genommen hatte. Ob er immer noch dort weilte oder mittlerweile zu den
Strahlenden Türmen
weitergereist war, wusste niemand. Aber dies war die einzige Spur, der sie folgen konnten.
Die schroffen Küsten wurden schließlich von einem sanfteren Abschnitt abgelöst. Wanderdünen hatten sich dort ausgebreitet und ganze Landstriche mit der Gefräßigkeit Abermillionen winziger Sandkörner verschlungen. Eine Weile starrten sie alle nach unten und versuchten, sich auszumalen, was wohl unter den Dünen begraben lag, dann jedoch zog ein Berggipfel im Landesinneren Airas Blick auf sich. Er war kegelförmig wie ein Vulkan und so hoch, dass sein schneebedeckter Gipfel beinahe die Wolken berührte. Es musste der Malaj sein – jener Berg, auf dem Neera den ersten Lichtsplitter gefunden hatte.
Ach Mutter, wärst du nur hier und könntest mir helfen! Ich vermisse deinen Ratschlag und die Wärme deiner Hände.
Auf einmal ging ein Ruck durch Waris’ Körper hinter ihr und Aira zuckte unwillkürlich ebenfalls zusammen.
»Was ist los? Hast du etwas gesehen?«
»Da! Drache!« Aufgeregt wies die Numar mit dem Finger nach unten auf die Wanderdünen.
Aira konnte beim besten Willen nichts erkennen. »Wo denn? Ich sehe nichts!«
»Du blind!«, schimpfte Waris. »Genau dort. In Sand vergraben!«
»Ich erkenne ihn auch«, warf Kiesel in jenem mürrischen Tonfall ein, den er immer benutzte, wenn es um Drachen ging. »Hat wohl gedacht, er könnte uns zum Narren halten. Aber es liegt nicht genug von dem Zeug über ihm. Ich kann genau seine Umrisse erkennen.«
»Ist es Kasai?«, fragte Aira bang.
»Womöglich. Die Form erinnert an einen Meerdrachen.«
Der Gargoyle ließ sich tiefer sinken und wenig später landeten sie auf der entsprechenden Düne, nur knapp von dem Sandhügel entfernt, den Waris und Kiesel als eingegrabenen Drachenleib bezeichneten. Noch immer konnte Aira nicht glauben, dass sich ein derart riesiges Tier auf diese Weise versteckte.
»Kasai?«, rief sie zögerlich. Keine Reaktion.
Der Gargoyle stampfte ein paarmal mit seinen Pranken, doch außer einer enormen Sandaufwirbelung passierte gar nichts. Auch Klecks, die sogleich mit beiden Vorderpfoten zu buddeln begann, musste sich geschlagen geben, da ihr Loch vollständig in sich zusammenstürzte, sobald sie eine Elle tief gegraben hatte.
»Kann es sein, dass er schläft?«, wandte Aira sich an Waris.
»Oder es ist gar nicht Kasai«, vermutete Klecks.
Waris sagte kein Wort. Den Blick auf die Düne gerichtet, stand sie regungslos da und obgleich sie einen bestimmten Punkt im Sand fixierte, wirkte es so, als würde sie ins Nichts starren. Aira erinnerte sich daran, dass die Numar der Sprache der Drachen mächtig waren. Kayden hatte sie sogar einmal als
Schuppenzungen
bezeichnet. War es möglich, dass sie bereits Kontakt mit dem verborgenen Untier aufgenommen hatte?
Nur wenige Augenblicke später stellte sich heraus, dass genau das der Fall war.
»Sprechen schwer. Verbindung zu neu«, eröffnete Waris ihr. »Drache stur, genau wie Feuerwirker. Ich ihn jetzt ärgern muss.«
»Ooooh, keine gute Idee!«, stieß Kiesel hervor.
»Du willst ihn
ärgern
?« Auch Aira war bei diesem Gedanken ganz und gar unwohl zumute.
»Decke wegziehen. Dann Schluss mit Versteckspiel.«
Einen weiteren Widerspruch ließ die Numar nicht zu. Noch ehe ihre Gefährten sich außer Reichweite bringen konnten, vollführte sie eine wischende Bewegung mit ihrer rechten Hand, woraufhin die Sandmassen der Düne auseinanderstoben. Die Vehemenz, mit der dies geschah, beeindruckte sogar Aira. Denn obgleich kein Wind im Spiel war, entfachte die Erdwirkerin durch ihr Element einen wahren Sturm – einfach indem sie die Sandkörner zum Tanzen brachte. Eines nach dem anderen erhob sich in die Lüfte und segelte davon. Zurück blieb eine Kuhle mit einem eingerollten permuttfarbenen Leib darin, an dem sich
keine einzige Schuppe bewegte. Auf seinem Rücken trug er noch immer den Sattel und in einem der Gurte steckte Kaydens Schwert. Der Schild jedoch fehlte. Ganz eindeutig: Das war Kasai.
Aira rieb sich den Sand aus den Augen. »Er sieht aus wie … tot!«
»Nein. Er überlegen, ob mich fressen oder nicht.«
»Dann rede mit ihm! Er ist intelligent. Kayden und er haben ganz normal kommuniziert.«
»Verbindung brauchen Zeit. Erste Begegnung schwer.«
Damit konnte sie recht haben. Auch Kayden hatte beim ersten Zusammentreffen mit dem Drachen um sein Leben gefürchtet. Es waren seltsame Wesen, deren Denkweise Aira ganz und gar nicht verstand.
Dann ging plötzlich alles ganz schnell. Kasai öffnete seine Augen und Aira sah, wie die senkrecht stehenden Pupillen sich in seinen hellgrünen Iriden zusammenzogen. Seine beeindruckenden Lefzen wanderten nach oben und einen Wimpernschlag später war er aufgesprungen. Kaskaden von Sandbächen liefen über seinen Körper, während er seinen langen Hals grollend nach Waris ausstreckte. Er riss das Maul auf, die Nüstern weit gebläht, und präsentierte eine Reihe verflucht scharfer Zähne. Selten zuvor hatte Aira eine solch archaische Wut bei einem Wesen gesehen. Es sah so aus, als würde der Meerdrache die Numar im nächsten Moment einfach verschlingen.
Waris jedoch stand wie ein Baum. Falls sie Angst hatte, war ihr das nicht anzumerken – kein Zittern, kein Zurückweichen, nicht einmal das kleinste Zucken ihrer Lider war zu erkennen. Sie schien immer noch in aller Ruhe an ihrer inneren Verbindung zu arbeiten – und das obwohl Kasais mächtiger Kiefer nur eine Handbreit vor ihrem Gesicht schwebte.
Drache und Frau starrten einander an, taxierten sich, atmeten die Luft ein, die der andere ausstieß. Allein der Anblick der beiden raubte Aira den Atem. Schließlich ließ Kasai einen Schwall Ruß aus seinem Rachen auf Waris niedergehen, hob seine mächtigen Flügel zum Himmel und flog einfach davon.
Aira atmete auf, doch gleichzeitig breitete sich Enttäuschung über ihr Herz.
»Na, das kann ja noch heiter werden«, brummte Kiesel.
Die Numar schwieg. Mit unergründlicher Miene ließ sie sich zu Boden sinken und griff mit beiden Händen in den Sand der Düne. Was auch immer Mutter Erde ihr dabei mitteilte – es schien etwas Hoffnungsvolles
zu sein. »Wir warten«, teilte sie ihnen schließlich mit. »Drache suchen.«
»Wen sucht er? Kayden?«, platzte Klecks heraus.
Waris nickte. »Er gesagt Feuer. Und Wasser. Sprache schwer.«
Keiner von ihnen verstand, was soeben passiert war. Und noch viel weniger wussten sie zu sagen, wie es nun weitergehen sollte. Also setzten sie sich auf die Düne und warteten. Darauf, dass Kasai mit
Feuer und Wasser
zurückkam. Dass Shizaris Monster sie fanden. Dass die Düne einfach weiterwanderte und sie mitnahm in eine ungewisse Zukunft. Sie wussten es nicht.
Der Nachmittag zog an ihnen vorbei und ihre Kehlen brannten vor Durst, doch nichts geschah. Als die Sonne den Gipfel des Bergs Malaj berührte, schickten sie Kiesel los, um nach Proviant zu suchen. Er kam mit einem Beutel voller Quellwasser und einem ganzen Baum voller Nüsse zurück, die sie gierig verschlangen. Die Äste hätten Brennholz ergeben, doch Waris’ unmissverständlicher Blick hielt Aira davon ab, sie zu entzünden. Sie wollte nicht denselben Fehler zweimal begehen.
Entsprechend kalt wurde es, als die Nacht über sie hereinbrach. Die Hände fest um das Kästchen mit der immerwährenden Glut geschlungen, harrte Aira aus und wartete, dass irgendetwas passierte. Der ausgehöhlte Feuerstein spendete weniger Wärme, wie sie irgendwann feststellte. Sie hob den Deckel an und erstarrte: Trotz der Dunkelheit ringsum war der orangefarbene Schein der Glut kaum noch zu erkennen. Ein gelegentliches Flackern war der einzige Hinweis auf Leben, der noch darin steckte – abgesehen von dem moderigen Geruch, doch selbst dieser schien sich zu verflüchtigen.
Eine Träne lief über ihre Wange und verging zischend in der Glut.
»Wir zu spät«, flüsterte Waris mit ehrlicher Betroffenheit in der Stimme.
Klecks, die weiter oben auf der Düne Ausschau nach Kasai gehalten hatte, kam angerannt und steckte ihre Schnauze in das Kästchen. Es war ein seltsames Bild, sie so zu sehen – mit bebendem Unterkiefer, die braunen Knopfaugen voller tiefer, erwachsener Trauer. »Das darf nicht sein«, brachte sie hervor. »Nein, das ist absolut unmöglich! Ich glaube es nicht!«
»Da noch Leben in Glut«, versuchte Waris, etwas Hoffnung zu spenden.
»Leben?« Aira sprang auf, am ganzen Körper unkontrolliert zitternd.
Wind rauschte durch ihre Ohren und ihr Herz schien in ihrer Brust zerreißen zu wollen. »Das ist kein Leben! Es ist … Vegetieren!« Noch während sie das sagte, erlosch auch der letzte Schimmer. »Wir hätten sofort nach Eliandar fliegen müssen. Was haben wir getan?«
Heftige Wellen rauschten an der Küste vor der Düne. Das Geräusch drang jedoch erst zu Airas Ohren vor, als ein sonores Brummen hinzukam. Eine Fontäne aus Luft und Wasser wurde in den Himmel geblasen, doch die Nacht war zu dunkel, um den Verursacher dieser Laute zu erkennen. Entschlossen wischte die Prinzessin sich die Tränen aus den Augen und zog Alba Bagheta hervor. Ihre Finger krampften sich um den Schaft.
Das Wasser teilte sich und ein riesiger Leib stieg daraus hervor. Erst glaubte Aira, erneut einer von Shizaris Seeschlangen gegenüberzustehen, doch dann sah sie die gefächerte Schwanzflosse und ihre Fäuste entkrampften sich. Es war Kasai.
Mit Bewegungen, die zu schwerfällig für einen Drachen waren, hievte er sich aus dem Meer. Und als er nahe genug herangekommen war, um in der Dunkelheit seine Augen erkennen zu können, sah Aira, dass jegliche Aggression daraus verschwunden war. Noch schlimmer: Der mächtige, unüberwindbare Drache schaffte es nicht, ihren Blick zu halten. Stattdessen wandte er sich Waris zu.
Lange standen die beiden da und tauschten ihre Gedanken aus. Dann wandte Kasai sich ab und starrte aufs Meer hinaus.
Aira kam sich vor wie eine jener versteinerten Skulpturen in der Schlucht des Basaltars, während die Numar zu ihr kam und sie vorsichtig an der Schulter berührte, als wollte sie sie aufwecken. Alles in ihr schien verhärtet – ihre Muskeln, ihr Herz, selbst ihre Gedanken. Sie wollte nicht hören, was Waris erfahren hatte. Stattdessen rief sie sich Kayden in Erinnerung, wie er mit den Armen wedelte und Windmühle spielte. In kurzen, schnellen Bildern rauschte der Moment ihres letzten Kusses an ihr vorbei. Sein Versprechen auf Wiederkehr. Er hatte es gebrochen!
»Kampf fand unter Wasser statt«, wehte Waris’ Stimme von ganz weit her an ihr Ohr, dumpf wie das Echo eines Albtraums. Und dann sprach sie es aus, einfach so. Die alles vernichtenden Worte. »Er gefressen wurde. Von Ungeheuer.«