– Kapitel 29 –
KAYDEN
Wie sie ihn angesehen hatte! Obwohl Kayden soeben in eine Höhle rannte, in der es von Drachen zu wimmeln schien, musste er das seltsame Ziehen in seinen Lenden ein paar wilde Atemzüge lang unter Kontrolle bringen.
Kaum hüllte die Dunkelheit ihn ein, meldete sich das eigentliche Summen, das ihn überhaupt dazu gebracht hatte, die anderen zu verlassen. Seine Schuppe, auf deren Warnungen und Schutz er schon so oft vertraut hatte, war in einen gänzlich anderen Tonfall mit ihm getreten, sobald er die erste Stufe der Schlucht betreten hatte. Es war wie eine gemeinsame Sprache, die jedoch einen neuen Akzent besaß.
Stumme Worte überfluteten ihn. Die Sprache der Drachen!
Niedrig war die Höhle. Zwar nicht für einen Menschen, sondern für jedes andere Lebewesen, welches er dort draußen gesehen hatte. Die Wände wiesen sowohl Kratzspuren von Krallen auf, als auch langgezogene Rillen, die davon herrührten, wenn Drachen mit ihren Schwingen zu wenig Platz hatten. Große Felsbrocken lagen herum, um die Kayden einen Bogen machen musste. Ob einst Teile der Decke eingestürzt waren oder die Drachen den Weg hinein schwieriger gestalten wollten, konnte er nicht sagen. Auf jeden Fall hatten diese Barrieren enge Kurven und das sah ihm schwer nach Absicht aus.
Der Tunnel – wenn man ihn denn so nennen wollte – mündete in einer riesigen Höhle, deren Ausmaße die eines Tempels waren und in deren Zentrum ein kreisrunder Teich mit glühender Lava brodelte. Dicke, zähe Blasen platzten, bildeten sich neu, fielen in sich zusammen. Ein gelbrötliches Blubbern, von dem leichter Dampf aufstieg, welcher den Geruch von Schwefel verströmte. Der Teich wurde von beeindruckenden und buckelförmigen Felsen eingefasst, die seltsam gefleckte Farben aufwiesen und den Schein der Glut in sich aufnahmen und widerspiegelten.
Die hohen, gewölbten Wände waren auch hier übersät mit Krallenspuren. Sie alle führten zu weiteren Tunneln, wobei die größten von ihnen nahe am Boden lagen.
Kaum hatte Kayden die Höhle betreten, wurde das Wispern intensiver, die stummen Worte krabbelten über- und untereinander. Andere blieben im Hintergrund, mehr wie ein Knistern.
Feuerkrieger.
Wellenrufer.
Blut des Ravyn.
Meerdrache! Kasai.
Meridiem.
Nirahel ist erwacht.
Krieg. Der Krieg ist zurück.
Niemals wieder!
Kayden blieb stehen, überwältigt ob der vielen Stimmen. Er taumelte und stützte sich an einem der Felsen ab. Die Hitze aus dem Lavateich spürte er zwar, doch sie floss an ihm vorbei und rüttelte an seinen Erinnerungen.
Als die Welt noch leer und voller Ödnis war, sind es die Drachen gewesen, die diese maßgeblich veränderten. Sie entfesselten die Elemente. Den Regen, den Wind und das Feuer und somit auch die Jahreszeiten. Es heißt, dass sie den Winter im Meer verbringen und Sommers in die Lüfte steigen; aber es gibt auch Drachen, die nur das eine Element bevorzugen, von denen die Meerdrachen als besonders, nun ja, sagen wir, raubeinig gelten. Die Numar, das erste Volk Avantlans, verehrten die Drachen, weil sie ihnen die günstigsten Erntezeiten offenbarten, einfach indem sie den Flug dieser Tiere studierten.
Woher sie aber stammen, ob es einen Urvater oder eine Urmutter der Drachen gegeben hat, das vermag niemand zu sagen. Es kann sein, dass die Götter alles Lebendige auf dieser Welt erschufen und die Drachen dazu auserkoren wurden, es zu bewahren. Demnach könnte Avantlan ein Samenkorn sein, das erst durch die Drachen zu keimen begann.
Kein Drache kam hervor, kein Auge musterte den Nordmann, der in ihr Reich gekommen war. Allein ihre stummen Gedanken wirbelten umher und ließen Kayden auf die Knie sacken.
»Bitte«, stöhnte er. »Nicht alle zusammen.«
Schließlich sprach eine einzelne Stimme zu ihm, ruhig und kraftvoll: Wir werden nicht erneut den Wirkern unser Feuer schenken.
Der Nordmann schaute auf, dann in die flüssige Hitze.
»Es wird keine Drachenreiter geben! Ich bin der letzte. Aber kämpfen solltet ihr, denn auch diese Schlucht wird am Ende ebenso in schwarzer Dunkelheit versinken wie der Rest von Avantlan. Wenn ihr wirklich das Samenkorn gewesen seid, das diese Welt geschaffen hat, dann muss sie euch doch etwas bedeuten!«, rief er und fragte sich gleichzeitig, woher er all das wusste.
Auch der Tod hat eine Bedeutung, Mensch. Manchmal ist es an der Zeit, dass die Dinge vergehen.
»Ich will nicht glauben, dass dies eure wahren Gedanken sind. Alles, was lebt, strebt zu neuem Leben, will wachsen, weitergeben … Wozu haben wir unsere Geschichten, die Liebe und die Kraft aufzustehen, wenn wir gefallen sind?«
Dein Feuer ist nicht einmal erwacht, junger Krieger. Und dir sollen wir folgen?
»Nicht mir sollt ihr folgen, sondern der Sturmgöttin . Nirahel ist dort draußen in der Schlucht! Ihre Seele ist zurückgekehrt. Sie wohnt in einer Windwirkerin namens Aira Felsenfaust. Wenn ihr mir nicht vertrauen wollt, so prüft sie und seht, welche Wunder geschehen sind, seit ihr euch hier versteckt.« Kayden sagte die Worte nicht nur, er war sich ihrer vollkommen sicher, auch wenn er nicht wusste, wieso.
Stumpfe Silben!, grollte es. Wir verstecken uns nicht. Wir sind der Menschen Taten und Kriege überdrüssig geworden. Hunderte von uns fielen über den Himmeln von Dukar. Die wenigen Überlebenden haben sich in die Meere zurückgezogen oder hierher, wo des Menschen Wort nicht hallen darf.
»Und was ist mit den Numar? Habt ihr nicht eine besondere Verbindung zu diesem Volk? Eine von ihnen ist ebenfalls hier. Waris Zendaya, die Tochter des Königs. Selbst eine Wasserwirkerin aus den verfluchten und dunklen Tothautlanden steht uns zur Seite.«
Stille war die Antwort und Kayden vermutete, dass Drachen sich mit ihrer eigenen Art anders austauschten als mit den Menschen.
Ihr sucht die Lichtsplitter?, erklang es nach einer Weile.
Kayden schöpfte neue Hoffnung. »Wir suchen sie nicht nur. Drei von ihnen sind bereits in unserem Besitz.« Kaum hatte er dies offenbart, schien eine Art Streit auszubrechen, denn die Höhle begann zu erbeben, als hätten auch lautlos gesprochene Worte eine ganz eigene Schwingung.
Erneut schwiegen die Drachen. Plötzlich jedoch warnte ihn seine Schuppe und einen Wimpernschlag später drang ein Schrei zu ihm, der Kayden herumwirbeln ließ und schlagartig einige Scherben seiner Erinnerungen zusammensetzte.
»Wolfshall, du Sohn einer Hure!«
Am Fuße des Tunnels stand, von etwa zwölf Männern umringt, Tulvar! Der Mann, dem Kayden die Knie zertrümmert hatte. Vom Torso an aufwärts war er derselbe schmierige Drecksack, den Kayden noch so gut in seinen Erinnerungen hatte. Er hatte geahnt, dass ihm dieser Fehler eines Tages noch vor die Füße fallen würde. Er war immer besser, die Dinge gleich zu klären und zwar ein für alle Mal.
Das lange, fettige Haar, der ungepflegte Bart, die sadistischen Augen, die beständig auf der Suche nach Opfern umher zu huschen schienen. Nur seine Beine wirkten, als habe ein betrunkener Tischler ein paar Holzlatten zusammengenagelt und sie ihm in den Arsch gerammt. Und das sagte Kayden ihm auch.
Sein alter Erzfeind lachte johlend. »Bist noch immer das arrogante, kleine Muttersöhnchen. Aber mit Holz kann ich nicht dienen, Wolfshall. Diese hier sind aus mit Eisen ummanteltem Wachs. Und ich werde sie dir in dein Herz stoßen.« Tulvar stakste näher, behielt aber die Umgebung im Auge. Die Männer rückten mit ihm vor. Schwer gepanzerte Soldaten in schwarzen Rüstungen. Jeder von ihnen hielt eine Doppelarmbrust in den Händen. Tulvar grinste. »Jeder Bolzen ist mit einer ordentlichen Dosis Schwarzblut versehen!«, brüllte er in die Höhle. »Ihr Biester bleibt also besser in euren Nestern und überlasst die Angelegenheit mir und diesem Feuerkrieger ohne Feuer!« Er starrte Kayden fiebrig an. »Und nun wirfst du dein Messerchen da in die Blubbergrube, hübsch langsam. Denn deine Schuppe ist nicht so schnell, oder?«
Mit zusammengepresstem Kiefer griff Kayden nach der Flammenklinge, drehte sie einmal und ließ sie dann in die Lava fallen.
»So ist’s fein, Fürst von gar nichts. Das Schwert her zu mir!«
Kayden schnallte es ab und warf es etwa in die Mitte zwischen ihnen auf den Boden. »Und nun, wenn ich dich ergebenst darum bitten dürfte, hole den Feuersplitter aus diesem Tümpel! Deswegen bist du doch hier, nicht wahr?« Er machte einen weiteren ungelenken Schritt. »Und wehe dir, wenn du mich verarschen willst! Da draußen sind eine Menge Takyn Vor . Solltest du auch nur falsch zucken, sind deine Freunde in Stücke gerissene Leichen!«
»Du machst einen Fehler, Tulvar«, sagte Kayden und drehte sich zu dem Teich um.
»Halt die Schnauze! Den Splitter! Jetzt!«
Der Nordmann blickte in das rote Glühen. Schwarze Stücke von Schlacke wurden an die Oberflächen gedrückt und versanken wieder. Er ging in die Hocke und streckte die Hand aus. Die Hitze traf seine Finger nicht; und als eine Blase platzte, spritzte sie winzige Tropfen über seinen Handrücken. Erstaunt sah Kayden, wie sie abperlten, als wäre es Wasser. Lediglich eine ungewöhnliche Wärme drang in seine Hand. Er hielt den Atem an und tauchte sie in die Lava. Es war, als wiche das Feuer vor ihm zurück, als wollte es ihn nicht verletzen, sondern nur begrüßen. Ja, es war mehr als eine Berührung. Sein Element hieß ihn willkommen.
Seine Finger wühlten darin, erspürten winzige Steine, sogar größere Brocken, die seltsamerweise nicht schmolzen. Es dauerte einen Augenblick, bis er einen davon packte und die Hand wieder herauszog. In ihr lag ein rotschimmernder Stein, dessen Licht pulsierte – einem Herzschlag ähnlich. Kayden wandte sich zu Tulvar, der auf das Objekt starrte und sich begierig die Lippen leckte.
»Die Eine wird mich belohnen! Sie wird mich …« Kayden warf ihm den Stein zu und der ehemalige Soldat aus Ravan riss die Augen auf, machte drei unbeholfene Schritte, während Kayden mit einem Ruck seine Flammenklinge aus der Lava schnellen ließ. Wie schon in Noskiris war sie mit ihm durch jenen bläulichen Faden verbunden, der sie immer wieder zu ihm zurückkehren ließ. Die Klinge sauste in einem weiten Bogen Tulvar von der Seite entgegen. Der reagierte zu langsam, wollte den glühenden Stein fangen, als ihm die Klinge die Beine durchtrennte, sich durch Eisen und Wachs schnitt. Er knickte oberhalb der Knie ein, kippte nach vorn, wollte Taidos Schwert greifen, doch auch das war unmöglich. Niemand außer Kayden vermochte es zu heben. Ein kreischender Ton entwich Tulvars Kehle, während Kayden sich über ihn beugte und die gesamte Höhle in tosenden Flammen aufging. Aus jedem Tunnel brach das Drachenfeuer, das Kayden um sich herum lenkte. Eine weitere Erinnerung kam ihm in den Sinn: Aber die Drachen sind natürliche Magie! Sie haben eine Menge Fähigkeiten, von denen nur Wenige wissen. Denn die drei buckeligen Felsen, welche den Teich säumten, erhoben sich nun und fauchten ihre ganze Wut den Soldaten entgegen. All das geschah innerhalb von Sekunden. Die Schmerzensschreie ebbten schnell ab, ebenso das Feuer der Drachen. Zurück blieben geschmolzene Rüstungen, zu Asche verbrannte Knochen und ein paar schwelende Waffen.
Der Nordmann rappelte sich auf. Unter ihm wimmerte Tulvar und versuchte noch immer, Taidos Schwert zu ziehen. Der Feuerwirker packte diesen am Umhang und schleifte ihn zum Teich.
»Was hast du vor, du Bastard?«, hustete Tulvar.
»Ich sorge jetzt dafür, dass du niemals wieder hinter meinem Rücken auftauchst«, knurrte Kayden, zog den Mann hoch und stieß ihn in die Lava. Ein Neeein! bekam Tulvar noch aus seiner Kehle, dann zog ihn das flüssige Feuer hinab und Kaydens alter Feind verschwand für immer. Grinsend stieß Kayden mit dem Fuß gegen den falschen Splitter.
***
In der Schlucht war es auffallend still. Kayden schritt aus der Höhle und sah sofort, dass die Takyn Vor tot waren. Doch noch immer schirmte Kiesel die Gruppe vor einer ganzen Horde von magischen Wesen ab. Kayden stieß einen lauten Pfiff aus und brüllte: »Wir sind nicht hier, um eure Ruhe zu stören. Wir sind auch nicht gekommen, um euch Leid zuzufügen. Doch es wäre besser, wenn ihr euren Angriff auf meine Freunde beenden würdet. Ich bitte euch darum.«
Köpfe, Schnäbel, Stacheln, Hauer und Zähne wandten sich zu ihm um. Es wurde mit Hufen gescharrt, gegrunzt und gezischelt. Doch plötzlich verstummte die gesamte Meute. Aus der Höhle strömten an die fünfzig Drachen und nahmen hinter ihm Aufstellung ein, die Häupter erhoben, mit glühenden Schuppen und Hörnern. Es war wie bei jeder verdammten Prügelei, die in der Luft lag. Irgendwann sah dein Gegenüber ein, dass es weitaus gesünder sein konnte, einmal die Klappe zu halten und sich zurückzuziehen. Und genau das taten nun die magischen Wesen, auch wenn er ihr stummes Tal mit Worten entweiht hatte.
Waris war die Erste, die auf ihn zukam, der Blick wie von jemandem, der alles im Griff hat und die ganze Aufregung nicht versteht.
»Du haben Splitter? Du mir geben! Dann wir gehen heim.«
Auch Nephele kam zu ihnen, Klecks jedoch blieb auf der Stufe stehen, so wie Aira. Er spürte das Blut der Prinzessin heiß durch ihre Adern wallen und, bei Nirahels Atem, er wollte es in Brand setzen.