– Kapitel 32 –
AIRA
Die unteren Äste der Kambribäume waren für Gäste bestimmt, wie Waris ihnen erzählt hatte. Wollte man weiter nach oben in die Kronen, wo die Numarfamilien lebten, so musste man eine Art Glocke betätigen, die aus zahlreichen rasselnden Nussschalen an einem Seil bestand. Im Moment verzichtete Aira nur zu gern darauf, denn ihr war nicht nach Reden zumute. Stattdessen blieb sie wenige Meter über dem Boden auf dem gigantischen Ast sitzen, den Rücken an den Stamm gelehnt, in der einen Hand die Feder des Basaltars, in der anderen die glattgeschliffene Steinkugel, welche Waris aus Barshan Anur mitgenommen hatte. Beide magischen Gegenstände hinterließen ihre üblichen Spuren auf der Haut der Prinzessin: Wolken und Straßen. Doch egal, wie lange sie diese auch zu ergründen versuchte – sie konnte die Karte nicht lesen, da weder die Flüsse und Meere noch der Vulkan im Norden als richtungsgebende Elemente sichtbar waren. Mal erschienen die Wolken auf ihrem Rücken, mal die Straßen auf ihren Beinen. Es war nur ein verworrenes Chaos. Nicht einmal ihre eigene Heimat konnte sie in diesem Gewirr aus Linien finden.
»Mir war nicht bewusst, dass du Tätowierungen trägst. Scheint mir ein wenig unpassend für eine Prinzessin zu sein«, ertönte Nepheles Stimme von etwas weiter unten. Zum ersten Mal, seit sie gemeinsam unterwegs waren, hatte Waris offenbar beschlossen, die Wasserwirkerin unbeaufsichtigt zu lassen.
»Es sind keine Tätowierungen, sondern … magische Linien«, sagte Aira ausweichend.
Sie betrachtete Nephele, wie sie da stand und auf ihre unbeholfene Art ein Gespräch anfangen wollte. In solchen Momenten wirkte die junge Frau wie ein Kind, das gerne unter die Bettdecke seiner Mutter geschlüpft wäre. Aber sie war weitaus mehr als das – und vielleicht eine Verräterin.
»Sieht aus wie ein Teil einer Karte. Und wieso der Malaj?«
»Der Malaj ?«, wiederholte Aira verwundert. »Er ist nirgendwo zu sehen.«
»Doch, in deinem Nacken. Seine Form ist unverkennbar.« Nephele deutete auf einen Punkt in Airas Genick, den sie selbst nur mithilfe eines Spiegels hätte betrachten können. Die Sache begann anscheinend, das Interesse der Wasserwirkerin zu wecken. Ehe Aira etwas eingefallen wäre, um sie davon abzuhalten, kletterte diese ein Stück weit an dem Baum empor und schob die Haarsträhnen beiseite, die sich aus dem Zopf der Prinzessin gelöst hatten. »Ganz eindeutig: Es ist der höchste Berg Avantlans. Die spitz zulaufende Form, der schneebedeckte Gipfel – ich bin mir sicher. War wohl ein Tätowierer aus Eliandar.« Sie versuchte sich an einem Lachen, doch ihr Gesicht war nicht mehr an derartige Bewegungen gewöhnt, weshalb sie schnell aufgab und zu der Unterhaltung zurückkehrte. »Was hast du da in der Hand?«
Schnell steckte Aira Kugel und Feder zurück in ihren Beutel, woraufhin die Linien auf ihrer Haut langsam zu verblassen begannen. Nepheles Augen wurden riesengroß. »Es ist eine Karte!«, stammelte sie. » Die Karte. Sie führt zu den tausend Säulen!«
Alarmiert fuhr Aira ein Stück zurück. »Woher weißt du davon?«
Nephele kniff ihre vollen Lippen zusammen. Zum zweiten Mal sahen sie einander nun auf diese Weise an, die der Anfang oder das Ende eines langen Weges sein konnte. Beim ersten Mal hatte Aira entschieden, die junge Frau zu hassen, ganz gleich, welches Schicksal ihr widerfahren war. Nun jedoch sagte ihr Gefühl, sie sollte ihr eine Chance geben. Womit, wenn nicht mit Wohlwollen, ließ sich ein furchtsames Herz besänftigen?
»Bitte, Nephele, wenn du zu uns gehören willst, musst du uns die Wahrheit sagen! Wir müssen wissen, wie viel Shizari bereits über uns in Erfahrung bringen konnte.«
Die Wasserwirkerin blickte zu Boden. Ganz offensichtlich rang sie mit sich – immer noch, immer wieder. »Während meiner Ausbildung in den Tothautlanden habe ich ein Gespräch mit angehört«, sagte sie dann leise, beinahe flüsternd. »Sebald Blutspeer, der Prinz von Trychon, war angereist, um eine Audienz bei der Einen zu bekommen. Doch anstatt ihn zu empfangen, warf sie ihn und seine Begleiter erst für drei Tage ins Verlies, um ihn mürbe zu machen. Dann holte sie einen seiner Soldaten heraus und ließ ihn eine Botschaft überbringen. Ich saß in der Zelle daneben und hörte jedes Wort, das gesprochen wurde.« Sie brach ab, strich sich fahrig eine zerzauste Strähne hinters Ohr. Aira legte eine Hand auf ihren Unterarm. Er war eiskalt. »Sie trug ihm auf, eine Prinzessin gefügig zu machen, die in einem Turm in Jandor gefangen gehalten wurde, und dabei eine Karte von enormer Wichtigkeit zu erbeuten. Erst wenn er ihr diese Karte aushändigte, würde sie ihn empfangen und anhören.«
So also hatte alles angefangen – mit einem machtgierigen Prinzen, der beschlossen hatte, sich der Dunkelheit zu unterwerfen. Nur deshalb hatte Sebald sie geheiratet. Es war niemals um ein Bündnis zwischen Jandor und Trychon gegangen, sondern immer nur um die Karte. Eines aber hatte Shizari nicht gewusst, nämlich um was für eine Art von Karte es sich hierbei handelte.
Unsicher sah Aira Nephele an. Sie würden fortan noch besser auf die Wasserwirkerin aufpassen müssen, nun, da sie ihr letztes Geheimnis kannte.
Auch Nephele selbst schien in einem Zwiespalt zu sein. Sie stieg von dem Ast herab, auf dem sie gestanden hatte, starrte eine Weile unentschlossen auf den Boden und verschwand dann langsam in Richtung der Drachen, die sich auf der Lichtung zusammengerottet hatten. Auf halbem Weg jedoch kehrte sie noch einmal um. Dabei fasste sie sich in den Nacken und nahm eine Lederschnur ab, die sie um den Hals trug. Mit ernster Miene hielt sie Aira die Kette entgegen. An deren Ende hing eine hellrosafarbene Muschelschale, deren Ränder fast vollkommen ausgebrochen waren.
»Was ist das?«, fragte Aira irritiert.
»Es gab einen Moment in meiner Ausbildung, an dem ich aufgeben wollte. Menschen waren durch meine Schuld gestorben und ich … ich will nicht über die Details sprechen. Damals ließ Shizari mir diese Kette bringen. Es war ein Geschenk von unglaublichem Wert, denn es ist das Bruchstück einer Traummuschel. Nur sehr wenige dieser seltenen magischen Wesen leben noch in unseren Ozeanen. Jede von ihnen trägt eine Perle. Und wer sie findet, dem wird sein sehnlichster Wunsch erfüllt, worin auch immer er besteht. Die Perle war verloren, doch die Schale enthält ebenfalls natürliche Magie. Sie half mir, mein Element zu verinnerlichen. Wenn du sie berührst … wird sie vielleicht die Meere und Flüsse auf deiner Karte offenbaren.«
Vor Aufregung zitterten Airas Hände. Nephele ließ die Muschelschale hineingleiten. Aira hängte sich das Lederband um den Hals und kaum, dass der Anhänger ihre Haut berührt hatte, erschienen feine Linien darunter, die sich sternförmig über ihren Ausschnitt verteilten und unter der Kleidung verschwanden. »Es funktioniert!«, hauchte sie.
Nephele schien nicht weniger verzückt von dem Anblick zu sein. Ein winziges Lächeln breitete sich über ihre Mundwinkel aus.
»Was das? Du Karte größer gemacht?« Wie aus dem Nichts tauchte plötzlich Waris von oben auf, die in der Krone des Baumes vermutlich ihre Eltern oder irgendwelche Freunde besucht hatte. Mit zwei oder drei schnellen Griffen hangelte sie sich noch weiter herab und landete zielsicher auf beiden Beinen neben Aira. »Das breiter Fluss – der Morwa?« Bevor die Prinzessin es verhindern konnte, hatte die Numar in ihren Ausschnitt gepackt und ihn weiter herabgezogen, als die Sittlichkeit es erlaubte. Kreischend schlug Aira ihr auf die Finger. »Untersteh dich, du schamloses Stück!«
Waris lachte lauthals auf und diesmal fiel selbst Nephele mit ein. Beide starrten Aira an wie zwei Jäger einen in die Enge getriebenen Hasen. Hastig nahm sie die Kette wieder ab und steckte sie zu den anderen magischen Gegenständen in ihren Beutel. »Ihr werdet eure Finger von mir lassen!«, knurrte sie.
Glücklicherweise versuchte keine der beiden, noch einmal Hand an sie zu legen. Dafür deutete Waris aufgeregt auf die Drachen. »Du Schuppen anfassen! Dann Vulkan erscheinen und Karte komplett!«
Sie hatte recht. Während der gesamten Reise hierher war Aira immer nur auf Kiesel geflogen. Und auch in den wenigen ruhigen Momenten hatten sie keinerlei Gedanken daran verschwendet, dass sie den besten Auslöser für die Feuerlinien die ganze Zeit dabeigehabt hatten. Auf der anderen Seite: Während der Schlacht von Barshan Anur war Aira vom höchsten Wipfel des sterbenden Kambriloss gesprungen und direkt auf Kasais Rücken gelandet. Damals war kein offensichtliches Zeichen auf ihrer Haut erschienen.
»Du zu viel Kleidung! War darunter versteckt«, mutmaßte Waris, als die Windwirkerin ihre Bedenken äußerte. »Los, ausprobieren!«
Sie ließen ihr nur ihren Umhang, aber zumindest waren die Drachen anständig genug, um einen Wall um sie herum zu bilden, während Waris Airas Haut inspizierte. Die Prinzessin kam sich vor wie eine jener Bräute am Hof von Noskiris, deren Jungfräulichkeit infrage gestellt worden war. Deshalb wurden diese vor ihrer Hochzeit von Priestern untersucht, welche ihre Unschuld bestätigen sollten. Die Prozedur geschah immer in aller Öffentlichkeit, doch um die Ehre der vielleicht zu Unrecht Beschuldigten aufrecht zu erhalten, bildete man einen Sichtschutz aus breitschultrigen Kriegern, die dem Publikum den Blick auf die nackte Haut der Delinquentin versperrten.
Solange Waris auch suchte – sie wurde nicht fündig, egal wie fest Aira ihre Hand auf Kasais Brust drückte. Sie versuchten es mit einem Erddrachen, aber auch hier blieb der Erfolg aus.
»Vielleicht sind es die falschen Schuppen! Versuch mal eine andere!«, rief aus einiger Entfernung Klecks, die die Prozedur zwar aufmerksam verfolgte, der dicht gedrängten Ansammlung von Drachen aber lieber fernblieb.
Der rotbraune Anführer-Drache knurrte etwas und Waris legte den Kopf schief. »Er sagen: Fuchs hat recht. Schuppen hier keine Magie. Bei lebendem Wesen – Magie immer sitzt im Herzen. Erst wenn Herz aufhört zu schlagen – Zauberkraft entweicht in seine sterblichen Überreste.«
»Das heißt, wir brauchen einen toten Drachen?« Aira schlang den Umhang enger um sich.
»Nein, nur die Schuppe von ihm!«, quietschte Klecks von außerhalb. »Und, beim torkelnden Wanderer , ich weiß, wer eine hat!«
***
Zwei Jungen hatten Kayden am Strand gesehen, als er nach König Tindert gefragt hatte. Waris brauchte nicht lange, um herauszufinden, wo ihr Vater ihn hingebracht hatte. Als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt, hängte sie sich zusammen mit Nephele und Klecks an Airas Fersen, sobald diese sich zu der heiligen Höhle an der Küste aufmachte.
»Ich schwöre euch: Folgt ihr mir, so werde ich euch aufs Meer hinaus und bis zum Rand der diesseitigen Welt pusten!«, giftete Aira sie an.
»Wir sehen wollen, wie Löwe dein Feuer entfacht!«, beharrte Waris grinsend.
»Der Tag, an dem du das zu Gesicht bekommst, ist ferner als die tausend Säulen!«
Offensichtlich lag genug Nachdruck in ihrer Stimme, um die drei zu überzeugen. Zumindest fühlte sie sich nicht beobachtet oder verfolgt, während sie den Weg zur Küste einschlug, wo Kayden sich angeblich aufhielt. Ausnahmsweise fiel heute kein Schnee vom Himmel und die Luft war einigermaßen warm, sodass ihre nackten Füße auf dem steinigen Boden nicht erfroren. Da ging sie also, die Prinzessin von Jandor, einzig von ihrem hellblauen Umhang verhüllt, um einen einsamen Nordmann zu treffen, der sich an nichts weiter erinnerte als an zwei verrückte Tage und ein paar verstohlene Blicke mit ihr. Zwiespältige Gefühle suchten sie heim, denn beim einen Schritt kam sie sich wie eine schamlose Hure vor, beim nächsten redete sie sich erfolgreich ein, nichts weiter zu tun als das, was getan werden musste: die Karte offenbaren! Doch ging es ihr wirklich nur um die Karte? War es nicht vielmehr die längst überfällige Berührung, die sie ersehnte?
Sie war noch zu keiner befriedigenden Antwort gekommen, als sie den Eingang zur Höhle erreichte. Wohltuende Wärme stieg daraus empor, die aus dem Erdinneren selbst zu kommen schien. Sie ließ sich davon verschlucken und ging weiter hinein. Je tiefer sie in den Berg vordrang, desto heißer wurde die Luft. Der Geruch von Schwefel und glühendem Gestein drang in ihre Nase. Schließlich wurde der Gang breiter und offenbarte eine Art Kammer oder Felsendom an seinem Ende, woher das orangerote Glühen zu kommen schien, welches die schwarzen Wände in Feuer tauchte. Mittlerweile war es so heiß geworden, dass Airas Wangen glühten.
»Kein Grund rot zu werden, Prinzessin«, vernahm sie auf einmal Kaydens Stimme von weiter vorn. Im Gegenlicht sah sie nur seine Silhouette, doch diese war schon beunruhigend genug. Denn im Vergleich zu dem Nordmann war Aira mit ihrem Umhang quasi vollständig bekleidet. Ihr Gesicht wurde noch eine Spur heißer.
»Ihr müsst … Ich bin hier, um …« All die Worte, die sie sich unterwegs zurechtgelegt hatte, waren plötzlich wie weggeblasen.
Kayden kam näher. Schon einmal hatte sie ihn nackt gesehen – an der heißen Quelle von Barshan Anur. Damals hatte die Luft zwischen ihnen beiden so sehr geknistert, dass sie ein Gewitter am Himmel befürchtet hatte. Doch stattdessen hatte Kayden behauptet, es gäbe keine Zukunft für sie beide. Und nun standen sie wieder hier, brennende Hitze auf ihrer Haut, und erneut sah er sie mit diesem undeutbaren Blick an, der Berge und Ozeane in die Knie zwingen konnte.
»Ich muss Eure Schuppe berühren, Wolfshall«, würgte sie hervor. »Es ist wichtig, denn ich muss wissen, ob sich daraufhin Linien auf meiner Haut bilden. Ich weiß, Ihr könnt mir nicht folgen, aber …«
Da war er auch schon bei ihr, auf Tuchfühlung nah, und legte einen Finger auf ihre Lippen. Aira schlug das Herz bis zum Hals. Ihre Knie zitterten und in ihrem Unterleib wühlte ein schreckliches Ziehen. Was für ein unsäglicher Verräter ihr Körper doch war!
Kayden griff nach ihrer Hand und legte sie auf die Schuppe, die sogleich mit einem sanften, aber deutlich wahrnehmbaren Puls reagierte. Es war, als bestünde sie aus Abertausenden winziger Lebewesen, die gemeinsam eine perfekte Einheit bildeten. Eine, die riechen, schmecken und sehen konnte. Windend wie eine Zunge tastete sie über Airas Hand und die Prinzessin spürte ihre Magie.
»Ist es das, was du wolltest?«, fragte Kayden.
Aira schluckte, denn es war nicht alles. »Ihr müsst nachsehen«, flüsterte sie. »Vielleicht ist es nur eine kleine Stelle. Sie könnte auf meinem Rücken sein oder auf meinem … meinen Kniekehlen.«
Ein verfluchtes Grinsen lag auf seinen Lippen. Eines von der Art, die man entweder wegkratzen oder wegküssen wollte.
»Dein Wunsch ist mir Befehl, Hoheit.«
Sie schloss die Augen, atmete einmal tief ein und ließ den Umhang fallen. Kayden fasste sie nicht an und doch spürte sie seine Nähe so intensiv, als würde er mit ihr verschmelzen. Seine Blicke waren Streicheln, seine Wärme Umarmung. Ihr war, als richteten sich die feinen Härchen auf ihren Unterarmen einzig aus dem Grund auf, von ihm gestreift zu werden – Blitzschläge zu entfachen, die ihren Körper in Brand setzten, obwohl er doch längst in Flammen stand.
»Seht Ihr etwas?«, fragte sie, nur um ihre Lippen zu befeuchten.
»Oh, ja«, antwortete er. »Alles.«
Da hielt sie es nicht mehr aus. Sie öffnete die Lider und blickte ihm direkt in die Augen. Was sie sah, hatte nichts mehr mit dem verwirrten Krieger zu tun, in dessen Kopf die letzten Monate nur undurchsichtige Schemen waren. Stattdessen erkannte sie Kayden Wolfshall, den Löwen, den Drachenreiter, den Feuerwirker.
»Du bist es«, wisperte sie. »Du bist es selbst, nicht wahr? Erkennst du mich?«
»Wie könnte ich dich nicht erkennen, Aira Felsenfaust? Keine Frau zielt so sicher mit Steinen wie du. Keine webt schönere Kleider aus Wind.«
Seine Erinnerungen waren zurück! Tränen der Erleichterung wollten in Airas Augen stürzen, doch sie ließ es nicht zu. Keine Sekunde lang sollte ihr Blick verschwimmen, denn es gab so viel zu sehen.
»Einige Stellen habe ich noch nicht untersucht«, sagte er herausfordernd.
»Ich habe dich vermisst«, antwortete sie, woraufhin Kaydens Hand an der Innenseite ihrer Schenkel entlangglitt. Es war zum Sterben schön.
Ihre Lippen fanden sich und Aira ließ die letzte Kette los, welche sie noch an die Erde band. Selbstverleugnung, Feigheit – Keuschheit . Es war genau so, wie Orcas es gewollt hatte. Sie erkannte sich selbst, sie öffnete sich, sie flog. Hinein in sich selbst und genau dorthin nahm sie ihn mit, ihren Wellenrufer, der verbrannt und aus der Asche gestiegen war.
Die Sturmgöttin ließ ihren Kopf in den Nacken sinken und schrie vor Verlangen nach mehr.
***
Sie saßen vor dem Eingang der Höhle und betrachteten die Karte. Zu Airas Freude stand sie diesmal auf dem Kopf, was aus ihrer Sicht einer kerzengeraden Nord-Süd-Ausrichtung gleichkam. Der Vulkan befand sich am Ansatz ihres Oberschenkels und genau daneben waren die tausend Säulen verzeichnet. Kayden jedoch ließ seine Hand auf den bewaldeten Hügeln des Numarlandes liegen und tat so, als vermesse er den Weg von dort zu ihrem Ziel. Jeder Schritt, den seine Finger dabei vollführten, war eine kleine Explosion auf ihrer Haut.
»Sie sehen aus wie ein Kreis aus riesigen Gesteinsquadern. Ein so imposantes Bildnis müsste doch längst entdeckt worden sein – selbst auf diesem abgelegenen Eiland!«, grübelte Kayden, dessen Gehirn schon wieder beeindruckend klar denken konnte. Aira versuchte, seinen Überlegungen zu folgen, obgleich ihr Körper etwas anderes tun wollte. Noch einmal – und dann wieder und wieder.
»Vielleicht sind sie von einem Lichtschild umgeben oder einem anderen Zauber, der sie versteckt«, mutmaßte sie.
Er legte seine Stirn in Falten. »Etwas in der Art muss es sein, denn ich habe von Piraten gehört, die die Vulkaninsel als Umschlagplatz genutzt haben. Auch Schiffbrüchige gingen dort schon an Land. Zwar gibt es keine Ansiedlungen auf diesem felsigen Eiland, aber es ist nicht gänzlich unerforscht.« Bei dem Wort unerforscht kehrte seine Hand zum Ausgangspunkt zurück und stellte weitere Erkundigungen an. Ein Seufzen entwich Airas Kehle, als er auf eine warme Quelle stieß. Er beugte sich über sie und küsste sie. »Ich will in dir ertrinken«, hörte sie seine Stimme an ihrem Ohr. »Mit meinem letzten Atemzug in dir versinken.«
In Erwartung seiner Lippen auf ihren Brustwarzen ließ sie sich zurücksinken und reckte sich ihm entgegen. Doch mit einem Mal verkrampfte Kayden sich.
Ernüchtert riss Aira die Lider auf. »Was ist los?«
Er stand auf, beschattete mit beiden Händen seine Augen und starrte aufs Meer hinaus. Aira steckte die magischen Gegenstände zurück in ihren Beutel und erhob sich ebenfalls. Am Horizont erkannte sie einen schwarzen Punkt, der alsbald zum Dreieck wurde und sich dann als Schiff unter Segeln herausstellte. Dahinter tauchten weitere Punkte auf. Es war eine ganze Flotte.
»Wer ist das? Shizari? Dein Bruder? Oder am Ende … Sebald?«
Viel zu lange antwortete Kayden gar nichts, sondern hielt den Blick stur geradeaus gerichtet, in der Hoffnung, ein eindeutiges Merkmal zu erkennen, durch welches sich das unbekannte Schiff identifizieren ließ. Dann zog sich plötzlich ein phänomenales Grinsen durch sein Gesicht. Hastig rannte er zurück in die Höhle. Aira folgte ihm, während sie sich im Laufen ihren Gürtel um den Umhang schlang, um zumindest halbherzig ihre Blöße zu verdecken.
»Was hast du gesehen, Nordmann?«, rief sie dabei. »Sag mir, verdammt noch mal, was da auf uns zukommt!«
Fahrig fischte Kayden sich seine Kleidung aus einem unordentlichen Haufen neben der dahin strömenden Lava. Beinahe wäre er beim Hineinsteigen in seine Feuerwirker-Hose umgekippt. Kein Wort kam über seine Lippen, ehe er komplett angekleidet war. Dann schloss er Aira in seine Arme und wirbelte sie herum.
»Beim Knarzen der Planken! Es ist die Schlangentöter