– Kapitel 33 –
KAYDEN
Dieser Kuss war anders, alt, fremd und dennoch vertraut. Er wogte wie eine Brandung in Kayden. Die Sturmgöttin griff in das aufgewühlte Meer seiner Seele, hob seine verbrannte Asche heraus und fügte sie wieder zusammen.
Es gab keine Mauern mehr zwischen ihnen, nur das wilde, ungestüme Hämmern ihres Blutes, das sich wie eine Welle auftürmte. Feuer und Wind tosten im Einklang und erschufen eine neue Legende.
Nie zuvor hatte Kayden sich gefragt, wie Mondlicht schmecken würde, nun wusste er es – nach Aira Felsenfaust. Ihre nackte Haut schimmerte vom Schweiß, die Augen wild flackernde Flammen, während sein Atem Flügel bekam und der weite Himmel in ihn hinein brauste. Am Grunde all dessen, zerschlagen und vereint, die Erlösung, die nichts anderes wollte, als den Rausch von Neuem zu entfachen.
Seine Erinnerungen waren zurück und mit ihnen der Soldat. Der Krieger, der den Auftrag erhalten hatte, Aira zu beschützen, koste es, was es wolle. Und wenn er dafür seine Lust für einen Augenblick zügeln musste, um eine Karte aus Haut zu betrachten, dann, verdammt noch mal, tat er das eben, auch wenn es ihn jede noch verfügbare Beherrschung kostete.
Die tausend Säulen! Auf Airas Oberschenkel verzeichnet, so deutlich wie ein Ruf zu den Waffen. Und als er die Gischt auf ihren Lippen glitzern sah, sich in sie werfen wollte, hörte sein geübtes Seemannsohr den fernen Schrei aus einem Krähennest –
Land in Sicht
! Kayden starrte nach Norden. Nicht die Worte waren zu ihm gekommen, sondern ihr Klang, den er hundertfach in seinem Leben vernommen hatte, wenn der Ausguck in diesen charismatischen Singsang verfallen war. Schließlich kamen Segel in Sicht, viele Segel. Aber eines davon ließ ihn grinsen wie einen Matrosen auf Landgang.
***
»
Tod und Anker!
Ist das unser junger
Löwe
?«, brüllte Elris Sonner und breitete die Arme aus, als wollte er eine Truhe Gold umarmen.
»
Anker und Blut!
« rief Kayden lauthals. »Ist das der beste Kapitän der
Klirrenden See
?«
Es wurden Schultern geklopft, dreckig gelacht, sogar ein kurzes Tänzchen musste herhalten, um die Freude des Wiedersehens zu untermalen, welche die beiden Männer empfanden. In Elris’ Schlepptau erblickte Kayden dann sogar Skiff und Krummbart und der ganze Spaß ging von Neuem los. Die Freude indes währte nicht ewig. Es gab gute und schlechte Nachrichten und die schlechten überwogen.
Nach und nach landeten weitere Schiffe an. Als der Morgen dämmerte, wurde das ganze Ausmaß der Flotte sichtbar. Die schlanken Segler aus Ravan, die breiten Drachenboote der Fjeld-Stämme, die zahlreiche ihrer Pferde mitgenommen hatten, und – niemand hätte es für möglich gehalten – zwei königliche Karavellen aus Jandor. Dazu drei Piratenschiffe, welche von Haudegen befehligt wurden, die lieber dem Klabautermann die nassen Stiefel küssen würden, als der ewigen Verdammnis anheim zu fallen.
König Tindert berief eiligst eine Versammlung ein.
***
Mit Schwung zog er sie hinter eine der Steinstelen. Aira wirbelte herum und prallte gegen ihn. Das Graublau ihrer Iriden glänzte fiebrig und Kayden küsste sie heftig. Die Prinzessin ging zitternd in die Knie. Hände wühlten über Kleidung, griffen in Nacken und rasten wieder auseinander.
»Wir werden erwartet«, keuchte sie und packte ihn erneut, biss ihm in die Unterlippe und leckte das Blut mit ihrer Zunge fort.
»Ja, wir sollten zu den anderen stoßen …«, nuschelte er und strich hart über ihre Brust, was Aira stöhnen ließ. Plötzlich erklang ein dumpfer Ton. Beide hoben sie die Köpfe, ruckelten ihre Kleider zurecht und gingen, voneinander getrennt, auf die Lichtung.
Die Versammlung war bereits vollständig. Im Angesicht des heiligen Felsens der Numar hatten die Oberbefehlshaber der jeweiligen Reiche
Platz genommen. Kayden nickte Elris Sonner zu, der ihn lächelnd grüßte. Daneben hockte ein breiter Kerl namens Timucin Eisenherz, mit Bart und Rabenhaar, der die Schiffe der Fjeld kommandierte. Dahinter ein Piratenkapitän sowie ein Mann, der verdächtig nach einem Gemeinen aussah und wohl aus Noskiris kam. Als der dürre Kerl Aira erblickte, wurde er beinahe ohnmächtig. Die Prinzessin setzte sich galant neben Waris, welche zur Rechten ihres Vaters thronte. Neben ihr zupfte Nephele an einem Grashalm und Klecks wedelte munter als Fuchs dazwischen.
Während Kayden als Letzter eintraf und sich vor Kasai auf den Boden fallen ließ, grinste ihn Waris zweideutig an und tippte sich an das Kinn. Der Nordmann brauchte einen Moment, bis er sich flink das Blut von der Lippe wischte, und er sah, wie Aira rot bis zu den Ohren wurde.
König Tindert begrüßte die Neuankömmlinge herzlich, aber bestimmt. Niemand zweifelte seine Autorität an und er wusste darum. Die Numar waren gefürchtet und im Grunde für viele ein Mythos. Schließlich begann er vor den Versammelten ein Gebet zu sprechen und wirklich alle senkten die Köpfe und lauschten seinen Worten über die ewige Mutter.
Die guten Nachrichten waren mit den bösen verflochten, denn auch wenn es mehr Gegenwehr gab, als Shizari sich vorgestellt hatte, wusste Kayden, dass damit eine Menge Leid einherging.
Skander, die Hauptstadt von Ravan, war zu einem Hexenkessel geworden. Wie vorhergesagt, leisteten die Bewohner erbittert Widerstand gegen den neuen König. Ganze Viertel seien in der Hand von Aufständischen, da der Hauptteil der Armee an anderen Orten gebunden sei. König Mort habe sich hinter seine Festungsmauern zurückgezogen und es hieß, dass er seine Tochter Gildy dafür verantwortlich mache. Brummelnd fügte Timucin hinzu, Elk habe eine herbe Niederlage einstecken müssen, weil wie aus dem Nichts eine Horde Erddrachen über seine Wachsungeheuer hergefallen sei. Der kleine Wicht lecke jetzt seine Wunden in den Bergen nahe Dukar. Der Nordmann erwähnte nicht, dass er es gewesen war, der einen Teil der Erddrachen in die Grasebenen entsandt hatte, um den freien Stämmen zu Hilfe zu eilen. Zu Elks Niederlage schwieg Kayden, auch als Aira ihn offen anschaute und dann leise nach Jandor fragte. Der dürre Kerl gab schüchtern kund, dass Gallus Felsenfaust tot sei. Während das schwarze Schiff der
Einen
in den Hafen eingelaufen war und ihre finsteren Soldaten über den Kai geströmt
waren, da habe sich der König vom höchsten Turm geworfen. Später hatten Diener berichtet, dass sich Gallus zuvor allein auf dem Thron sitzend fast besinnungslos gesoffen habe, jammernd nach den alten Tagen rufend. Als Aira das hörte, wurde ihre Miene zu Stein. Die Armee hatte sich schon einen Tag zuvor aus dem Staub gemacht. Noskiris habe sich nicht gewehrt, erzählte der Mann weiter. Viele seien in die Berge geflüchtet und er sowie einige seiner Freunde waren mit den letzten beiden Schiffen ausgelaufen, derer sie noch habhaft werden konnten. Wochenlang irrten sie umher, bis sie sich entschlossen hatten, sich Elris Sonners Gnade zu unterwerfen. Denn immerhin hatte Jandor den rechtmäßigen König der stolzen Ravaner, Coulter Darengaard, hingerichtet.
Der Vollständigkeit halber berichtete der Piratenkapitän, dass sie ein Nest ihrer verfeindeten Konkurrenz bis auf die Grundmauern niedergebrannt hätten. Sie konnten dabei eine gewaltige Ladung Waffen erbeuten, die sie zu einem fairen Preis an die Fürsten von Dukar verscherbelten. Denn auch von dort kamen Berichte, dass das neue Oberhaupt, Sebald Blutspeer, jeden einzelnen Tag Soldaten einbüßte – entweder durch Anschläge oder weil sie fahnenflüchtig wurden, da schnell Gerüchte die Runde machten, der schwarze Prinz sammle Tote wie auch Lebendige ein, um der dunklen Zauberin neues Material für ihre Ungeheuer zu schenken. Bei einer Sache sei er sich allerdings nicht sicher, da niemand sie nachprüfen könne. Aber er habe vernommen, dass sogar in den Tothautlanden eine Rebellion im Gange sei. Bei diesen Worten kam Leben in die junge Wasserwirkerin und zum ersten Mal sah der Nordmann echte Hoffnung in Nepheles Blick.
Ob diese Hoffnung berechtigt war, wollte Kayden noch nicht glauben. Denn Shizari wusste von den Lichtsplittern und sie würde alles und jeden in ihre Waagschale werfen, um dieses eine Gefecht zu gewinnen.
***
Die Sonne wanderte eben in ihren Zenit, als einige Späher der Numar zurückkehrten. Kurz darauf wurde Alarm gegeben. Eine Streitmacht der
Einen
bewege sich auf sie zu – mächtige Flugmonster, die seltsame Käfige unter ihren grauen Bäuchen trugen. Die Dunkelheit begann mit ihrer Jagd auf die Splitter.
Aira wartete in ihrem Kampfanzug am Strand, ihren Stab an der Seite. Nephele starrte auf das Meer und Klecks schaute drein, als ginge sie den Weg nach Hause und könne schon den Rauch aus Meridiems Hütte sehen. Kayden bekam ein ungutes Gefühl. Am Himmel zog Kiesel seine Kreise und suchte nach ihren Feinden.
Aira und Kayden wussten, dass dies nicht der Moment war, um sich leidenschaftlich zu verabschieden. Sie beide hatten das schon in Barshan Anur tun müssen. Ihre Blicke sprachen die Silben, die niemand von ihnen laut sagen mochte. Also nahmen sie sich in die Arme, lang und voller Hingabe.
»Lebe!«, flüsterte Aira in seinen Bart.
»Sei mein Sturm!«, hauchte der Nordmann und sah der Prinzessin nach, als sie Elris Sonner folgte. Sie würde mit der
Schlangentöter
auf die Vulkaninsel übersetzen – ebenso die Fjeld sowie die Piraten und die Männer aus Jandor. Er winkte die Wasserwirkerin und das Fuchsmädchen zu sich.
»Ihr beide passt auf sie auf, verstanden? Glaubt ja nicht, dass ich hier dem
Wanderer
vor die Sandalen kippe! Ich werde nachkommen. Und solange ernenne ich dich zu Airas Leibwächterin, Klecks.«
Die Kleine bekam feuchte Augen und winselte. Dann warf sie sich ihm entgegen und es dauerte, bis er sie davon überzeugen konnte, endlich auf das Schiff zu gehen. Schließlich nahm er auch Nephele in die Arme, die wie eine steife Puppe reagierte, bis auch sie die Geste erwiderte.
»Wir beide haben einen langen Weg hinter uns. Nicht ein Tag wurde uns geschenkt, an dem wir nicht kämpfen mussten. Aber wir haben bewiesen, außer wir selbst. Vergiss das nicht, meine Freundin!« Die junge Frau starrte ihn an, den Tränen nah.
»Du nennst mich eine Freundin ... nach allem, was ich dir angetan habe?«
Kayden zwinkerte schelmisch. »Ich werd’s dem
Hageren
in den Mantel schieben. Versprich mir nur eines: Achte auf Aira! Ohne sie werden wir in Shizaris Schatten untergehen.« Als Antwort gab sie ihm einen Kuss auf die Wange, wandte sich um und lief dem Fuchs hinterher.
Na, dann wollen wir mal ein bisschen Wachs schmelzen
, dachte Kayden.
***
»Du bereit für Kampf? Oder noch Kopf in Schoß von Prinzessin?« Waris lachte und ihre Stirnhöcker traten deutlich hervor.
Kaydens Pranke traf scherzhaft ihren Rücken und die Kriegerin stolperte fast, so sehr amüsierte sie sich. Sie würden gleich in den Kampf ziehen, doch Waris schritt dahin, als wollte sie Blumen pflücken. Diese Frau war erstaunlich. Etliche Karren kamen ihnen entgegen, voll beladen mit Pfeilen, Speeren und Schilden aus Kambriholz. Damit erklärte sich, wieso der Weg zum Strand mit Platten gepflastert war, auf denen die Wagen dahin rollten. Die jungen Männer schwatzten und einige von ihnen grüßten Kayden und riefen ihm Segenswünsche zu.
»Kannst du mir mal verraten, wieso jeder Numar hier wie ein normaler Mensch reden kann, du dich aber anhörst, als würden Steine eine hölzerne Treppe hinunter poltern?«, fragte er seine Begleiterin.
»Ich nicht mochte Schule von Ältesten. Herz wollte mehr. Sprache von Erde wichtiger. Mutters Geschichten wichtiger. Waris entdecken Welt mit Seele, nicht Worten.« Sie reichte ihm ein Fernrohr, wie es auf Schiffen verwendet wurde. »Langer Blick für dich. Ich nicht brauchen.«
»Haben die Numar Schiffe?«, wollte Kayden wissen. Die Frau verzog ihre weiß bemalten Lippen spöttisch.
»Da draußen Mutter still. Meer ist Land des Windes. Nirahels Herz.«
»Du kennst die Legende?« Kayden war verblüfft.
»Waris kennen alle Legenden.«
Etwa fünfhundert Krieger schlossen sich ihnen an, ein jeder mit Waffen aus Kambriholz. Frauen und Männer, jung und alt. Sie erreichten den Saum des Waldes. Das grüne Gras wogte in Böen, erstreckte sich bis zur Schlucht. Wie viele Numar sich in den himmelhohen Bäumen versteckten, vermochte der Nordmann nicht zu sagen. Aber er nahm an, dass dort oben mehr Pfeile nach Süden ausgerichtet waren als hier unten.
Durch die geschliffenen Linsen sah Kayden, dass auf der anderen Seite der Schlucht immer mehr Wachsmonster landeten. Offenbar waren diese Wesen immun gegen die Anziehung durch die Erdmagie. Sie waren aus Menschen gemacht, hatten schwarzes Blut in sich. Jedenfalls warteten sie nun ab, bis ihre Truppen vollzählig waren.
Waris legte derweil ihre Hände auf den Boden und trat mit ihrer Mutter in Kontakt. Beinahe beschwörend mutete ihr Flüstern an, während sich ihre leuchtenden Finger in die Erde senkten. Unter
Kaydens Stiefeln erhob sich ein tiefes Vibrieren, das sich verzweigte, und wenige Augenblicke später wölbte sich der Boden vor ihnen, höher und höher, bis ein Wall entstand, der sich entlang des Waldes fortpflanzte, als drücke ein mächtiges Tier unter dem Gras seinen Rücken durch. Waris stand auf und lächelte zufrieden. Sie schaute Kayden an, packte seine Schultern und nahm ihn heftig in die Arme. »Du Pfad für Wirker. Guter Pfad. Ich aufpassen dich – du aufpassen mich. Abgemacht? Wie damals.«
»Ja!«, grinste Kayden und drückte nicht minder kräftig zu, was Waris aufkeuchen ließ. »So wie damals.«
Beide bemerkten sie, wie die grauen Flugschlangen sich aufmachten, die Schlucht zu überqueren. Kayden blickte hinter sich. Kasai starrte, halb verdeckt von einer Baumwurzel, zu ihnen herüber. Neben ihm die Erddrachen.
Heute werden wir nicht fallen, Nordmann. Heute nicht.
Der Drachenreiter nickte seinem Freund zu und sandte diese Order in jeden Schuppenleib. Vielstimmiges Grollen war die Antwort.
***
Kayden zählte sechsunddreißig Schlangen, die sich flügelschlagend in den wolkigen Himmel hievten. Ihre Spannweite war beträchtlich und die Käfige unter ihren Bäuchen waren vollgestopft mit Soldaten. Die Feinde landeten außer Reichweite, um die Männer abzusetzen. Die Gittertüren sprangen auf und Hunderte Soldaten begannen, sich zu formieren. Mit dem Fernrohr suchte der Nordmann nach einem Anführer, doch weder konnte er Prinz Lockenköpfchen ausmachen noch einen anderen, der dort drüben die Befehle gab. Kaum hatten die Schlangen ihre Fracht abgeladen, stiegen sie erneut auf und flogen Schleifen über der Streitmacht. Drei von ihnen jedoch hielten auf den Wall zu und Waris gab Zeichen zu beiden Seiten, dass es losging. Neben Kayden spannte ein junger Mann seinen Bogen, der größer war als er selbst. Seine Höcker waren noch nicht sehr ausgeprägt, dafür aber schien er mit Kraft gesegnet, denn er nockte einen Pfeil ein und spannte die gewaltige Waffe, ohne mit der Wimper zu zucken.
Die drei Schlangen gewannen an Höhe und näherten sich weiter dem Wall. Plötzlich jedoch legten sie die wächsernen Schwingen an und stürzten wie Steine vom Himmel, schlugen auf und zerplatzten, worauf
sich Hunderte von Spinnen aus ihren offenen Leibern ergossen. Die Viecher krabbelten sofort los, legten an Tempo zu, sprangen sogar vorwärts, eine wimmelnde Masse aus Beinen und Körpern. Fünfhundert Sehnen sangen und die Pfeile schossen im Schwarm auf die Spinnen nieder. Der Nordmann hatte die Wirkung von Kambriholz mit eigenen Augen gesehen, damals nahe Meridiems Hütte, doch nun erblickte er das ganze Ausmaß der natürlichen Magie, die in diesen Bäumen schlummerte. Die wenigen Ungeheuer, die den Pfeilhagel überlebt hatten, wurden weit vor dem Wall von den Numar niedergemetzelt. Kayden hatte sich auf Schlimmeres vorbereitet und schnaufte erleichtert. Er hasste diese Dinger, aus denen noch mehr Dinger kamen. Offensichtlich war die Gegenseite nicht minder überrascht, wie grandios ihre erste Angriffswelle versagt hatte. Eine Art hausgroßer Käfer mit vier riesigen libellenartigen Flügeln tauchte aus den Wolken auf und landete hinter den Linien. Auch er trug einen Käfig, jedoch auf dem breiten Rücken. Dieser war mit schwarzen eisernen Platten gepanzert und zu allen Seiten mit langen Piken geschützt.
»Da haben wir ja unseren Feldherrn«, knurrte Kayden und informierte Kasai und die anderen Drachen. Sie sollten für die Überraschung an diesem Tag sorgen. Jetzt hatten sie ein Ziel.
Noch aber formierten sich die Truppen auf der Ebene und eine finstere Einheit rückte dabei nach vorn: riesige Krieger mit schweren Rüstungen, die hohe Turmschilde trugen und denen züngelnde Schlangen aus den Helmen ragten. Eine Eliteeinheit vermutlich. Sie marschierten voran, die Schilde erhoben, und Kayden hätte seinen Hintern darauf verwettet, dass nicht einer von diesen Männern ein Herz aus Fleisch und Blut besaß.
Die Numar spannten die Bögen. Dann aber brach Chaos aus.
Und zwar hinter ihnen.
***
Waris stürmte, ohne zu zögern, zurück in den Wald. »Du hier beenden! Ich Volk beschützen«, rief sie und war verschwunden. Kayden fluchte, denn das war nicht der Plan gewesen.
In den Linien der Numar entstand Unruhe. Zum Glück waren genug erfahrene Krieger dabei, welche die Wankelmütigkeit augenblicklich im Keim erstickten. Etwa zweitausend Soldaten, überwiegend aus Trychon
stürmten auf den Wall zu. Kayden würde hier keine Hilfe sein, also schrie er einem der Hauptmänner entgegen, dass er die Drachen befehligen würde. Der Mann nickte und wandte den Blick wieder nach vorn.
Mit schnellen Schritten lief der Nordmann los und rief dabei Kasai sowie die restlichen Drachen. Auf einer gut versteckten Lichtung sprang Kayden in den Sattel.
»Wir nehmen sie an den Flanken in die Zange. Tötet die Schlangen, bevor sie sich opfern! Treibt sie in die Pfeile und Speere!«
Und was hast
du
vor?,
grollte Kasai.
»Den Anführer ausschalten!«, sagte Kayden und der Drache nahm entlang einer natürlichen Schneise Anlauf und schwang sich in die Luft. »Feuer und Klauen! Lasst euch nicht beißen! Die Zähne der Wachsmonster sind vergiftet«, gab Kayden die Parole aus, schwenkte nach Norden in die entgegengesetzte Richtung, denn er wollte genügend Höhe gewinnen. Er hörte Kampfeslärm und Schreie unter sich, doch darum musste sich Waris kümmern. In der Ferne sah er die Schiffe, die sich zur Insel aufmachten, am Horizont verschwinden und dachte an Aira und die anderen.
Endlich verschwanden die Baumriesen unter der dichten Wolkendecke, die Erddrachen drehten ab und teilten sich auf. Kasai jedoch vollführte eine langgezogene Kurve, die sie von Süden an den Feind heranbringen sollte. Langsam sanken die beiden aus den Wolken nieder.
Das Schlachtfeld war ein Wogen aus Rüstungen, Waffen und Tod. Die Numar verteidigten den Wall mit gnadenloser Härte. Die Angreifer aber hielten nicht einen Moment inne. Flugschlangen warfen sich auf die von Waris erhobene Barriere, mit dem grausamen Ergebnis, dass diese von Spinnen überflutet wurde. An manchen Stellen wurde bereits Mann gegen Ungeheuer und Mann gegen Mann gefochten. Aus den Baumriesen prasselten Pfeile wie Hagel und der Lärm war unbeschreiblich.
Von Osten und Westen rauschten die Erddrachen heran, spien Flammen über die wächsernen Biester. Shizaris Truppen gerieten ins Stocken und richteten ihre Waffen auf die neue Bedrohung.
Schwarzblutpfeile
zischten in den Himmel, verfehlten jedoch ihre Ziele.
Plötzlich krachte ein Blitz, dunkel und schwarz, aus dem Käfig des Feldherrn. Die Magie zuckte umher, als suche sie etwas, und traf schließlich einen der braunroten Drachen in die Brust. Das Tier brüllte
auf, verlor von einer Sekunde zur anderen jegliche Farbe und stürzte auf die Ebene, wo es leblos liegen blieb. Ein zweiter Blitz knallte, ein dritter und vierter. Jeder davon ein tödlicher Treffer. Die Drachen mussten sich zurückziehen, grollten verzweifelt. Kayden schrie, duckte sich tief in den Sattel. Er musste diesen Mann ausschalten, sofort. Kasai legte die Schwingen an, Wind rauschte.
Der Käfer auf der Ebene kam verdammt schnell näher. Das Vieh war riesig. Und dann sah Kayden es vor sich, als wären die kommenden Augenblicke bereits Vergangenheit. Er sprach zu Kasai. Der Drache drückte die Flügel noch enger an sich, sie stürzten rasend in die Tiefe. Erst im letzten Augenblick fächerte der Meerdrache die Schwingen auseinander, die Klauen voraus. Sie krachten auf den Hinterleib des Käfers, der – wie von einem Amboss getroffen – in den Boden gestampft wurde, während der Kopf in die Höhe schnellte. Der Käfig wurde dabei aus seiner Verankerung gerissen. Zur gleichen Zeit zerschnitt Kayden die Haltegurte und stieß sich mit den Beinen aus dem Sattel. Das eiserne Konstrukt wurde in die Luft geschleudert, wirbelte herum, riss mit den Piken beinahe Kasai, der darunter hinweg tauchte, in Stücke, während es an Kayden vorbeisegelte. Er stieß den Arm vor und die magische Waffe schnitt die Panzerung an einer Seite auf, als wäre das Eisen nichts als Papier. Erde aufwühlend kam Kasai auf und überschlug sich. Kayden schlitterte durch das Gras und der Kasten kippte quietschend, bevor er, verbogen und mit den Piken im Boden steckend, liegenblieb.
Der Nordmann hörte keinen Kampfeslärm, außer einem hohen Ton, der in seinem Ohr summte. Die Klinge war ihm aus der Hand gestoßen worden. Er zog an dem Faden und sie sauste wieder zu ihm. Er packte den Griff und stapfte wankend auf den halboffenen Käfig zu. Zwei weitere Schnitte und die Wände gaben das Innere preis. Eine Gestalt lag darin, die sich soeben an einer Kante hochhievte und sich zu ihm umdrehte. Beide Männer erschraken, als sie einander in die Augen sahen.
***
»Du stinkender, nutzloser Bastard!«, jaulte Elk Wolfshall, hob einen gezackten Spiegel an und ein schwarzer Blitz schoss auf Kayden zu, der in seine Hüfte einschlug. Es war, als würden seine Beine nach hinten gerissen werden, und er ging heftig zu Boden. Sein Bruder trat ihm in die
Rippen, lachte wie ein Irrer und spuckte Flüche aus. Kayden hätte tot sein müssen, aber als er nach der verschmorten Stelle tastete, bemerkte er, dass der Blitz Taidos Schwertknauf getroffen hatte. In seinem Schädel dröhnte es, doch Kayden packte Elks Bein am Knöchel. Er dachte nicht nach, empfand keinerlei Furcht oder gar Zorn, schloss die Finger wie einen Schraubstock und ließ nicht mehr los. Elk schrie vor Schmerz, versuchte, sich loszumachen, und prügelte auf ihn ein. In Kaydens Adern aber floss Lava, die nun auf Elk überging. Das Feuer kannte keine Hindernisse, keine Dunkelheit, es wollte leben, lodern und brennen. Immer schriller schrie sein Bruder. Der Nordmann kam auf die Beine, schlug Elk den Spiegel aus der Hand und packte nun dessen Kehle, während er mit der anderen etwas aus seinem Stiefel zog. Knurrend hielt er es Elk vor die angstgeweiteten Augen.
»Weißt du was das ist,
Bruder
?« Kayden schlang ein Seil um den Hals des jungen Mannes. »Sie hat versucht, es durchzubeißen. Hast du gelacht dabei? Ja? Während sie um ihr Leben schwamm?« Sein Knie hieb dem Bruder zwischen die Beine, sodass dieser nach unten sackte und das Seil sich spannte. »Sie war ganz allein da draußen in den kalten Wellen.«
Der Nordmann stellte einen Fuß auf den Spiegel. Er hörte Shizari darin zischen, drohen und toben. Elk versuchte, seine Finger zwischen das Seil zu bekommen. Seine wächserne Fratze blickte sich panisch um. Kayden aber warf das Ende um eine der Piken und zog den Bruder in die Höhe. Mit den Beinen strampelnd, brabbelte und sabberte Elk seine letzten Atemzüge in die kühle Morgenluft, bis sein Körper schlaff wurde, die Augen starr ins Leere gerichtet. Kayden hob den Spiegel auf und flüsterte in die Finsternis: »Ich warte auf dich!« Dann rammte er die Flammenklinge hinein und schließlich in die Brust seines Bruders. Das eine schmolz, der andere wurde zu Asche.
»Für Windtupfer … und für Lina!«, keuchte er und wankte zu Kasai.
»Rufe Waris!«, bat Kayden den Drachen. »Was auch immer sie gerade tut, sie soll es lassen. Wir sind hier fertig. Ich hole sie an der Küste ab.«
Zwischen den riesigen Kambribäumen war die Schlacht ebenfalls entschieden. Dass ein Teil der Wachsmonster sich zwischen diese magischen Bäume gewagt hatte, war zwar eine Ablenkung, aber mehr noch ein tödlicher Fehler gewesen. Kayden sah, wie bereits die ersten der Ungeheuer zerstückelt und beiseitegeschafft wurden. Dennoch erkannte er auch viele der Numar, die tot am Boden lagen. Er hoffte, dass König
Tindert dieses Opfer nicht bereute, obgleich es notwendig gewesen war. Die Numar waren stolz und zäh. Und im Kampf gegen die Dunkelheit musste jeder einen Preis bezahlen, auch wenn es Kayden schmerzte. Dies war die schlichte, unauslöschbare Art eines jeden Krieges.
Die Kriegerin stand tatsächlich am Strand. Mit ernster Miene sah sie ihn an. »Du alte Pein getötet?«, fragte sie.
»Ja«, sagte Kayden.
»Mhm. Dann so sollen sein.« Sie schwang sich in den Sattel.
»Oh, ich fange gerade erst an«, knurrte der Nordmann.