– Kapitel 41 –
KAYDEN
Der Flintstein spuckte endlich ein paar armselige Funken. Kayden war zwar etwas aus der Übung, aber immerhin hatte er an Zunder gedacht. Er legte die Hände um die feine Birkenrinde und pustete. Dann schob er sie unter das trockene Holz und schon bald knisterte ein ansehnliches Feuer. Er sammelte etwas Schnee in einer bauchigen Kanne und stellte sie neben die Flammen.
»Das hättest du einfacher haben können«, sagte Aira und suchte in dem Seesack nach den Kräutern. Kayden starrte eine Zeit lang vor sich hin.
»Ich rühre das Messer nicht mehr an«, brummte er. Die Prinzessin hielt inne und blickte ihn über die Schulter hinweg an. In ihren Augen sah er Sorge und Schmerz. Sie sprachen nicht darüber, noch nicht. Eines Tages aber würden sie die Trauer miteinander teilen, das wussten sie beide. Sie kam ans Feuer, warf die Teeblätter in das kochende Wasser und schaute an den hohen Fichten hinauf, deren Äste sich unter der Last des Schnees beugten.
»Hier also hast du vier Jahre lang gelebt?« Aira zog den Mantel enger um sich. Der Nordmann folgte ihrem Blick.
»Na ja, gelebt ist ein nahezu glorreicher Ausdruck.« Kayden goss ihnen Tee ein und packte den Proviant aus. »Ich weiß nicht mehr, wie oft ich diese Berge erklommen habe. Krummbart hatte es besonders schwer. Seine Knie haben …« Er stockte. Auch dieser Freund lag auf dem Grund der See, so wie Hunderte andere. »Dennoch war es eine fast friedliche Zeit.« Seine Begegnung mit Waris ließ er in den Schatten verweilen. Es war schwer ein Thema zu finden, bei dem man nicht zielsicher die frischen Wunden berührte.
In der Nacht glommen die Sterne und Aira schmiegte sich an ihn, legte den Kopf auf seine Brust und lauschte seinem Herzschlag. Das tat sie jede Nacht. Sie meinte, sie könne hören, wenn er auf Abwege geriete. Und dann gab sie ihm immer einen langen Kuss, damit es wieder zur Ruhe kam.
Schweigend bauten sie am nächsten Morgen das Lager ab, welches sie unter einem Felsvorsprung aufgeschlagen hatten. Es gefiel Kayden, dass sie sich ohne Worte verstanden. Oft ertappten sich beide dabei, wie sie in dem einen Moment eine Decke zusammenrollten oder das Geschirr säuberten und im nächsten in die Ferne schauten, als wäre die Welt ein Ort, den es neu zu erkunden galt. Kayden spürte diese Ferne besonders hartnäckig. Er und Aira hatten Nachrichten erhalten, als sie mit Waris auf Barshan Anur gewesen waren. Noskiris rief nach der Prinzessin, der einzigen Nachfahrin der Felsenfausts, die noch Atem in sich trug. Und auch die Ravaner waren bereit, den Helden von der Schlacht am schwarzen Berge , wie sie unlängst im Volksmund genannt wurde, als König zu akzeptieren.
»Bist du dir wirklich sicher, dass du das tun willst?«, fragte sie und lehnte sich gegen ihn, als er über das weite Tal schaute, das unter ihnen lag. Das Ausbildungslager existierte nicht mehr und auch das schäbige Dorf mit nur einer Straße war verlassen. Kayden strich ihr eine Strähne aus der Stirn und gab ihr einen Kuss darauf.
»Ich muss es irgendwie abschließen, Aira. Und ehrlich gesagt fiel mir nichts Besseres ein.« Sie schlang einen Arm um ihn und gemeinsam sahen sie, wie die Sonne die verschneiten Berggipfel im Osten glutrot färbte.
Kayden lächelte. Er war hier mit ihr und nichts anderes zählte für ihn. »Lass uns aufbrechen! Der Weg ist noch lang.«
Kasai wartete auf einer Lichtung und hatte es sich neben einer heißen Quelle gemütlich gemacht. Sie stiegen auf und der Drache schüttelte die Flügel aus.
»Und du kennst wirklich den Weg dorthin?«, fragte Kayden und reichte Aira ihren Schal.
Ich kenne alle Wege, Nordmann. Ob an Land oder unter den Wellen. Sprachʼs und mit einem ordentlichen Anlauf warf er sich in das Tal von Brandawik.
***
Die Brandung schlug gegen das Riff, schoss aus Spalten in die Höhe und prasselte auf die glatten Felsen, die sich wie Buckel tief in den nahen Wald erstreckten. Kayden nahm den Beutel von Aira entgegen, die sich sofort daran machte, den Sattel zu lösen. Kasai blickte sehnsüchtig auf das Meer.
Wir werden uns wiedersehen, alter Freund. Jetzt aber freue ich mich auf den nassen Teil der Welt. Meine Brüder und Schwestern werden viele Geschichten zu erzählen haben und Entscheidungen müssen getroffen werden.
Der Nordmann schwieg. Weder Wehmut noch Reue empfand er, sondern schlichte Freude, ein solches Wesen seinen Freund nennen zu dürfen. Aira winkte Kasai noch einmal zu, als der Drache gen Himmel raste, sich übermütig fallen ließ und in das Meer donnerte, als habe er das sehr lange vermisst.
»Nun also auch er«, sagte sie und ihre Stimme brach für einen Moment.
»Ich gebe zu, ich werde dieses Gefühl vermissen, wenn er mich mit seinem Lass uns fallen geärgert hat«, gestand Kayden. Aira kam auf ihn zu und er wunderte sich, wie tief er immer wieder in ihren Augen versinken konnte. Er schulterte den Beutel.
»Ich weiß, dass zu zurückkommst.« Sie lachte plötzlich. »Ich hätte mein Element nach dir benennen sollen. Denn auch der Wind hatte mich niemals wirklich verlassen. So wie du.«
Er umfasste mit seinen Händen ihr wundervolles Antlitz und holte tief Luft, als müsse er Mut sammeln. »Es gibt keinen anderen Weg als zu dir«, sagte er. »Keinen anderen möchte ich gehen – ohne dich.«
Ein Kuss. Ein Abschied. Aber dieses Mal wusste er, dass er wie der Wind sein würde.
***
Es war unglaublich, aber der Segler lag da, vertäut und mit einer Plane verdeckt, als wäre er dort seit einer Ewigkeit versteckt. Der Mast niedergelegt und auch der Rumpf offenbarte die feinen Verzierungen. Kayden ging weiter und sog den Duft der Stille ein, die sich unter den knorrigen Kiefern wie eine magische Haut spannte.
Schließlich stand er vor der Hängebrücke, die aussah wie damals. Nass und von Moos befleckt. Der Fluss schäumte und tönte, spritzte Gischt über die Bretter. Aus dem Schornstein der Hütte wehte heller Rauch und auch sie stand da wie ein alter Traum, der nie geendet hatte.
Kayden schritt über die schwankende Brücke, trat ein in das Reich der Zauberin, die ihn einst auf diese Reise geschickt hatte. Sein Atem war ruhig, voller Graublau, denn in der Ferne gab Aira auf seinen Herzschlag acht.
Die Tür der Hütte öffnete sich und Meridiem erschien. Ja, sie war eine Erscheinung, wie damals auch. Das sonnengelbe Kleid, die perfekte Anmut, während sie dahinschwebte, als berühre sie nicht einmal die Erde. Jene Erde, die von Blut getränkt war. Der Nordmann blieb stehen und sah in dieses vollkommene Antlitz. Es war ihm zuwider.
»Ich wusste, du würdest kommen«, sagte die Magierin und vollführte eine Geste des Wohlwollens.
»Wirklich?«, fragte Kayden, schob den Riemen von der Schulter, holte die Flammenklinge heraus und warf sie zwischen sie beide. »Das auch?«
Meridiem blickte auf den Drachenzahn, ihre Brust hob sich, senkte sich.
»Es war deine Bestimmung, Kayden Wolfshall. Nähre nicht den Zorn, der längst in der Vergangenheit begraben liegt!«
Der Nordmann lachte. »Oh, ich habe keinen Zorn mehr in mir. Ich habe ihn ausgeblutet! Ihr könnt ihn irgendwo unter den tausend Säulen finden.«
»Die Welt brauchte eine Seele, die findet, die vorangeht, was auch immer sich ihr in den Weg stellt.« Eine Ader an Meridiems Hals zuckte.
Ein Lachen ertönte, das Kayden den Puls bis in den Bauch fauchte. Er wandte sich um, sah zum Fluss, der das Refugium umgab, und ein Kind rannte lachend zwischen den Bäumen hervor. Das lockige Haar blond und zerzaust. In einem weißen Kleid, dessen Saum schon bessere Tage gesehen hatte. Ihre Ohren aber waren groß – und lilafarben.
»Mutter, haben wir Besuch?«, rief das Fuchsmädchen und blieb staunend vor Kayden stehen, musterte ihn neugierig mit hellen Augen und schaute zu ihm auf, als sei er das Wunderbarste, was sie je erblickt hatte. Forsch und gleichzeitig schüchtern trat sie vor und stupste Kayden in den Bauch.
»Uhh, er hat Muskeln. Darf ich die mal anfassen?« Sie kicherte verlegen. »Und unter dem Gestrüpp sehe ich süße Lippen. Oh, die würde ich zu gerne einmal küssen. Wie sie wohl schmecken?«
Kayden traute seinen Augen nicht. Das war Klecks, wie sie … wie sie …
»Kein Licht vergeht für immer«, erklärte Meridiem und rief das Mädchen zu sich. Doch die Kleine rührte sich nicht, sondern sah die Flammenklinge an, die auf der Erde lag.
»Ich mag das nicht«, sagte sie und suchte Schutz … bei Kayden. »Ist das deins?«, wollte sie wissen.
Der Nordmann kniete sich hin und lächelte das Fuchsmädchen an. »Nein, es gehört der Dame. Sie hat es mir nur geborgt.«
Die Stimme, die eigentlich aus Licht bestand, bekam eine dunkle Nuance.
»Komm her, Klecks! Der Mann stinkt nach Blut. Spürst du es nicht?«
Kayden sah die Zauberin an. Und diese wich zurück.
» Ihr habt es getan!«, sprach er ruhig. »Lange vor dem Großen Krieg wusstet Ihr, dass Avantlan eine Gefahr droht. Also habt Ihr die Drachen in die Tothautlande geschickt, um zu verbrennen, was nicht sein durfte, damit Ihr diesen möglichen Konflikt im Keim ersticken konntet. Kein Wirker sollte dort je seine Gabe finden. Und die Knochenschmelzer sind Eurem Ruf gefolgt, denn das Licht irrt niemals, oder? All das glosende Feuer, die verbrannten Häuser, die armen Menschen. Tote Familien. Und eine davon war die eines Mädchens namens Shizari, die mit ihren Händen die Knochen ihrer Eltern vergraben hat. Ja, die Sonne hat sich verdunkelt, doch das tut sie immer wieder. Ihr aber wolltet es beenden, bevor es überhaupt eine Saat gab. Ihr habt diesen Krieg erst begonnen. Eines aber war Euch entgangen. Denn ein Komet konnte an jenem Tag entkommen und er erschuf genau das, was Ihr immer gefürchtet habt: eine dunkle Zauberin – wie Euer verdammtes Spiegelbild!«
»Verlasse diesen Ort!«, zischte Meridiem. »Augenblicklich!«
Kayden legte die zarten Finger des Fuchsmädchens in die seinen und zwinkerte der Kleinen zu.
»Möchtest du auf eine Reise gehen?«, fragte er und Klecks hüpfte freudig umher, schaute zu Meridiem.
»Darf ich? Oh bitte, darf ich?! Er ist hübsch und stark. Er wird auf mich aufpassen. Das wirst du doch, oder?«, stieß sie hervor und Kayden nahm sie auf den Arm.
»Jeden einzelnen Tag«, versprach er.
***
Der Bug schnitt durch die Wellen wie eine glühende Klinge durch Schnee.
Die herrlichen Böen kamen aus dem Norden. Aira stand am Ruder und ihr Haar verfing sich auf ihren Wangen.
Die Wunden heilten. Denn diese Liebe war aus den Elementen entstanden.
Mit nackten Füßen saß der Nordmann an der Reling, roch das Salz der Wellen, die unbändige Lust auf neue Horizonte.
Sollten neue Könige alte Reiche beherrschen. Mit Bannern und Kronen. Es interessierte ihn nicht länger.
Alles, was sein Herz begehrte, war hier. Klecks lag lachend auf dem Bauch und tupfte ihre Fuchspfoten begeistert in die Wellen.
Und Aira? Sie war eine Prinzessin. Seine Prinzessin.
Für einen Augenblick war er wieder in der Kuppel, hörte zu …
»Du bist sooo süß, wenn du das Offensichtliche versuchst zu ignorieren, so brummig und bärtig.« Sie lächelte ihn an. »Wie bei Aira.«
»Ich habe es ihr gesagt!«, verteidigte er sich.
»Nein, hast du nicht. Du hast ihr das Gefühl geschenkt, nicht die Worte.«
Brummig und bärtig. Das musste er dringend ändern.
Die Kleine hatte recht.
Verdammt.