»Yolanda, Frühstück!«

Als mich Godmother aufweckt, brummt mein Kopf. Vielleicht sind das die Nebenwirkungen von Godland? Ich habe schließlich zwei Tage diesen verkabelten Helm getragen.

Ich rolle mich aus dem Bett und stehe auf. Noch immer ist mir etwas schwindlig. Das Licht lasse ich aus. Die Kontrollleuchten in der Schlafkoje reichen vollkommen.

Ich versuche, mich an das letzte Gespräch mit Godmother zu erinnern, doch alles bekomme ich nicht mehr zusammen. Irgendwie war dieser Ausflug nach Godland ganz schön anstrengend. Aber an einen Satz erinnere ich mich sehr gut: Deine Mutter war nicht in deiner Simulation.

Wie hat Godmother das gemeint? Natürlich kam meine Mutter darin vor! Wieso lügt sie mich an? Das ergibt doch keinen Sinn.

Aber ich will nicht mit Godmother darüber diskutieren. Ich muss endlich etwas essen. Deswegen hat sie mich schließlich geweckt.

Ich suche im Schrank nach frischen Kleidern. Ohne Licht wird das nichts, also schalte ich es ein. Wie befürchtet, tun

Das Licht wird etwas schwächer.

»Danke, Godmother.«

»Gern geschehen. Bitte gehe zuerst in den Waschraum.«

Zugegeben, die Idee ist nicht schlecht.

Ich packe frische Wäsche in einen Beutel. Der Korridor auf unserem Deck ist menschenleer. Alle schlafen noch. Wieso musste ich so früh raus?

Die roten Anzeigen über den Schlafkojen sind die einzige Lichtquelle um diese Uhrzeit. Ich schaue mir die restliche Dienstzeit von allen anderen an. Bis auf den Tag genau steht sie über jedem Eingang. In den letzten zwei Tagen meiner Abwesenheit hat sich kaum etwas verändert, es gab keine großen Strafen oder Belohnungen.

Der Waschraum ist leer, so früh duscht keiner. Am liebsten würde ich eine Stunde unter der heißen Dusche stehen. Aber nach fünfzehn Sekunden ist natürlich Schluss.

Wieso habe ich in Godland nicht geduscht? Das kalte Wasser im Fluss hat sich total realistisch angefühlt. Eine heiße Dusche wäre sicher genauso gewesen. Ich hätte sie mir vielleicht nur vorstellen müssen.

Ich trockne mich ab und will mich umziehen. Da springt die Dusche wieder an. Ich werde wieder nass, und das Badetuch ist komplett durchweicht.

Godmother meldet sich. »Du hast zwei Tage nicht geduscht und Wasser gespart. Dir stehen weitere Duscheinheiten zu.«

Weitere Duscheinheiten.

Vielen Dank auch.

Ich schnappe mir ein neues Badetuch und ziehe mich an. Ein paar Minuten später blicke ich durch die Schleuse zur Kantine. Dad, Mary und Conrad verteilen Teller.

»Du darfst schon rein«, sagt Godmother.

Das lasse ich mir nicht zweimal sagen und trete in die Schleuse.

Dad entdeckt und umarmt mich. Klar, der hat sich Sorgen gemacht. Zwei Tage war ich weg.

Was wissen die alle überhaupt von Godland plus?

»Dad! Ich war in Godland und ich …«

»Godmother hat uns davon erzählt«, sagt Conrad.

Mary blickt nur schweigend auf den Boden.

Auch mein Vater bekommt kein Wort raus, er hat Tränen in den Augen. Aus Kummer? Das tut mir total leid. Aber wie hätte ich ihm etwas sagen sollen?

Es ging ja alles total schnell. Kaum hatte ich in der Trainingshalle davon erfahren, stand ich schon im Kontrollzentrum bei Josie und Emre. Und schon bekam ich die Spritze von Silver und den verkabelten Helm.

Beim Blick auf meinen Vater verstehe ich, wieso das so fix ging. Godmother wollte, dass er erst dann von meinem Besuch erfährt, wenn ich schon in Godland bin.

Dad ist zu skeptisch. Und so hatte er keine Chance, mich umzustimmen. Er wurde gar nicht gefragt.

Godmother hat alles entschieden. Und ich habe alles mitgemacht.

»Danke für das Kompliment.«

Er schmunzelt mir zu. Immerhin hat er keine Tränen mehr in den Augen.

»Koffein!«, ruft Conrad.

Ich drehe mich um und sehe, wie er mir eine Kaffeetasse bringt. »Du warst zwei Tage nicht da. Also ist da ordentlich Kaffeepulver drinnen!«

Ich muss grinsen. Das ist ja wie bei der Duscheinheit.

Mary hält mich an der Schulter fest. »Iss aber vorher was. Sonst haut dich dieser Kaffee um!«

Ich kaue am Trockenfisch und spüle ihn mit einem großen Schluck runter. Der Kaffee schmeckt bitter und kräftig. Nach ein paar Bissen und einer halben Tasse bin ich satt. Komisch.

»Das ist normal«, klärt mich Godmother auf.

Ihr ist mein besorgter Blick nicht entgangen. Vermutlich analysiert sie jede Kaubewegung von mir. Sie weiß, wie viel Mineralien, Vitamine und Kohlenhydrate ich zu mir genommen habe.

»Aber das war nur ein halber Fisch«, sage ich.

»Und das erste Essen seit vielen Stunden«, sagt Godmother.

»Dein Magen muss sich erst wieder daran gewöhnen«, erklärt Conrad. »Da passt bald wieder mehr rein. Keine Sorge!«

Appetitlosigkeit. Na toll. Das muss auf die Liste der Nebenwirkungen für alle Godland-Besuche. Und diese Müdigkeit mit den Kopfschmerzen.

Aber alles hat sich gelohnt. Ich war dort und ich weiß, was uns nach zwanzig Jahren Dienstzeit erwartet. Godland ist jetzt kein Paradies oder so. Aber es ist ein schönes Leben, das sich verdammt echt anfühlt.

Ich winke Dad zu mir. Conrad und Mary verschwinden in der Küche, und ich höre Geschirr klappern. Das klingt lauter, als es normalerweise ist. Vielleicht machen sie extra Lärm, damit wir unter uns sind, sie nicht zuhören können. Godmother ist das offenbar egal. Kameras gibt es in der Kantine reichlich.

Sie liest einfach wieder von unseren Lippen ab.

»Und?«, fragt mein Vater. Er setzt sich zu mir und legt eine Hand auf meinen Arm. »Wie war dein Godland?«

»Schön«, sage ich. Und will ihm endlich mehr erzählen. Conrad trällert jetzt auch noch ein Lied aus der Küche. Es klingt furchtbar. Mary stört es ausnahmsweise nicht.

Ich rutsche näher zu Dad. »Ich hab Mum gesehen.«

Dads Hand wird steinhart, und es fühlt sich an, als würde er seinen ganzen Körper auf mich drücken. Und der ist nicht gerade leicht, da hat sich die letzten zwei Tage nichts geändert.

»Du hast deine Mutter gesehen?«

»Sie war wunderschön, und wir …«

Dad zieht seine Hand von meinem Arm. »Deine Mum ist tot. Das war nur ein Programm.«

»Ja. Aber trotzdem war es schön, sie zu sehen …«

Dad schaut mich so enttäuscht an, dass ich ins Stottern komme. Ich mache trotzdem weiter. »Sie … sie hat mit mir gesprochen! Dad! Es war so echt, und ich hab sie so lange nicht mehr …«

Dad haut auf den Tisch. Conrad hört auf zu singen, das Geschirr klappert auch nicht mehr.

So wütend habe ich ihn noch nie erlebt.

»Das weißt du nicht«, sage ich und versuche, ruhig zu bleiben.

»Doch!« Dad steht so schnell auf, dass sein Stuhl nach hinten wegkippt. Der Stuhl knallt auf den Boden, geht aber nicht kaputt. Sonst hätte es von Godmother eine Strafe gegeben.

»Dad! Ich hab Mum seit zehn Jahren nicht …«

»Hör auf!«, zischt mich Dad an.

Er läuft zur Schleuse und verlässt die Kantine. Es sieht aus, als würde er vor seiner eigenen Wut flüchten. Als hätte er Angst, noch mehr Schaden anzurichten. Mir noch mehr ins Gesicht zu schreien.

Ich stelle seinen Stuhl wieder auf.

»Yolanda.«

»Ja, Godmother.«

»Ich habe doch alle Daten überprüft. Deine Mutter war nicht in deiner Simulation.«

»Ich weiß. Das hast du gesagt. Aber …«

»Ich habe doch alle Daten überprüft. Deine Mutter war nicht in deiner Simulation.«

Wunderbar! Dad dreht durch, und Godmother spielt die dumme Maschine. Auch wenn sie sich nur wiederholt. Vielleicht kann ich es anders versuchen.

»Aber würde es theoretisch möglich sein, meine Mutter in Godland zu sehen?«

»Natürlich. Jedoch nicht gleich am Anfang, und schon gar nicht bei einem Besuch. Das wäre zu viel für dich.«

»Vielleicht hast du von ihr geträumt?«, sagt Godmother und fügt hinzu: »Zwischen deinem Godland-Besuch und dem Aufwachen im Kontrollzentrum.«

Ich träume oft von meiner Mutter. Auch wenn ich Godmother nichts darüber erzähle. Und sicher ist: Kein Traum war so echt wie das mit meiner Mutter in dem kleinen Boot auf diesem riesigen Fluss.

Mir kommt noch eine Idee. »Kann man in Godland träumen?«

»Ja. Aber auch diesen Datensatz würde ich erkennen.«

Stimmt, so wie mit den Gedanken. In Godland sind Gedanken und Träume nichts als Codes.

Mary tritt zu mir. »Wo ist Jesper?«, fragt sie.

»Er … also … er …«, suche ich nach Worten.

Warum soll ich ihr das jetzt erzählen? Sie und Conrad haben doch sowieso alles mitbekommen, so wie mein Vater herumgebrüllt hat.

»Jesper ist in den Waschräumen«, sagt Godmother.

Vermutlich ist das nicht mal gelogen. Sie hat ihre Augen überall.

Conrad zieht die Schultern hoch und lächelt mir etwas gezwungen zu. Mary streicht mir über den Kopf. Sie merken eigentlich immer, wenn es besser ist, zu schweigen. Ich bin da nicht so gut, eher lauter und direkter.

So wie mein Vater.

Doch heute konnte ich mich beherrschen, er sich leider nicht.

Die Kantine füllt sich langsam, die anderen begrüßen mich überschwänglich.

Sie freuen sich, mich wiederzusehen. Sie wissen alle von Godland plus und meinem Besuch.

Wenn ich gesund und munter hier sitze, dann heißt das: Godland wartet auch auf sie! Der Test war erfolgreich.

Tian kommt zu mir. »Und? Wie war’s?«

Alle schweigen und wollen meine Antwort hören. Das verstehe ich ja. Aber was soll ich sagen?

Toll war es! So einen Satz vielleicht? Damit ist keinem geholfen. Diese Worte sagen doch überhaupt nichts aus. Godland ist so persönlich, keine Ahnung, wie ich das jetzt den anderen erklären soll.

Silver tritt durch die Schleuse. Sie sieht besser aus als vor ein paar Stunden.

»Yolanda?«, fragt Tian etwas besorgt. »Alles klar? Jetzt erzähl doch mal!«

»Godland … ja also … ich finde …«

»Du musst nichts über dein Godland erzählen«, unterbricht mich Godmother.

Ich würde sie gern umarmen für diesen Satz.

Mein Godland ist meine Welt.

Mein Godland ist meine Privatsphäre.

Mein Godland ist meine ewige Zukunft. Die geht keinen was an.

Du musst nichts über dein Godland erzählen.

Ein toller Satz. Doch Godmother spricht weiter. »Du musst nichts erzählen, denn ich zeige euch jetzt Yolandas Godland.«