Ich renne den Korridor entlang und schreie. Ich brülle alles aus mir raus. Ich erreiche meine Koje und knalle meine Fäuste gegen die Tür. Immer wieder. Meine Stimme ist inzwischen nur noch ein Krächzen.

Endlich zischt die Tür auf. Drinnen werfe ich mich auf mein Bett und heule in mein Kissen.

»Yolanda«, sagt Godmother. »Ein Kind zu bekommen, ist …«

»Ich will kein Kind!«, schreie ich.

Mir ist klar, dass ich gerade gegen alle Regeln verstoße. Ich brülle herum, ich unterbreche Godmother, und ich widerspreche ihr. Vermutlich berechnet sie schon mögliche Strafen für mich.

»Yolanda, ein Kind zu bekommen, ist eine große Chance.«

»Eine Chance?«

»Unzählige Studien aus der Zeit vor den Klimakriegen beweisen, dass das für Mütter wie Väter ein sehr schönes …«

»Ich bin fünfzehn!«

Und dann hole ich erst mal Luft, so viel, wie ich jetzt sagen will, kann ich gar nicht laut schreien. »Godmother, sind diese Eltern in deinen Studien auch so jung? Und wurden die

»Ob du jetzt ein Kind bekommst oder in fünf Jahren, das macht doch keinen Unterschied. Mindestens ein Kind musst du vor dem Upload bekommen. Das weißt du doch, Yolanda.«

Natürlich weiß ich das. Woher sollen die neuen Analogen sonst kommen? Ich habe oft mit Silver darüber gesprochen. Wir haben ewig diskutiert, und Godmother hörte zu. Sie müsste daher am besten von allen wissen, dass Silver und ich keine Kinder wollen.

Wir haben uns mit verschiedenen Szenarien getröstet. Irgendwann würden wieder Schiffe kommen und da wären auch andere, viel jüngere Analoge. Die könnten uns ersetzen.

»Yolanda …«, fängt Godmother schon wieder an. Kann sie mich nicht einfach in Ruhe lassen? »Natürlich werde ich zur Belohnung eure Dienstzeit verkürzen.«

Ich wische meine Tränen am Kissen ab. Ich schlucke, und mein Hals tut dabei weh.

»Ich will jetzt kein Kind.«

»Ich verkürze deine Dienstzeit um fünf Jahre.«

»Fünf Jahre«, wiederhole ich wie ein Roboter. Das ist verdammt viel Zeit.

»Pro Kind«, ergänzt Godmother.

Sprechen kann ich jetzt nicht mehr. Fünf Jahre pro Kind? Bei drei Kindern wäre ich schon nach ein paar Jahren godline.

Aber was ist mit meinen Kindern?

Meine Kinder, wie das klingt.

»Wenn ich so früh godline gehe, wer kümmert sich um …?«

»… unsere Kinder?«, setzt Godmother meine Frage fort.

»Die älteren Analogen haben viel Erfahrung«, sagt Godmother. »Und ich übernehme den Unterricht in der Schule.«

Godmother wird meine Kinder so unterrichten wie mich. Sie wird vielleicht sogar wieder als Hologramm erscheinen. Sie wird als Mechanikerin zeigen, wie man die Geräte auf der Serverinsel repariert. Als lustige Köchin wird sie erklären, wie Fisch zubereitet wird und welche Arten ungenießbar sind. Und als Ärztin wird sie beschreiben, wie wir im Fall der Fälle erste Hilfe leisten.

Ich hab damals fleißig gelernt, um eine gute Analoge zu werden. Und ich arbeite jetzt als gute Analoge, um godline zu gehen. Ich lüge für Godmother sogar meinen eigenen Vater an.

So wie ich würden meine eigenen Kinder auch werden.

Und genau das will ich nicht. Ich will keine neuen Sklaven für Godmother zur Welt bringen.

»Ich weiß, an was du jetzt denkst«, sagt Godmother.

Ich spüre mein Herzschlag bis zum Hals. Weiß sie das wirklich?

»Du machst dir Sorgen, dass du deine Kinder in Godland vermissen wirst.«

Daran hab ich überhaupt nicht gedacht. Ich will keine Kinder. Wieso soll ich daran denken, wie es wäre, sie zu vermissen? Da muss Godmother auf die falschen Daten zugegriffen haben. Ich bin sicher, sie findet keine Statistiken über Fünfzehnjährige, die auf Serverinseln Kinder kriegen müssen.

Da Godmother nichts von ihrem Irrtum ahnt, spricht sie einfach weiter. »In deinem Godland können auch deine Kinder sein.«

Godmother versteht nicht, wie es mir wirklich geht.

Ich will keine Yolanda sein, die für Godmother lügt.

Ich will keine Yolanda sein, die Mutter ist.

Und ich will keinem Kind der Welt zumuten, auf dieser Insel leben zu müssen.

Ich will einfach nur Yolanda sein.

Keine Ahnung, was das ist oder wie sich das anfühlt. Ich war bisher immer nur das, was andere von mir wollten.

Falsch.

Nicht andere!

Ich war bisher immer nur das, was Godmother von mir wollte. Sie lügt uns an, wie es ihr passt. Und sie formt uns so, wie sie uns braucht.

Jemand hämmert an meine Tür. Das muss Silver sein. Auch wenn wir kein Gespräch unter vier Augen führen können, ist es gut, jetzt mit meiner Freundin zu reden – nicht mit einem Computer.

Ich drücke den Schalter, und die Tür geht auf.

Aidan steht vor mir. Ausgerechnet Aidan!

Mit ihm soll ich Kinder zeugen. Und es wären nicht mal unsere Kinder, sondern Godmothers. Das macht mich nur noch wütender.

Ich nicke ihm zu. »Schon hier? Du kannst es kaum abwarten, was?«

»Nein … warte … ich …«, stottert Aidan herum und tritt in meine Koje.

»Meine Schlafkoje ist gesperrt. Ich komme nicht mehr rein. Godmother will …«

Ich bringe den Satz für Aidan zu Ende. »… dass du ab jetzt in meiner Koje schläfst.«

Aidan blickt zu Boden. Der will auch kein Vater werden in dem Alter. Natürlich nicht. Ich war zu hart zu ihm, und das tut mir leid.

Ich lege ihm einen Arm um die Schultern. Er darf sich auf das Bett setzen. Kein Problem. »Wenn du was für deine Tränen brauchst, kannst du das Kissen nehmen. Es ist aber schon ziemlich nass.«

Aidan bleibt reglos stehen, versucht ein Lächeln. Doch es sieht wie eine traurige Grimasse aus. Wir sind beide in einer beschissenen Situation.

Ich setze mich aufs Bett und klopfe auf die Stelle neben mir. Aidan nimmt das Angebot endlich an.

Wir schweigen.

Godmother auch.

Was erwartet sie? Dass wir jetzt übereinander herfallen? Das wir es gar nicht abwarten können, ein Kind zu zeugen? Sollen wir sofort wie Maschinen das Nachwuchs-Projekt starten?

Ich würde gern mal mit einem Jungen schlafen. Klar. Aber erstens mit keinem der Jungs hier auf der Serverinsel. Zweitens will ich das bestimmt nicht machen, um ein Kind zu bekommen. Und drittens muss es ein Ort ohne Godmothers Augen sein.

»Da ist noch was«, sagt Aidan.

»Ich steh gar nicht auf Mädchen.«

Erst passiert nichts, ich schaue ihn einfach nur an. Ich versuche das zu verstehen, also was Godmothers Auftrag für Aidan bedeutet.

»Aidan, es geht darum, Nachwuchs zu zeugen«, sagt Godmother sanft. »Nicht um eine dauerhafte Bindung. Yolanda hat schon einen Freund in Godland.«

»Finn ist ein Freund und nicht der Freund, also keiner mit dem ich …«

»Schluss jetzt, Yolanda!«, zischt Godmother.

Aidan und ich blicken uns verzweifelt an. Godmother ist egal, was wir empfinden oder was wir wollen. Sie muss die Serverinsel retten und Godland beschützen. Darum geht es für sie.

Aidan und ich sind für Godmother wie zwei Roboter, die gemeinsam ein neues Produkt entwerfen: junge, neue Analogenkinder.

Endlich gebe ich mir einen Ruck und umarme Aidan.

»Die Lage ist für euch beide nicht einfach«, sagt Godmother.

Aidan will etwas klären und löst sich aus der Umarmung. »Wieso ich?«, fragt er. »Wieso nicht mein Bruder?«

»Genetisch passt du besser zu Yolanda als Mauro«, sagt Godmother.

Darüber habe ich bisher nicht nachgedacht. Natürlich hat Godmother auf alles geachtet. Sie analysiert unser Blut, unseren Speichel und andere Flüssigkeiten, über die ich hier nicht groß reden will.

Jeder von uns lässt sich jährlich von Godmother

Okay, zu Conrad sagt sie öfter: »Du darfst nicht so salzig essen.« Und zu Dad: »Bewege dich mehr.«

Doch die richtig schlimmen Sachen würde sie uns nicht sagen. Was sollte sie auch dagegen machen? Die großen Operationen fanden immer auf den Schiffen statt. Die Crew dort war dazu ausgebildet, hatte auch viel mehr Geräte, einen großen OP-Saal und solche Dinge.

Aidan ist gedanklich noch bei dem Satz von Godmother. »Genetisch?«, fragt er verwirrt. »Wir sind doch Brüder.«

»Dennoch ist bei ihm eine Veranlagung anders als bei dir.«

»Er ist krank?«

»Nein«, sagt Godmother.

Sie spricht über unsere Zukunft als wären es rohe Daten, die es nur zu interpretieren gilt. »Aber er hat ein höheres Risiko krank zu werden als du. Und ein Kind von ihm …«

Aidan winkt ab. »Würde das von ihm erben.«

»Zu 48,5 Prozent«, sagt Godmother.

Aidan stellt weitere Fragen, er will nicht aufgeben. »Es kommt doch Verstärkung, das hast du gesagt!«

»Und?«, fragt Godmother.

»Gibt es dort keine Kinder?«

»Nein.«

»Und andere Analoge, die Kinder bekommen können?«

»Auch nicht.«

Aidan fragt weiter, aber ich höre nicht mehr zu.

Godmother will das Nachwuchs-Projekt sofort starten.

Aber so schnell gebe ich nicht auf!