Mauro wartet auf mich im Labor. Auf dem Monitor in der Kantine stand als erste Aufgabe des Tages »Labordienst«. Eigentlich kennen wir uns hier gar nicht aus. Ich bin gespannt, was wir hier sollen.

»Was sind das für Fremde auf dem Schiff?«, fragt Mauro.

»Mauro!«, ermahnt ihn Godmother. »Ihr müsst jetzt arbeiten.«

»Bitte Godmother, nur diese eine Frage.«

»Gut. Yolanda, beschreibe die Fremden.«

»Komische Typen sind es«, sage ich und verziehe das Gesicht. »Das verseuchte Festland hat sie ganz krank gemacht.«

Godmother ist sicher stolz auf mich. Das soll sie ruhig sein. Wenn alles klappt, wird Mauro die Wahrheit bald selbst herausfinden.

Im Labor blinken nun drei Schubladen grün.

Godmother gibt genaue Anweisungen. Die eine Substanz müssen wir in den Apparat ganz hinten schütten. Die andere in die kleine Maschine daneben. Später vermischen wir die Masse und füllen sie in kleine Formen.

»Was wird das?«, frage ich.

Godmothers Stimme dröhnt durch den Raum. »Mauro!«

Er zuckt zusammen. »Ich meine, irgendwann kommt ja … also … dann haben wir hier Hilfe.«

Mauro hat Mist gebaut.

Er hat mir Dinge verraten, die ich nicht hören darf, die nur für ihn bestimmt waren. Die Verstärkung kommt wirklich. Wir machen Essen für sie. Und wenn wir das jetzt zubereiten, sind sie nicht weit weg. Egal, wie viele es sind – sobald sie da sind, bin ich für Godmother nicht mehr so wichtig.

Und was gilt dann noch unsere Vereinbarung? Alle fünf Tage ein Godland-Besuch. Dabei brauche ich nur den einen davon, heute Abend!

»Wann kommt die Verstärkung?«, flüstere ich Mauro zu.

Ich muss es riskieren.

Er blickt verstört auf den Boden. Womit droht ihm Godmother? Wovor hat er solche Angst?

»In den kommenden Tagen vermutlich«, antwortet Godmother.

Mauro stellt sich stumm.

In den kommenden Tagen.

Schon klar. Deswegen machen wir jetzt im Labor so viel Essen.

Godmother, du Fake-Maschine!

Was soll ich machen?

Wenn die Verstärkung vor dem Abend eintrifft, dann ist es vorbei. Godmother wird meinen Besuch in Godland absagen. Gute Ausreden und glaubhafte Lügen erfindet sie ja alle paar Minuten.

Ob die Verstärkung nun kommt oder nicht, das Essen ist auf jeden Fall fertig.

»Gut gemacht«, sagt Godmother. »Ihr seid ein tolles Team. Ich verkürze eure Dienstzeit um zwei Tage.«

Schönen Dank auch.

Ich habe mir nicht die ganzen Aufgaben auf dem Monitor gemerkt. Dafür war die Liste zu lang.

»Wohin jetzt?«

»Waschräume«, sagt Mauro.

»Wunderbar!«, sage ich, obwohl ich am liebsten fluchen würde.

Am Nachmittag sind wir endlich fertig. Doch noch eine letzte Aufgabe blinkt für uns auf dem Monitor. Ich könnte schwören, dass sie vorher nicht dort stand.

»Freideck«, liest Mauro vor und geht durch die Schleuse.

»Freideck?«

»Bitte kümmert euch dort um die Solarzellen und die Netze«, sagt Godmother.

Ich kann es nicht glauben. »Wir dürfen wieder auf das Freideck?«

Auch Mauro strahlt. Der hat schon lange keine frische Luft mehr geatmet.

»Wir brauchen mehr Essen«, sagt Godmother und überlegt vermutlich, wie sie die Verstärkung satt bekommen soll.

Doch mir wird plötzlich ganz anders. Was ist, wenn Mauro das Schiff von Atara, Liam und den anderen sieht? Der petzt doch sofort alles Godmother!

Als Mauro und ich das Freideck erreichen, scheint die Sonne

Die Tiere ruhen sich hier auf der Serverinsel aus, bevor sie Hunderte Kilometer weiterfliegen. Das wird gleich eklig.

»Und, wie sieht’s aus?«, ruft Mauro.

Der Wind weht so stark, dass ich ihn kaum verstehe.

Was soll ich ihm sagen? Ich entscheide mich für die Kurzfassung.

»Beschissen.«

Mauro lacht, und ich finde es dann auch witzig. Aber eher, weil das alles so lächerlich ist. Ich meine, ich weiß, wie ich Godland beenden kann. Das ganze Programm. Und was ist eine meiner letzten ehrenvollen Aufgaben? Vogelscheiße von Solarzellen kratzen.

Ich hole mir aus einer Kiste unter der Anlage eine Bürste. Handschuhe sind keine mehr da. Phantastisch!

Mauro kümmert sich um die Netze und verschwindet zum Rand der Serverinsel.

Ich klettere auf die Solarzellen und schirme die Augen mit beiden Händen ab. Aber ich entdecke nichts! Nur endlos viele Wellen.

Von Ataras Schiff fehlt jede Spur, und von der Verstärkung auch. Wenn ich mehr sehen will, muss ich höher.

Das Windrad!

Ich springe von den Solarzellen erst auf die Kiste mit den Bürsten und dann auf das Freideck. Mauro steht bei den Netzen und ist schwer beschäftigt. Das dauert bei ihm noch eine Weile. Gut so.

Die Tür ist versperrt. Natürlich.

Ich trete dagegen, doch das bringt überhaupt nichts. Bei den Solarzellen finde ich eine Metallstange und presse sie in den Spalt zwischen Tür und Türrahmen. Endlich springt die Tür auf. Wäre das eine von Godmothers Schleusen, dann hätte ich keine Chance gehabt.

Ich bin drinnen und stehe vor der Leiter.

Mein Ziel sind die ersten zwei runden kleinen Fenster, vielleicht zwanzig Meter über mir. Ich muss mich beeilen, bevor Mauro etwas merkt.

Die winzigen Fenster sind total verdreckt, die Öffnungen klemmen natürlich. Erst drücke ich nur den Ellenbogen gegen die eine Scheibe, dann klopfe ich so fest ich kann. Etwas bewegt sich, und bei meinem nächsten Schlag kippt das Glas aus dem Rahmen und stürzt in die Tiefe. Der Wind fängt es auf und schleudert es in die Wellen. Das war nicht so optimal.

Ich schaue raus und suche den Horizont ab. Ich kann ewig weit schauen. Doch da ist nichts. Weder Verstärkung von Godland zweiundvierzig noch Ataras Schiff.

Sind die abgehauen? Oder haben sie sich versteckt? Vor wem?

Nicht vor Godmother, denn ihre Außentechnik ist ja Schrott. Also verstecken sich Ataras Leute vor der Verstärkung. Dann kommen die wirklich, bevor ich in Godland bin.

Kurz wird mir schwindlig. Ich klammere mich mit beiden Händen an der Leiter fest. Den Sturz aus dieser Höhe würde

Jetzt hämmere ich mit einer Faust auf das kleine Fenster gegenüber. Schließlich springt es auf, bleibt aber im Rahmen stecken. Immerhin.

Ich starre bestimmt eine Minute in die Ferne. Auch auf dieser Seite ist nichts. Das heißt, fast nichts. Irgendetwas funkelt rot am Horizont.

Es könnte ein schwimmender Müllberg sein. Das kommt immer wieder vor. Der Müll verwickelt sich ineinander, ballt sich zusammen. Dann treiben Tüten, Verpackungen, alte Fässer und kaputte Schiffsteile wie eine schwimmende Insel herum.

Zu dem einen Punkt kommt noch ein Punkt. Und dann noch einer. Das ist kein Müll, das sind mehrere kleine Boote!

Die Verstärkung von Godland zweiundvierzig kommt tatsächlich. Das wird knapp.

Eine halbe Stunde später sind die Solarzellen geschrubbt und die Netze geflickt. Mauro und ich sind total erschöpft. Godmother hat wirklich einen straffen Plan ausgearbeitet für uns Analoge.

Auf dem Weg zum Waschraum befragt sie uns, und es ist wie ein Verhör.

»Ist euch etwas auf dem Deck aufgefallen?«

»In welchem Zustand sind die Solarzellen?«

»Habt ihr die Besen danach gereinigt?«

»Sind sie wieder gut verstaut?«

»Und die Netze sind ausgebessert?«

Solche Sachen eben.

Josie und Emre kommen in die Kantine, beide bleiben am Monitor stehen.

Josie verschränkt die Arme vor sich. »Das ist nicht fair. Von uns war noch keiner dort.«

Sie hat natürlich recht, aber ich will auch nicht zu meinem Vergnügen dorthin.

»Yolanda?«

»Ja, Godmother.«

»Vielleicht sollten wir den Besuch von Godland wirklich verschieben. Die anderen Analogen wollen ihr Godland auch sehen, und du …«

»Nein!«, rufe ich viel zu laut in den Raum. »Ich besuche Godland jetzt. So wie vereinbart.«

Emre und Josie starren mich fassungslos an.

Ich habe Godmother unterbrochen. Ich muss alles auf eine Karte setzen. Denn wenn die Verstärkung eintrifft, kann ich meinen Plan vergessen.

Godmother lässt sich nicht provozieren und spricht weiter. »Du kannst doch morgen hin, Yolanda. Dann wäre Josie heute dran.«

Inzwischen ist mein Godland-Besuch vom Monitor verschwunden. Godmother hat ihn einfach gestrichen.

»Nein. Ich besuche Godland jetzt. So wie vereinbart.«

Ich wiederhole meinen Satz Wort für Wort. Was Godmother kann, kann ich auch.

»Ich sehe gerade, es gibt leider noch technische Probleme …«, beginnt Godmother.

»Nein. Ich besuche Godland jetzt. So wie vereinbart.«

Mauros Mund ist weit geöffnet. Niemand von uns hat bisher Godmother nachgemacht.

»Ja, Yolanda.«

»So groß werden die technischen Probleme nicht sein. Es ist doch sicher kein Laborunfall wie bei Deck B, oder?«

Godmother versteht meinen Hinweis sofort.

Wenn ich Godland nicht jetzt besuchen darf, dann erzähle ich alles. Die ganze Wahrheit von Deck B, vom Schiff und den Fremden. Und von Zoes Unfall.

Alles.

»Emre und Josie«, sagt Godmother, ohne eine stimmliche Veränderung. Beide treten einen Schritt vor. Sie sind Godmother so treu ergeben wie immer.

»Bitte bereitet Yolandas Besuch in Godland vor.«

Emre schaut in eine der Kameras. »Was ist mit den technischen Problemen?«

»Die konnte ich lösen.«

»So schnell?«, fragt Mauro.

»Natürlich«, sagen Godmother und ich gleichzeitig.

Auch das hat es noch nie gegeben.