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Via degli Acquasparta, Rom

Die Einladung war zugestellt. Jetzt musste er nur noch die letzten Vorbereitungen treffen. Er hatte das Dossier über seine Zielperson genauestens studiert. Und ein Mann wie Wagner, konnte gar nicht anders als dieser Einladung nachzukommen.

Der Auftrag, den der Kahle hier angenommen hatte, war eine Herausforderung. Nicht nur der Schuss an sich, sondern die Zielperson selbst. Und jetzt kam noch dazu, dass er improvisieren musste. Ursprünglich war der Anschlag auf Tom Wagner in Wien geplant gewesen, doch dieser hatte ganz spontan sich einen Flieger nach Rom geschnappt. Dank seiner Kontakte war es ihm aber gelungen, in kurzer Zeit alles Notwendige zu organisieren.

Er stand in der Via degli Acquasparta und blickte nach oben auf das Teatro Tordinona. Vor 400 Jahren gegründet, musste es viermal neu gebaut werden. Das aktuelle Gebäude hatte aber auch schon 140 Jahre auf dem Buckel.

Der Kahle schlich durch einen Nebeneingang in das historische Gebäude und huschte die Treppen nach oben. Die dumpfen Klänge der letzten Aufführung des Tages hallten durch die schmalen Gänge. Oben angekommen knackte er lautlos das Schloss zu dem kleinen Dachgeschoß. Es einen Turm zu nennen, wäre übertrieben gewesen, aber der kleine Raum mit den allseitigen Bleifenstern eignete sich perfekt als Sniper-Nest.

Der heruntergekommene Raum wurde nur als Abstellkammer genutzt. Die schmierige Schmutzschicht auf den Bleifenstern machte es ihm beinahe unmöglich, hindurchzusehen. Teilweise waren sie sogar mit Zeitungen verklebt worden. Schade eigentlich, denn die Aussicht auf den Tiber und den, am anderen Ufer liegenden Justizpalast war atemberaubend. Er stellte seinen Rucksack auf den Tisch, entnahm das Zielfernrohr und ging zum nordöstlichen Fenster. Er kippte das eine bewegliche Fenster auf und blickte durch sein Zielfernrohr die Via Condotti entlang, die zu einer der bekanntesten Sehenswürdigkeiten Roms führte: die spanische Treppe - sein Zielgebiet.

* * *

Ein komplizierter Schuss, dachte der Kahle. Eine 1200 Meter lange Häuserschlucht und am Ende ein offener Platz. Dazwischen immer wieder Quergassen. Die Windverhältnisse waren unberechenbar. Aber er hatte vorgesorgt und auch mit dem Wetter dürfte er Glück haben. Es war windstill. Am Nachmittag war er die luxuriöse Einkaufsstraße und den Zielort abgegangen und hatte an ein paar strategischen Stellen kleine Windrädchen angebracht, die ihm, via einer eigenen Funkfrequenz, genaue Winddaten in seinen Ballistik-Computer einspeisten.

Er rückte den Tisch in die Mitte des kleinen Raumes und baute das Gewehr zusammen. Mit dem ausgeklappten Stativ positionierte er es auf dem Tisch. Ballistik-Computer und Handy daneben. Mit einem Glasschneider schnitt er nun eine der Scheiben aus dem Bleifenster heraus, um eine freie Schussbahn, auf Höhe des Tisches zu haben. Er zog den alten Holzstuhl heran und setzte sich.

Sein Handydisplay zeigte einen rot blinkenden Punkt auf einer Karte Roms. Seine Zielperson befand sich also bereits auf dem Weg. Die Einladungskarte war nicht nur ein dekadentes und extravagantes Gimmick, sondern diente einem ganz pragmatischen Zweck. Er hatte in die Karte einen kleinen GPS-Sender eingearbeitet. So konnte er seine Zielperson auf Schritt und Tritt verfolgen.

Der Kahle schob das Magazin in das Präzisionsgewehr und lud durch. Routiniert legte er das Gewehr an und justierte das Zielfernrohr, nachdem er die Ballistikdaten abgelesen hatte. Jetzt war er bereit. Konzentriert blickte er durch das Zielfernrohr. Herr Wagner war pünktlich auf die Minute - so berechenbar. Der Scharfschütze griff zu seinem Handy und klickte auf die oberste Nummer.