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Krankenstation im Kreml, Nischni Nowgorod, Russland

Tom hatte das Gefühl, als ob jemand mit glühenden Nadeln in seine Augen stechen würde, als er sie langsam öffnete. Sein Kopf dröhnte und es gab kaum ein Körperteil, das nicht schmerzte. Er sah sich verwirrt um, nachdem sich seine Augen an das Licht gewöhnt hatten. Er lag auf einem Behandlungstisch in einem kleinen Krankenzimmer. Weiter kam sein Gehirn nicht. Denn sein nächster Gedanke war schmerzhafter. Er fuhr hoch.

„Verdammt, sie haben das Kreuz“, rief er und sein Kopf bedankte sich postwendend mit einem sengenden Schmerz.

„Nein, haben sie nicht.“ Hellen drückte ihn sanft zurück in eine liegende Position.

Der Patriarch und sein Sekretär kamen zur Tür herein.

„Geht es Ihnen besser, Mr. Wagner?“, erkundigte sich der Patriarch.

„Respekt“, dachte Tom. „Der Russe kann meinen Namen korrekt aussprechen.“ Den dummen Gedanken wegwischend, nickte er.

„Mir fehlt nichts. Mein Kopf explodiert im Sekundentakt, aber alles andere sind …“ Er machte eine kleine Pause. „… nur Kratzer. So sagen doch die coolen Hollywood-Helden in den Actionfilmen, oder?“

Er grinste die Drei an. Hellen verdrehte die Augen. Sie war aber sichtlich erleichtert.

„Ihm fehlt nichts“, sagte sie zum Patriarchen und dieser nickte beruhigt.

„Was ist mit dem Kreuz? Der Glatzkopf hatte es und ich habe ihn entkommen lassen. War das ein Erdbeben? Habt ihr den Glatzkopf erwischt? Sind andere Menschen verletzt? Der Erdbeben-Typ hatte doch recht!“ Tom setzte sich langsam auf.

„Das muss mit dem Schock zu tun haben. So viel redet er sonst nicht“, sagte Hellen entschuldigend in die Runde.

„Ja, der Erdbeben-Typ hatte recht“, sagte Sir Hillary.

Erst jetzt bemerkte Tom den Forscher, der in einer Ecke des Raumes saß und einen Eisbeutel gegen seinen Kopf drückte.

„Bringt also nichts, wenn man Erdbebenforscher ist“, witzelte Tom und deutete zur Stirn des Forschers. „Man bekommt trotzdem was auf die Mütze.“

„Das?“ Er schielte mit den Augen nach oben und hob den Eisbeutel kurz an. „Das waren die Security-Leute des Präsidenten“, knirschte der Mann. „Und ja, in ein paar Stunden ist hier die Hölle los, kein Stein wird auf dem anderen bleiben. Das hier war nur ein leichter Vorgeschmack. Das Epizentrum wird meinen Berechnungen zufolge, unweit des Svetloyar Sees liegen. Genau dort, wo die Legende Kitesch vermutet.“

„Wenn wir das Kreuz nicht haben, brauchen wir …“

„Wir haben das Kreuz“, unterbrach der Sekretär des Patriarchen Pater Fjodor triumphierend. Alle blickten den Priester mit großen Augen an, als er zu seiner Erklärung ansetzte.

„Ich war auf dem Weg zur Toilette, als das Licht ausging. Ein Mann kam aus dem Konzertsaal gelaufen, direkt auf mich zu. Er blickte nach hinten, als ob ihn jemand verfolgen würde. Ich nehme an, das waren Sie.“ Er sah Tom an und dieser nickte. Der Pater fuhr fort. „Er hatte mich nicht bemerkt und ich musste ihm einfach nur ein Bein stellen. Er flog der Länge nach hin und ließ dabei das Kreuz fallen. Ich nahm es an mich. Sekunden später drängten die Leute aus dem Saal und er ergriff die Flucht.“

Tom nickte zufrieden. „Na, Gott sei Dank breche ich mir fast den Hals, während ich dem falschen Typen nachrenne.“ Tom setzte sich auf.

„Was ist eigentlich aus diesem Engländer geworden, Brice oder so? Der gehörte doch mit dem Glatzkopf zusammen?“

„Der Waliser? Der ist einfach in dem Chaos verschwunden!“, erklärte Hellen und half Tom auf die Beine.

Er war noch ein wenig wackelig, fühlte sich aber schon viel besser. Er wandte sich an Sir Hillary.

„Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich brauche jetzt einen Drink. Man kann nur hoffen, dass die in unserer Hotelbar einen brauchbaren Whisky Sour zustande bringen. Kommen Sie doch mit und schildern sie uns in allen Einzelheiten das bevorstehende Armageddon.“

Sir Hillary nickte und alle verließen die Krankenstation. „Solange ich einen Single Malt trinken kann, gern. Diese Whiskycocktails mit Bourbon sind nur etwas für Barbaren.“