Sie betraten das Hauptgebäude des alten Bauernhofs und der Unterschied zur unmittelbaren Umgebung hätte gravierender nicht sein können. Sie standen in einem Raum, der groß genug war, um zwei Fußballmannschaften auf einmal aufzunehmen. Es sah aus, wie eine Symbiose aus einem Elektrosupermarkt und einem Schrottplatz. Die Tische und Regale waren vollgeräumt mit technischen Geräteteilen der letzten Jahrzehnte. Tom sah das geöffnete Gehäuse eines alten Commodore 64, neben einem Laserdisc-Player und einem der ersten Tablet-Computer, dem Palmtop von Apple. Daneben lag eine top-moderne Drohne, Nachtsichtgeräte der neuesten Generation, eine VR-Brille und eine silberne Box auf der Playstation 6 stand.
Weiter hinten sah Tom einen großen Tisch, auf dem eine unüberschaubare Anzahl an automatischen Waffen lag. Einige erkannte Tom, andere wieder hatte er noch nie gesehen. In diesem Raum stand dermaßen viel Zeug herum, dass es Toms Sinne überforderte.
„Nette Sammlung“, sagte er. Mit einem breiten Schmunzeln sah er sich begeistert um.
„Ihr denkt jetzt sicher, dass ich die Konten einiger russischer Oligarchen hacken musste, um das alles hier zu bekommen. Nun, was soll ich sagen: Ihr habt recht.“ Modest grinste höhnisch.
„Mein Freund hier hat mir gesagt, dass du ein paar Waffen brauchst und ein paar andere Kleinigkeiten. Die Details kenne ich nicht und - um ehrlich zu sein - will ich die auch gar nicht wissen!“ Er richtete seinen Blick auf Cloutard. „Ich vertraue dir.“
Modest führte die beiden an dem Tisch mit den automatischen Waffen vorbei zu einer Tür am Ende des Saales. Er tippte ein paar Zahlen auf das Bedienfeld neben der Tür ein und diese sprang mit einem leisen Piepsen auf. Tom und Cloutard starrten in den Raum. Was sie darin sahen, übertraf all ihre Erwartungen.
„Exzellent! Aber was machst du mit all dem Zeug hier?“, fragte Tom. Er betrachtete eine riesige Sammlung von Waffen verschiedenster Art, die an der Wand montiert waren. Wie in einem Museum standen unter jeder Waffe die Modellbezeichnung und ein paar Fakten. Tom sah Pistolen, Revolver, Maschinenpistolen und Scharfschützengewehre jeglichen Fabrikats, das es auf dem weltweiten Waffenmarkt gab. Auch hier sah Tom einige Modelle, die ihm völlig unbekannt waren.
„Das ist mein Hobby. Ich sammle Waffen.“
„Wofür?“, fragte Tom. „Für die Zombie-Apokalypse?“ Der Typ war sogar ihm suspekt.
„Einfach zum Spaß. Ich liebe sie.“
„Und woher hast du das ganze Zeug?“, fragte Tom
„Nach dem Zerfall der UdSSR kam also mögliche auf den Schwarzmarkt, von Atomaketen bis U-Booten war alles zu haben. Das U-Boot hat mit leider jemand anderer weggeschnappt. Wäre ein tolles Spielzeug geworden. Keine Ahnung, wer damit jetzt rumfährt.“
„Verkaufst du sie Sachen auch oder sammelst du nur?“, fragte Tom.
„Manchmal verlaufe ich auch. Meistens an dieselben Leute, deren Konten ich ein paar Monate davor geplündert habe.“
Cloutard kicherte wissend. „Ja, das haben wir früher auch immer so gemacht.“
„Viele superreiche Menschen sind auf der Suche nach exotischen Waffen und bereit, gut dafür zu bezahlen. Das Schöne daran ist: Sie wollen meistens nur damit angeben und die Waffen kommen nie zum Einsatz.“ Er sah Tom mit ernster Miene an. „Ich bin kein skrupelloser Waffenhändler, wenn du das meinst. Na los, nimm dir, was immer du brauchst.“
Tom nahm drei Handgranaten aus einer Holzkiste und fing an damit zu jonglieren, und sah Cloutard dabei lächelnd an.
„Mon ami, du weißt, dass ich es mit Waffen nicht so habe.“
„Jetzt stelle dich mal nicht so an. Wir ziehen nicht in den Krieg. Wir wollen nur gewappnet sein, wenn ein paar böse Jungs auftauchen. Denke einfach an Ossana“, sagte Tom ruhig.
Cloutard nickte eifrig und griff sich eine Walther PPK.
„Die Waffe eines Gentlemans.“
Modest lachte und deutete zu einem großen Schrank an der Wand. „Die Munition findet ihr da drin.“
„Noch was?“ Modest wandte sich wieder Tom zu.
„Ja, Kommunikation wäre noch wichtig“, sagte Tom, während er eine FN P90 mit Schalldämpfer, eine Glock mit Schalldämpfer, eine taktische Weste, ein Messer, Handgranaten und Halfter in eine schwarze Tasche stopfte.
„Wir müssen dich schon wieder als kleinen Mann im Ohr haben?“, fragte Cloutard.
Sie verließen die Waffenkammer und Gagarin führte die beiden zu einem der unzähligen Tische im Saal. Toms Miene hellte sich auf. Er entdeckte die neueste Audio-Video-Kommunikation für Kampfeinsätze.
„Großartig“, sagte er. Tom fügte ein paar davon seiner Tasche hinzu.
„Wir bräuchten noch einen fahrbaren Untersatz“, bemerkte Tom spaßeshalber. Er rechnete nicht damit, dass Modest auch das im Programm hatte.
Modest lächelte „Da habe ich etwas Besonderes für euch.“
Cloutard und Tom sahen sich verdutzt an und folgten dem Russen. Er schob ein großes Holztor am Ende des Saales beiseite und Tom blieb kurz das Herz stehen. Er blickte auf einen nigelnagelneuen, aufgemotzten Toyota Tundra 6x6 Herkules.
„Ist das ein standesgemäßes Gefährt für eure Pläne?“ Gagarin hatte die Frage eher rhetorisch gestellt.
„Absolut“, entgegnete Tom.
Modest kramte in einer Schublade und fingerte zwei Schlüssel heraus, die er, ohne zu zögern, Tom übergab.
„Die übliche Bezahlung?“, fragte Cloutard.
Modest nickte.
Plötzlich ertönte eine laute Sirene, wie man sie in Sci-Fi Filmen hörte, wenn mit dem Raumschiff etwas nicht stimmte.
„Was zur Hölle?“, schrie Tom.
„Das ist nur die Türglocke“, sagte Gagarin lachend.
Er blickte auf ein paar Monitore.
„Ein alter Mann, eine junge Frau und“, Gagarin stockte verdutzt „… ein Priester.“
„Klingt wie der Anfang eines Jokes, ich weiß, aber das sind nur unserer Freunde. Wir haben alle Friendfinder aktiv. So wissen wir immer, wo wer gerade ist“, sagte Tom. Über diesen Umstand war Gagarin gar nicht glücklich. Er liebte seine Anonymität. Aber Freunde von Cloutard waren auch seine Freunde.
Als sich wenig später alle Parteien vorgestellt und begrüßt hatten, breitete Hellen die Pläne des Schlosses und der nahegelegenen Kirche auf einem der großen Tische aus und erklärte Tom, was sie entdeckt hatte. Sie studierten die Pläne eindringlich und sahen sich auch noch das Satellitenmaterial genauer an. Nach einiger Zeit wandte sich Tom an Gagarin.
„Modest, du hast nicht zufällig einen Hubschrauber oder ein kleines Flugzeug?“
„Nein, aber ich habe etwas viel besseres.“ Gagarin wackelte mit den Augenbrauen.
Als die Abenddämmerung hereinbrach, brauste ein monströser Toyota Tundra aus der Einfahrt des Bauernhofes. Was auf der anderen Seite des Anwesens geschah, konnte der Kahle von seiner Position aus nicht sehen. Der Killer saß seit Stunden, außer Sichtweite in seinem SUV und beobachtete das Anwesen. Als der Toyota weit genug weg war, stieg er aus und ging langsam zum Eingangstor des Bauernhofes. Er hämmerte mit der Faust ein paar Mal gegen das Tor.