Kapitel 2
Jordan hinkte über die rutschigen Holzdielen der Veranda. Sein Zeh fühlte sich an, als wäre er auf dreifache Größe angeschwollen. Lieber keinen Blick mehr riskieren. Im Eisfach gab es ein Coolpack. Das hatte Jordan bereits an seinem Ankunftstag gute Dienste geleistet. Hammerkopfschmerzen nach der Anreise.
An der offenen Verandatür blieb er stehen. Über dem Meer wetterleuchtete es. Die Abstände zwischen den Blitzen und dem rollenden Donner wurden länger. Das Gewitter zog vorüber. Der Regen prasselte nun gleichmäßig auf das Deck. Einzelne Tropfen spritzten vom Geländer hoch. Die Loungemöbel in der Ecke würden wohl einige Zeit zum Trocknen brauchen. Sie standen zwar unter dem vorgezogenen Dach, das hatte sie aber nicht vor dem zeitweise waagrecht gegen das Haus schlagenden Regen schützen können. Nicht Jordans Problem. In ein paar Wochen war er hier weg. So oder so.
Eigentlich hatte er die Tür zuschieben wollen, doch nun entschied er, sie offen zu lassen. Der kühle Wind war angenehm, vertrieb die gewittrige Schwüle. Der Steinboden war ohnehin schon von Sandverwehungen geschmückt. War wohl keine so gute Idee gewesen, den Hausservice abzubestellen. Naja, irgendwo würde Jordan einen Staubsauger auftreiben. Er hinkte durch den Wohnbereich zu der offenen Küche. Auf halbem Weg stutzte er.
Durch die sandigen Schlieren auf dem schwarzen Steinboden zogen sich Spuren. Schon wieder. Und schon wieder nicht von ihm. Wenn das so weiterging, wurde er hier noch zum Fährtenleser …
Scheiße! Da war jemand hier im Haus!
Jordans Magen verwandelte sich in einen Eisklumpen. Reglos stand er da und lauschte angespannt. Er hätte die Schiebetür nicht offen lassen sollen. Aber wie hätte er ahnen können, dass sich bei dem Wetter Einbrecher hier herumtrieben? Meilenweit entfernt vom nächsten Ort?
Tja. Wohl perfekt für Einbrecher.
Und wieso störte Jordan das? Wenn ihn der Einbrecher nun erschoss oder ihm den Schädel einschlug oder was auch immer, wäre er seine Sorgen los. Sein Körper suggerierte ihm zwar Alarm, doch sein Geist übernahm rasch die Kontrolle. Jedenfalls redete Jordan sich das ein und ignorierte seinen hämmernden Herzschlag. Leise schlich er durch den Raum. Zumindest war das der Plan, bis er versehentlich seinen Zeh belastete und aufjaulte. Mit angehaltenem Atem hielt er inne.
Nun hörte er etwas.
Wasserrauschen.
Das war die Dusche, eindeutig.
Der Einbrecher duschte. Wie schön für ihn.
Angst hatte Jordan sowieso nie gehabt. Wovor? Vor dem Tod? Haha. Doch jetzt verspürte er wieder diesen Hauch von Ärger. Er konnte sich denken, wer hier einfach so in sein Haus spaziert war und ohne zu fragen das Bad benutzte. Das passte ihm ganz und gar nicht. Er war zwar erst seit zwei Tagen hier, sah das Haus jedoch bereits als seinen persönlichen Zufluchtsort an. Einen Ort, an dem er allein sein wollte. Niemand wusste, dass er hier war. Und nun brach ein dahergelaufener Kerl in seine Privatsphäre ein!
Er marschierte los. Der Schmerz in seinem Fuß machte ihn noch wütender. Er riss die Tür zum Badezimmer auf.
Der Mann ohne Zelt trat gerade aus der Dusche.
Jordan musste erstmal schlucken.
Der Kerl hatte kein Gramm Fett am Leib. Nichts als definierte Muskeln, Knochen und Sehnen. Über seine linke Brust zogen sich wulstige Narben, die ein geometrisches Muster bildeten. War das ein Brandzeichen?
Mit einer Hand strich sich der Mann seinen Haarschopf nach hinten. Wasser rann ihm über die breiten Schultern. Kantige Schultern. Erneut blieb Jordans Blick an den Narben hängen, wanderte gegen Jordans Willen tiefer. Die Hüftknochen des Mannes traten scharf hervor.
Jordans Gesicht wurde heiß. Wieso stand er hier und starrte einem Fremden zwischen die Beine? Einem Einbrecher! Er sollte die Polizei rufen. Und vermutlich Angst haben, keine Schwänze bewerten. Stattdessen fühlte er etwas ganz anderes, das er zuerst gar nicht erkannte. War zu lange her. Es dauerte ein paar stockende Atemzüge, bis er merkte, was seinen Körper mit Hitze flutete, ihm kribbelnd in den Unterleib schoss und ihn hart werden ließ.
Erregung.
Okay. Er hatte schon vorher gewusst, dass er durchgeknallt war. Sollte ihn also nicht überraschen, dass ihn das hier anmachte. War es das rollenspielähnliche Porno-Szenario? Reicher Schnösel überrascht Einbrecher? Stroh lag hier nicht rum, aber Sand.
»Hast du mal 'n Handtuch?«
Was?
Wie kackendreist war dieser Typ eigentlich?
Jordan griff in das Schrankfach neben ihm, packte das erstbeste Handtuch und schleuderte es in die Richtung des Eindringlings. Des Manns ohne Zelt. Der überhaupt nicht sein Typ war. Und doch der heißeste Anblick, den er seit langer Zeit hatte erleben dürfen. Der hatte was. Sex. Ja, er strahlte rohen, ungeschliffenen, brutalen Sex aus. Gefahr.
Und Jordan hatte mal wieder zu viel Fantasie.
Ungerührt fing der Mann das Handtuch aus der Luft und rubbelte sich flüchtig über das Haar, begann dann, sich mit sparsamen Bewegungen abzutrocknen. Unter der glatten Haut bewegten sich die Muskeln.
Jordans Mund wurde trocken.
»Was fällt dir ein, hier einzubrechen?« Er merkte selbst, wie lahm das klang. Erbärmlich.
»Die Tür stand offen«, sagte der Mann, ohne ihn anzusehen. Seine Stimme klang zwar rau, aber nicht mehr so brüchig wie vorhin in den Dünen.
»Das ist kein Grund, hier einfach rein zu gehen. Das ist mein Haus.«
»Schon klar. Und dein verfickter Strand. Hab's kapiert. Und weißt du was?« Der Mann hob den Kopf und sah ihm direkt in die Augen. »Es ist mir scheißegal.«
Das glaubte Jordan ihm sofort. Früher war er mal schlagfertig gewesen. Hatte auf alles eine witzige Antwort gewusst. In einem anderen Leben. Jetzt stand er stumm da und versuchte, die Augenfarbe seines Gegenübers zu benennen. Dunkelgrau, doch noch während sich diese Bezeichnung in seinem Kopf formte, wechselte sie zu Tiefblau, zurück zu Grau, schien zu wogen wie die Meereswellen bei Sturm.
»Ich ruf die Polizei.« Das klang ja noch erbärmlicher.
Der Mann ließ das Handtuch fallen und kam auf Jordan zu. Einen angespannten Moment glaubte Jordan, er würde auf ihn losgehen, doch er schlenderte an ihm vorbei, rempelte ihn unsanft an und war raus aus dem Bad. Jordan taumelte einen Schritt zur Seite, kam unglücklich auf dem Zeh auf und sog die Luft ein, hieß die Wut willkommen. Er folgte dem Mann, der wie selbstverständlich nackt durch sein Wohnzimmer spazierte.
»Jetzt hör mal zu, du Arschloch!«, brüllte Jordan. »Du bist in dieses Haus eingebrochen. Das ist eine Straftat!«
»Ach nee. Und was willst du jetzt machen?« Der Mann erreichte den Wohnzimmertisch und griff nach Jordans Smartphone. »Die Polizei rufen? Hiermit?«
Fassungslos sah Jordan zu, wie der Mann mit großen Schritten den Raum durchquerte, auf die Veranda trat, ausholte und das Smartphone Richtung Meer schleuderte. Er drehte sich zu Jordan um. »Ist das auch ne Straftat?«
Jordan sparte sich eine Antwort. Er stürzte an dem Mistkerl vorbei in den Regen. Dunkel nahm er wahr, dass es noch regnete. Irgendwo in der Ferne donnerte es und die dunklen Wolken jagten über den Himmel, tauchten den Strand in tanzende Schatten. Es dauerte eine Weile, bis Jordan das Smartphone fand. Durch das Rauschen des Meeres und des Regens hörte er seinen keuchenden Atem, das Pochen seines Pulses in den Ohren. Seine nassen Finger schlossen sich um das Smartphone. Der Bildschirm war schwarz. Sand klebte in sämtlichen Ritzen.
Was jetzt?
Jordan richtete sich auf, spähte zum Haus. Der Einbrecher lehnte an der offenen Verandatür, so lässig, als wäre er nicht nackt, als wäre er nicht in Jordans Haus eingedrungen, als als hätte er nicht soeben Jordans einzige Verbindung zur Außenwelt zerstört. Eine Verbindung, die Jordan ohnehin hatte kappen wollen, auf eine wesentlich endgültigere Art als ein defektes Smartphone.
»Sag mal, Blondie«, rief der Mann ihm zu, laut genug, um den Wind zu übertönen. »Hast du ein paar trockene Klamotten für mich?«
Mit diesem Kerl stimmte doch was nicht. Das war kein gewöhnlicher Camper, den ein Sturm überrascht hatte. Dann hätte er höflich auf der Veranda gewartet und Jordan gefragt, ob er reinkommen dürfte. So machten normale Leute das. Vor allem wäre er gar nicht erst auf die Idee gekommen, auf ausgewiesenem Privatbesitz sein Zelt aufzubauen. Und er hätte Jordans Smartphone nicht zerstört.
Das Klügste wäre wohl, die Flucht zu ergreifen. Loszurennen, bis zur Straße, zur Not zum nächsten Ort. Von da aus die Polizei rufen. Wie weit war das? Jordan wusste es nicht genau. Konnten zwanzig Meilen sein, oder dreißig. Bei Sturm, durchnässt, barfuß, mit einem vermutlich gebrochenen Zeh. Da konnte sich Jordan was Besseres vorstellen. Dazu gehörte tatsächlich auch, mit einem ungehobelten Einbrecher das Haus zu teilen. Außerdem hatte der Mann ihn nicht bedroht. Der war nur dreist.
Er stapfte durch den Sand zurück, erklomm mit zusammengebissenen Zähnen die Stufen zur Veranda. Der Kerl lehnte da, als würde er auf einer öden Party die Zeit totschlagen. Nur ein Bier in seiner Hand fehlte noch.
»Bier dazu?«, fuhr Jordan ihn an. »Wenn du es dir hier schon gemütlich machst.«
»Klar, gerne. Aber nur, wenn es kalt ist.«
In der stoischen Miene des Kerls regte sich kein Muskel, sein Blick blieb kühl. Gelassen. Sexy.
Scheiße.
Er verlagerte sein Gewicht und musterte Jordan abschätzig. »Du solltest besser auch mal ne heiße Dusche nehmen und was Trockenes anziehen. Nicht, dass du dich noch erkältest.«
Beißenden Sarkasmus hatte er drauf.
Smartphones zerstören offenbar auch, denn so sehr Jordan auf dem Display herumwischte und tippte, es passierte nichts. Schließlich ließ Jordan es im Vorbeigehen auf das Sofa fallen. Er ging weiter ins Schlafzimmer und blieb stehen, betrachtete den geöffneten Koffer neben dem Bett. Warum hätte er sich die Mühe machen sollen, sein Zeug in den Schrank zu räumen?
»Oder gefällt es dir besser, wenn ich nichts anziehe?«, raunte ihm eine heisere Stimme ins Ohr.
Er zuckte zusammen und ärgerte sich darüber. »Ich hab keine Angst vor dir«, stieß er hervor. Nur, um das gleich klarzustellen.
Ein leises Lachen erklang, kaum mehr als ein glucksendes Grollen, viel zu dicht neben ihm. »Aber du bist scharf auf mich. Brauchst du nicht abzustreiten. Ich bin nicht blind.«
»Ich bin überhaupt nicht …« Jordan verschluckte den Rest der offensichtlichen Lüge und verfluchte die dünnen Shorts, die er trug, und die zu allem Überfluss nass wie eine zweite Haut an ihm klebten und alles zeigten, was sein verräterischer Körper ihm da gerade vormachte. Dass er wirklich scharf auf diesen dreisten Mistkerl war.
»Nimm ne kalte Dusche, Blondie. Ich bediene mich einfach selbst.«
Das klang für Jordans Geschmack sehr zweideutig und anzüglich und passte zu dem vielsagenden Blick, den der Mistkerl ihm zuwarf, bevor er sich über den Koffer beugte.
Ach, was sollte es.
Das war doch alles scheißegal.
Sollte dieser Mann hierbleiben. Darauf kam es nun auch nicht mehr an.
Jordan trottete ins Bad und machte sich nichtmal die Mühe, hinter sich abzuschließen. Unter der warmen Regendusche spülte er sich den Sand und die letzten Reste des ohnehin nur schwach glimmenden Ärgers ab. Die Leere verdrängte alles andere. Da war kein Platz für Angst oder Wut.
Erstaunlicherweise aber für Erregung.
Da half auch kein kaltes Wasser.