Kapitel 3
Das hier war kein einfaches Strandhaus. Das war eine verdammte Strandvilla. Alles nur vom Feinsten. Jacuzzi auf der Veranda. Nobelste Einrichtung. Allein die Musikanlage war garantiert so hundert Mille wert. Blondie konnte es sich leisten. Nur teure Markenklamotten in seinem schicken Köfferchen. Storm wählte Shorts und ein T-Shirt von einer bekannten Nobel-Surfer-Marke aus. Blondie war nur ein bisschen kleiner als er und schlank. Das passte halbwegs.
Er schlenderte durch die Villa, während er mit halbem Ohr auf das Rauschen der Dusche lauschte. Bisher hatte sich Blondie als erstaunlich zahm erwiesen. Andererseits - was sollte er schon machen? Mit seinem IPhone konnte er nichts mehr anfangen. Storm hatte sich nicht darauf verlassen, dass der Sand dem Ding den Garaus machen würde. Er hatte vor dem Duschen die Sim-Card entfernt, zerbrochen und in den Müll geworfen. Das Ding war hinüber. Er traute es dem Schnösel nicht zu, sich auf den Weg ins nächste Dorf zu machen. Nicht bei diesem Scheißwetter. Angreifen würde Blondie ihn wohl auch eher nicht. Und falls doch, würde er den Kürzeren ziehen.
Storm verzog das Gesicht zu einem Grinsen. Er hätte schon Lust, mit Blondie zu kämpfen. Wenn er ihn ein wenig provozierte …
Nein, sah schlecht aus. Ein Blick in Blondies tote Augen hatte Storm gereicht. Er hatte Männer wie ihn gekannt. Die hatten sich aufgegeben. Die kämpften für gar nichts mehr. Hatte ihn schon überrascht, dass Blondie ihn zwischendurch mal angebrüllt hatte. Da war kurz Leben in seinen Augen aufgeflackert, hatte den stumpfen Blick durch ein funkelndes Aufblitzen ersetzt, nur flüchtig, dann war der Vorhang wieder zugefallen.
Blondie konnte ihm nicht gefährlich werden. Sprach aber nichts dagegen, ein bisschen Spaß mit ihm zu haben. Er sah aus der Nähe anders aus, als Storm erwartet hatte. Dünner. Nicht mehr wie der sonnenhelle Surferboy mit dem strahlenden Lächeln. Eher wie der düstere, gefallene Engel, der seit Monaten zu wenig aß und kaum schlief. Trotzdem nicht übel. So gefiel er Storm sogar besser.
Erneut fletschte Storm die Zähne zu einem freudlosen Grinsen. Als wenn er wählerisch gewesen wäre. Er hatte so lange nicht mehr vernünftig gefickt, dass es schon nicht mehr wahr war. Und auf Äußerlichkeiten hatte er sowieso nie Wert gelegt.
Er öffnete den Kühlschrank. Gut bestückt. Das Bier war natürlich kalt. Alles in dieser Villa war perfekt. Nur das Beste für die zahlenden Bonzen. Abgesehen vom Sicherheitsdienst, der war mau. Sozusagen nicht vorhanden. Storm hatte sich auf Wachmänner eingestellt, ein paar Bodyguards.
Nichts.
Keine Sau hatte ihn daran gehindert, sein Zelt in der Nähe der Villa aufzustellen. Er hätte jetzt einfach die Hütte leerräumen können. Vielleicht sollte er das tun … nur, dass er dazu den passenden fahrbaren Untersatz bräuchte und er für den ganzen Kram auch erstmal Käufer finden musste. Selbst, wenn er alles zügig verticken konnte, würde die Kohle nicht reichen. Er würde weiterhin in der Scheiße stecken. Nein, besser, wenn er beim bisherigen Plan blieb. So schlecht war der nicht. Etwas dürftig und unausgegoren vielleicht. Immerhin konnte Storm auf einem bequemen Sofa herumlungern und kaltes Bier trinken. Niemand hatte verlangt, dass er hier keinen Spaß haben durfte. Dass Blondie sich bisher so kooperativ zeigte, sah er als Extrabonus. Er hatte mit stärkerer Gegenwehr gerechnet. Mit mehr Misstrauen. Mit mehr … Leben.
Was war los mit dem Kerl?
Wie auf ein Stichwort kam Blondie in den großzügig geschnittenen Raum, der aussah wie eine Werbung für Luxusvillen, mitsamt den auf das Meer gerichteten Panoramafenstern. Blondie passte im Gegensatz zu Storm richtig gut da rein. Jedenfalls, wenn man nicht allzu genau hinsah. Wenn man sich blenden ließ von den Edelklamotten und der blonden Sunnyboy-Surfermatte, die ihm feucht ins zu schmale Gesicht hing. Er trug ebenfalls Short und T-Shirt. Nur, dass die Sachen an ihm aussahen wie an einem Model und nicht wie über eine Vogelscheuche geworfen, wie bei Storm. Blondie hatte nicht nur Kohle, sondern auch Klasse.
»Was willst du?«, fragte er, eher resigniert als aggressiv.
»Bier trinken?« Storm hob die Flasche. »O, sorry. Hab mich noch nicht vorgestellt. Ich bin Storm.«
Blondie blinzelte. Sein trüber Blick huschte über Storms Bier, weiter zum Fenster, zurück zu Storm. »Jordan«, sagte er. »Dein Zelt ist weggeflogen.«
Gut erkannt. Nicht nur reich, auch noch schlau. Blondie war ein guter Fang.
»Heißt du wirklich Storm?«, fragte er müde und winkte sofort ab. »Ach, ist mir egal.« Er hinkte zum Kühlschrank und kam mit einem Bier in der Hand zurück, ließ sich in einen der Sessel fallen und streckte die Beine von sich. Sein unsicherer Gang war Storm schon aufgefallen. War er verletzt?
»Meine Eltern waren Hippies«, sagte er leichthin. »Frag mich nicht, wie meine Geschwister heißen.«
Jordan fragte nicht. Er schloss die Augen und trank Bier. Er sah älter aus als auf den Fotos. Von seinen Nasenflügeln zogen sich schräge Falten zu den abwärts zeigenden Mundwinkeln. Auch zwischen seinen Brauen gruben sich Furchen in seine Stirn, zu tief für sein Alter. Fast dreißig müsste er jetzt sein. Drei Jahre älter als Storm.
»Ist was mit deinem Fuß nicht in Ordnung?«, fragte Storm.
Jordan öffnete die Augen einen Spalt weit. »Was ist eigentlich mit deinen Sachen?«
»Welchen Sachen?«
»Na, die im Zelt waren. Du hattest doch bestimmt Gepäck dabei. Schlafsack, Klamotten …«
»Spricht da der Camping-Experte?«, spottete Storm. Als ob Jordan auch nur eine Nacht seines Lebens in einem Zelt verbracht hätte. Leute wie er residierten in Luxushotels. Obwohl … vielleicht als Kind.
»Also, wo ist dein Zeug?« Jordan setzte sich auf. Das Bier schien seine Lebensgeister zu wecken. »Und dein Auto?«
»Wer sagt, dass ich ein Auto habe? Meine Sachen hat der Sturm geholt, genau wie mein Zelt.« Storm hob die Schultern. »Shit happens. War nichts Wertvolles dabei.«
»Und dein Ausweis? Dein Geld?«
»Wird das ein Verhör?«
»Ich frage mich nur, warum du mein Smartphone kaputt gemacht hast. Du hättest damit jemanden anrufen können, der dich abholt.«
»Das setzt voraus, dass es so jemanden gibt.«
Das brachte Jordan eine Weile zum Schweigen. Er setzte ein Pokerface auf. Das gelang ihm gar nicht schlecht. Obwohl er in einer völlig anderen Welt als Storm lebte, hatten sie wohl beide lernen müssen, ihre wahren Gefühle zu verbergen.
Storm lehnte sich bequem zurück und nippte an seinem Bier. »Wir haben was gemeinsam. Wir sind beide auf der Flucht.« Warum sollte er das nicht zugeben?
»Ach ja?« Jordan musterte ihn desinteressiert.
»Du bist hier, weil du deine Ruhe haben willst. Hier findet dich keine Sau.« Und außerdem vermutete Storm, dass Jordan auf der Flucht vor sich selbst war.
»Vielleicht kommen gleich meine Freunde. Vielleicht habe ich hier eine große Party geplant.« Das sagte Jordan so unbeteiligt, als glaubte er selbst nicht dran. Tat er ja auch nicht, weil es eine Lüge war.
Storm wechselte das Thema. »Wieso regst du dich eigentlich so auf, nur weil ein armer Camper hier Zuflucht vor dem Sturm sucht?«
»Ich reg mich nicht auf. Du hast recht, ich will meine Ruhe haben. Das hat mit Flucht nichts zu tun.« Jordan kniff die Augen zusammen. »Vor wem oder was fliehst du? Vor Drogendealern? Der Mafia? Deinen Komplizen vom letzten Bankraub, die du aufs Kreuz gelegt hast?«
Storm verschluckte sich beinahe an seinem Bier. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Jordan Humor hatte. Und mit welch stoischem Ernst er seine Vermutungen vorbrachte. Respekt. Ganz so falsch lag er damit nicht.
»Oder … warte …« Jordan hob die Hand, wie um Storm zum Schweigen zu bringen, dabei hatte der gar nicht vor, ihn zu unterbrechen. Das war viel zu unterhaltsam. Außerdem leuchteten Jordans Augen wieder. »Du bist aus dem Gefängnis ausgebrochen.«
Gar nicht schlecht.
Storm erwiderte Jordans erwartungsvollen Blick gelassen. »Schon möglich. Aber was will ich dann ausgerechnet hier?«
»Das hier ist ein Ferienhaus. Hätte jetzt eigentlich leergestanden. Ich hab es spontan gemietet. Du wolltest dich hier mit deiner Kontaktperson treffen, die dir neue Ausweise und sowas gibt. Ihr konntet nicht damit rechnen, dass jemand hier ist.«
»Treffen? Hier im Haus? Das hat eine Alarmanlage, oder?«
Natürlich hatte es eine. Die funktionierte allerdings nur, wenn man sie auch einschaltete, worauf Jordan offenbar keinen Wert legte.
»Nein, nicht im Haus. Draußen in den Dünen. Auf diesem Strandabschnitt ist nur jemand, wenn das Haus vermietet ist. Privatstrand, du erinnerst dich?«
»Dunkel. Okay, ich bin also aus dem Knast ausgebrochen. Hast du jetzt nicht Schiss, dass die Kontaktperson bald auftaucht?«
Jordan musterte seine Bierflasche, drehte sie zwischen den Händen und runzelte die Stirn. Er schien tatsächlich über die Frage nachzudenken. »Nein«, sagte er schließlich. »Was soll diese Person schon tun? Mich erschießen?« Seine Mundwinkel hoben sich zu etwas, was wohl ein Lächeln darstellen sollte. Das war die traurigste Grimasse, die Storm seit langer Zeit gesehen hatte, und das wollte was heißen.
Er stand auf. »Jetzt mal Spaß beiseite«, sagte er leichthin. »Ich bin nur ein harmloser Camper, der aus diversen Gründen keinen Bock auf die Bullen hat. Ich werde für ein paar Tage bleiben, dann verschwinde ich und du hast deine Ruhe. Noch 'n Bier?«
Mit auffordernd ausgestreckter Hand blieb er neben Jordan stehen, der zu ihm aufblickte. Eine blonde Strähne fiel ihm in die Augen und er warf sie mit einer knappen Kopfbewegung zurück. Diese Geste. An die erinnerte sich sogar Storm, der mit dieser Art von Musik nie was am Hut gehabt hatte. Genau dieses lässige Schütteln hatte tausende von Fans zum Kreischen gebracht. Millionen vermutlich. Nur, dass Jordan damals in die Kameras gestrahlt hatte. Voller Energie. Nun lag wieder der trübe Schleier über seinen Augen.
Storm bewegte die Finger. »Deine Flasche?«
Jordan trank sie aus und gab sie ihm. Er sagte nicht, ob er noch eine wollte, also brachte Storm ihm auf seinem Rückweg vom Kühlschrank zum Sofa eine mit. Waren genug da, im Kühlschrank, und unter der Theke, die den Küchenbereich vom Wohnbereich trennte, standen zwei weitere Kisten. Storm gab Jordan die Flasche und blieb stehen, um durch das Panoramafenster zu blicken. Draußen stürmte es noch immer, doch das Gewitter schien weitergezogen zu sein. »He, warum gehen wir nicht in den Jacuzzi?«
»Was?« Jordan sah ihn verständnislos an.
»Na, dein Jacuzzi da draußen.« Storm zeigte auf das von einer Plane bedeckte Gebilde auf der Veranda.
»Es regnet.«
»Na und? Da ist doch das Dach drüber. Also ich geh da jetzt rein.«
»Bei Gewitter soll man nicht ins Wasser gehen.« Trotz dieser Warnung stand Jordan auf. Beinahe, als ob ihm die Vorstellung gefiel, im Jacuzzi von einem Blitz gekocht zu werden.
Storm tappte über die Veranda, stellte sein Bier auf dem Geländer ab und zog die Plane zur Seite. Wasser war drin. Er hatte auch nichts anderes erwartet. Für die Gäste nur das Beste. Nur, wie man mit so einem Ding umging, wusste er nicht. Es gab eine Schalttafel mit mehreren Knöpfen und Drehschaltern. Jordan trat neben ihm, gab ihm wie selbstverständlich seine Flasche zum halten. Er machte sich an der Konsole zu schaffen. Wenig später fing das Wasser an zu blubbern.
»Dauert etwas, bis das warm genug ist«, erklärte er.
»Scheiß drauf.« Storm grinste ihn an und streifte Shorts und T-Shirt ab, schnappte sich sein Bier und kletterte in den runden Pool. Direkt kalt war das Wasser nicht. Erfrischend. Er ließ sich auf eine der ausgeformten Bänke sinken, sodass nur noch Kopf und Schultern an die Luft ragten. Genießerisch nippte er an seinem Bier, lehnte sich zurück und stieß mit einem zufriedenen Seufzen den Atem aus. So ließ er sich das gefallen!
Jordan zögerte.
»Komm schon, Blondie.« Storm streckte die Hand aus. »Ich halte dein Bier. Komm rein, es ist cool!«
Jordan reichte ihm erneut die Flasche, drehte sich um. Mit dem Rücken zu ihm zog er die Shorts aus, gefolgt vom T-Shirt. Auf seiner geraden Wirbelsäule waren Buchstaben tätowiert. Bevor Storm sie lesen konnte, drehte sich Jordan hastig um, als wäre ihm soeben aufgefallen, dass er etwas preisgab, das Storm nicht sehen sollte. Er stieg mit den Bewegungen eines alten Mannes in den Jacuzzi und verzog das Gesicht, als sein Fuß den Boden berührte. Er setzte sich in die Ecke schräg gegenüber von Storm. Also in die am weitesten von ihm entfernte.
»Verrätst du mir jetzt, was mit deinem Fuß los ist?«, fragte Storm und hielt ihm sein Bier hin.
Jordan trank einen großen Schluck. »Die Überreste von deinem Zelt haben mich angegriffen«, sagte er trocken.