Kapitel 4
Storm grinste. Nicht das schiefe, gefährliche Grinsen, sondern ein offenes, amüsiertes. Trotzdem sah er wie ein kantiger Brutalo aus, skrupellos, durchtrieben.
Jordan mochte das, wie ihm verwundert auffiel. Er musste selbst grinsen. »Ja, einer von deinen Heringen hat sich in meinem Zeh verbissen.«
»Verdammt. Eigentlich sollte das Biest mein Zelt festhalten.«
»Tja, hatte wohl andere Prioritäten.«
Das kalte Bier tat gut. Das lauwarme Wasser auch. Lange her, dass Jordan so etwas aufgefallen war. Wann hatte er aufgehört, Dinge zu tun, die ihm gut taten? Und nein, er war nicht der Meinung, sich bestrafen zu müssen. Das hatte er schon vor den unzähligen Therapiestunden nicht geglaubt. Ohne Storm wäre er nie auf die Idee gekommen, den Jacuzzi zu benutzen. Hätte keinen Sinn darin gesehen.
Ob Storm wirklich irgendwo ausgebrochen war? War doch seltsam, dass er keine Sachen dabei hatte. Falls die alle vom Sturm weggeweht worden waren, blieb er bemerkenswert cool. Oder sein wichtiges Zeug wie Ausweis und so lagen sicher verstaut in seinem Auto. Was hatte der Kerl vor? Jordan traute ihm nicht. Natürlich nicht. Er traute schon ewig niemandem mehr. Nur, dass die meisten Menschen, denen er Misstrauen entgegenbrachte, ihn vollschleimten und versuchten, einen guten Eindruck bei ihm zu hinterlassen. Darauf legte Storm sichtlich keinen Wert. Er saß zurückgelehnt da, den Kopf so weit in den Nacken gelegt, dass Jordan seine stoppelige Kehle und seinen Adamsapfel sehen konnte, die Augen geschlossen und die Arme ausgebreitet links und rechts auf den Rand des Beckens gestützt. Er sah aus wie jemand, der den Moment genoss.
»Hat was, oder?«, fragte er träge.
Seltsamerweise wusste Jordan sofort, was er meinte. Es war immer noch dunkler, als es für den späten Nachmittag
hätte sein dürfen. Der Wind heulte um das Haus, strich mit hungrigen Fingern über die Veranda und brachte ab und an ein paar feuchte Sandkörner mit. Hundert Meter entfernt rollten die grauen Wellen an den Strand. Es roch nach nassem Sand und Chemie. Vermutlich nach dem Zeug, mit dem der Jacuzzi gereinigt worden war. Chlor oder sowas.
Ja, es hatte durchaus etwas, mit einem kalten Bier hier zu sitzen und zuzusehen, wie die Wolken über den Himmel jagten. Oder zuzusehen, wie Storm einen Schluck trank und sein Adamsapfel sich auf und ab bewegte. Wie sich sein Bizeps wölbte, als er die Flasche gleich nochmal zum Mund führte. Wie seine Schultern breit und gerade wie eine Mauer aus dem Wasser ragten.
»Starrst du mich an?«, fragte Storm, ohne den Kopf zu heben. Er hatte sogar die Augen geschlossen. Sein schmaler Mund verzog sich zu dem gefährlichen Grinsen. »Tu dir keinen Zwang an. Ich weiß eh, dass du scharf auf mich bist.«
Wenn das eine Anmache werden sollte, war er bei Jordan an der falschen Adresse. Er wusste nicht, wie er auf Storms offensive Ansage reagieren sollte. Er konnte sie nicht mal deuten. War das eine Anmache oder doch eher nicht? Und auch, wenn sein Körper eindeutig auf Storms Gegenwart reagierte, hatte Jordan keine Ahnung, ob er Sex wollte. Er hatte nicht mal gewusst, dass er Bier gewollt hatte, und doch saß er nun da und es schmeckte ihm.
Welch beeindruckender Vergleich. Er hätte öfter mal einen Songtext schreiben sollen, und nur, weil …
Stopp.
Er leerte die Flasche auf Ex.
Vom Alkohol sollte er besser die Finger lassen. Warum eigentlich? Kam doch sowieso nicht mehr darauf an. Und, wo er schon dabei war, warum sollte er von Storm die Finger lassen?
Von dem geheimnisvollen Fremden, der so tat, als würde das Strandhaus ihm gehören.
Was sollte schon passieren?
»Von mir aus gerne mehr«, hörte er Storm sagen und zuckte zusammen.
»Was?«
»Du hast doch gefragt, was passieren sollte. Das war meine Antwort.« Storm hatte den Kopf gehoben und musterte ihn aus halbgeschlossenen Augen.
»Ich hab nur laut gedacht.«
»Ich auch.« Storm sah Jordan weiterhin herausfordernd an.
Moment mal.
Was, wenn es sich bei Storm um einen aufdringlichen Fan handelte?
Obwohl Jordans Jahre des Ruhms weit hinter ihm lagen, gab es doch von Zeit zu Zeit einen anhänglichen Stalker, der ihn nicht in Ruhe ließ, ihn verfolgte, Briefe schrieb, ihm Geschenke schickte. Hatte es wirklich mal eine Zeit gegeben, in der sich Jordan von sowas geschmeichelt gefühlt hatte? Vielleicht ganz früher. Sein siebzehnjähriges Ich hatte es nicht besser gewusst. Nicht geahnt, wie schnell Verehrung in Hass umschlagen konnte. Und Erfolg in den Absturz.
»Weißt du, wer ich bin?«, fragte Jordan scharf.
In diesem kantigen Gesicht konnte er einfach nichts lesen. Storms Miene blieb unergründlich. Nur in seinen Augen glaubte Jordan, ein flüchtiges Aufblitzen zu erkennen.
Lässig nippte Storm an seinem Bier. »Schätze schon.«
Pinkelte der Kerl eigentlich Eiswürfel? Den schien nichts aus der Ruhe zu bringen. Das konnte Jordan auch. Er lehnte sich zurück, obwohl er fürchtete, dass diese Haltung bei ihm eher verkrampft als lässig wirkte, und wartete ab.
Storm hob eine Braue. »Du bist JJ. Von SWS. Sinners Wear Socks. Abgehalfterter Ex-Boygroupstar. Brauchst mir kein Autogramm zu geben.«
»Seit wann weißt du das?«
»Du hast dich nicht so wahnsinnig viel verändert.«
Äußerlich vielleicht nicht. Auch wenn sich Jordan an den meisten Tagen nicht im Spiegel erkannte. Er hatte mit seinen Therapeuten darüber gesprochen. Das hatte irgendwelche psychischen Gründe. Offenbar erkannten nämlich andere Leute ihn sehr wohl. Wie jetzt zum Beispiel Storm. Und aus genau diesem Grund hatte sich Jordan in dieses einsame Strandhaus zurückgezogen. Und aus einem Haufen anderer Gründe, über die er nicht nachdenken wollte.
Jordans Armmuskeln fingen an zu zittern und ihm fiel auf, dass er die Luft anhielt und sämtliche Muskeln anspannte. Er war total verkrampft. Wartete darauf, dass Storm irgendetwas sagte, das mit Sinners Wear Socks zusammenhing. Mit …
Stopp.
Er sagte es laut. »Stopp.« Wie ein Peitschenknall durchschnitt die heftig hervorgestoßene Silbe die Luft. Die dampfende Luft, denn aus dem mittlerweile warmen Wasser stiegen neblige Schwaden auf.
Storm hob die Schultern. »Du hast doch damit angefangen. Für mich bist du Jordan, Blondie. Nur ein Typ in einer Strandvilla, der sich nichtmal in nem geilen Jacuzzi entspannen kann.«
»Na und?«, fuhr Jordan ihn an. Wieso ärgerte ihn das jetzt? Stimmte doch. Es störte ihn einfach, dass dieser Kerl sich total relaxt im Wasser aalte und mit sich und der Welt im Reinen schien, obwohl vorhin sein Zelt und sein Gepäck davongeweht waren. In seiner Brust stach es und diesmal brauchte er nicht so lange, um das Gefühl zu identifizieren. Neid. Er beneidete Storm um seine Lebenskünstlerart. Um seine Fähigkeit, genießen zu
können. Im Augenblick zu leben. Scheinbar unbelastet von allem, was gewesen war und von dem, was kommen würde.
Scheinbar. Das war wohl der Haken an der Sache. Nie war jemand so, wie er sich gab. Und hinter Storms Fassade konnte Jordan nicht ansatzweise blicken.
»Außerdem bin ich entspannt«, behauptete er. Zum Beweis legte er auch einen Arm auf den Beckenrand.
»Warte mal.« Storm verließ seine Ecke, bewegte sich geschmeidig durch den Dampf auf ihn zu.
Gleichgültig wartete Jordan ab. Falls Storm ihm Angst einjagen wollte, hätte er ein paar Jahre früher kommen müssen. Über diese Art von Gefühl war Jordan hinaus. Abgesehen von den ebenso regelmäßigen wie grundlosen Panikattacken, die ihm den Schlaf raubten. Doch Menschen machten ihm keine Angst. Auch so ein Möchtegern-Schurke wie Storm nicht.
Und warum hämmerte ihm dann schon wieder das Herz gegen die Rippen? Warum stockte ihm der Atem, als sich Storms hagere Gestalt über ihn lehnte und das Piercing in seiner Brustwarze Jordans Schulter streifte?
Und, die Frage aller Fragen, warum war er enttäuscht, als ihm aufging, dass Storm nur an den Reglern des Jacuzzis drehte?
»So«, sagte Storm zufrieden. Sein Atem strich über Jordans Nacken. Wann war ihm zuletzt jemand so nahe gekommen? Er biss sich auf die Unterlippe, damit ihm bloß kein verräterisches Stöhnen entkam. Wie gelähmt ließ er zu, dass Storm ihn an den Schultern packte und zur Seite zog. Nicht grob, aber nachdrücklich. Er starrte in Storms Augen, dunkel, stürmisch … wie passend zu seinem Namen. Sah das gefährliche, schiefe Grinsen.
Er spürte pulsierenden Druck an seinen Schulterblättern und begriff endlich, dass Storm ihn vor die Massagedüsen dirigiert hatte.
»Wenn du mal etwas locker lässt, wird es sich besser anfühlen.« Storm brachte es diesmal fertig, absolut sachlich zu klingen. Nicht die Spur von Anzüglichkeit in seinem Tonfall. Dafür umso mehr davon in seinem Blick. Er ließ Jordan los und zog sich langsam in seine Ecke zurück, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Beinahe hätte Jordan die Hand ausgestreckt, um ihn zurückzuhalten. Das musste das Bier sein.
Die Massagestrahlen drubbelten auf seinen Rücken. Seine Schultern sackten nach unten. Allmählich gab er nach. Ohne sein Zutun wurden die verhärteten Muskeln unter dem warmen Pulsieren weicher. Er gab sich Mühe, seine Miene unter Kontrolle zu behalten. Dennoch nickte Storm zufrieden.
Jordan schloss die Augen. Horchte in sich hinein. Warum fiel es ihm so schwer, zuzugeben, dass sich das gut anfühlte? Weil er tief im Innern glaubte, dass er das nicht verdiente? Diesen Mist hatte er doch hinter sich. Er hatte geglaubt, alles hinter sich zu haben. Deshalb lohnte es sich ja auch nicht, weiterzumachen.
»Einen Butlerservice hast du wohl nicht engagiert?«
Jordans raue Stimme bremste Jordans Gedankenkarussell, noch bevor es richtig in Fahrt gekommen war. »Nein, und wenn, hätte der dich rausgeworfen«, gab Jordan zurück. Was patzig herauskommen sollte, klang eher wie ein Schnurren. Nicht einfach, patzig zu sein, wenn man in einem dampfenden Jacuzzi lag und massiert wurde. »Wieso? Hast du Hunger?«
Darauf kam er, weil sein Magen knurrte. Was zur … Wann hatte er zuletzt Appetit gehabt? Vor gefühlt hundert Jahren. Für ihn schmeckte alles wie Pappe. Er hatte sich zu den Mahlzeiten zwingen müssen. Früher mal hatte Papa Saul ihm dringend geraten, ein paar Kilo abzuspecken. Hatte Trainingspläne für ihn erstellt und er hatte mit …
Stopp!
»… ist ja gut gefüllt«, hörte er Storm sagen. Den Anfang hatte er verpasst.
»Was?«, fragte er benommen. Warmes Wasser und kaltes Bier. Nicht gut. Oder doch gut. Er war sich gerade nicht sicher. Und dieser Nebel. Vermutlich träumte er das nur.
»Hab gesagt, dass der Kühschrank voll mit Essen ist«, wiederholte Storm ohne eine Spur von Ungeduld. Seine Lider hingen wieder auf Halbmast und er sah nicht aus, als hätte er in näherer Zeit vor, sich zu bewegen. Was Jordan irgendwie verstehen konnte. »Worauf hast du denn Bock?«
»Pizza«, sagte Jordan automatisch.
»Echt? Ich dachte, ihr reichen Stars esst nur Hummer und Kaviar und sowas.«
Durch den dichter werdenden Dampf konnte Jordan Storms Gesicht sowieso nicht mehr sehen. Er klang eindeutig ironisch.
»Also Pizza«, sagte er. »Die ist in einem der Tiefkühlfächer unter dem Kühlschrank. Du könntest dich mal dafür revanchieren, dass du hier rumschmarotzen darfst.«
»Ach? Darf ich?«
Jordan hörte Storm leise lachen, dieses grollende Geräusch, das tief aus seinem Brustkorb zu kommen schien. Ob er die Vibration wohl spüren könnte, wenn er die Handfläche auf Storms Brust legte? Auf das Brandzeichen? Er stellte sich vor, wie er mit den Fingerspitzen den verschlungenen Mustern der Narben folgte …
»Ok, Blondie. Aber das soll keine Gewohnheit werden.«
Wasser schwappte. Storms hagere Gestalt tauchte aus dem Dampf auf. Er kam Jordan nahe, bevor er aus dem Jacuzzi stieg und einen atemlosen Moment wartete Jordan darauf, dass er ihn berührte. Ihm durch das Haar fuhr. Oder die Hand in seinen Nacken legte. Doch dann stützte sich Storm nur auf dem Rand ab und kletterte aus dem Becken.