Kapitel 20
Jordan lauschte Storms Worten nach.
War das hier ein merkwürdiger Traum? Oder stand da wirklich dieser Fremde vor ihm, mit dem er eben den vermutlich besten Sex seines bisherigen Lebens gehabt hatte, nicht, dass er da viel Erfahrung besaß, und der ihm nun trocken erklärte, dass er … was?
»Wie, entführen?«
»Keine Ahnung.« Storm kniff die Augen zusammen. »Er hat mich hier aufgespürt, weil ich bescheuert war und unvorsichtig und … ach, unwichtig. Jedenfalls hat er herausgefunden, wer du bist und dass da Kohle zu holen ist.«
»Aha. Und du sollst mich jetzt hier festhalten, bis Papa Saul …« Jordan unterbrach sich. »He, wer soll denn das Lösegeld bezahlen? Ich selbst? Hast du darum dieses Spielchen angefangen?«
»Nein, Quatsch. Das war vorher.« Storm fuhr sich erneut durch das Haar, das ihm in wirren Strähnen sofort wieder in die Stirn fiel. »Ich wusste nicht, dass er hier ist. Echt nicht. Und ich wollte nie … das ist einfach nicht mein Stil, okay?«
»Und was ist dein Stil?« Allmählich kapierte Jordan gar nichts mehr. »Also der Typ aus deiner Vergangenheit, bei dem du Schulden hast, ist hier aufgetaucht … Wann überhaupt?«
»Nach unserem Strandlauf. Er hat … Scheiße, das ist doch alles Zeitverschwendung. Du musst abhauen, und zwar sofort.«
»Weil sonst dieser Typ hier auftaucht und mich verschleppt?« Jordan kam sich vor wie in einem schlechten Film. Wie immer eigentlich. Nur, dass er sich diesmal zur Hauptfigur aufschwingen würde, auch wenn der Regisseur des Lebens ihn offenbar als Opfer vorgesehen hatte. Nein, diesmal nicht.
»Nein. Ich hab ihn zu einem anderen Plan überredet. Dass er mich entführt«, hörte er Storm sagen und konnte ein ungläubiges Lachen nicht länger unterdrücken.
»Wieso denn dich?«
»Damit dir nichts passiert, du Pfosten!«, fuhr Storm ihn an. »Ich hab Munro weisgemacht, dass du so ein gutmütiger Kerl bist, dass du für mich Lösegeld springen lässt. Das ist natürlich vollkommener …«
»Die Wahrheit«, unterbrach Jordan ihn. Er achtete nicht darauf, dass Storm ihn wütend anfunkelte. »Natürlich hätte ich gezahlt. Das wusstest du doch, oder? Sonst hättest du den Plan doch gar nicht vorgeschlagen. Oder wie hätte das sonst laufen sollen?«
»Dass ich schon irgendwie abhauen kann.«
Das klang in Jordans Ohren reichlich lahm. »Klar. He, du hast also gedacht, du lässt dich von diesem Gangster entführen, baust darauf, dass ich nix zahle und verlässt dich außerdem darauf, dass du irgendwie entkommen kannst? Von einem Typ, der so ein großes Tier ist? Was erzählst du mir hier eigentlich für einen Scheiß!«
Storm verzog das Gesicht. »Na schön, okay, ich hab darauf gebaut, dass du zahlst. Aber jetzt … will ich das eben nicht mehr. Und …«
»Weil wir gefickt haben?«
Das war Jordan herausgerutscht, bevor er darüber nachdenken konnte. Sonst wäre ihm wohl aufgegangen, wie unrealistisch das war. Umso mehr überraschte ihn der getroffene Ausdruck in Storms Augen. Hatte er es tatsächlich geschafft, diesen harten Kerl zu verletzen? Storm, der sich nie eine Blöße gab, immer den Coolen spielte? Und der ihn jetzt so düster ansah, als hätte er ihn getreten?
»Weil du ein guter Mensch bist«, sagte Storm rau. »Weil du es tun würdest. Für jemanden zahlen, der Scheiße zu dir war. Den du nicht mal kennst. Von dem du weißt, dass er es nicht verdient.«
Jordans Kehle schnürte sich zu. Die Wut, die vorhin in ihm getobt hatte, nachdem Storm ihm von dem Brandzeichen erzählt hatte, brandete erneut in ihm auf. »Du hast es aber verdient«, brachte er hervor, mühsam beherrscht. »Und du warst nicht Scheiße zu mir. Du warst verdammt noch mal der erste Mensch, der ehrlich zu mir war. Der den Mut hatte, mir ins Gesicht zu sagen, was er von mir hält. Von mir und meiner elenden Selbstmitleidstour.«
Storm wollte etwas sagen, doch er hob die Hand. »Ziehen wir es durch.«
»Du hast sie doch nicht alle!«
»Kann sein. Wenn du nicht hier aufgetaucht wärst, würde es mich vermutlich gar nicht mehr geben.«
»Natürlich würde es das.«
Naja, wohl schon. Storm durchschaute ihn. Vielleicht war es das, was ihn anzog. »Du lässt dich von dem großen Gangsterboss entführen, ich zahle, und … du bist … frei …« Jordan sprach immer langsamer und ihm ging auf, dass das ein schlechter Plan war. »Nein. So geht das nicht«, murmelte er. »Ich will nicht, dass der dich in die Finger bekommt. Wir hauen jetzt zusammen ab.«
»Das bringt nichts. Der findet mich. Du verschwindest ohne mich. Was stört dich so daran? Du kannst irgendwo eine andere Strandvilla mieten. Oder nach Hawaii fliegen.«
»Wieso Hawaii?«
Storm warf die Hände in die Luft. »Keine Ahnung! Weil du da surfen kannst! Was weiß ich denn. Du hast Kohle, du kannst gehen, wohin du willst.«
War das so?
»Was passiert dann mit dir?«
Storm hob die Schultern. »Ist doch scheißegal.«
»Nein, das ist mir nicht egal.« Diesmal umfasste Jordan Storms Schultern und schüttelte ihn leicht. »Du bist mir nicht egal. Und falls es dich interessiert, es ist nicht der Sex.«
»Was denn sonst?«
»Keine Ahnung.«
»Suchst du dir jetzt, da du die sinnlose Schmachterei nach deinem toten Bandkollegen drangegeben hast, ein neues Objekt, auf das du deine Träume projizieren kannst?«
Jordan starrte Storm an. Etwas gluckerte in ihm hoch und er wusste erst nicht, was das war, bis das Lachen aus ihm herausbrach. »Okay, ich hab doch ne Ahnung. Du bist der seltsamste Mann, den ich kenne, mich eingeschlossen.«
»Das würde dann bedeuten, dass du dich kennst, und daran zweifle ich«, murrte Storm, doch Jordan sah deutlich das Grinsen, das er zu verbergen versuchte.
»Wäre das so schlimm?«, fragte er ernst.
»Was?«
»Dass ich jemanden in dir sehe, der mir etwas bedeutet?«
»Ja, weil du damit sowas von auf die Fresse fliegen wirst.«
»Das ist meine Fresse. Mit der kann ich machen, was ich will.«
Sie musterten sich. Ihre Blicke verhakten sich ineinander. Jordan wusste nicht, wer den ersten Schritt machte, nur, dass sie sich plötzlich wild küssten. Er vergrub die Finger in Storms Haar, versank in dem Kuss, setzte alles daran, sich darin zu verlieren und Storm mitzuziehen, ihm zu zeigen, was er nicht ausdrücken konnte, weil er keine Worte dafür fand.
Es dauerte, bis sie voneinander abließen. »Du bist hier nicht sicher«, stieß Storm atemlos hervor. »Ich will, dass du verschwindest. Dass du deine Reha machst oder was auch immer, dass du ein neues Album aufnimmst, dass du wieder lebst.«
»Okay. Aber wenn du denkst, ich lass dich hier im Stich, wenn da so ein Gangstertyp dir auf den Fersen ist, dann vergiss es. Was können wir tun?«
»Nichts.«
Am liebsten hätte Jordan ihn noch mal geschüttelt. »Komm schon, Storm! Du hast recht, ich habe keine Ahnung, wie das abläuft in deinem Leben, aber du! Dir fällt doch bestimmt etwas ein. Und zwar etwas, bei dem du dich nicht in Gefahr bringst.«
»Blondie.« Storms Blick wurde kalt. »Du kapierst es nicht. Du hast nichts damit zu tun. Ich hab mich selbst in diese Scheiße geritten und ich werde nicht zulassen, dass du da mit reingezogen wirst.«
»Nein, du
kapierst es nicht! Ich stecke schon längst mit drin.« Wie konnte Jordan diesen Sturkopf bloß davon überzeugen, dass er gar nicht daran dachte, ihn seinem Schicksal zu überlassen? »Weißt du noch, am Strand, als ich unseren Deal geändert habe? Dass ich dir Geld dafür gebe, wenn du mich vergessen lässt? Das gelingt dir gerade so unglaublich gut, dass ich dir eine Menge Geld schulde. Wirklich geschickt gemacht, Storm.«
Ein müdes Lächeln huschte über Storms Gesicht. »Du bist schon ein Komiker, Blondie.«
»Falls das ein Kompliment sein soll, bin ich nicht überzeugt. Okay, wir essen erstmal was. Dabei können wir überlegen, was wir tun.«
»Es gibt kein wir«, grummelte Storm. »Du wirst wegfahren und ich regele das irgendwie mit Munro.«
»Das überzeugt mich auch nicht sonderlich. Magst du Curry?«
»Willst du echt was kochen? Dir ist schon klar, dass du hundert Fertiggerichte in den Schränken und im Kühlschrank hast?«
»Beim Kochen hab ich die besten Ideen.«
Das war nicht mal gelogen. Früher hatte er oft gekocht. So sehr sich die anderen, besonders Barnie, darüber lustig gemacht hatten, wenn er jede Gelegenheit dazu genutzt hatte, um neue Rezepte auszuprobieren. Wenn er am Herd gestanden hatte, Gemüse geschnippelt, ihm der Duft von Gewürzen in die Nase gestiegen war, hatten sich die Texte für Songs in seinem Kopf geformt. Konnte doch sein, dass ihm das Kochen auch jetzt half.
Er sammelte Shorts und T-Shirt vom Boden auf und zog sich an. Storm saß auf dem Bett und beobachtete ihn kopfschüttelnd. »Dein Selbsterhaltungstrieb ist nicht sonderlich ausgeprägt, was?«
Jordan warf ihm sein T-Shirt zu. »Weil ich nicht verhungern wil? Oder spielst du jetzt etwa darauf an, dass ich mich vor ein paar Tagen im Meer ertränken wollte?«
Zu seiner Überraschung lief Storm rot an. »Nein! Verdammt. Ich meine, dass du einem Typ, der dich belogen und dein Vertrauen auf jede mögliche Art missbraucht hat, ein Curry kochen willst, während irgendwo da draußen ein Verbrecher lauert.«
»Stimmt, das ist nicht sonderlich schlau von mir.« Jordan rieb sich das Kinn und tat so, als müsste er überlegen. »Ich sollte besser ein simples Pastagericht zubereiten.«
Er musste lachen, als Storm die Augen verdrehte und sich rücklings auf das Bett fallen ließ. So leicht wie jetzt hatte er sich seit … ja, seit Jahren nicht gefühlt. Beinahe, als hätte er Gras geraucht. Leicht wie eine Seifenblase und so lebendig, dass er das Blut durch seine Adern rauschen spürte, die kraftvollen Schläge seines Herzens. War es die drohende Gefahr? Er glaubte Storm. Konnte sein, dass der ihn die ganze Zeit belogen hatte, aber zuletzt hatte er ihm die Wahrheit gesagt. Jordan wusste es einfach.
Nacheinander öffnete er alle Küchenschränke. Gut, außer den Fertiggerichten gab es tatsächlich auch Zutaten zum Kochen
und für ein Curry war genug vorhanden. Sogar frisches Gemüse. Wie lange hatte er nicht gekocht? Blöde Frage, seit dem Absturz. Seitdem hatte er nichts mehr gemacht. Seine Freunde hatten bei dem Unfall ihr Leben verloren und er war mit ihnen gestorben. Hatte aufgehört, etwas anderes zu tun, als sich in seiner Trauer zu vergraben und sich zu bemitleiden.
Er hatte geglaubt, alles verloren zu haben, was sein Leben lebenswert machte. Das stimmte nicht. Ihm war viel geblieben, nur, dass er es einfach aufgeben hatte. Die Musik, das Kochen … Er hatte sich aufgegeben.
Storm tappte durch den Raum. Er hatte sich ebenfalls angezogen und sein Haar am Hinterkopf zusammengebunden. Sein Gesicht wirkte dadurch schmaler und hagerer und seine Wangenknochen traten hervor wie gemeißelt, sein Mund eine harte Linie. Doch in seinen Augen stand ein Ausdruck, den Jordan noch nie in ihnen gesehen hatte. Eine ungewohnte Sanftheit, vermischt mit Staunen.
»Hey. Brauchst du Hilfe? Beim Kochen?«, fragte er beinahe schüchtern.
»Klar. Hier, schneid die klein.« Jordan warf ihm eine rote Paprika zu, die er geschickt mit der linken Hand fing. »Was ist eigentlich mit deinem Selbsterhaltungstrieb los, da wir schon darüber sprechen?«
»Hm. Meinst du, weil ich eventuell vorhabe, etwas zu essen, was du gekocht hast?« Storm zerkleinerte rasant die Paprika.
So rasant, dass Jordan ihn anstarrte. Er merkte es, grinste schief und hob die Schultern. »Hab im Knast ne Zeitlang in der Küche gearbeitet.«
Jordan nickte. »Eigentlich meinte ich, dass du deinen Plan drangegeben hast und dich dem miesen Gangsterboss stellen willst. Was glaubst du denn, wie sauer der wird, wenn ich weg bin?«
Nicht, dass Jordan ernsthaft vorhatte, feige zu fliehen und Storm im Stich zu lassen.
Gleichmütig steckte Storm das gespülte Messer zurück in den Holzblock. »Der ist sowieso sauer auf mich, weil ich mich vom Acker machen wollte. Hab mich nur zu ungeschickt dabei angestellt.«
»Du hättest nach Hawaii fliehen sollen.«
»Genau. Und als Koch in einem Imbiss am Surferstrand arbeiten. Natürlich unter einem anderen Namen.«
»Weißt du, dass du genau das tun könntest?«, fragte Jordan im Plauderton. Er hoffte, dass Storm sein Herz nicht hämmern hören konnte, während er die Zutaten in der Pfanne anbriet. »Du brauchst doch nur das nötige Kleingeld.«
Eine Weile herrschte Stille. Jordan rührte in der Pfanne, mit dem Rücken zu Storm. Schließlich hörte er ihn leise, kaum hörbar, sagen: »Tu das nicht.«
»Was?«
»Mir Geld anbieten. Du solltest mich achtkantig rausschmeißen. Mich verdreschen und wegjagen. Oder die Bullen rufen.« Er wurde lauter. »Was ist los mit dir, Jordan James? Hältst du das hier für ein Spiel?«
»Nein.« Jordan drehte die Temperatur der Kochplatte herunter und wirbelte zu Storm herum. »Mir war selten etwas so ernst. Ich brauche das Geld nicht. Jedenfalls nicht alles. Ich will einmal im Leben was Vernünftiges damit tun. Nicht nur teure Strandhäuser mieten und ein Penthouse in der City kaufen oder ein schnelles Auto.«
»Und vernünftig ist für dich, es einem Kriminellen in den Rachen zu werfen, der dich ausnehmen wollte?«
»So ist es.« Jordan trat auf Storm zu. Nur die Küchentheke trennte sie. Er sah in seine grauen Augen. »Ich will doch nur, dass wenigstens einer von uns leben kann.«