Kapitel 25
Jordan meinte das ernst. Sein Blick ruhte fest auf Storm, seine Haltung lag irgendwo zwischen Wachsamkeit und trügerischer Lockerheit. So erwachsen und fokussiert hatte Storm ihn bisher nicht erlebt. War das hier der wahre Jordan? Wie er früher gewesen war? Oder erhaschte er einen Blick auf die Person, die Jordan sein könnte?
Es fiel ihm schwer, Jordans Plan vernünftig zu durchdenken, wenn die blauen Augen mit diesem entschlossenen Ausdruck auf ihn gerichtet waren. So einfach kann es doch nicht sein, schoss ihm wieder und wieder durch den Kopf.
»Du ziehst das sowieso durch, oder?«, fragte er, obwohl er die Antwort zu kennen glaubte. Andererseits … was Jordan anging, nahm er nichts mehr als gegeben hin. Dafür hatte Blondie ihn schon zu oft überrascht. »Wieso bist du überhaupt zurückgekommen?«
»Und wieso bist du einfach abgehauen?«, schoss Jordan zurück. »Was hattest du vor? Ohne Geld? Ohne Auto? Wolltest du nach Hawaii rüberschwimmen?«
Wie sollte Storm ihm das erklären? Dass er aus einem reichlich dummen Anfall von Ehrgefühl sein Geld nicht mehr nehmen wollte? Das kaufte Jordan ihm doch niemals ab.
Jordan fuhr sich das windzerzauste Haar. »Nein, ich zieh das nicht ohne dich durch«, fuhr er fort. »Wir hängen da beide mit drin, ob du willst oder nicht. Ob wir den Plan durchführen oder nicht ist eine Entscheidung, die wir beide treffen werden.«
»Was für eine Wahl habe ich denn schon?«, erwiderte Storm und konnte nicht verhindern, dass sich ein Hauch Bitterkeit in seine Stimme schlich. »Wenn ich nicht mitmache, wird Brian mich einkassieren und zu Munro schleppen.«
»Wird er nicht. Dann gebe ich ihm das Geld, damit er dich in Zukunft in Ruhe lässt.«
»Und was soll er Munro sagen?«
Jordan hob die Schultern. »Dass du abgehauen bist.«
»Das wird Munro ihm nicht so einfach durchgehen lassen.«
»Glaubst du ernsthaft, der geht zurück zu dem, wenn wir den Plan nicht durchziehen? Er hätte keinen Grund dazu. Mit dem Geld kann er sich absetzen. Genau wie wir.«
Da mochte Jordan recht haben.
So sehr Storm den Plan auch in seinem Kopf hin und her wendete, fand er keinen guten Grund, ihn abzulehnen. Außer seiner Befürchtung, dass Jordan diesen Schritt bereuen könnte. Was ging ihn das an?
Er räusperte sich. »Okay.« Ein Grinsen breitete sich auf Jordans Gesicht aus und er hob die Hand. »Nur um das klarzustellen. Wir ziehen das gemeinsam durch, aber danach gibt es keine Gemeinsamkeiten mehr. Kein Wir. Dann sind wir auf uns gestellt. Jeder für sich. Das hier wird kein Bonnie and Clyde Ding.«
Der Ausdruck von Enttäuschung verschwand so rasch wieder aus Jordans Miene, dass sich Storm fast hätte einreden können, es hätte ihn nie gegeben. Jordan nickte. »Klar. So ist der Plan.«
Er streckte die Hand aus und nach kurzem Zögern ergriff Storm sie. »Deal.«
»Deal.«
Vor ein paar Tagen hätte ihn die Aussicht auf richtig viel Geld und die gleichzeitige Möglichkeit, Munro loszuwerden, noch in Jubelstimmung versetzt. Nun spürte er einen unerwarteten Stich in der Brustgegend und wurde das Gefühl nicht los, doch etwas Wichtiges übersehen zu haben.
»Ich muss vorher mit Brian reden«, sagte er und fügte hinzu: »Allein.«
Jordan nickte nur.
Brian lehnte am Verandageländer, doch die entspannte Haltung täuschte. Sein wachsamer Blick scannte den Strand und Storm wusste, dass ihm nichts entging. Sollte sich wirklich jemand vom Gregory-Clan anpirschen, würde er das merken. Und entsprechende Maßnahmen ergreifen. Die Waffe in dem Holster an seiner Hüfte zeigte deutlich, welche das sein würden.
»Hey«, sagte Storm. Er hatte weder Zeit noch Lust, um den heißen Brei herumzureden, also steuerte er geradewegs auf sein Ziel zu. An Brians überraschendem Auftauchen machte ihn so ziemlich alles misstrauisch und er musste herausfinden, was da los war. »Warum bist du hier?«
»Weil Munro mir den Auftrag gegeben hat, dich …«
»Ja, das weiß ich«, unterbrach Storm ihn ungeduldig. »Und jetzt versuch es mal mit der Wahrheit.«
»Das ist die Wahrheit.«
»Hältst du mich für bescheuert? Das ist doch kein Zufall, dass ausgerechnet du hier auftauchst.«
In Brians Gesicht regte sich kein Muskel. Wie auch. Er würde keine großen Probleme haben, Munro zu belügen. Wenn er es wollte und nicht ein falsches Spiel spielte. »Ausgerechnet ich? Du meinst, weil wir vor Jahren mal was miteinander hatten?«
Dass er es so zahm umschrieb, wunderte Storm. Ihm lag das nicht sonderlich. »Wir haben gefickt«, brachte er es auf den Punkt. »Das hatten wir, mehr nicht. Warum schickt Munro dich?«
Brian hob die Schultern, zog noch mal an seiner Zigarette und drückte sie rücksichtslos auf dem Verandageländer aus. »Weil ich gut bin.« Er warf Storm einen scharfen Blick zu. »Du traust mir nicht.«
»Ich traue niemandem, sonst wäre ich kaum so alt geworden.«
»So alt bist du nun auch wieder nicht. Und ein guter Lügner auch nicht. Du traust dem Blondschopf.« Bevor Storm etwas sagen konnte, winkte er ab. »Kein Ding. Tu ich auch. Der ist so ehrlich, dass es schon verboten gehört. Sonst würde ich bei eurem Plan gar nicht mitmachen.« Er musterte Storm. »Ich dagegen bin ein verdammt guter Lügner, aber jetzt sag ich mal die Wahrheit. Ich bin hier, weil es für mich mehr war als ein Fick. Scheiße, Storm, ich hab dir Schlagzeugspielen beigebracht. Ein bisschen zumindest. Denkst du, das hätte ich mit jedem gemacht? Ich fand damals schon beschissen, wie Munro dich behandelt hat und ich hab gehofft, dass du es schaffst. Dass du von dieser ganzen Scheiße wegkommst.« Er schüttelte den Kopf. »Tja. Hätte wissen müssen, dass Munro nicht so schnell locker lässt. Jedenfalls hab ich es so gedreht, dass ich hier her geschickt wurde und keiner von diesen Vollpfosten, denen scheißegal ist, was mit dir passiert. Die womöglich sogar eifersüchtig auf dich sind, weil du Munro so wichtig bist.«
Storm traute seinen Ohren nicht. Wollte sich Brian etwa als sein wohlwollender Beschützer ausgeben? Er musste grinsen. »Ist klar.«
»Also ziehen wir es durch?«
Was blieb Storm übrig? Er glaubte nicht an das, was Brian ihm da erzählt hatte. Andererseits war da wohl wirklich mehr zwischen ihnen gewesen damals. Erstaunt stellte er fest, dass er Brian zumindest so weit traute, um Jordans Plan durchzuführen.
»He, Breuer«, sagte Brian rau, fügte nach einem Zug an seiner nächsten Zigarette hinzu: »Storm.«
Storm sah ihn abwartend an. Brian kniff die Augen zusammen und musterte ihn durch den Rauch. »Das mit dir und dem Blondschopf - das ist nicht nur ein Fick, oder?«
»Was geht dich das an?«
»Mein ja nur. Der Typ ist ehrlich, aber er hat nen Sack eigene Probleme am Arsch.«
»Und das weißt du woher?«
»Sowas rieche ich. Wär besser, wenn du dich nicht zu sehr auf ihn verlässt.«
Storm schnaubte. »Hörst du dich eigentlich reden? Du tauchst hier nach all den Jahren auf, bedrohst mich mit ner Waffe und gibst mir zum krönenden Abschluss Tipps, wie ich mein Leben zu führen habe?«
»Einer muss es ja tun.«
Brian trat dicht an Storm heran, sah ihm in die Augen. Storm erwiderte seinen Blick ungerührt. Naja, so kalt, wie er vorgab, ließ ihn Brians Nähe nicht. Es waren die Erinnerungen, die er nicht länger verdrängen konnte und wollte. Ihn beschlich der Gedanke, dass Brian ihn in der Vergangenheit öfter vor Munro beschützt hatte, als er ahnte. Und vermutlich auch öfter, als Munro wusste. Sonst hätte er ihn nicht geschickt.
»Ich hab keine Ahnung, wieso, aber ich mag dich, Breuer«, sagte Brian. »Munro hat es nie geschafft, dich zu brechen. Mir gefällt, dass wir ihn jetzt so richtig verarschen. Und mir gefällt noch mehr, dass wir danach frei sein werden.«
»Frei«, wiederholte Storm, doch der Spott, den er zum Ausdruck bringen wollte, funktionierte nicht richtig. Er hörte selbst die Sehnsucht in seiner Stimme. Die verdammte Hoffnung, dass sich alles zum Guten wenden würde.
Er schob die Verandatür auf. »He, Blondie«, rief er. »Bist du bereit, zu sterben?«