Kapitel 32

Emily hielt abrupt an. Ein ungeheuerliches Wesen watschelte mitten durch den Zeremoniengarten. Zuerst hatte sie gedacht, es sei eine wirklich abgefahrene Vogelscheuche, aber dann hatte das Geschöpf angefangen, sich zu bewegen. Es sah aus wie eine turmhohe Säule aus Gelee und trug etwas, das aussah wie die Reste eines allzu großen Gewandes. Ganz oben prangte ein einzelnes Auge, das permanent böse aussah. Schleimige Tentakel ragten aus den Ausbuchtungen des Gewandes und in jedem hielt es ein anderes Gartengerät.

Das Auge des Geschöpfes fixierte sie. Es war schwer, ein Wort herauszubringen. „Was ist das ?“

„Niemand weiß das so genau“, gab Imaiqah zu. „Anscheinend hat Professor Thande einmal tausend verschiedene Zutaten für Tränke in einen Kessel geworfen und sie aufgekocht, nur um zu sehen, was passierte. Als die Flüssigkeit nicht mehr blubberte, kroch … das da aus dem Kessel und sagte, es sei ein vernunftbegabtes Wesen. Natürlich haben sie es in die Gärten gebracht.“

Alassa sah genauso verblüfft aus. „Es lebt ?“

Ein langes Tentakel streckte sich aus und klopfte ihr an die Stirn. „Ich denke, dass ich lebe, also lebe ich“, sagte das Ungeheuer mit gluckernder Stimme. „Ist es wirklich so überraschend zu sehen, dass Intelligenz ganz verschiedene Formen annehmen kann?“

„Erschreck die Kinder nicht, CT“, sagte eine Frauenstimme. Emily drehte sich um und sah eine junge Frau in einem grünen Gewand, die ein kleines Messer in der Hand hielt. „Das ist ihre erste Lektion in Magische Geschöpfe. Wir wollen, dass sie nächste Woche wiederkommen.“

Das Geschöpf schien zu nicken – so genau konnte man das nicht wissen, weil man nicht richtig sah, wo genau sein Kopf anfing – und es watschelte weg von ihnen, an einer langen Reihe von Blumenbeeten entlang.

Alassa rieb sich die Stirn, da, wo CT sie berührt hatte, und warf Emily einen entsetzten Blick zu. Emily stimmte Alassas Urteil im Stillen zu, auch wenn Emily in dieser Welt ja schon anderen intelligenten Wesen begegnet war. Aber CT war auf jeden Fall etwas Neuartiges. Hatte Thande es wirklich in einem Anfall von Verwirrtheit erzeugt, oder sollte diese Deckgeschichte etwas viel Schlimmeres verbergen?

„Willkommen im Fach Magische Geschöpfe“, sagte die Frau. Sie sah fast unverschämt gesund aus, mit sonnengebräunter Haut und einem Lächeln, das wie die Sonne strahlte. „Ich bin Meisterin Kirdáne und es ist mein Auftrag, sicherzustellen, dass ihr genug über magische Geschöpfe wisst, um zu überleben, falls ihr einem der wirklich gefährlichen Tiere begegnet. Falls sich herausstellt, dass einige von euch eine echte Begabung im Umgang mit magischen Tieren haben, werde ich dafür sorgen, dass ihr das Fach in eurem nächsten Schuljahr weiter studiert, vielleicht mit dem Ziel, Tiermagier zu werden. Die Begabung ist allerdings nicht sehr verbreitet, daher wäre ich nicht enttäuscht, wenn keiner von euch den Kurs im zweiten Jahr weiter belegt.“

Ihr Lächeln wurde noch strahlender. „Einige dieser Tiere sind sehr gefährlich, andere hingegen sind intelligent. Wenn ihr nicht wisst, wie man mit ihnen umgeht, haltet euch zurück und lasst mich es vorführen. Folgt mir.“

Der Zoo – diese Bezeichnung fiel Emily als Erstes ein – erstreckte sich über mehrere Meilen. Es gab eine kleine Gruppe Blockhäuser, in denen einige Tiere untergebracht waren, aber die meisten lebten in ihrer natürlichen Umgebung oder etwas, das dem so nahe wie möglich kam. Seltsame Nebelschwaden schimmerten in der Luft, so dass die Schüler nicht weit über die Felder blicken konnten.

Dann kamen sie zu einer kleinen Tür mitten im Nirgendwo, die ohne sichtbare Stützen aufrecht dastand. Meisterin Kirdáne zwinkerte ihrer Klasse zu, trat durch die Tür und verschwand.

Einen Augenblick später folgten ihr die Schüler, angeführt von Imaiqah, durch die Tür, und die Welt um sie herum veränderte sich.

Sie schienen auf einem Hügel zu stehen, weit weg von jeder menschlichen Behausung.

In der Ferne sah Emily etwas, das aussah wie eine Herde Pferde, aber als sie näher kamen, sah Emily, dass ihnen Hörner aus der Stirn wuchsen. Jedes hatte eine andere Farbe, von pferdebraun bis leuchtend rosa. Emily hatte als Kind nie gern mit Spielzeugponys gespielt, aber die Einhörner hatten etwas an sich, das sie zum Spielen einlud. Aus der Nähe rochen sie nach einem seltsamen, fast verführerischen Parfüm. Ihre Augen waren sanft, warm und unendlich mitfühlend.

„Jungen, bleibt, wo ihr seid, und versucht nicht, euch der Herde zu nähern“, sagte Meisterin Kirdáne. Die Klasse hielt an. „Einhörnern gefällt es nie, wenn Männer sich ihnen nähern; wenn ihr zu nahe herangeht, könnten sie euch aufspießen oder mit ihrer Magie verzaubern. Solche Geschöpfe haben eine wilde Magie, darum kann es unmöglich sein, den Schaden wieder rückgängig zu machen.“

Ihre Stimme wurde sanfter, als sie sich wieder den Einhörnern zuwandte. „Mädchen, ihr dürft euch der Herde vorsichtig nähern, aber wenn sie sich wegbewegen, folgt ihnen nicht. Ihre Duldsamkeit gegenüber Frauen ist begrenzt, auch wenn sie für unverheiratete Mädchen eine gewisse Zuneigung empfinden.“

Die Einhörner waren so seltsam, dass sie fast surreal wirkten. Emily hatte sich an Magie gewöhnt, an Zaubersprüche und Tränke und sogar das strenge Training der Sergeants, aber beim Anblick der Einhörner fühlte sie sich wie betäubt, als könnten sie nicht echt sein. Sie ging auf ein Einhorn zu – es war etwa so groß wie ein kleines Pony und hatte ein leuchtend rotes Fell – und ihr wurde schwindlig. Das Wesen beäugte sie, zwinkerte – sie war sicher, dass es gezwinkert hatte – und ging dann weg, als wolle es Emily herausfordern mitzukommen.

Emily ging zwei Schritte, dann fiel ihr die Warnung wieder ein, und sie hielt an. Sie wich zurück und ging auf ein anderes Einhorn zu, das grünes Fell und übergroße braune Augen hatte. Diese Stute schien Emily zu erlauben, ihr Fell zu streicheln, aber nicht das Horn anzufassen. Als sie die Hand danach ausstreckte, spürte sie ein merkwürdiges Kribbeln, eine Warnung, dass sie sich nicht weiter aufdrängen sollte. Emily versuchte, dem Geschöpf einen entschuldigenden Blick zuzuwerfen; als Antwort schüttelte das Einhorn nur die Mähne. Es war ganz klar ein Geschöpf von wilder Magie.

Ihr ging auf, dass sie sich überhaupt nicht vorstellen konnte, dass diese Wesen gefährlich sein könnten. Sie waren … nun ja, unschuldig wie nur wenige Menschen, und doch hatten sie wilde Magie im Blut. Professor Thande hatte einmal eine Bemerkung fallengelassen, dass das Horn eines Einhorns für jede Menge alchemistische Zwecke einsetzbar sei. Emily fragte sich, wie viele Einhörner von Menschen getötet worden waren, so dass sie sich jetzt weigerten, Männer auch nur zu dulden . Oder gab es eine tiefere Bedeutung für ihr Verhalten?

Sie blickte auf das Einhorn hinab, dann zwang sie sich, wegzusehen. Meisterin Kirdáne blickte sie an, eine Augenbraue hochgezogen.

Emily sah sich nach dem Rest der Klasse um. Imaiqah und Alassa spielten mit einem Einhornfohlen, das seinen Kopf an ihren Beinen rieb. Die meisten anderen Mädchen hatten ein Einhorn gefunden, das mit ihnen spielen wollte; ein Mädchen versuchte sogar, sich auf ein Einhorn mit weißem Fell zu setzen . Es glaubte offenbar, das Ganze sei nur ein Spiel, und bewegte sich immer genau im falschen Moment weg. Die Jungen sahen missmutig zu, aber wollten offenbar nicht riskieren, den Einhörnern zu nahe zu kommen.

Jeder, der in dieser Welt aufgewachsen war, musste wissen, wie gefährlich wilde Magie war.

Emily streichelte das Einhorn ein letztes Mal, dann ging sie zu der Lehrerin. „Woher weiß man, welche männlich und welche weiblich sind?“

Meisterin Kirdáne lachte. „Sie sind alle weiblich. Und um deine nächste Frage vorwegzunehmen, wir wissen nicht, wie sie sich vermehren. Niemand hat sie je überzeugen können, es uns zu verraten.“

Emily starrte sie an. „Aber es muss doch Männchen geben?“

„Das nehmen wir an“, sagte Meisterin Kirdáne. „Wir wissen es nur nicht sicher. Falls jemals ein Mensch einer Herde Einhorn-Hengste begegnet ist, ist er nicht zurückgekehrt, um uns davon zu erzählen.“

Sie klatschte in die Hände und führte die Klasse zurück zu der Tür, die nach Whitehall führte. Nachdem alle hindurchgegangen waren, führte sie sie zu einem der Blockhäuser und sprach einen Zauber in die Luft, so dass sie im Dunkeln sehen konnten.

Zuerst sah Emily nichts, doch dann erkannte sie, dass die Dunkelheit selbst lebendig war. Sie lehnte sich ihr mit tödlicher Drohung entgegen. Aus dem Augenwinkel sah sie Flügel in der Dunkelheit – jedenfalls dachte sie, dass es Flügel seien –, dann prallte das Geschöpf gegen ein unsichtbares Feld und hielt an.

Mehrere Mädchen keuchten erschrocken.

Die Schutzschirme, erkannte Emily. Sie waren in Sicherheit.

„Nachtschatten sind zum Glück sehr selten“, teilte Meisterin Kirdáne ihnen mit. „Sie sind nur nachts aktiv. Die Geschöpfe jagen große Tiere, um sie in ihre Verstecke zu zerren und einige Tage lang von ihnen zu fressen.“

Emily schluckte. Sie war nicht die Einzige, die nervös aussah – oder schockiert.

Meisterin Kirdáne redete weiter, ohne dass sie verdauen konnten, was sie gesagt hatte. „Ohne richtiges Licht seht ihr ihre Klauen nicht, aber nur so viel: Sie haben ein tödliches Gift in sich, das ihre Opfer lähmt und sie festhält, während die Nachtschatten sie verzehren. Es gab kein Heilmittel, bis Professor Thande einen Trank erfand, der den schlimmsten Schaden abmildert. Trotzdem trägt das Opfer nach seinem Erlebnis auf Dauer Narben davon.“

Das glaubte Emily sofort. Sie warf einen letzten Blick auf die Nachtschatten. Es gab nichts Vergleichbares auf der Erde, genauso wenig wie Einhörner, Feen und … was auch immer CT war. Was noch wusste sie nicht über ihre neue Heimat? Ihre Lehrer gingen anscheinend davon aus, dass sie alles wusste, was eine normale Schülerin wissen würde, ohne Rücksicht auf ihre Herkunft zu nehmen.

Sie grübelte immer noch darüber nach, als Meisterin Kirdáne sie zu dem nächsten Blockhaus führte. Dieses lag neben einer Wiese mit einem Dutzend Schafe, die die vorbeigehenden Schüler erbärmlich anblökten. Emily spürte starke Schutzschirme rund um das Blockhaus, als Meisterin Kirdáne die Tür öffnete – die anscheinend aus massivem Eisen bestand – und ihnen bedeutete, ihr in das Innere zu folgen. Das Licht war gedämpft, aber man brauchte keinen Zauber, um etwas zu sehen.

Anfangs dachte Emily, das Blockhaus sei leer – dann sah sie den Nebel. Er hing genau in der Mitte des Stalles, eine funkelnde, glühende Masse, in der eine böse Absicht pulsierte. Emily sah sie an und schauderte; sie hatte das ungute Gefühl, dass der Nebel sie anstarrte. Je länger sie ihn ansah, desto mehr wusste sie, dass er lebte und intelligent war, ein Raubtier in einer Welt voller Beutetiere. Sie wollte weglaufen, aber ihr Stolz hielt sie zurück.

Was immer es war, es befand sich hinter den Schutzschirmen. Sie waren vollkommen sicher.

„Bei der Göttin“, hauchte Alassa. „Ist das … ist das ein Imitator ?“

„Ganz genau“, sagte Meisterin Kirdáne überrascht. „Das ist ein Imitator . Auch die sind sehr selten, aber da niemand so recht weiß, wie man sie tötet, können sie überall, wo sie hinkommen, großes Leid verursachen.“

Sie schnippte mit den Fingern. Eine Tür öffnete sich in der hinteren Wand. Dahinter stand ein Schaf, das langsam von einer unbekannten Macht in den Raum gezerrt wurde. Das Tier war schreckerfüllt , erkannte Emily. Sobald die Magie sich verflüchtigt hatte, versuchte es, wieder aus der Tür zu rennen, durch die es hereingekommen war. Aber diese Tür war jetzt geschlossen.

Das Schaf versuchte, einen anderen Ausweg aus dem Raum zu finden. Gleichzeitig begann der Nebel, stärker zu glühen. Einen Augenblick später stolperte das Schaf, fiel zu Boden und wurde zu Staub. Emily spürte ein kaltes Grauen, aber das Schlimmste kam erst noch. Der Nebel nahm die Form eines Schafes an. Emily lief es eiskalt den Rücken hinunter: Die Imitation war so vollkommen, dass sie es nicht geglaubt hätte, hätte sie es nicht selbst gesehen.

„Der Imitator wird zur Kopie seiner Beute“, erklärte Meisterin Kirdáne, als sie wieder ins Helle hinausgingen. „Mit Hilfe einer Magie, die wir nicht ganz verstehen, übernimmt das Geschöpf sogar die Erinnerungen seiner Beute; wenn es menschliche Lebenskraft verzehrt, kann es sich also als Mensch ausgeben. Das macht es so gut, dass es nicht weiß, dass es kein Mensch ist, bis die menschliche Gestalt anfängt, sich aufzulösen, was einige Jahre dauern kann. Sobald es zu seiner normalen Gestalt zurückkehrt, beginnt es, die nächste Beute zu jagen.“

Emily verstand und nickte. Die Schaf-Imitation wusste nicht, dass sie eine Imitation war , also hatte sie keine Angst … aber das Schaf hatte Angst gehabt. Vielleicht waren Schafe zu dumm, um auf eine Bedrohung zu reagieren, wenn sie nicht unmittelbar vor ihnen lag. Sie warf einen Blick auf ihre Klassenkameraden und schauderte. Vielleicht war einer von ihnen eine Imitation und wusste es nicht.

Meisterin Kirdánes Stimme wurde schärfer. „Die einzige bekannte Verteidigung gegen einen Imitator ist, so schnell wie möglich wegzulaufen“, fuhr sie fort. „Wenn ihr jemals einen seht, lauft . Es gibt einige Berichte, nach denen es bei Menschen einige Minuten braucht, bis der Imitator das tun kann, womit er Lebensenergie absaugt; also solltet ihr in Sicherheit sein, wenn ihr euch rechtzeitig aus seiner Reichweite bewegt.“

Emily schluckte. „Wie fängt man einen Imitator?“

„Sehr vorsichtig“, sagte Meisterin Kirdáne. „Zum Glück können sie Schutzschirme oder andere magische Konstrukte nicht durchdringen, also kann man sie in eine Falle locken und gefangen halten. Wir haben versucht, Imitatoren in Gefangenschaft auszuhungern, aber sie können jahrelang ohne Nahrung auskommen. Es gibt noch vieles, was wir nicht über sie wissen.“

Alassa hob eine Hand. „Woher weiß man, ob jemand ein Imitator ist?“

„Das kann man nicht wissen“, sagte Meisterin Kirdáne direkt. Die Schüler warfen sich gegenseitig erschrockene Blicke zu. „Denkt darüber nach. Der Imitator hat die Erinnerungen seiner Beute. Vielleicht weiß er selbst nicht, was er in Wirklichkeit ist. Ihr könntet ihm einen Wahrheitszauber verpassen und er würde sagen, was er für die Wahrheit hält; soweit er weiß, ist er ein Mensch, und er hat keine Ahnung, was er in Wirklichkeit ist. Aktuell gibt es keinen Zauber, der einen Imitator aufspürt, bis er endlich anfängt, seine angenommene Gestalt abzulegen.“

Emily sah zu der geschlossenen Tür zurück und schauderte wieder.

„Und man darf auch niemanden töten, nur weil man den Verdacht hat, er sei ein Imitator“, fügte Meisterin Kirdáne hinzu. „Fast jedes Königreich in den Verbündeten Landen hat Gesetze dagegen. Egal, warum ihr vermutet, dass jemand einer sein könnte, gilt das nicht als angemessener Grund, ihn zu töten, es sei denn, ihr erwischt ihn dabei, wie er wieder seine ursprüngliche Gestalt annimmt.“

Das ist auch gut so, dachte Emily. Sie konnte sich die Hexenjagden vorstellen, wenn man Leuten erlaubte, ihre Mitmenschen wegen eines Verdachts zu töten.

„Außerdem“, sagte Meisterin Kirdáne, „wollt ihr wirklich recht haben?“

Emily fröstelte bei dem Gedanken. Wenn es unmöglich war, Imitatoren zu töten, würde der frisch enttarnte Imitator sich vielleicht nur gegen seinen Möchtegern-Mörder wenden und ihn als Nächstes verzehren.

Sie ließen den Imitator im Blockhaus zurück und gingen auf eine weitere Tür zu. „Wir werden eine Herde Zentauren sehen“, sagte Meisterin Kirdáne, als sie vor der Tür anhielten. „Mädchen, ihr dürft nicht versuchen, euch den Zentauren zu nähern. Falls ihr es versucht, jetzt oder irgendwann später, werdet ihr es für den Rest eurer Tage bereuen. Glaubt mir, die Folgen für euch können schlimmer sein als für Jungen, die einem Einhorn zu nahezukommen.“

Sie ging durch die Tür, bevor Emily sie fragen konnte, was sie meinte. Stattdessen folgte ein Junge, den sie kaum kannte, ihrer Lehrerin bis mitten in einen Wald, der Emily an das Kampfmagie-Trainingsgelände erinnerte. Dieser Wald wirkte irgendwie lebendiger, und ein Duft in der Luft ließ ihr Herz laut klopfen. Sie sah sich um und entdeckte, dass die anderen Mädchen den Duft ebenfalls wahrgenommen hatten. Aber was war das?

„Bleib hier“, sagte Meisterin Kirdáne scharf.

Emily sah nach unten und bemerkte, dass sie in Richtung der Zentauren gegangen war. Sie wurde rot und ging zur Tür zurück. Die Mädchen warteten dort, während die Jungen auf die Geschöpfe zugingen. Die Zentauren hatten menschliche Oberkörper und Köpfe, die auf pferdeähnliche Körper aufgepfropft waren, aber etwas an ihren Bewegungen ließ darauf schließen, dass sie alles andere als menschlich waren. Einer von ihnen wandte sich um und sah Emily an, und ihr wurde schwindelig, als wäre sie wieder unter Drogen gesetzt worden. Etwas in ihr bestand darauf, dass der Zentaur das schönste Wesen sei, das sie je gesehen hatte; der Rest von ihr schrie, sie solle davonlaufen. Die Jungen schienen zum Glück nicht in Gefahr zu sein. Meisterin Kirdáne behielt sie aus der Ferne scharf im Auge.

„Warum …?“ Emily schluckte und versuchte es noch einmal. „Warum sind sie so gefährlich?“

„Das willst du wirklich nicht wissen“, sagte Alassa direkt neben ihr – wie war sie so nahe gekommen, ohne dass Emily ihre Freundin bemerkt hatte? Die königliche Prinzessin klang angespannt, gefährlich angespannt. „Mein Vater hat mir einmal gesagt, dass ich mit Zentauren nie direkt zu tun haben sollte. Sie haben eine seltsame Macht über Frauen.“

Emily hätte das als noch mehr sexistisches Geschwätz abgetan, aber sie spürte tatsächlich, dass die Geschöpfe eine fremdartige, fast hypnotische Anziehungskraft auf sie ausübten.

Sie war erleichtert, als Meisterin Kirdáne die Jungen zurückrief und sie wieder durch die Tür zurück nach Whitehall führte. Die Klasse war sehr still, während sie zu den Zeremoniengärten zurückgingen, zu dem riesigen Bienenstock, der mitten zwischen allerlei Blumen stand. Emily hatte gelernt, dass einige Blumen, die mit Mana in Kontakt gekommen waren, sehr gefährlich waren, aber sie sah keine dieser Blumen in den Gärten. Das riesige Geschöpf, das Professor Thande erschaffen hatte, schien vollkommen unbeeindruckt, während es an einem der Bienenstöcke arbeitete. Es beachtete die Wesen gar nicht, die um sein riesiges Auge herumschwirrten.

„Diese Bienen waren das Versuchsobjekt eines Hexenmeisters, der die Honigerzeugung auf seinen Höfen erhöhen wollte“, erklärte Meisterin Kirdáne. „Er glaubte, wenn er sie mit Mana verbessern könnte, würden sie mächtiger und fähiger werden; stattdessen bekamen sie Schwarmintelligenz und begannen mit ihm zu verhandeln. Er war sehr erschrocken, schickte sie nach Whitehall und hörte mit der Imkerei auf.“

Eines der Mädchen fand seine Stimme wieder. „Sind sie gefährlich?“

„Sie können wie ein einziges Wesen denken und handeln“, sagte Meisterin Kirdáne. „Ein Stich würde dich nicht umbringen, aber ein paar hundert würden dein Leben locker beenden. Anders als gewöhnliche Bienen können sie dich immer wieder stechen, ohne zu sterben. CT ist der Einzige, der in ihre Bienenstöcke hineingreifen kann, ohne zu sterben.“

„Sie wissen es besser, als mich zu stechen“, sagte CT in seiner gluckernden Stimme. „Bienen in einem Bienenstock müssen sich bienehmen .“

Emily stöhnte über sein Wortspiel.

„In den nächsten Wochen werdet ihr lernen, wie ihr euch gegen verschiedene magische Geschöpfe verteidigt“, fuhr Meisterin Kirdáne fort. „Ich erwarte, dass ihr euch Wissen anlest – ihr bekommt eine Literaturliste – und euch mit den anderen Geschöpfen in den Gärten vertraut macht. Danach werden wir Ausflüge unternehmen, um Geschöpfe zu besuchen, die man nicht lange einsperren kann, vielleicht gar nicht: Drachen, Werwölfe, Orks und Kobolde. Wer mich nicht überzeugt, dass er mit ihnen umgehen kann, kommt nicht mit auf die Exkursionen.“

Sie lächelte die Schüler warmherzig an. „Manche von euch leben vielleicht nahe von Gebieten, die reich an Mana sind“, erinnerte sie sie. „Ihr braucht solches Training, um am Leben zu bleiben und euer Volk zu schützen. Oder für den Fall,“ – sie warf Alassa einen Blick zu – „dass ihr jemals mit diesen Geschöpfen verhandeln müsst. Schon allein das Bewusstsein für die möglichen Gefahren kann es leichter machen, damit umzugehen, wenn es so weit ist.“

Meisterin Kirdáne klatschte in die Hände. „Die Stunde ist vorbei. Bis nächste Woche.“

Emily blieb zurück, während die anderen wieder zum Schloss gingen. „Meisterin“, sagte sie, „werden Sie uns Feen vorstellen?“

Meisterin Kirdáne blinzelte überrascht. „Vielleicht, aber sie können sehr gefährlich sein“, sagte sie langsam. „Warum fragst du?“

Emily zögerte. „Wenn man eine lebende Fee in einem Laden kaufen wollte, wie viel würde sie kosten?“

„Sie sind selten“, sagte Meisterin Kirdáne. „Es ist gefährlich, eine Fee zu fangen, auch wenn sie nach ihrer Gefangennahme sanftmütiger werden. Vielleicht zwei oder drei Goldmünzen.“

Ihre Augen wurden schmal. „Möchtest du mir mit dieser Frage etwas Bestimmtes sagen?“

„Man hat mich hereingelegt“, sagte Emily. Sie dachte an die Fee, die sie gerettet hatte. Sie erklärte kurz, was passiert war. „Und dann verschwand die Fee einfach.“

Meisterin Kirdáne lachte sie aus. „Das geschieht dir recht, wenn du nicht ordentlich verhandelst“, sagte sie spöttisch. „Hat Meisterin Irene dir nicht gesagt, dass du verhandeln solltest?“

Emily wurde rot. Man hatte ihr nicht beigebracht, wie man verhandelte. Diese Fähigkeit hatte sie auf der Erde nicht erworben.

„Es ist dein Geld“, erinnerte die Lehrerin sie. „Aber zumindest weißt du, dass du die Fee befreit hast. Die Regeln, denen sie unterliegen, besagen, dass sie wegfliegen können, wenn sie befreit wurden.“

Emily dankte ihr und ging Alassa und Imaiqah nach, die auf sie warteten. Als sie auf der Krankenstation gelegen hatte, hatte sie sich gefragt, ob sie hereingelegt worden war, aber sie hatte nicht genau gewusst, wen sie fragen konnte, um das herauszufinden. Wenigstens war die Fee frei … und vielleicht würden sie einander sogar wiedersehen. Feen waren so ein Thema, das sie nachschlagen konnte, wenn sie wieder einmal in der Bibliothek war.

Alassa lächelte, als sie die Schule betraten. „Ich dachte immer, das würde langweilig“, gab sie zu. „Aber glaubst du, sie würden uns einen Drachen bringen, damit wir auf ihm reiten können?“

Emily öffnete den Mund, doch bevor sie ein Wort sagen konnte, blitzte ein helles Licht auf. Ihr ganzer Körper wurde steif. Sie konnte sich nicht bewegen.

„Du“, sagte eine Stimme aus dem Nichts. „Du wirst büßen.“