Natürlich verbrachte ich den Rest des Samstags damit, mich gewaltsam davon abzuhalten, mit einer erbärmlichen, erfundenen Ausrede in Augies Antiquitätenladen vorbeizuschauen, um nach dem Mann zu sehen. Stattdessen traf ich mich mit MJ und zwang sie, mir alle Details ihrer Nacht mit Neckie zu erzählen.
Meine Schwester war sehr aufgeregt, und ich merkte sofort, dass die beiden auf irgendeine Weise zusammengefunden hatten.
„Erzähl mir alles“, sagte ich, als sie sich nach Mittag in die Schlafbaracke schlich, immer noch in denselben Klamotten, die sie am Abend zuvor getragen hatte. „Mir kannst du ohnehin nichts vormachen. Heilige Scheiße.“
„Es gibt nichts, was du sagen kannst, um meine Stimmung zu trüben. Ich habe sie geküsst, Saint. Ich habe sie auf den Mund geküsst, wovon ich seit mindestens fünfzehn Jahren geträumt habe.“
„Wie konnten wir nicht wissen, dass sie auf Frauen steht?“
„Sie war in der Highschool mit Wie-heißt-er-noch zusammen. Erinnerst du dich?“
Ich dachte an diese Jahre zurück und stellte mir einen schlaksigen, dürren Kerl mit einem Kurzhaarschnitt vor, der immer in Flecktarn gekleidet war. „Warte. Dinko? Dirk Dinko? War das nicht sein Name?“
MJ schnaubte. „Ja, der. Super stiller Typ. Aber sie hatte eine Schwäche für ihn. Sie hat mir erzählt, dass es damit anfing, dass sie ihn bei einem Fußballspiel der Schule vor ein paar Schlägern verteidigt hat. Ich schätze, sie machten sich über ihn lustig, weil er kein Mädchen abbekommen hatte, also schlich sich Neckie an ihn heran, küsste ihn direkt auf die Lippen und fragte ihn, ob er bereit sei, sie nach Hause zu bringen. Er folgte ihr in schockiertem Schweigen, bis er schließlich auf dem Parkplatz wieder in der Lage war, ganze Sätze zu sprechen. Kurz danach musste er sich dann übergeben. Er tat ihr so leid, dass sie ihn auf einen Milchshake ins Diner mitnahm. Sie unterhielten sich den ganzen Nachmittag und fanden eine Verbindung. Sie sagte, es war nicht die große Liebe, aber er war gut zu ihr. Daran erinnere ich mich, Saint. Er war gut zu ihr.“
„Was wohl aus ihm geworden ist?“
Ich schob einen Stapel Polster zur Seite, damit sie neben mir in die Kissen sinken konnte. Sie zog ihre Schuhe aus und setzte sich in den Schneidersitz.
„Er heiratete das Mädchen, mit dem er im College zusammen war. Sie waren im selben Lehramtsstudium in Denton. Neckie sagt, dass sie jetzt sehr glücklich sind. Sie unterrichten beide an einer High School in Austin.“
„Du scheinst das ziemlich gelassen zu sehen“, sagte ich.
Sie zuckte mit den Schultern. „Ich war damals so eifersüchtig auf ihn, aber ich wusste auch, wenn sie zusammen waren, musste er ein ziemlich guter Kerl sein. Ich meine ... ich kannte ihn und er war ganz nett. Aber er war super schüchtern. Ich habe ihn nie besonders gut kennengelernt. Und als sie und ich etwas zusammen unternahmen, hat sie ihn Gott sei Dank
nie mitgenommen. Ich wäre ein hormonelles Nervenbündel gewesen, noch mehr als ich es ohnehin schon war.“
„Genug von Dinko. Erzähl mir von Neckie.“
MJs Gesicht nahm einen verträumten Ausdruck an. „Sie sagte, sie sei seit der achten Klasse in mich verknallt. Sie erinnerte sich an die Zeit, als Dad und ich ihrer Mutter bei einer Reifenpanne halfen. Sie weiß sogar noch, dass meine Haare an diesem Tag seitlich geflochten waren.“
Ich hatte meine Schwester noch nie so albern erlebt.
„Erinnerst du dich auch an diesen Tag?“
Sie nickte. „Ihr Haar war wild. Überall blonde Locken, weil sie mit offenem Fenster fuhren. Ich erinnere mich an ihre Sommersprossen, und sie sah außerhalb der Schule so anders aus. Als würde die Sonne direkt auf sie scheinen.“ MJ drehte sich zu mir um. „Sie ist die Richtige für mich, Saint. Und nach der letzten Nacht glaube ich wirklich, dass ich es auch für sie sein könnte.“
Mein Herz krampfte sich in meiner Brust zusammen. Mir fielen nicht viele Menschen ein, die es mehr verdient hätten, einen besonderen Menschen zu finden, als meine Schwester. Sie war immer die stoische, die abgeklärte Schwester, die so tat, als ginge es ihr nur um eine erfolgreiche Karriere. Aber ich hatte es immer besser gewusst. Sie sehnte sich nach jemandem, den sie lieben konnte, und sie verdiente jemanden, der diese Liebe bedingungslos erwiderte. Ich konnte mir keine bessere Ergänzung zu meiner ordentlichen, geradlinigen Schwester vorstellen als die temperamentvolle Nectarine Birch, die im Grunde in einem Baumhaus lebte und wahrscheinlich allen Eichhörnchen in ihrem Garten einen Namen gab.
„Habt ihr es getrieben?“, fragte ich kichernd.
MJ zeigte mir den Mittelfinger. „Nein, haben wir nicht. Sie ist höchstschwanger. Wir haben nur geknutscht und uns dann in ihrem großen, bequemen Bett zusammengerollt und
stundenlang geredet. Sie ist unglaublich. Wusstest du, dass sie immer Hausfrau und Mutter sein wollte? Sie will ein Haus voller Kinder, die sie zu Hause unterrichten und auf Abenteuer mitnehmen kann. Ist das nicht interessant?“
Ich hörte MJ zu, wie sie von ihrer neuen, alten Liebe schwärmte. Das Glück meiner Schwester zauberte einen wunderbaren Glanz auf ihr Gesicht – etwas, das ich dort schon viel zu lange nicht mehr gesehen hatte. Allein das Reden über Neckie ließ sie innerlich aufleben, und ich fragte mich, wie lange sie wohl brauchen würde, um zu begreifen, dass Neckies Zuhause in Hobie lag, während MJs Zuhause in der Stadt war.
Genauso wie Augies in Hobie war, während meines in der Stadt lag.
Nicht, dass die beiden sich in irgendeiner Weise ähnlich wären. Augie und ich waren lediglich ... was? Schüler und Lehrer? Klient und Dienstleister? Freunde? Freunde mit Extras?
Nichts davon schien ganz zu stimmen.
Wie schon am Vorabend ging ich am Samstagabend mit Gedanken an den rätselhaften Antiquitätenhändler ins Bett, und als ich am nächsten Morgen ins Twist kam, um mich durch einen Kickboxkurs zu mogeln, traf ich meinen Kollegen Rex wieder. Er lehnte an der Rezeption und nippte an seinem Kaffee. Als ich hereinkam, hob er eine Augenbraue und blieb überrascht stehen.
„Morgen“, sagte er.
„Hey. Was machst du denn noch hier?“
„Ich hatte gestern Abend einen Platten ein paar Meter außerhalb der Stadt. Ist gerade in der Werkstatt. Ich dachte, ich komme vorbei und trainiere noch ein bisschen, bevor ich zurück in die Stadt fahre.“
„Scheiße, Mann. Du hättest bei mir auf der Ranch meiner Familie bleiben können. Warum hast du nicht angerufen?“
Er zuckte mit den Schultern und grinste. „Ich habe jemanden gefunden, bei dem ich bleiben kann.“
Ich lachte. Typisch Rex. „Ich hoffe, ich bin nicht mit dem Glückspilz verwandt. Wenn du in Hobie einen Schwulen abgeschleppt hast, ist er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein Wilde.“
„Negativ. Offensichtlich warst du noch nicht auf Grindr, seit du hier bist.“
Ich erschauderte bei dem Gedanken, die App zu öffnen und die Schwanzbilder sämtlicher homosexueller Hobieaner zu sehen. Nein, danke. Für meinen Geschmack etwas zu viel des Guten.
Neulich in der Kneipe klang das aber noch ganz anders.
Ich schüttelte den dummen Gedanken ab und erinnerte mich an etwas über Rex' Spezialisierung auf IT-Kram. „Hey, ich habe mich gefragt, ob du mir einen Gefallen tun kannst, wenn du wieder im Büro bist.“
„Bestimmt. Was gibt's?“
Ich trommelte mit den Fingerspitzen auf meinem Oberschenkel, während ich überlegte, ob ich diese Büchse der Pandora wirklich öffnen wollte oder nicht. Rex musste mein Zögern gespürt haben, aber er blieb ruhig, während ich meine Entscheidung traf.
„Kennst du meinen Kunden, dem ich gerade Selbstverteidigung beibringe?“, fragte ich.
„Chris Hemsworth?“, stichelte er. „Ja, was ist mit ihm?“
„Ich glaube, er verheimlicht mir etwas. Zum Beispiel, dass er bedroht wird oder so etwas. Ich glaube, er nimmt diese Selbstverteidigungskurse, weil er Angst hat.“
Mein Freund musterte mich, bevor er antwortete. „Und? Was geht es dich an, wenn er es dir nicht sagen will?“
„Ich halte es für möglich, dass er verfolgt wird.“
Rex schaute mich weiter an, bis ich unter seinem wissenden Blick einknickte.
„Verdammt noch mal. Schau mich nicht so an. Denkst du, ich weiß das nicht? Denkst du, ich weiß nicht, dass es mich nichts angeht? Ich weiß es. Aber ich mache mir Sorgen um ihn, Mann. Und ich will nicht, dass dem Kerl etwas zustößt. Kannst du das nicht für mich nachprüfen? Bitte?“
Sein Gesicht verbreiterte sich zu einem Grinsen. „Ah, da ist das Zauberwort. Ich schau, was ich tun kann.“
Ich klopfte ihm auf die Schulter. „Danke. Ich schulde dir was.“
Später am Abend, als ich mich gerade auf den Weg zurück zur Ranch machen wollte, rief Rex an.
„Ich habe Polizeiberichte über einen Einbruch in ein Haus in Hobie vor etwa zehn Tagen und einen Autoeinbruch in Dallas vorletzte Nacht gefunden. Die ...“
„Warte“, unterbrach ich. „Noch mal zurück. Autoeinbruch? Wann? Wo in Dallas? Bist du dir sicher, dass er es war? Er hat eine große Familie in Dallas. Es könnte auch einer von ihnen gewesen sein.“
Ich hörte das Klackern der Tastatur, bevor er wieder sprach. „Nein. Es war ein schwarzer Range Rover SUV, der auf August Bailey Stiel mit einer Hobie-Adresse zugelassen ist. Laut Polizeibericht ereignete sich der Vorfall vorletzte Nacht um 23 Uhr in einem Parkhaus, das an das Stiel-Gebäude in der Innenstadt angeschlossen ist. Ich glaube, ich habe diesen Wagen tatsächlich in der Werkstatt vorhin gesehen. Zerbrochenes Fenster auf der Beifahrerseite.“
Ich erinnerte mich daran, dass seine Mutter an diesem Abend seine Anwesenheit verlangte und Augie mir sagte, dass er nicht fahren würde. Wahrscheinlich hatte er ein schlechtes Gewissen bekommen und seine Meinung noch mal geändert. Aber warum hatte er mir nichts von dem Vorfall mit dem Auto erzählt? Das erklärte auf jeden Fall, warum er einen Mietwagen hatte.
„Steht in dem Bericht, was gestohlen wurde?“, fragte ich.
„Das ist das Merkwürdige daran. Da war eine Umhängetasche mit einem iPad und einem E-Reader drin. Aber die waren beide noch da. Das Einzige, was laut dem Opfer fehlte, war ein Schächtelchen mit antiken Schlüsseln.“
„Schlüssel“, murmelte ich und erinnerte mich an die Schachtel, in die wir die verschütteten Schlüssel gelegt hatten. „Warum zum Teufel sollte jemand in einem Parkhaus in der Innenstadt einbrechen, um eine Schachtel mit alten Schlüsseln zu stehlen und dann die ganze teure Elektronik liegen lassen? Das ergibt doch keinen Sinn.“
„Ich bin genauso schlau wie du – keine Ahnung. Vielleicht sperrt der Schlüssel, den sie gesucht haben, irgendetwas Wichtiges.“
„Nein, tun sie nicht. Er sammelt einfach zum Spaß alte Schlüssel.“
Rex fuhr fort. „Bei dem Einbruch sind auch Schlüssel als gestohlen gemeldet worden, abgesehen von ein paar anderen antiken Gegenständen. Scheint, als hätte dein Klient einen verdammt schlechten Monat gehabt.
„Mein Gott“, murmelte ich und atmete aus. „Aber die alten Schlüssel passen zu nichts. Und bei wem wird im selben Monat in sein Haus und sein Auto eingebrochen? Es ist ja nicht so, dass er im größten Ghetto wohnt. Ich war bei ihm und ...“ Ich hielt in dem Moment inne, als mir klar wurde, was ich gesagt hatte.
Ich hörte das scharfe Einatmen von Rex und hätte mir selbst einen Tritt geben können.
„Nur zu, raus damit“, sagte er mit einem amüsierten Tonfall.
„Ach nichts. Ich dachte, dass er letzte Nacht von einem Verrückten verfolgt wurde, also habe ich dafür gesorgt, dass er sicher nach Hause kommt. Das ist alles.“
„Du hast deine These also quasi höchstpersönlich bestätigt.“
„Halt die Klappe. Ich lege jetzt auf.“ Ich nahm das Telefon vom Ohr und atmete tief ein.
„Sei vorsichtig, Saint-Michel-des-Saints“, sagte er laut in seinem besten französischen Akzent und rief meinen vollen Namen, um meine Aufmerksamkeit zu erregen.
„Natürlich, Reginald Xavier
“, antwortete ich und tippte auf den roten Knopf, um den Anruf zu beenden.
Auf dem Weg zum Wagen wurde ich von einer SMS von Augie überrascht.
Augie:
Rein hypothetisch gesprochen, wie bekommt man Blut aus einem Teppich heraus?
Ich:
Ähm ... Augie, alles okay?
Augie:
Ich frage für einen Freund.
Ich:
Will dein Freund einen Mord vertuschen?
Augie:
Es ist wahrscheinlich besser, wenn du nicht zu viele Fragen stellst.
Ich:
Und warum bitte glaubst du, dass ich das weiß?
Augie:
Du scheinst der Typ zu sein, der solche Dinge weiß.
Ich:
Ist das Blut nass oder trocken?
Augie:
Nass.
Ich:
Augie ... was zur Hölle ist los?
Augie:
Schon gut. Ich google einfach.
Nach dem, was Rex mir gerade erzählt hatte, war ich mir nicht sicher, ob ich lachen oder mir Sorgen machen sollte, also versuchte ich, Augie anzurufen. Er nahm nicht ab. Nachdem er fünfzehn Minuten lang nicht geantwortet hatte, beschloss ich,
bei ihm zu Hause vorbeizuschauen, nur um sicherzugehen, dass es ihm gut ging. Wahrscheinlich war es nichts, und in diesem Fall wäre es mir peinlich, für nichts und wieder nichts bei ihm aufzukreuzen. Aber für den unwahrscheinlichen Fall, dass er Hilfe brauchte, konnte es nicht schaden, auf dem Heimweg vom Fitnessstudio einen Stopp bei ihm einzulegen.
Nachdem ich geklingelt hatte, trat ich einen Schritt zurück auf die Veranda und wartete. Je länger es dauerte, bis jemand an die Tür kam, desto mehr kam ich mir wie ein Idiot vor, weil ich unangemeldet vorbeigekommen war. Würde er mich für verrückt halten?
Augie öffnete die Tür zögernd, bis er sah, dass ich es war. Seine Augen weiteten sich, und sein Gesicht wurde blass. „Saint? Was machst du denn hier?“, fragte er.
„Du hast mir eine SMS über frisches Blut geschickt und dann nicht auf meine Anrufe reagiert. Verstehst du, dass mir das ein bisschen Sorgen bereitet?“
„Mein Gott, das war nur ein Scherz. Mir geht es gut“, sagte er, aber ich sah den Rand einer Mullbinde hinter der Tür hervorlugen, wo seine linke Hand lag.
„Dir geht es nicht gut“, sagte ich, trat vor und griff nach der bandagierten Hand, die er hinter der Tür hielt. Ein Blick auf den Zustand seines Foyers und ich ertappte mich dabei, wie ich mich ins Haus drängte, um seine Hand zu untersuchen. Überall waren Möbel herumgeschoben, und durch den Verband sickerte Blut. Mein Herz begann zu hämmern, als ich mich fragte, was hier vor sich ging.
„Was zum Teufel ist hier passiert?“
Er schien erschrocken zu sein, aber ob es wegen meines Aussehens oder meiner Frage oder beidem war, blieb mir unklar.
„Ich ... ich habe mich nur an einem Glas geschnitten. Das ist alles“, stammelte er. „Ich habe versucht, es sauber zu machen.“
Ich hielt weiterhin sanft seinen Arm, während ich die Umgebung in Augenschein nahm. Sein Haus war völlig durcheinander. Große Möbelstücke standen dicht gedrängt im Foyer, und die Zimmer zu beiden Seiten sahen im Vergleich dazu leer aus. Das war doch sicher nicht noch von dem Einbruch vor einer Woche. Oder etwa doch?
Als ich mich wieder zu ihm umdrehte, sah ich das Aufblitzen des Trotzes in seinen Augen. „Das geht dich nichts an“, sagte er, bevor ich überhaupt zu Wort kommen konnte.
„Von wegen“, bellte ich. „Was zum Teufel ist hier passiert, Augie?“
„Ich habe ein paar Möbel umgestellt. Das ist alles.“
Mir fiel die Kinnlade herunter. „Das ist alles
? Hier sieht es aus, als hätte ein Verrückter alles durchwühlt.“
Plötzlich hatte ich einen Gedanken, der mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. „Ist bei dir wieder eingebrochen worden? Jesusfuckingchrist, warst du hier, als es passiert ist?“ Ich griff mit beiden Händen nach seinem Gesicht und vergewisserte mich, dass er mich ansah, damit ich die Wahrhaftigkeit seiner Antwort erkennen konnte.
„Nein. Nein, natürlich nicht. Nein
“, sagte er. Und ich glaubte ihm. Bevor ich darüber nachdenken konnte, was ich da tat, zog ich ihn an meine Brust und schlang meine Arme um ihn. Ich spürte, wie mein Herz hämmerte und sich mein Magen verdrehte bei dem Gedanken, dass Augie in Gefahr war.
„Scheiße“, murmelte ich leise vor mich hin. „Gott sei Dank, Baby, geht es dir gut?“
Ich spürte, wie Augies Körper an mir zitterte, und zog mich zurück, um ihn erneut zu begutachten. Kurz bevor ich ihn fragen konnte, ob er noch irgendwo verletzt war, bemerkte ich, dass ihm Tränen aus den Augen zu laufen drohten. Ich wollte einen Daumen ausstrecken, um sie wegzuwischen, aber ich hielt mich zurück, aus Angst, ihn in Verlegenheit zu bringen.
„Es tut mir leid. Habe ich dich erschreckt?“, fragte ich so sanft, wie ich konnte. Er schüttelte den Kopf. „Was ist es dann?“
„Du bist der erste Mensch, der mich das fragt.“ Seine Worte kamen mit einer kleinlauten, aufgewühlten Stimme, die mir fast das Herz brach.
„Das ist sicher nicht wahr. Was ist mit deinem Großvater? Er war gestern Abend hier, er muss das ganze Chaos gesehen haben. Hast du ihm nicht erzählt, was passiert ist?“, fragte ich.
„Er weiß es.“
Das war alles, was er sagte, aber es war genug. Die Erkenntnis, dass sein Großvater ihn nicht getröstet hatte, machte mich wütend. Ich erinnerte mich an den Verband und trat zurück, damit ich Platz zwischen uns hatte, um seine Hand zu untersuchen. Der Verband war unordentlich gemacht, als hätte er versucht, ihn selbst anzulegen und es nicht ganz geschafft.
„Was ist passiert?“, fragte ich erneut.
„Ich sagte doch, nur etwas Glas. Ich habe versucht, aufzuräumen, und habe nicht genug aufgepasst.“
„Wo ist dein Medizinschrank? Ich helfe dir, die Wunde ordentlich sauber zu machen. Sieht aus, als wäre es keine leichte Arbeit gewesen, mit nur einer Hand“, sagte ich mit einem Stirnrunzeln.
Augie sah zu mir auf und schien das Für und Wider abzuwägen, ob er mich bleiben lassen sollte, um ihm zu helfen.
„Ja, okay. Hier durch. In der Küche“, sagte er, bevor er sich umdrehte und mich durch das Chaos führte.
Das Haus war ein schönes altes zweistöckiges Bauernhaus mit breiten Holzdielenböden und einer warmen, buttergelben Farbe an den Wänden. Ich dachte an all die Arbeit, die nötig sein würde, um die kaputten Teile zu ersetzen und es wieder zu einem Zuhause zu machen.
„Es tut mir so leid, Augie. Das ist furchtbar“, sagte ich leise, als wir die Küche betraten. „Was haben sie mitgenommen?“
„Du meinst, außer meinem Seelenfrieden?“ Sein Versuch, witzig zu sein, funktionierte nur mäßig, und ich wusste endlich, warum August Stiel Landen Safekeeping beauftragt hatte.
Als die Angreifer in sein Haus eingebrochen waren, hatten sie mehr als nur sein Hab und Gut mitgenommen.
Sie hatten ihm das Gefühl der Sicherheit genommen und sein Selbstvertrauen zerstört.