Nachdem ich mich wie ein strahlender Held am Tisch geoutet hatte, verbrachte ich nun den Rest der Mahlzeit damit, zu zittern wie ein Wackelpudding bei einem Erdbeben. Brett warf mir über den Tisch hinweg abfällige Blicke zu, Onkel Erics Kiefer war bis zum Zähneknirschen verkrampft und meine Mutter stieß alle paar Minuten einen künstlichen Seufzer aus.
Zum Glück bat Prima die Bedienstete, Dessert und Kaffee ins Wohnzimmer zu bringen, damit wir diese Farce von einem Abendessen endlich hinter uns bringen konnten.
Trotzdem fühlte es sich an wie eine verdammte Ewigkeit.
Die ganze Zeit über war Saint so ruhig und entspannt, dass ich mich fragte, ob er in seinem Kopf einen Zen-Garten harkte. Wie zum Teufel konnte er einen kühlen Kopf bewahren, wenn ich mich vor Nervosität fast übergeben musste? Meine große Verkündigung hatte noch keine merkbaren Konsequenzen gehabt, aber ich wartete darauf, von meiner Mutter und meinem Onkel verurteilt zu werden, ganz zu schweigen von den schmerzhaften Angriffen, die Brett austeilen würde, wenn er mich allein erwischte.
Als wir ins Wohnzimmer umzogen, wählte ich ein kleines Zweiersofa neben dem großen Gaskamin aus. Ich erinnerte mich, wie ich mit fünfzehn stundenlang vor den Flammen gesessen hatte, wenn ich in den Weihnachtsferien zu Hause gewesen war. Es war so beruhigend gewesen, ins Feuer zu blicken und von einem anderen Leben zu einer anderen Zeit zu träumen. Im selben Winter hatte ich Großvaters Kriminalromane von Agatha Christie entdeckt. Ich hatte so viele verschlungen, wie ich in die Finger bekommen konnte, und dann auch noch die Filme geschaut.
„Soll ich in der Küche fragen, ob sie Schokoladensoße haben?“, murmelte Saint an meinem Ohr. Ich sah auf und entdeckte die Bedienstete, die dabei war, Kaffee einzuschenken. „Ich könnte etwas davon in den Kaffee mischen und einen Mokka machen.“
Mein Herz sprang beinahe aus meiner Brust.
„Ich liebe dich“, flüsterte ich.
Saints Augen weiteten sich überrascht, und er war nicht der Einzige. So hatte ich mir nicht vorgestellt, ihm das zu sagen.
„Es tut mir leid“, stotterte ich.
„Warum tut es dir leid, Schatz?“ Seine Stimme war immer noch leise genug, dass niemand hören konnte, was er sagte.
„Ich wollte dir das nicht hier zum ersten Mal sagen … wo ich nicht … wo ich …“
„Ich sag dir mal was“, meinte er mit einem aufblühenden Lächeln. Sein komischer Zahn erdete mich und erinnerte mich daran, dass er kein perfektes, übermenschliches Wesen war. Er war echt
. „Ich hebe mir das auf, bis wir irgendwo allein sind. Dann können wir tun, was auch immer du tun willst, aber jetzt gerade nicht kannst.“
Sein Gesichtsausdruck ließ mein Herz noch wilder hüpfen. Er war so sexy und so rücksichtsvoll. Es war eine tödliche Kombination. „Ja. Gut. Gern. Ja.“
Saint presste die Lippen zusammen, um nicht lachen zu müssen.
„Halt die Klappe“, murmelte ich. „Die Küche ist da drüben. Sag der Frau, dass du alles dafür tun würdest, etwas Schokolade zu kriegen.“
„Alles?“, fragte er mit hochgezogener Augenbraue.
Er war so verdammt süß. Bevor ich eine Warnung knurren konnte, hörte ich das Lachen meiner Schwester von der Haustür her.
„Wir sind hier!“, rief sie.
„Wer ist ‚wir‘, Liebling?“, rief Mutter, ehe sie Saint erblickte, der in Richtung Küche flüchtete. „Heute muss der Abend der ungebetenen Gäste sein.“
„Aurora und Kat“, rief Rory zurück und stürmte vor ihrer Freundin in den Raum. „Ich, ah, dachte, da Augie hier sein würde, würde ich vorbeischauen, um …“
„Rory“, unterbrach ich sie. „Ich habe Saint mitgebracht. Und, äh …“
„Er hat uns gesagt, dass er eine Schwuchtel ist“, sagte Brett. „Große Überraschung.“
Rorys Nasenflügel bebten und sie ging mit ausgefahrenen Krallen auf unseren Cousin zu. „Du kleiner …“
„Rory!“ Kat packte sie um die Taille und hielt sie davon ab, Brett die Augen auszukratzen.
„Lass mich los! So etwas kann er nicht sagen. Es geht nicht, Kat.“
„Ich weiß, Schatz. Aber ich möchte dich lieber nicht im Gefängnis besuchen müssen. Die Aussicht wäre schrecklich.“
„Aurora Stiel, setz dich gefälligst hin“, befahl meine Mutter von ihrem Platz auf einem nahegelegenen Sessel aus. „Wir waren gerade dabei, eine wichtige geschäftliche Angelegenheit mit deinem Bruder zu besprechen.“
Ich bemerkte, wie Saint schnell zurück in den Raum eilte und sich umsah, um die Situation einzuschätzen. Er hatte wohl das Geschrei gehört.
„Katrina, Rory, schön, euch wiederzusehen“, sagte er, als er sah, dass keine feindliche Invasion stattgefunden hatte. Er kehrte an meine Seite zurück und zog ein kleines Päckchen Kakaopulver aus seiner Hosentasche.
„Das Beste, was ich kriegen konnte“, sagte er leise und reichte es mir. „Ich habe Schokoladensirup in meiner Wohnung, damit du morgen einen echten Mokka trinken kannst.“
Ich schluckte. Er hatte erwähnt, dass wir in seiner Wohnung in der Innenstadt übernachten könnten, statt nach Hobie zurückzufahren. Daraufhin hatte ich ihm aber gesagt, dass ich normalerweise in meinem alten Zimmer hier im Haus schlief.
Irgendwie gefiel es mir, dass er seine Wohnung noch einmal erwähnte, fast so, als ob ich keinerlei Einfluss auf diese Entscheidung hätte. Mir war aufgefallen, dass seine befehlerische Art normalerweise damit zusammenhing, dass er mich beschützen oder im Bett sinnlich verwöhnen wollte. Ich hatte gegen keines von beiden etwas einzuwenden.
„Perfekt“, sagte ich. „Danke.“
Nachdem er seinen eigenen Kaffee von der Bediensteten überreicht bekommen hatte, lehnte sich Onkel Eric in seinem Stuhl zurück. „August, es wäre schön, wenn du uns helfen könntest, Vater davon zu überzeugen, das Gebäude, in dem sich dein Laden befindet, für ein Wohltätigkeitsprojekt zu spenden. Brett und ich haben schon eine Weile daran gearbeitet. Einer der Begünstigten der Stiftung …“
„Ich weiß über die CSP Bescheid“, sagte ich.
Eric sah überrascht aus. „Oh, nun, ja. Die CSP schafft Wohnraum für einkommensschwache …“
Diesmal war Saint derjenige, der ihm das Wort abschnitt. „Ich muss dich leider unterbrechen, Eric. Man wird niemals
erlauben, dass jemand Sozialwohnungen direkt an Hobies Stadtplatz baut.“
„Möglich, aber wir möchten ihnen zumindest die Chance geben, es zu versuchen. Bevor die Immobilie nicht in ihrem Besitz ist, können sie nicht einmal einen Antrag stellen.“
Saint klang verärgert. „Ihr wollt also, dass Augie einen neuen Laden findet, einen Mietvertrag für einen anderen Standort unterschreibt und alles in seinem Geschäft umzieht, nur für die geringe Chance, dass Hobies Stadtplaner einen lächerlichen Plan für Sozialwohnungen auf dem zentralen Platz genehmigen?“
Brett mischte sich ein: „Das geht dich überhaupt nichts an. Hast du überhaupt einen Hochschulabschluss? Wir sprechen über komplexe Immobilieninvestitionsgeschäfte und nicht darüber, wie viel du beim Bankdrücken schaffst.“
Saint holte tief Luft, um seine Ruhe zu bewahren. Er hatte ein eisiges Lächeln im Gesicht und seine Stimme klang butterweich. „Mein Vater ist der Präsident von Winstone Capital. Er betreut weltweit ‚komplexe Immobilieninvestitionsgeschäfte‘ im Wert von 500 Milliarden
US-Dollar und war auch daran beteiligt, die millionenschweren Immobilien-Investitionen meiner Großväter in Hobie zu finalisieren. Ich würde sagen, ich habe ein gewisses, passives Wissen darüber, wovon wir hier sprechen.“
Mr. Stiel kicherte von seinem Platz am Kamin aus. „Brett, Saint war mal ein Navy SEAL. Es braucht mehr als einen langen Atem, um diese Tests zu bestehen. Hör schon auf, dich wie ein Arschloch aufzuführen.“
Rory ging herum, um Großvater zu umarmen, ehe sie ihn zu einem Stuhl führte, wo er sich setzen konnte. Sie begann, ihm einen Kaffee und ein Stück Kuchen vom Tablett auf dem Beistelltisch zurechtzumachen.
Ich sah meinen Onkel an. „Eric, warum gerade dieses Grundstück? Warum nicht nach etwas günstigerem und passenderem suchen, das an die CSP gespendet werden kann? Vielleicht etwas in der Nähe der Grundschule oder des Krankenhauses?“
„Wir besitzen bereits alle drei Immobilien“, erklärte Eric.
„Das stimmt nicht“, murmelte Großvater. „Das Unternehmen besitzt eine, ich besitze eine und die CSP besitzt die dritte. Drei verschiedene Besitzer.“
„Ja, aber mein Vater ist für die Vermögenswerte des Unternehmens verantwortlich“, sagte Brett und deutete auf Eric. „Großvater, du kannst deine Immobilie überschreiben lassen, und die letzte hat die CSP bereits.“
Ich fragte mich, ob ich einfach zustimmen sollte. War mein Laden diesen Kampf wert? Ja, ich liebte mein Ladenlokal, aber war ich nicht auch meiner Familie verpflichtet? Ich könnte meinen Laden ganz einfach umziehen und diesen ganzen Konflikt mit einer Unterschrift aus der Welt schaffen.
Aber liebte ich meine Familie genug, um solch massiven Betrug gegenüber Hobies Steuerzahlern zu unterstützen? Konnte ich damit leben, dass eine Pseudo-Wohltätigkeitsorganisation eine Spende von meiner Familienstiftung erhielt, um damit Steuerschlupflöcher auszunutzen? Die Antwort war Nein.
„Warum in aller Welt sollte ich die betrügerischen Geschäfte einer sogenannten gemeinnützigen Organisation unterstützen?“, fragte ich Eric. „Und warum soll unsere Familienstiftung gerade diese Organisation mit einer so großen Spende unterstützen?“
„Verdammt, Augie, wir müssen dir diesen Scheiß nicht erklären. Du bist zum Teufel noch mal ein Mieter“, sagte Brett. „Wir brauchen dich nur, um Großvater davon zu überzeugen, dass du deinen Laden problemlos umziehen kannst.“
Saint saß schweigend neben mir, die Hände im Schoß gefaltet. Ich wollte ihn fragen, was ich tun sollte, oder einfach meinen Kopf an seine Schulter lehnen und ihn für mich übernehmen lassen. Ich war es leid, der Ausgestoßene der Familie zu sein. Außerdem hasste ich es, wichtige Entscheidungen allein treffen zu müssen. Ich war noch nie ein großer Fan davon gewesen, die alleinige Verantwortung für etwas zu haben.
Aber ich hasste es auch, gemobbt zu werden, besonders von meiner eigenen Familie.
„Ich bin nicht bereit, meinen Laden zu verlegen.“ So, jetzt war es raus.
Alle starrten mich an und versuchten vermutlich herauszufinden, wie schnell ich unter Druck zusammenbrechen würde.
„Aber Liebling“, sagte Mutter. „Denk doch an all die Menschen, denen dieses Projekt helfen würde.“
„Welche Menschen?“, fragte Saint. „Hobies Armutsquote liegt bei unter acht Prozent. In den ländlichen Regionen von Texas würde es das nie geben. Es ist eine wohlhabende Stadt wegen der Lage am See, und die Menschen mit geringem Einkommen leben im nahe gelegenen Valley Cross. Warum nicht das Projekt dort umsetzen? Ich kann euch sagen, warum – es gibt kein Projekt für Sozialwohnungen. Alles nur ein Schwindel.“
Eric mischte sich ein. „Wohl kaum. Außerdem ist es nicht unsere Aufgabe, die besten Standorte zu finden, das macht die CSP. Wir sind nur die Wohltäter.“
„Warum ist dieses spezifische Projekt so wichtig?“, fragte ich. Ich wollte es aus ihren eigenen Mündern hören.
Eric biss die Zähne zusammen und sah weg. Brett übernahm.
„Schau, Augie. Wir haben uns verpflichtet, dieser gemeinnützigen Organisation beim Erwerb dieser Immobilien
zu helfen. Was werden sie machen, wenn wir dieser Verpflichtung nicht nachkommen?“
„Warum gerade dieses Gebäude?“
„Weil der Plan der CSP vorsieht, alle drei Grundstücke für ein Wohnprojekt zu kombinieren“, erklärte Brett.
„Also planen sie, das Depot abzureißen?“, fragte ich ungläubig. Jens Laden befand sich im ursprünglichen Bahnhof der Stadt. Der historische Charme war die Hälfte dessen, was Apple Dots so besonders machte. „Das ist noch älter als das Huddler-Gebäude.“ Das Gebäude, in dem sich mein Laden befand, wurde ursprünglich von Cletus Huddler gebaut, um sein Bauunternehmen in Hobie unterzubringen. Ich hatte sogar noch zwei der originalen Zeichentische aus dem ursprünglichen Geschäftsnachlass in meinem Lagerraum im dritten Stock.
Saints Körperwärme drang durch den Stoff meiner Hose, als er etwas näher an mich heranrückte.
„Das Depot?“, fragte Großvater überrascht. „Eric, du hast mir nie erzählt, dass sie den historischen Bahnhof abreißen wollen.“
„Sie bauen ja nicht einmal Sozialwohnungen“, sagte ich schroff. „Es sind Schwindler. Es ist eine Scheinfirma für ein kommerzielles Bauunternehmen. Wusstest du das?“
„Das stimmt nicht“, stellte Eric sofort klar. „Ich weiß nicht, woher du diese Idee hast, aber die CSP ist eine amtlich registrierte gemeinnützige Organisation, die sich auf Sozialwohnungen spezialisiert hat.“
„Das behaupten sie jedenfalls“, fügte Saint hinzu. „Sieht man sich ihre tatsächlichen Immobilientransaktionen an, gibt es nichts als eine lange Reihe von kommerziellen Immobilienpaketen für Einkaufszentren. Acht der letzten zehn Projekte beinhalteten eine Health Plus-Drogerie, ein Versandzentrum von Ship and Save und ein Starbucks.
„Was?“ Meine Mutter sah plötzlich verwirrt aus. „Ist das wahr?“
„Verdammt, Eric!“, bellte Großvater. „Was zum Teufel denkst du dir eigentlich?“
„Papa, es ist ein Immobiliengeschäft über mehrere Millionen Dollar. Es ist ein gemeinnütziges Wohnprojekt, und wir brauchen das Huddler-Gebäude, um es zu ermöglichen. Augie, du solltest dich schämen. Seit wann bist du so verdammt egoistisch?“
Mir blieb der Mund offen, aber Saint hatte keine derartigen Probleme.
„Wie kannst du es wagen, ihn egoistisch zu nennen“, dröhnte Saint und stand von seinem Platz auf. „Hast du eigentlich eine Ahnung, wie viel Mühe er sich gemacht hat, um es dieser Familie recht zu machen? Du sagst er soll springen und er fragt, wie hoch. Du sagst, er soll nicht schwul sein, und er führt sein gesamtes Leben im Geheimen. Du sagst, es findet ein Abendessen statt, und er lässt alles stehen und liegen, um hierherzukommen, nur um herauszufinden, dass es abgesagt worden ist und sich niemand die Mühe gemacht hat, es ihm zu sagen. Er hat seinen Vater verloren, verdammte Scheiße!“ Er sah Rory an. „Das haben sie beide. Sie haben ihren Vater verloren und ihr habt ihnen lediglich gesagt, sie sollen aufhören zu weinen. Wer zum Teufel macht so etwas?“
Er drehte sich mit einem Ausdruck tiefen Schmerzes in den Augen zu mir um. „Augie, wir gehen. Ich kann dich keine Minute länger in dieser Schlangengrube lassen. Ich kann es nicht.“
Ich stand auf, nahm seine Hand und wandte mich mit einem entschuldigenden Blick an meinen Großvater. „Danke für das Abendessen.“ Ich sah Tante Prima an. „Alles Gute zum Geburtstag.“ Und schließlich sagte ich zu meiner Mutter: „Gute Nacht, Mutter.“
Dann folgte ich Saint hinüber zu Rory und Kat und umarmte beide, nachdem Saint ihnen je einen Kuss auf die Wange gegeben hatte.
Meine Schwester hauchte mir ins Ohr: „Fessle ihn, falls nötig, Bruderherz. Auf den Mann musst du aufpassen.“
Sie hatte keine Ahnung.