Ich
»Und die haben dich wirklich für einen Pornostar gehalten?« Susi ist noch ganz aufgeregt und hopst nervös auf der Couch herum.
»Wenn ich’s dir sage! War ja auch kein Wunder bei den Klamotten«, murmele ich und nippe an meinem Glas.
Susi zieht einen Schmollmund. »Was kann ich denn dafür, dass du da mit einem knallroten Lippenstift reinspazierst. Ich habe dich sogar ausdrücklich davor gewarnt, weißt du noch?«
»Ja, ich weiß«, sage ich schwach. »Wir konnten beide nichts dafür.«
Dann atme ich tief durch und nehme noch einen Schluck. Vielleicht habe ich ja bloß überreagiert. Ich meine, was ist denn schon großartig passiert? Es gab eine kleine Verwechslung, na und? Okay, es war eine peinliche Verwechslung.
Eine verdammt peinliche Verwechslung sogar.
Aber wer sagt denn, dass das schadet? Wenigstens haben die jetzt mein vollständiges Buch in ihren Händen, und das ist doch das Einzige, was zählt, oder?
»Wie hat die denn ausgesehen?«, will Susi auf einmal wissen.
»Wer?«, frage ich gedankenverloren zurück.
»Na, diese … wie hieß die noch schnell … dieser Pornostar?«
»Sandy Wild?«
»Genau. Wie hat die denn ausgesehen, so privat, meine ich?«
Ich zucke nachdenklich mit den Schultern. »Na ja, nicht so besonders eigentlich. Angezogen war sie so ähnlich wie ich, aber das weißt du ja schon … und sie hatte blonde Haare und einen echt großen Busen.«
Susi beugt sich auf einmal neugierig vor. »Hast du sie erkannt?«
»Wie, erkannt?«
»Na, aus ihren Filmen. Du hast doch gesagt, dass sie ein echter Star ist. Dann muss die doch in jedem zweiten Porno mitspielen.«
»Nein, wieso? Ich gucke keine Pornos.«
Susi zieht ein ungläubiges Gesicht. »Jetzt komm schon! Ich habe erst neulich gelesen, dass sich die meisten Menschen in längerfristigen Beziehungen solche Filme ansehen. Die brauchen das, um wieder ein bisschen Pep in ihr Sexleben zu bringen. Willst du mir erzählen, dass du und Martin euch nie einen Porno reinzieht?«
Ich fühle mich ein bisschen ertappt, versuche aber, mir nichts anmerken zu lassen. Nach den ersten Monaten unserer Beziehung kam Martin tatsächlich immer öfter mit solchen Filmen angetrabt. Anfangs fand ich das noch ganz lustig, aber mit der Zeit ging es mir dann ziemlich auf die Nerven. Das Problem bei diesen Filmen ist, dass sie für Männer gemacht sind, und das merkt man. Da gibt es null Handlung – oder zumindest nichts, was diese Bezeichnung verdient hätte –, und das Ärgerlichste daran ist, dass es ausnahmslos um perfekt gebaute Nymphomaninnen geht, die zu jeder Zeit mit jedem Kerl alles machen.
Als ich dann kapierte, dass Martin hoffte, mich mit diesen Streifen zu ähnlicher Hemmungslosigkeit zu motivieren – natürlich nicht mit jedem Kerl, aber zu jeder Zeit alles zu machen –, gingen mir diese Filme endgültig auf den Wecker. Nur kann man einem erwachsenen Mann schlecht verbieten, sich dann und wann einen Porno reinzuziehen, ohne gleich als prüde dazustehen, also musste ich mir einen kleinen Trick einfallen lassen, um ihm diese Filme abzugewöhnen.
Mein Glück dabei war, dass die männlichen Darsteller in diesen Streifen meistens überdurchschnittlich gut gebaut sind, und diesen Umstand machte ich mir zunutze: Als bei unserem nächsten Film der Erste dieser Prachtburschen zu voller Größe auflief, machte ich ein begeistertes Gesicht und hauchte ein leises: »Wow!«, woraufhin Martin mich ein bisschen verwundert ansah. Als der nächste Riese auf dem Bildschirm erschien, rief ich verzückt: »Nicht schlecht, Herr Specht!« Da guckte Martin mich schon ganz misstrauisch an. Und als dann ein schwarzer Gigant von rechts auftauchte, bei dem man zuerst glaubte, da hält irgendein Witzbold eine dreißig Zentimeter lange Lakritzstange vor die Kamera, entfuhr mir ein begeistertes: »Halleluja!« Martin blinzelte ganz erschrocken zwischen dem Fernseher und mir hin und her, und seitdem hat er nie wieder einen Porno mitgebracht.
Trotzdem: Ich habe nie darauf geachtet, wer bei diesen Streifen mitspielt.
»Okay, mag sein, dass ich schon mal einen Porno geguckt habe«, antworte ich jetzt auf Susis Frage. »Aber du weißt ja, wie das ist: Aufs Gesicht schaut da sowieso keiner, und sonst sehen die doch alle gleich aus. Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, die schon irgendwann mal gesehen zu haben.«
»Aha.« Susi scheint nicht ganz zufrieden zu sein mit meiner Antwort. Sie greift in die Keksdose und knabbert eine Weile nachdenklich auf ihrem Keks herum. »Man kann das Ganze aber auch positiv sehen«, sagt sie dann. »Wenn dieser Dr. Baumann dir zutraut, ein Pornostar zu sein, dann muss er dich ganz schön sexy gefunden haben. Und das bedeutet, dass du seine Aufmerksamkeit erregt hast.« Sie zwinkert mir aufmunternd zu.
»Hm, vielleicht hast du recht.«
»Und sonst, was hat er zu deinem Buch gesagt?«
»Zu meinem Buch?«
»Ja. Das hast du ihm doch gegeben, oder?«
»Ja, schon, aber er hat es nicht einmal richtig angesehen. Du kannst dir ja vorstellen, wie peinlich die ganze Situation war. Ich wollte da nur noch raus, und darüber schien er heilfroh zu sein.«
»Ah ja? Und wie geht’s nun weiter, mit deinem Buch, meine ich?«
Ich zucke mit den Schultern. »Was weiß ich? Er hat gesagt, er gibt es an die zuständige Lektorin weiter, und die meldet sich dann bei mir.«
»Na, das ist doch super«, sagt Susi fröhlich. »Überleg mal: Bei Baumann hast du einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen – ob positiv oder nicht, ist in dem Fall egal –, das bedeutet, er wird dein Manuskript schnell weitergeben. Und die Lektorin kennt dich ja nicht, das heißt, die wird ganz objektiv an die Sache rangehen. Also, wenn du mich fragst, viel besser hätte es gar nicht laufen können.«
Sie strahlt mich an, und mir wird ganz warm ums Herz. Susi ist so klug, und was ich am meisten an ihr mag, ist, dass sie an jeder noch so verfahrenen Situation noch was Positives findet.
Gleich fühle ich mich besser. Ich nehme einen Schluck Wein und schnappe mir auch einen Keks.
»Was hat Martin überhaupt dazu gesagt?«, will Susi wissen.
»Wozu?«
»Na, dazu, dass du einen Verlag gefunden hast?«
»Ach, gar nichts … das heißt, er weiß es noch nicht. Ich habe ihn den ganzen Tag nicht erreicht. Wahrscheinlich hat er wichtige Termine.«
»Das ist aber schade. Der wird sicher Augen machen, meinst du nicht?«
Ja, das wird er, da bin ich mir sicher. Und es wird auch eine Genugtuung für mich. Mir ist nämlich nicht verborgen geblieben, dass Martin mein Buchprojekt insgeheim immer ein wenig belächelt hat. Natürlich hat er sich bemüht, das nicht zu zeigen, aber manchmal kamen ihm doch Kommentare wie »Kinderkram« oder »Zwergenliteratur« über die Lippen, und ich glaube, dass er auch meinen Beruf nicht ganz ernst nimmt. Aber irgendwie kann ich das auch verstehen, wo er doch Rechtsanwalt ist und sich tagtäglich mit den kompliziertesten Fällen herumschlagen muss. Und ganz ehrlich, unter uns: seit ich weiß, dass seine vorherige Freundin eine Topanwältin war, habe ich mich ihm irgendwie nie ganz ebenbürtig gefühlt.
Wenn jetzt aber mein Buch herauskommt, wird sich das ändern. Als Buchautorin – was sage ich, Bestsellerautorin – steht man doch wohl auf einer Stufe mit einem Rechtsanwalt, oder nicht?
Überhaupt glaube ich, dass das unserer Beziehung guttun wird. In letzter Zeit ist es nämlich nicht so gut gelaufen. Nicht dass wir großen Krach gehabt hätten oder so, aber das richtige Feuer war irgendwie … nicht mehr da.
»Was hast du?«, fragt Susi, als sie meinen nachdenklichen Gesichtsausdruck sieht.
»Ach, nichts.« Ich mache eine wegwerfende Handbewegung. »Ich habe nur nachgedacht, über Martin und mich.«
Susi ist meine beste Freundin. Sie erkennt es sofort, wenn mich der Schuh drückt. »Gibt’s etwa Probleme bei euch?«, fragt sie.
»Nein, nein, nicht wirklich«, beeile ich mich zu sagen. »Es ist nur … in letzter Zeit ist es nicht mehr so wie am Anfang.«
Sie macht ein besorgtes Gesicht. »Irgendwas Besonderes? Streitet ihr euch?«
»Streiten?« Ich denke kurz nach. »Nein, das nicht. Ich meine, sicher, ich bin schon mal genervt, weil ich manchmal glaube, dass er lieber bei seinen Kumpels im Cheerio herumhängt als bei mir zu Hause, und er führt mich kaum mehr aus, und er kocht nicht mehr so oft für mich …«
Susi reißt die Augen auf. »Er kocht für dich?«
»Ja, wusstest du das nicht?« Seltsam, da quatscht man täglich mit seiner Freundin, und dennoch weiß die überhaupt nichts über einen. Worüber reden wir eigentlich, wenn wir stundenlang zusammenhocken?
»Ein Rechtsanwalt, der kochen kann, auch nicht schlecht. Was kocht er denn so?«
»Hm, eigentlich alles. Wiener Schnitzel, Steak, Schweinebraten …«
»Aha, nach dem Motto: Fleisch ist mein Gemüse«, unterbricht sie mich.
»Nein, nein, nicht nur das. Er macht auch hervorragende Spaghetti in verschiedensten Variationen, al dente natürlich – besser als in den meisten Restaurants, kann ich dir sagen – und Punschtörtchen …«
»Punschtörtchen? Jetzt machst du Witze!« Susi guckt ungläubig.
»Nein, und die sind echt lecker.«
»Wow!« Susi ist ganz fertig. »Falls du deinen Martin mal über hast, schick ihn mal bei mir vorbei. Ein Punschtörtchen backender Anwalt, und noch dazu so gut aussehend …«
»Susi!« Ich schaue sie streng an. »Lass ja die Finger von Martin!«
Jetzt weiß ich auch, warum ich Martins Kochkünste nie erwähnt habe. Susi wäre eine ernst zu nehmende Konkurrentin. Sie ist nicht nur klug, sondern auch hübsch. Und sie ist Wohnraumdesignerin.
Jetzt kichert sie. »Ach Quatsch, Sandra, ich mache doch nur Spaß. Die Männer meiner Freundinnen haben mich noch nie interessiert, und du bist meine beste Freundin. Außerdem, was soll Martin an mir finden, was er an dir nicht hat?«
Mal sehen.
Die Wahnsinnsfigur?
Die azurblauen Augen?
Die naturblonden Haare?
Die Superkarriere?
Die Fähigkeit, eine Maß Bier auf ex zu trinken?
Je mehr ich darüber nachdenke, desto deprimierter werde ich. Susi ist der personifizierte Traum eines jeden Mannes. Insgeheim beschließe ich, sie in Zukunft von Martin fernzuhalten.
»Wenn du meinst«, sage ich dennoch und fühle mich geschmeichelt.
»Siehst du. Aber mal im Ernst.« Susi schenkt uns Wein nach und beugt sich dann zu mir vor. »Glaubst du, er hat eine andere?«
»Eine andere?« Darüber muss ich nicht lange nachdenken. Ich schüttle den Kopf. »Nein, ausgeschlossen.«
»Wieso bist du dir da so sicher?«, fragt Susi verwundert.
»Weil er immer das Gleiche macht. Er fährt zur Arbeit, geht danach manchmal ins Fitnessstudio und dann ins Cheerio. Verstehst du, sein Leben ist völlig … transparent für mich. Und dort, wo er sich bewegt, kennen mich die meisten auch. Ich glaube nicht, dass er sich da eine Affäre leisten könnte, ohne dass ich davon erfahren würde.«
»Hm, das klingt logisch«, meint Susi nach kurzem Nachdenken.
»Ja, eben. Nein, ich glaube, es liegt einfach daran, dass wir schon über ein Jahr zusammen sind. Die erste Verliebtheit ist weg, und auf einmal beginnen einen Kleinigkeiten zu nerven, die man vorher gar nicht bemerkt hat.«
Susi nickt eifrig. »Das kenne ich. Ich war mal zwei Monate mit einem Typen zusammen, und dann erst habe ich bemerkt, dass er einen Pyjama mit Paisleymuster trägt. Kannst du dir das vorstellen?«
Ich starre sie einen Moment lang sprachlos an. »Äh, ja, ungefähr das meine ich.«
»Trägt Martin etwa auch Pyjamas mit Paisleymuster?« Susi macht ganz große Augen, als wäre sie dahintergekommen, dass Martin ein Massenmörder ist.
»Nein, das nicht. Es sind ein paar andere Sachen, die …«
Das Läuten meines Handys unterbricht mich. Ich hole es aus der Handtasche. »Es ist Martin!«, rufe ich aufgeregt. In meinem Bauch beginnt es zu kribbeln wie von tausend Ameisen. Ich kann es kaum erwarten, ihm von meinen phantastischen Neuigkeiten zu berichten.
»Super!«, sagt Susi. »Am besten nimmst du ab und meldest dich mit …«
»Hi, Schatz, endlich erreiche ich dich«, quietsche ich aufgeregt ins Telefon.
»Hast du mit jemandem über den Fall Lorenz gesprochen?« Martins Stimme klingt ganz fremd. Das muss an der Verbindung liegen. Und seltsam: kein Hallo, kein Wie-geht-es-dir, kein gar nichts. Er muss wohl einen schlechten Tag gehabt haben. Aber das macht nichts, wenn ich ihm erst von …
»Hast du mit irgendjemandem über den Fall Lorenz gesprochen?«, kommt es noch einmal aus dem Hörer, und der seltsame Ton in seiner Stimme verursacht ein nervöses Flattern in meiner Magengrube.
»Welcher Fall Lorenz?«, frage ich unsicher und sehe, wie Susi ein erstauntes Gesicht zieht.
»Der Fall Lorenz«, sagt Martin mit Nachdruck. »Der Scheidungsfall des Bauunternehmers Hermann Lorenz, dessen Frau ich vertrete.«
Jetzt klingelt’s bei mir. »Ach, du meinst diesen fiesen Geldsack, den Blinky mit der blonden Sexbombe ertappt hat. Und seine Frau … wie hieß die noch gleich …?«
»Ivana!«, souffliert Susi. »Die heißt Ivana!«
»Genau, Ivana, diese ehemalige Miss irgendwas, die fordert jetzt ein paar Millionen von ihm«, sage ich eifrig, als säße ich in einer Prüfung.
Am anderen Ende der Leitung herrscht kurzes Schweigen.
»Wer ist da bei dir?«, fragt Martin dann.
»Das ist Susi. Ich bin bei ihr, und wir feiern ein bisschen, weil …«, sprudelt es aus mir heraus.
»Dann weiß sie es also!«
»Was weiß sie?« Langsam werde ich ein bisschen verwirrt.
»Von dem Fall Lorenz.«
»Ja, kann sein. Ich meine, ich weiß nicht …« Jetzt bin ich völlig durcheinander. Was haben Susi und ich denn mit diesem dämlichen Lorenz zu tun?
Und plötzlich bekomme ich ein schlechtes Gewissen, ohne mir irgendeiner Schuld bewusst zu sein. Susi hat mitbekommen, dass etwas nicht stimmt, ihr Blick hängt gebannt an meinen Lippen.
»Hast du ihr davon erzählt?« Martins Stimme klingt mühsam beherrscht, so, als würde er jeden Moment explodieren.
»Kann schon sein, wir reden ja viel miteinander. Worüber im Einzelnen, weiß ich natürlich nicht mehr, aber … warum ist denn das auf einmal so wichtig?«
Aus der Leitung ertönt ein wütendes Schnauben.
»Ihr redet viel miteinander, du sagst es, Sandra. Und ich nehme mal an, dass du auch mit anderen darüber geredet hast.« Seine Stimme wird jetzt lauter. »Weißt du was, Sandra? Dein Gerede, was sage ich, dein Herumgetratsche hat mir gerade den wichtigsten Fall meiner Karriere ruiniert!«
Dieser Satz sitzt wie ein Boxhieb in meiner Magengrube. Wieso habe ich den wichtigsten Fall seiner Karriere ruiniert? Ich habe doch mit alldem gar nichts zu tun.
»Aber Martin, wieso …«, stammle ich.
»Durch dein Gequassel hat die Gegenpartei von unserer Strategie erfahren und entsprechend reagieren können! Das bedeutet, ich werde den Fall verlieren und wahrscheinlich gleich meinen Job dazu!« Jetzt ist er völlig außer sich. So wütend habe ich ihn noch nie erlebt.
Oh, mein Gott. Was habe ich getan? Ich meine, natürlich rede ich mit meinen Freundinnen über solche Sachen, aber ich konnte doch nicht ahnen …
»Aber Martin! Wenn das so wichtig war, wieso hast du mir dann überhaupt davon erzählt?«, krächze ich verzweifelt.
Ich höre, wie er scharf die Luft einzieht. Ein paar entsetzlich lange Sekunden vergehen, dann ist seine Stimme wieder ruhig. Gefährlich ruhig.
»Du willst wissen, warum ich dir von solchen Dingen erzähle, Sandra?« Er macht eine kleine Pause. »Das will ich dir sagen: Ich erzähle dir von solchen Dingen, weil du meine Partnerin bist … Ich erzähle dir von solchen Dingen, weil ich dich an meinem Leben teilhaben lassen will … Ich erzähle dir von solchen Dingen, weil du der Mensch bist, dem ich am meisten vertraue.« Er atmet tief durch, bevor er weiterspricht: »Verstehst du, Sandra? Das ist das Stichwort: Vertrauen! Das ist das Wichtigste an einer Beziehung, und eben das hast du gerade nachhaltig zerstört.«
Dann legt er auf, ohne dass ich noch irgendetwas sagen könnte.
Ich starre schockiert auf das Handy in meiner Hand.
»Sandra! Was ist denn passiert?« Susi starrt mich erschüttert an.
Ich bin wie gelähmt. Martins Worte rasen nur so durch mein Gehirn, und ich versuche verzweifelt, einen klaren Gedanken zu fassen.
»Ich … ich weiß nicht …«, stammle ich.
»Du bist ja kreidebleich. Was hat er denn Schreckliches gesagt?«, hakt sie nach.
»Er … Er hat gesagt, dass ich seine Karriere ruiniert habe«, hauche ich fassungslos.
Susi guckt ungläubig. »Seine Karriere ruiniert? Wie denn das bitteschön?«
»Es ist … weil ich geredet habe, mit dir und …«
»Geredet?« Susi schüttelt verärgert den Kopf. »Was hat er denn gegen Reden? Reden ist doch etwas Gutes. Reden ist Kommunikation«, betont sie.
»Aber nicht, wenn man etwas ausplaudert, was niemand erfahren soll«, piepse ich.
Ich nehme mein Glas, um einen Schluck zu trinken. Aber meine Hand zittert so sehr, dass ich es wieder zurückstelle.
»Meine Güte, du bist ja ganz fertig«, sagt Susi mitfühlend. »Die Scheidungsgeschichte mit diesem Lorenz, war es das?«
Ich nicke. »Mmm. Die gegnerische Partei hat erfahren, dass Lorenz beschattet wurde und hat … ich weiß nicht genau, irgendwelche Gegenmaßnahmen ergriffen.« Auf einmal wird meine Stimme zittrig. »Und jetzt wird Martin den Fall wahrscheinlich verlieren.« Plötzlich rollt eine Träne aus meinem Auge. »Und vielleicht auch seinen Job!«
»Aber Liebes!« Susi kommt zu mir und drückt mich fest an sich. »Das konntest du doch nicht wissen!« Sie tätschelt beruhigend meinen Rücken, während ich weine. »Und du hast ja selbst gerade gesagt, dass Martin es dir nicht hätte erzählen dürfen, wenn es so wichtig war.«
Wie durch einen Nebel dringen ihre Worte zu mir durch, aber sie kann mich nicht überzeugen. Ich meine, eigentlich weiß ich doch, dass die Angelegenheiten aus Martins Kanzlei vertraulich sind. Ich hätte wissen müssen, dass ich so etwas nicht weitererzählen darf.
Ich hebe meinen Kopf und sehe Susi an. »Susi, eine Sache musst du mir sagen.«
»Ja, was denn?«
»Hast du es jemandem weitererzählt?«
Sie guckt überrascht. »Weitererzählt? Diese Geschichte mit Lorenz?«
Ich nicke.
Susi macht ein nachdenkliches Gesicht. »Hm, ja … schon – war ja auch eine gute Geschichte.« Sie räuspert sich verlegen. »Also, soviel ich weiß, habe ich es bei Jasmin einmal erwähnt und bei Dörte und einmal im Frisiersalon …« Auf einmal weiten sich ihre Augen. »O Mann, ich war es, ich habe es verraten …«
Ich schüttele schnell den Kopf. »Nein, Susi, das ist nicht wahr. Ich habe es ja auch noch Kerstin erzählt und einigen anderen. Aber weißt du, was das bedeutet?«
Sie schüttelt betroffen den Kopf.
»Es bedeutet, dass Martin recht hat. Wir tratschen. Wenn man uns etwas anvertraut, dann weiß es schon am nächsten Tag die ganze Welt.« Bei dieser Erkenntnis verkrampft sich mein Magen. Ich beginne wieder zu heulen und vergrabe mein Gesicht in Susis Schulter.
Eine Weile ist es ganz still, und Susi streichelt meinen Rücken. Dann schiebt sie mich plötzlich sanft von sich und sieht mich entschlossen an.
»Weißt du was, Sandra? Das Ganze ist vielleicht gar nicht so schlimm, wie wir jetzt denken.«
»Wieso denn?« Ich blinzele sie aus tränenverhangenen Augen an.
»Weil es doch unmöglich sein kann, dass Martins Fall nur an dieser einen Sache hängt. Ich meine, so ein Scheidungsverfahren ist doch eine ziemlich komplexe Angelegenheit, da wird es sicher auch noch andere Möglichkeiten geben.«
»Glaubst du wirklich?«, schniefe ich hoffnungsvoll.
Susi nickt voller Zuversicht. »Ja, das denke ich. Und überleg doch mal: Martin ist ein gewitzter Anwalt, dem fallen bestimmt noch eine Menge Tricks ein, wie er dem ollen Lorenz ein paar Millionen abknöpfen kann.«
So, wie sie das sagt, klingt es eigentlich ganz überzeugend. Martin hat mir schon oft von hoffnungslosen Prozessen erzählt, die er dann doch noch gewonnen hat. Er ist ziemlich gut in seinem Beruf, und vielleicht fällt ihm ja noch irgendein juristischer Supertrick ein. Ich fasse wieder ein bisschen Mut und wische mir die Tränen aus den Augen.
Susi lächelt mich an. Dann greift sie sich ein Kleenex vom Beistelltisch und wischt mir die verschmierte Schminke von den Wangen. »Sei froh, dass es hier keinen Spiegel gibt. Das wäre wirklich ein Grund zum Weinen!«
Jetzt muss auch ich ein bisschen lächeln.
»Na, siehst du«, sagt sie. »Geht ja wieder.«
Aber dann muss ich wieder an Martin denken. Wie wütend er ist und wie enttäuscht.
»Aber was ist mit Martin?«, frage ich verzagt. »Er ist jetzt bestimmt ganz verzweifelt und … allein.«
Susi hält einen Moment inne. »Männer sind nie verzweifelt«, klärt sie mich auf. »Die sind höchstens wütend. Und kannst du dir vorstellen, dass er jetzt nach Hause fährt, sich aufs Bett wirft und losheult?«
Bei dieser Vorstellung fangen meine Mundwinkel unwillkürlich zu zucken an. »Nein, ich kann mir eher vorstellen, dass er ins Cheerio geht und sich dort mit seinen Kumpels volllaufen lässt.«
»Und dabei mächtig über uns Frauen lästert«, ergänzt Susi.
»Wozu er jetzt ja auch guten Grund hat.«
»Hm, ja, vielleicht ein bisschen«, räumt Susi ein. »Und weißt du was? Ihm geht’s wahrscheinlich so wie dir vorhin, als du so fertig warst wegen deiner Verwechslung mit dieser Sandy Wild. Im ersten Moment bricht für einen gleich die Welt zusammen, aber wenn man es sich dann in Ruhe überlegt, ist alles nur halb so schlimm«, sagt sie aufmunternd.
»Ja, wahrscheinlich hast du recht. Ach, Susi, gut, dass ich dich habe«, seufze ich erleichtert. Ich umarme sie gleich noch einmal. Dann gelingt es mir wieder, einen Schluck aus meinem Glas zu nehmen, und ich genieße die wohlige Wärme des Alkohols in meinem Bauch.
»Aber eines macht mir noch ein bisschen Sorge«, meine ich dann.
»Was denn?«
»Na ja, keine Ahnung, bis wann Martin sich wieder abgeregt hat, und falls er noch wütend ist, wenn er nach Hause kommt …« Bei der Vorstellung wird mir ganz flau.
»Heute Nacht bleibst du natürlich hier«, stellt Susi gleich fest. »Dann kann Martin erst mal in Ruhe Dampf ablassen. Klamotten hast du ja mit, und zur Not könntest du auch was von mir …«
Ich muss unwillkürlich grinsen. »Nein, lieber nicht. Das heute hat mir gereicht. Wer weiß, mit wem mich die Kinder sonst noch verwechseln.«
Susi muss jetzt auch kichern. »Okay, ich hab’s kapiert. So, jetzt bestelle ich uns Pizza und hole noch eine Flasche Wein. Wann hat man schon die Gelegenheit, sich mit einer echten Schriftstellerin zu betrinken?«