Er
Das hat man nun von seiner Ehrlichkeit! Das ist doch wohl ein schlechter Witz, dass nicht irgendeine von Sandras Freundinnen die zwei Stunden Zeit gehabt hätte! Wo der Großteil von denen doch nicht mal arbeitet, soviel ich weiß.
Hätte ich mir nur eine Ausrede einfallen lassen, einen Gerichtstermin, ein Meeting, irgendwas. Aber als Sandra gleich losheulte, befürchtete ich natürlich eine mittlere Katastrophe, und auf ihre Frage, ob ich zwei Stunden Zeit für sie opfern könne, antwortete ich dann reflexartig mit Ja.
Gut, so, wie sie klang, ging es für sie ja wirklich um Leben und Tod. Da konnte ich gar nicht anders, und so schlimm scheint das hier auch gar nicht zu sein.
Sandra hat die Gruppe vorhin zusammengetrommelt und mich den Kindern vorgestellt: »Kinder, ich muss dringend weg. Das ist mein Mann. Er wird kurz auf euch aufpassen, bis euch eure Mamis abholen. Seid schön artig und macht keinen Unsinn – vor allem Thomas, Sebastian und Norman!« Ich schätze, damit meinte sie die drei größeren Jungs, die mich herausfordernd anstarrten. Dann sagte sie zu mir: »Gut, Martin, hier unten im Hof brauchst du nicht viel zu tun. Du musst nur darauf achten, dass sie sich nicht gegenseitig die Köpfe einschlagen. Schaffst du das?«
»Ist sicher leichter als ein Mordprozess«, gab ich lässig zurück.
»Super!« Sandra schien total erleichtert. »Dafür hast du was gut bei mir.« Sie gab mir einen Kuss auf die Wange, und weg war sie.
Zwanzig Augenpaare betrachteten mich mit einer Mischung aus Neugierde und Misstrauen.
»Ähm«, räusperte ich mich. »Also, Kinder, ihr könnt Martin zu mir sagen … oder auch Onkel Martin, wenn ihr wollt.«
»Bist du ein Kindergartenonkel?«, erkundigte sich ein kleiner Rothaariger.
»Normalerweise nicht. Ich bin Jurist. Rechtsanwalt, genauer gesagt.«
»Was ist ein Rechtsanwalt?«, wollte ein blondes Mädchen wissen.
Wie erklärt man einem kleinen Kind das komplexe System eines mitteleuropäischen Rechtsstaates?
»Das ist jemand, der … äh … den Menschen hilft, wenn sie mit dem Gesetz in Konflikt kommen oder … sich scheiden lassen, zum Beispiel.«
»Mein Papa hat gesagt, Rechtsanwälte sind Arschlöcher. So einer hat ihm nämlich sein Haus weggenommen«, maulte plötzlich einer der größeren Jungs, der ziemlich abstehende Ohren hatte.
Das blonde Mädchen riss die Augen auf. »Du nimmst den Leuten ihre Häuser weg?«
»Unsinn!«, protestierte ich schnell. »Also, das ist eine sehr subjektive Meinung von deinem Vater«, belehrte ich den Segelohrenjungen. »Hauptsächlich helfen wir den Menschen, so wie … Polizisten.«
»Polizisten sind auch Arschlöcher, sagt mein Papa«, behauptete der Junge aufsässig. »Die haben ihm den Führerschein weggenommen.«
»Tja, dann ist vielleicht dein Papa das Ar … ähm … derjenige, der die Probleme macht«, entgegnete ich. Als er erneut den Mund aufmachen wollte, um etwas zu sagen, setzte ich ein freundliches Lächeln auf und klatschte in die Hände. »Gut, nachdem das geklärt wäre, geht spielen … husch, husch!«
Das taten sie dann auch. Mit ausgelassenem Gejohle stoben sie auseinander und begannen zu spielen. Die Mädchen bauten Sandkuchen, kletterten auf die Rutsche oder schaukelten, und die Jungs bewarfen sich mit Dreck. Wie sich das gehört.
So, und ich mache es mir jetzt auf der Bank gemütlich. Autsch! Es hilft nichts, ich werde nachher wohl oder übel einen Arzt aufsuchen müssen. Der Span in meinem Hintern macht absolut keine Anstalten, sein neues Zuhause freiwillig aufgeben zu wollen, und diverse Salben und Pflaster haben keinerlei Wirkung gezeigt. Im Gegenteil, sobald ich mich setze, durchläuft meine ganze rechte Seite ein höllischer Schmerz. Darum muss ich mich gleich kümmern, sobald ich hier fertig bin mit … Nichtstun.
Hoppla, das ist ja jetzt eine Erkenntnis. Sandra jammert mir ständig die Ohren voll, wie hart und stressig ihr Job sei. Dabei tut man hier doch echt nichts. Sicher, vielleicht liegt das auch daran, dass Sandra nicht so ein autoritäres Auftreten hat wie ich. Mit einer sanften Frau wie ihr haben die Kinder natürlich leichtes Spiel, da lassen sie sich allerhand Blödsinn einfallen. Jetzt aber haben sie gleich gemerkt, dass mit dem Onkel nicht gut Kirschen essen ist, Kinder haben ja bekanntlich eine natürliche Antenne für so was und …
Was war das denn? Hat mich da was an der rechten Schulter getroffen? War das etwa ein Stein? Diese Lausebengel werden doch wohl nicht wagen …
Dann trifft mich auch an der linken Schulter etwas, und jetzt sehe ich, was es ist: ein Regentropfen. Dick und rund kullert er an meinem Jackett hinunter. Und dann noch einer. Und noch einer.
Okay. Alles klar. Wir müssen rein. Macht ja nichts, da gibt es sicher auch gemütliche Sitzgelegenheiten. Ich stehe auf und klatsche laut in die Hände: »Alles mal herhören!«, brülle ich wie ein Feldwebel bei der Bundeswehr. »Es beginnt zu regnen. Stellt euch in einer Zweierreihe auf, wir gehen hinein!«
Das mit der Zweierreihe klappt nicht ganz, aber es gibt ja auch einen ungeordneten Rückzug. Als ich mich im Aufenthaltsraum vorsichtig auf einen Sessel platziere, geschieht etwas Seltsames: Ohne dass ich etwas sage, schnappen sich die Kinder ihre Sessel und setzen sich direkt vor mich hin. Dann betrachten sie mich in neugieriger Erwartung.
Was soll das denn? Wollten die nicht spielen oder so?
»Äh … und jetzt?«, frage ich zögernd.
»Wenn wir drinnen sind, machen wir immer was mit den Tanten«, klärt mich der Rothaarige auf.
»Ach ja? Und was zum Beispiel?«
»Wir singen Lieder!«
»Wir basteln lustige Sachen.«
»Die Tante erzählt uns Geschichten.«
»Wir sagen gemeinsam Gedichte auf!«
Die Vorschläge prasseln nur so auf mich nieder. Ach, so ist das. Muss man sich also doch beschäftigen mit den Kleinen. Okay, so schwer kann das ja auch nicht sein. Singen wir eben was.
»Kann jemand von euch ein Instrument?«, frage ich.
»Nee, das machen immer die Tanten«, sagt ein Mädchen und drückt mir eine Gitarre in die Hand.
Aber ich kann doch gar nicht … Andererseits, ich habe das schon oft gesehen. Eigentlich braucht man da nur im richtigen Rhythmus über die Saiten zu schrammen. Als Begleitmusik für ein Kinderlied reicht das doch allemal. Ich schnappe mir also das Ding, lege es auf mein Knie und ratsche mit der rechten Hand schwungvoll über die Saiten. Plunck. Klingt gar nicht mal so schlecht. Gleich noch einmal, aber diesmal mit Rhythmus: Plunck plunck plunck – plunck plunck plunck – plunck plunck plunck plunck plunck plunck plunck …
»Okay, wer hat das Lied erkannt?« Ich blicke erwartungsvoll in die Runde und sehe offene Münder und wackelnde Köpfe. Die Größeren stoßen sich gegenseitig an und kichern. Scheinen nicht besonders musikalisch zu sein, die Kleinen.
»Das war Hänschen klein«, kläre ich sie auf. »Und das singen wir jetzt gleich mal! Eins, zwei – eins, zwei, drei, vier!«, gebe ich den Takt vor, dann haue ich in die Saiten und beginne zu singen: »Hänschen klein ging allein in die weite Welt hinein, Stock und Hut stehn ihm gut, ist gar wohlgemut …« Verdammt, wie ging der Text schnell noch weiter? »… la la la la la la laah, la la la la la la laah …«
Als ich merke, dass die Kinder mich nur wortlos anstarren, halte ich inne. »Was ist, wollt ihr nicht mitsingen?«, frage ich frustriert und ernte bloß Schweigen.
Hm, vielleicht brauchen die was Rockigeres.
»Okay, dann lasst uns was anderes probieren!« Ich lege die Gitarre zur Seite. »Nehmt mal eure Hände hoch!«
Die Kinder folgen zögernd meiner Aufforderung.
»Und jetzt macht das!« Ich schlage zweimal auf meine Oberschenkel und klatsche dann in die Hände. »Kommt schon, macht mit!«
Beim zweiten Mal probieren es ein paar, und beim dritten Mal sind schon fast alle dabei. Beim zehnten Mal haben wir bereits einen richtigen Beat drauf. Volltreffer. Das scheint ihnen zu gefallen. Ich hole tief Luft, dann lege ich los:
»Buddy, you’re a boy make a big noise playin’ in the street gonna be a big man some day, you got mud on yo’ face, you big disgrace kickin’ your can all over the place … We will, we will rock you … Singin’ we will, we will rock you …«
Kaum habe ich losgelegt, reißen die Kinder entsetzt ihre Augen auf und hören mit dem Trommeln und Klatschen auf. Und als ich mit der ersten Strophe fertig bin, fangen die ganz Kleinen an zu weinen. Ich halte sprachlos inne. Was ist nur los mit diesen Kindern? Haben die denn überhaupt keine Ahnung von guter Musik?
Ich gebe auf. Sollen sie ihre Lieder doch mit den Tanten singen, ich vergeude hier ja doch nur mein Talent.
»Alles klar, Kinder!« Ich bemühe mich um ein fröhliches Grinsen. »Ich fürchte, wir haben nicht den gleichen Musikgeschmack. Machen wir eben was anderes, okay?«
Wenigstens hören sie jetzt auf zu weinen. Ich atme auf.
»Erzählst du uns eine Geschichte?«, fragt eine von den ganz Kleinen schüchtern. Sie hat große Kulleraugen wie ein Mon-Chi-Chi-Äffchen. Das muss Aisha sein. Ich kenne sie von Sandras Erzählungen, sie ist ihr Lieblingskind.
»Welche wollt ihr denn hören?«, frage ich unvorsichtigerweise.
»Den Struwwelpeter.«
»Frau Holle.«
»Räuber Hotzenplotz.«
»Der schlaue Tim und der doofe Max.«
Ah, Sandras Geschichten sind auch darunter. Seltsam nur, dass sie nach dem alten Titel fragen, wo der neue doch zehnmal besser klingt.
Also gut. Wie gingen diese Geschichten schnell noch?
Ah ja, Max Clever ist der Schlaue und Joey Dump die Vollnuss, der dann immer auf die Schnauze fällt. Mir gefiel ja am besten die Episode, wo sie in dieser neuen Disco sind und Tim sich mit dem DJ …
Ein Blick in Aishas Augen sagt mir, dass diese Geschichte wohl doch nicht hierher passt.
Vielleicht doch lieber eins von den klassischen Märchen? Der Struwwelpeter, genau. Der hatte doch mordsmäßig lange Haare und Fingernägel, weil er … weil er … Gute Frage. Wieso eigentlich? Der hätte doch nur mal zum Friseur gehen müssen.
Also, der Räuber Hotzenplotz, der hatte eine riesige Keule und einen Vollbart, und der … überfiel Leute. Ja sicher, der war ja Räuber. Und weiter?
Gibt’s denn das, kenne ich nicht ein blödes Märchen?
Mir wird warm. Ich ziehe mein Jackett aus und hänge es über die Stuhllehne.
»Wisst ihr was, Geschichtenerzählen ist eigentlich total langweilig«, stelle ich fest. »Machen wir doch mal was ganz Neues: Ihr stellt mir Fragen, und ich beantworte sie. Auf die Art lernt ihr wenigstens was Vernünftiges.«
»Was denn für Fragen?«, will jemand wissen.
»Egal, was«, erkläre ich voller Zuversicht.
Und dann geht es los.
»Gibt es den Weihnachtsmann wirklich?«
»Soweit ich weiß, gibt es vierhundert Millionen Kinder in der christlichen Welt, glaubt ihr wirklich …?« Große Kinderaugen hängen wie gebannt an meinen Lippen. »Ich meine, daran könnt ihr sehen, was der für eine logistische Meisterleistung vollbringen muss, um die alle gleichzeitig beliefern zu können.«
»Und was ist mit dem Christkind?«
»Das ist sein Assistent.«
»Wen findest du cooler: Spiderman oder Superman?«
»Superman, weil der aus Stahl ist und mit Überschall fliegen kann. Und seinen Röntgenblick hat.« Ein unwilliges Raunen geht durch die Spiderman-Fraktion. »Aber Spiderman ist auch toll«, beeile ich mich zu sagen. »… weil er die Wände hochklettern kann und … äh … eine Spinne ist.«
»Woher kommt der Schnee im Winter?«
»Also, wenn die Temperatur unter null fällt und Wasser kristallisiert …« Wieder große Augen. »… von der Frau Holle.«
»Und wie macht die den?«
»Mit Schneekanonen.«
»Wo kommen die Babys her?«
»Vom Storch.«
»Nicht von den Bienen?«
»Vom Storch und von den Bienen. Die Bienen machen sie, und der Storch stellt sie zu. Das nennt man Joint Venture.«
Mir wird immer wärmer. Heizen die hier im April? Auf einmal prallt etwas von meiner Schulter ab. Das kann jetzt aber kein Wassertropfen gewesen sein!
»Hast du einen Penis?«
»Äh … ja, den hat jeder Mann.«
»Was ist ein Penis?«
Schon wieder trifft mich irgendetwas. Als es zu Boden kullert, sehe ich, dass es sich um einen roten Bauklotz handelt.
»Wer war das?«, rufe ich streng.
»Wer war was?«, kommt es aus der Tiefe des Raumes, begleitet von einem Kichern.
Ich lasse meinen Blick prüfend über die Gruppe gleiten. Da fehlt doch einer, dieser lange Lulatsch mit dem Pferdegebiss. Das nächste Geschoss trifft mich, und noch eins.
»Jetzt reicht’s aber!« Ich stehe auf und halte Ausschau nach dem Mistkerl.
Auf einmal steht auch der kleine Rothaarige auf und tritt einen Schritt vor. »Onkel, ich muss Pipi.«
»Ach so, ja … Du weißt ja sicher, wo die Toiletten sind, oder? Öhm … Erlaubnis erteilt!«
Er geht aber nicht. Stattdessen schaut er mich unverwandt an.
»Was noch?«, frage ich.
»Du musst mitkommen«, sagt er todernst. »Meinen Pipimatz halten.«
»Ich soll was?« Der glaubt doch nicht wirklich, dass ich …? »Nee, mein Lieber, das musst du schon alleine machen. Mir hilft ja auch keiner dabei.«
Er geht aber nicht, stattdessen trifft mich das nächste Wurfgeschoss. Die Kinder stecken die Köpfe zusammen und kichern.
Na warte, wenn ich den erwische …
»Wenn du nicht mitkommst, mach ich in die Hose«, versucht der Rotschopf mich jetzt zu erpressen.
»Glaubst du wirklich, damit erreichst du was bei mir?« Ich suche nach einem Anzeichen von Unsicherheit in seinen Augen. »Machen das denn die Tanten?«, frage ich dann.
Er nickt.
»Tja, dann hast du jetzt Pech. Ich mache das jedenfalls nicht«, sage ich entschlossen. Thema abgehakt. Basta. Ich bin doch nicht der Hanswurst für die hier.
Der Kleine fixiert mich weiter, und mich trifft wieder etwas. Diesmal ist es eine Legofigur. Langsam werde ich echt sauer. Jetzt fehlen schon mehrere aus der Gruppe. Die haben sich sicher irgendwo verschanzt, vielleicht hinter diesem Raumteiler oder in der Spielecke da drüben. Ich werde mich augenblicklich auf die Suche nach denen machen, und dann …
Mein Blick fällt auf den Rotschopf. Der steht noch immer da wie angewurzelt, nur ist sein Blick jetzt irgendwie … abwesend. Er scheint sich auf irgendetwas zu konzentrieren. Aber auf was?
Oh, mein Gott, der wird doch nicht wirklich …
Als ich das Zimmer wenig später wieder betreten will, fühlt sich der Türgriff ganz glibberig an. Na fein, eine Ladung Spucke als Willkommensgruß. Manieren haben die, ich muss schon sagen.
Nachdem ich mir die Hände gewaschen habe, bin ich vorsichtiger und benutze ein Stück Handpapier, um die Tür zu öffnen. Als ich wieder Platz nehme, setzt sofort Gekicher ein, was mich augenblicklich alarmiert. Gleichzeitig spüre ich, wie meine Hose hintenrum ganz feucht wird. Haben die Wasser auf meinen Stuhl geschüttet?
Ich springe hoch und sehe, dass es kein Wasser ist. Es ist Fingerfarbe. Und ausgerechnet heute trage ich eine beige Hose!
Ich bin kurz vorm Ausflippen. So, jetzt rufe ich Sandra an, und die soll mir mal erklären, wie man diese Bestien bändigt. Ich greife in die Jacketttasche nach dem Handy und fühle etwas Weiches. Entsetzt ziehe ich meine Hand wieder hervor und sehe mich einer riesigen schwarzen Spinne gegenüber. Ein Schrei entfährt mir, und die Kinder brüllen vor Lachen. Dann merke ich, dass das Ding nur aus Gummi ist, und schleudere es von mir. Ich lange wieder in die Tasche, und als ich mein Handy herausziehe, kleben lauter bunte Gummibärchen daran.
Aaaahhhh!!! Die treiben mich noch in den Wahnsinn!
Okay, ich rufe jetzt Sandra an. Oder doch nicht? Nein, das wäre unklug. Damit würde ich doch zugeben, dass ich dieser Situation nicht gewachsen bin. Dass mich ein paar Zwerge fertigmachen!
Hastig stecke ich das Handy wieder ein und werfe einen gehetzten Blick in die Runde. Mittlerweile sind die Kinder völlig außer Rand und Band. Alle außer Aisha toben ausgelassen durch den Raum, Wurfgeschosse treffen mich von allen Seiten, und ein paar von denen scheinen ein geheimes Waffenarsenal geöffnet zu haben und beschießen mich jetzt auch noch mit Wasserpistolen. Ich entdecke den mit den großen Ohren, als er gerade eine Salve abfeuert und hinter einem Schreibtisch Deckung bezieht.
Na warte, Bürschchen, dich kaufe ich mir!
Mit drei Kindern am Bein kämpfe ich mich durch das Chaos, ich brülle, und die Kleinen kreischen vor Begeisterung. So, gleich habe ich den Mistkerl, und dann … Einen Moment lang jagen Gewaltvisionen durch mein Gehirn. Ich bin viel größer und stärker als die, die schaffe ich doch locker. Außer vielleicht den einen mit der lila Zahnspange, der sieht ziemlich flink aus und kann womöglich Karate …
Aber halt, ich darf die nicht anrühren, das sind doch Kinder. Gemein, bösartig und gnadenlos zwar, aber dennoch Kinder. Und ich kann sie auch nicht anzeigen oder verklagen. Ich kann denen gar nichts tun. Absolut nichts!
Ich bin denen völlig ausgeliefert!
Wie verhält man sich in so einer Situation? Wie soll man die bändigen? Und ich kann auch nirgendwo Hilfsmittel wie Handschellen oder Zwangsjacken entdecken.
Wie macht Sandra das?
Ich sinke völlig frustriert auf meinen Stuhl nieder. Jetzt, wo ich mich nicht mehr so aufrege, lassen sie wenigstens ein bisschen von mir ab und gehen stattdessen aufeinander los. Dafür steht die kleine Aisha plötzlich von ihrem Stühlchen auf und kommt auf mich zu.
Oh, nein. Jetzt haben die anderen sie auch noch angesteckt. Wahrscheinlich will sie ausprobieren, wie das ist: fies sein. Jetzt, wo der olle Onkel fix und fertig ist, könnte sie ihm ja ihr kleines Fingerchen ins Auge rammen oder ihm ein Nasenhaar ausreißen. Aisha bleibt vor mir stehen. Sie sieht mich mit ihren großen, dunklen Augen an, und ich bin auf das Schlimmste gefasst.
Dann sagt sie: »Die sind ganz schön gemein zu dir.«
Damit klettert sie auf meinen Schoß und kuschelt sich an meine Brust. Eine Welle der Rührung durchläuft mich. Nach dem rücksichtslosen Terror plötzlich diese Geste der Zuneigung von diesem kleinen Wesen. Ich zögere, dann schließe ich langsam meine Arme um sie und genieße die Trost spendende Wärme ihres kleinen Körpers.
Ein paar Minuten später hebt sie ihr Köpfchen und sieht mir fragend in die Augen. »Onkel Martin?«
»Ja?«
»Weinst du?«
»Wie bitte? Ich? Weinen?« Ich wische mir hastig über die Augen und quetsche ein Lachen hervor. »Nein, natürlich nicht, haha, warum denn auch? Das sind nur … meine Kontaktlinsen, weißt du? Die piesacken mich manchmal ein bisschen.«
Puh. Gut, dass ich das hinter mir habe. Insgeheim muss ich bei Sandra Abbitte leisten. Ganz ehrlich, unter uns: Leicht ist dieser Job nicht. Es ist mir immer noch ein Rätsel, wie sie diese Kinder in den Griff bekommt. Mir ist dann zwar auch noch ein guter Trick eingefallen, indem ich jedem, der die restliche Zeit Ruhe gibt, einen Euro versprochen habe – dem Segelohrentypen und dem mit dem Pferdegebiss habe ich dann trotzdem nichts gegeben. Beim Gedanken an ihre blöden Gesichter lache ich mich jetzt noch schief –, aber eine Dauerlösung ist das natürlich auch nicht. Zum Schluss kam dann noch eine gestresste Mutter und wollte wissen, ob ich die Französischaushilfe sei. Keine Ahnung, was die damit gemeint hat.
Aber egal. Ich muss mich um Wichtigeres kümmern. Um meinen Hintern zum Beispiel. Die Schmerzen sind mittlerweile unerträglich, und da ich keine Ahnung habe, welcher Arzt für so was zuständig ist, habe ich mich einfach zu Hause geduscht und umgezogen – damit ich den Farbfleck an meinem Hosenboden nicht erklären muss – und bin dann ins Krankenhaus gefahren.
Dem hübschen Fräulein am Empfang mein besonderes Anliegen zu erklären war nicht ohne Peinlichkeit, und dementsprechend froh bin ich jetzt, dass mich im Behandlungszimmer ein Arzt in gesetztem Alter empfängt.
»So, was genau ist denn Ihr Problem, Herr Dr. Becker?«, fragt er, nachdem er sich als Dr. Voss vorgestellt hat.
»Tja, also, ich habe mir was eingezogen, an der Kehrseite«, erkläre ich.
»Ah ja. Und was genau?«
»Einen Holzsplitter, in einer Sauna.«
»In einer Sauna, so so.« Er wirft einen Blick in meine Unterlagen und zieht die Augenbrauen hoch. »Wie ich sehe, sind Sie Rechtsanwalt. Dann werden Sie die Betreiber dieser Anlage jetzt wohl verklagen, schätze ich?«
Täusche ich mich, oder klang das ein bisschen feindselig?
»Das hätte nicht viel Sinn. Es ist bei mir zu Hause passiert, in meiner eigenen Sauna.«
»Oh, das ist aber schade, was?«, sagt er mit unverhohlenem Zynismus in der Stimme. »Dann verklagen Sie eben die Hersteller. Ihr Rechtsverdreher klagt doch so gern. Welches Spezialgebiet haben Sie überhaupt?«
Was hat der denn für ein Problem?
»Strafrecht und Scheidungsfälle«, sage ich widerwillig.
Dr. Voss zieht die Augenbrauen zusammen. »Ah, das sind mir die liebsten. Ich bin auch geschieden, hat mich ein Vermögen gekostet«, brummt er. Aha, daher weht der Wind! »Also gut, dann zeigen Sie mal«, fordert er mich dann auf.
Ist das peinlich. Ich drehe mich um und lasse die Hosen runter.
»Bücken!«, befiehlt Dr. Voss.
Ich bücke mich mit glühenden Wangen.
Dr. Voss reißt ohne jedes Feingefühl mein Pflaster weg. Schließlich sagt er: »So komme ich nicht richtig ran. Wissen Sie was? Knien Sie sich doch auf die Liege!«
»Ich soll was?«
Er mustert mich ungeduldig. »Wär’s Ihnen lieber, wenn ich Ihnen einen Stuhl aus der Gynäkologie hole?«
Allmählich geht mir der Kerl auf die Nerven. Was kann ich denn dafür, dass er sich bei seiner Scheidung über den Tisch hat ziehen lassen? Deshalb muss er mir noch lange nicht in diesem Ton kommen. Verärgert klettere ich auf die Liege und begebe mich auf Knie und Ellbogen. Das ist jetzt wirklich peinlich. Nur gut, dass mich keiner von meinen Bekannten sehen kann.
»Das sieht ja gar nicht gut aus«, vernehme ich Dr. Voss’ Stimme hinter mir. »Das kann aber nicht erst gestern passiert sein.«
»Es war vor ein paar Tagen, aber ich hatte keine Zeit für einen Arztbesuch«, rechtfertige ich mich.
»Keine Zeit, oder waren wir zu feige?«
Ach, halt doch die … Ich kann mich gerade noch zurückhalten.
Als ich plötzlich einen brennenden Schmerz spüre, zucke ich zusammen. An was für einen Metzger bin ich denn da geraten?
»Zappeln Sie nicht so rum«, ermahnt mich Dr. Voss. »Das war nur eine kleine Betäubungsspritze.« Er zieht einen Wagen mit medizinischen Instrumenten zu sich heran, dann meint er beiläufig: »Übrigens, was ist das für ein Gefühl, wenn man Verbrecher rauspaukt und hart arbeitenden Leuten das Geld aus der Tasche zieht?«
So, das reicht. Jetzt ist es vorbei mit meiner Zurückhaltung. »Wahrscheinlich ein besseres, als fremden Leuten den Hintern zu verarzten«, gebe ich zurück. »Was haben Sie überhaupt für ein Fachgebiet? Arschologie?«
Das musste einfach raus, und ich fühle mich gleich besser. Ich muss mir von dem Kerl doch nicht alles bieten lassen, und was kann er schon dagegen tun? Ich meine, verarzten muss er mich so oder so, und peinlicher als jetzt kann es ohnehin nicht mehr werden, oder?
»Aha, ein Witzbold«, meint Dr. Voss. »Einen Moment bitte.«
Ich höre die Tür zufallen. Wo will er denn jetzt hin? Holt er Verstärkung, um dem vorlauten Anwalt Manieren beizubringen? Ich senke meinen Kopf und spähe zwischen meinen Beinen hindurch. Draußen höre ich Leute vorbeigehen, vor denen ich auf gar keinen Fall so präsentiert werden möchte. Da sind schon wieder ein paar, ihre Stimmen kommen immer näher. Es sind Männer und Frauen, dann höre ich auch die Stimme von Dr. Voss. Hoffentlich öffnet er die Tür nicht gerade jetzt …
»… und hier haben wir einen Patienten, der es verabsäumt hat, sich rechtzeitig in medizinische Behandlung zu begeben – ein reichlich kindisches Verhalten, das natürlich Komplikationen provoziert, weil …«, höre ich Dr. Voss dozieren.
Ich linse zwischen meinen Beinen hindurch und erkenne weiße Mäntel. Anscheinend steht da eine ganze Gruppe und begutachtet meine Heckpartie! Ist der Kerl verrückt geworden?
»Herr Dr. Voss!«, zische ich. »Herr Dr. Voss!«
Er taucht mit Unschuldsmiene neben mir auf. »Was gibt’s?«
»Sind Sie wahnsinnig?«, presse ich zwischen schmalen Lippen hervor. »Wie kommen Sie auf die Idee, diese Leute hier reinzulassen?«
Er beugt sich zu mir herunter, damit ich sein hämisches Grinsen besser sehen kann. »Was meinen Sie, wie wir unseren angehenden Medizinern die Praxis beibringen sollen? Das geht nun mal nicht anders, tut mir leid.«
»Das wird noch Folgen haben, das garantiere ich Ihnen«, zische ich wütend.
»Was wollen Sie machen? Mich verklagen? Nur zu«, meint er fröhlich. Dann verschwindet er wieder aus meinem Blickfeld und fährt mit seinem Vortrag fort, als ob nichts wäre.
Dieser verdammte Mistkerl. Ich überlege fieberhaft, was ich tun könnte. Von dieser Liege runterklettern und schleunigst abhauen? Schlechter Plan, dann würden ja alle mein Gesicht sehen, und diesen verflixten Span wäre ich noch immer nicht los.
Ich könnte einfach stillhalten und das Ganze über mich ergehen lassen. Was wäre schon dabei? Die sehen mein Gesicht nicht, und ich sehe ihres nicht. Für die bin ich nichts weiter als ein unbekanntes Hinterteil, das medizinisch versorgt werden muss. Ich muss nur einfach stur geradeaus schauen, Dr. Arschloch-Voss hat seinen Spaß an der Sache, und ich spaziere hinterher schmerzfrei und anonym hier raus. Genau, so mache ich es.
Ich starre also weiter mit hochrotem Kopf auf die Liege, und Dr. Voss beginnt an mir herumzudoktern. Wenigstens hat die Betäubungsspritze gewirkt, ich spüre fast gar nichts dabei. Während der Behandlung erklärt Dr. Voss anschaulich seine Vorgehensweise, nicht ohne bei jedem zweiten Satz Phrasen wie »Unvernunft des Patienten« einzubauen. Das werde ich auch noch überstehen, rede ich mir ein, es gab schon peinlichere Situationen in meinem Leben.
Auf einmal taucht wieder ein weißer Kittel neben mir auf. Ist er fertig? Gott sei Dank. Wahrscheinlich will er noch ein paar blöde Sprüche klopfen. Ich werde ihm mit einer Klage drohen, genau. Auch wenn er es nicht zugibt, aber vor einer Klage haben alle Angst.
Dann fällt mir plötzlich auf, dass er rot lackierte Fingernägel hat. Das habe ich vorhin gar nicht gemerkt, vielleicht, weil er Handschuhe anhatte. Na, wenn das kein Witz ist. Und überhaupt, seine Hände sind lächerlich zart und schlank für einen Mann …
»Herr Becker, sind Sie das?«
Ich verdrehe unwillkürlich meinen Kopf und blicke in die tiefblauen Augen von … Gina Berger.
»Hi, Herr Becker«, sagt sie erstaunt. »Ich hätte nicht damit gerechnet, Sie hier wiederzusehen. Geht es Ihnen auch gut?«
»Äh … ja, danke.« Ich verziehe mein Gesicht zu einer Grimasse, die ein Lächeln sein soll. »Und Ihnen?«
Okay. Ist ja nichts passiert.
Ich meine, es war schon ein bisschen peinlich, das gebe ich zu. Aber es kann einem schließlich Schlimmeres passieren, als der Nachbarstochter in einer etwas ungünstigen Situation zu begegnen, oder etwa nicht?
Zugegeben, es war schon eine ziemlich ungünstige Situation. Um genau zu sein, war es die peinlichste, lächerlichste, demütigendste Situation, die man sich nur vorstellen kann, um einer Frau wie Gina Berger zu begegnen. Allein beim Gedanken daran beginnt mein Gesicht gleich wieder zu glühen.
Aber was soll’s? Es ist nun mal geschehen, und es lässt sich jetzt nicht mehr ändern. Und so sehr ich diesen Voss für seinen miesen Trick auch verfluche, so muss ich doch zugeben, dass er gute Arbeit geleistet hat. Meine Schmerzen sind wie weggeblasen, und das Einzige, was mich noch an die unangenehme Sache erinnert, ist ein mickriges kleines Pflaster. Das hat er gut hingekriegt, das muss ich ihm lassen, aber das musste er wohl auch, vor einem Dutzend Zeugen. So gesehen hatte das Ganze auch was Gutes.
Und Gina Berger, die interessiert mich ja eigentlich gar nicht. Abgesehen davon hat sie das Ganze sicher nur vom medizinischen Standpunkt aus betrachtet. Und ich werde sie in Zukunft nicht mehr so oft sehen, weil ich ohnehin schon seit längerem vorhabe, einen blickdichten Zaun neben meiner Einfahrt zu montieren. Das ewige Getratsche mit den Nachbarn kann einem auf Dauer ganz schön auf die Nerven gehen.
So, dann wollen wir uns jetzt wieder den angenehmen Dingen des Lebens widmen: Sandra. Sie hat vorhin gemeint, dass ich bei ihr etwas guthabe, und auch später, als wir telefonierten, klang sie überaus dankbar, weil ich ihr aus ihrer Not geholfen hatte. Und Dankbarkeit kann etwas sehr Nützliches sein, wenn man Lust auf … ein bisschen menschliche Nähe hat.
Als ich zur Haustür reinkomme, erwartet sie mich bereits. Sie trägt ihren kurzen Bademantel und duftet wie der Frühling, als ich sie küsse. Als meine Hände sich selbstständig machen, wehrt sie mich mit einem Lachen ab. »Das heben wir uns für später auf. Ich habe frische Pizza im Ofen. Hast du Hunger?«
Habe ich, riesigen sogar. Die Pizza ist üppig belegt, wie ich es liebe, und Sandra hat dazu passend eine Flasche Merlot aufgemacht.
»Und du hattest gar keine Probleme mit den Kindern?«, fragt Sandra, als ich gerade von einem Stück abbeiße.
Ich schüttle den Kopf. »Nein, war eigentlich ganz easy«, sage ich so lässig, wie es mit dem Mund voll Pizza eben geht.
»Ich habe mir schon Sorgen gemacht, als es angefangen hat zu regnen. Wenn man drinnen ist, können die Kinder ziemlich schwierig werden. Was hast du denn gemacht mit ihnen?«
Ich zucke locker mit den Schultern. »Was man halt so macht mit Kindern: Geschichten erzählt, Fragen beantwortet, Lieder gesungen …«
Sandra macht ein ungläubiges Gesicht. »Du hast Lieder gesungen? Ich wusste gar nicht, dass du singen kannst. Was für Lieder denn?«
»Alles Mögliche, von Klassik bis Moderne, grob gesagt.«
»Wow!« Jetzt ist sie echt beeindruckt. »Und haben sie keinen Unsinn gemacht?«
»Klar haben sie es versucht«, winke ich lässig ab und spüle mir den Mund mit einem Schluck Wein. »Aber das sind doch alles alte Hüte … Farbe auf dem Stuhl, Spucke am Türgriff, Spinnen aus Gummi … nichts, womit ich nicht gerechnet hätte.«
Sandra betrachtet mich einen Augenblick lang nachdenklich. »Und mit Benny hattest du auch keine Probleme?«
»Welcher war das?«
»Der mit den roten Haaren. Ich wollte dich noch vor ihm warnen. Er hat da so einen Tick: Immer, wenn jemand Neues da ist, besteht er darauf, dass der mit ihm aufs Klo geht. Der Psychologe hat seiner Mutter erklärt, dass er damit versäumte Entwicklungen aus der phallischen Phase kompensieren will. Hat er es bei dir nicht versucht?«
»Ach, der. Klar, hat er, aber ich dachte da auch gleich an die … diese Phase. Aber bei mir hat er auf Granit gebissen, wie du dir vorstellen kannst. Wie ist es übrigens bei deinem Verlag gelaufen? Vorhin am Telefon bin ich nicht ganz schlau aus dem geworden, was du gesagt hast.«
»Wirklich?« Das Thema scheint ihr nicht zu behagen. »Also, die gute Nachricht ist, dass sie das Buch machen wollen, und zwar schon im Herbst …«
»Und die schlechte?«
»Na ja, dass es nicht so eine riesige Auflage sein wird am Anfang. Aber bei entsprechendem Erfolg kann sich das natürlich schnell ändern.«
»Oh, klar, natürlich.« Die Arme. Sie hat sich viel zu viel davon erwartet. Mir war gleich klar, dass so ein Kinderbüchlein nicht der große Renner werden kann. Wenigstens konnte ich ihr mit meinen Tipps ein wenig weiterhelfen, sonst hätte sie wahrscheinlich nie einen Verlag gefunden.
»Hast du schon einen Vertragsentwurf?«
»Den schicken sie nächste Woche, aber grundsätzlich sind wir uns einig.«
»Gut. Aber den Vertrag werde ich mir noch in Ruhe ansehen.«
Sandra rückt jetzt ein bisschen nervös hin und her. »Weißt du, Martin, eigentlich wollte ich mit dir über was ganz anderes reden …«, beginnt sie.
»Jaaa?« Es macht mich immer etwas nervös, wenn sie in dieser Tonlage mit mir spricht. Als sie das letzte Mal ein Gespräch so begann, musste ich daraufhin ein ganzes Wochenende mit ihren Eltern verbringen.
»In letzter Zeit läuft es doch ziemlich gut zwischen uns, findest du nicht?«, beginnt sie.
»Ja, sehr gut sogar, würde ich sagen«, stimme ich ihr zu und sehe, dass der Bademantel über ihren Brüsten ein wenig auseinanderklafft. »Man könnte sagen, wir sind ein glückliches Paar.«
»Ja, eben«, sagt sie und lächelt. »Wir wissen jetzt, wo wir stehen. Wir kennen unsere Rollen und …«
»Genau. Der Beutejäger und die Nesthüterin«, bekräftige ich. Jetzt kann ich schon ziemlich viel von ihrem Oberteil sehen. »Und wo wir schon beim Thema sind …«
»Deswegen dachte ich«, schneidet sie mir das Wort ab. »… dass … äh … Ich mache uns Kaffee.« Sie steht plötzlich auf und geht zur Espressomaschine hinüber.
»Deswegen machst du uns Kaffee?«, wundere ich mich.
»Nein, nicht deswegen. Also, was ich sagen wollte, ist, dass wir jetzt, wo unsere Beziehung so gut funktioniert, doch eigentlich Nägel mit Köpfen machen könnten.«
»Ich wollte auch gerade Nägel mit Köpfen machen«, sage ich und starre anzüglich auf ihre Beine. »Wenn du verstehst, was ich meine.« Ich imitiere die Stimme eines Neandertalers: »Derr grroße Jägerr will sich forrtpflanzen, bunga, bunga!«
»So ein Zufall! Genau das meinte ich gerade«, sagt sie und serviert mir meine Tasse. »Und deswegen war ich auch froh darüber, dass du so gut mit Kindern zurechtkommst …«
Keine Ahnung, worauf sie hinauswill, aber ich ziehe sie auf meinen Schoß und lasse meine Hand unter ihren Bademantel wandern.
»… noch dazu, wo die Kinder in meiner Gruppe zum Teil nicht ganz einfach sind …«
Ich lasse sie reden und taste mich währenddessen weiter vor. Mann, sie trägt ja gar nichts darunter!
»… umso schöner wird es für dich sein, wenn es dein eigenes Kind ist.«
Meine Hand erstarrt. Was hat sie gerade gesagt? Dein eigenes Kind?
»Äh, wie war das?«, frage ich zur Sicherheit nach.
»Ich sprach von unserem Kind.« Sandra strahlt mich an, als wäre ich der Weihnachtsmann. »Dann würde alles zusammenpassen, wir wären eine richtige Familie. Du gehst arbeiten und bringst die Beute heim, und ich hüte unser Nest und kümmere mich um unseren Nachwuchs.« Während sie weiterredet, zieht sich meine Hand ganz von selbst wieder aus ihrem Bademantel zurück. »… wir haben das nie richtig besprochen, aber ich habe es dir immer angesehen, dass du das auch willst … natürlich könnte ich dann nicht mehr arbeiten gehen, aber bei meinem Gehalt zahlt sich das sowieso nicht aus … wir könnten uns gleich mehrere Kinder anschaffen, Zeit hätte ich dann ja … die Pille habe ich übrigens schon abgesetzt … nächste Woche habe ich meinen Eisprung … vielleicht solltest du deine Munition aufsparen, bis es so weit ist … dadurch erhöht sich die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft um das Doppelte … wer weiß, vielleicht werden es sogar Zwillinge …«
Ist das jetzt ein Witz oder was? Hängt hier irgendwo eine versteckte Kamera? Wovon redet sie überhaupt? Ich komme mir vor wie in einem schlechten Traum.
Das ist es: Ich träume das hier nur. Das ist gar nicht echt. Ich muss nur ganz schnell aufwachen, dann bin ich erlöst. Ich schließe fest die Augen und stelle mir vor, dass ich in meinem Bett liege und dass ich gleich aufwache und alles nur ein böser Traum war.
Aber es funktioniert nicht. Als ich meine Augen wieder öffne, sitzt Sandra immer noch auf mir und redet und redet und redet.
Ich kann nicht aufwachen, ich kann nicht.
Ich brauche Hilfe!
Kann mich irgendjemand kneifen?