Ich

»Siehst du? Original Keira Knightley«, meint Susi stolz.

Okay, wie Keira Knightley sehe ich nicht aus, und das werde ich auch nie, aber ich sehe gut aus, das kann ich bei aller Bescheidenheit behaupten.

Susi hat mir ein Make-up verpasst, das eine gelungene Mischung aus Unschuld vom Lande und intellektueller Vamp ist, und es passt hervorragend zu meiner Kleiderwahl. Ich habe mich für ein halblanges, schwarzes Wickelkleid entschieden, dazu nicht zu hohe Pumps und ein glitzerndes Collier von Swarovski. Verführerisch, aber doch dezent, so lautet meine Devise für den heutigen Abend.

»Du solltest das professionell machen«, sage ich anerkennend.

»Im Grunde kommt es nur auf die Farbzusammensetzung an«, doziert Susi. »Genau wie bei meinem Job. Du kannst das schönste Hotel bauen, aber wenn die Farben nicht harmonieren, fühlt sich keiner darin wohl.«

Ich gucke auf die Uhr. Schon nach sieben. Allmählich macht sich in meinem Bauch ein leichtes Kribbeln bemerkbar. In weniger als einer Stunde werde ich mit einem der größten Verlagsbosse in einem der besten Restaurants der Stadt dinieren, und ehrlich gesagt fühle ich mich der Sache nicht ganz gewachsen.

Ich meine, was ist, wenn der sich mit mir über alle möglichen Bücher unterhalten will? Sicher hat er Millionen davon gelesen, und wahrscheinlich will er mit mir über irgendwelche Klassiker fachsimpeln, die ich nicht mal vom Hörensagen kenne.

Deshalb habe ich mir auch eine Taktik zurechtgelegt. Wenn er mich nach meinem Lieblingsbuch fragt, werde ich sagen: »Der kleine Prinz von Saint-Exupéry.« Das sagt jeder zweite Promi, wenn man ihn darauf anspricht, und ich glaube, dieses Buch ist auch in intellektuellen Kreisen anerkannt. Wobei ich hoffe, dass Dr. Baumann nichts Genaueres hören will, denn gelesen habe ich es ja noch nicht.

Außerdem habe ich noch Goethes Faust in meinem literarischen Repertoire – mit dem haben sie uns in der Schule exzessiv gequält – und Animal Farm und 1984 von George Orwell. Vor allem bei Animal Farm kann ich mich noch an einiges erinnern, vor allem daran, dass die Schweine richtige … na ja, Schweine waren.

»Was hast du? Bist du nervös?«, fragt Susi, als sie meinen angespannten Gesichtsausdruck bemerkt.

»Kann man wohl sagen«, gestehe ich. »Der Gedanke, mit einem wandelnden Literaturlexikon zu Abend zu essen, ist nicht gerade beruhigend.«

Susi zieht ein nachdenkliches Gesicht. »Du brauchst etwas zum Lockerwerden«, entscheidet sie dann und verschwindet in der Küche. Ich höre das Klimpern von Geschirr und Eiswürfeln, dann kommt sie mit zwei Cocktailgläsern mit leuchtend rotem Inhalt zurück.

»Was ist das?«, frage ich misstrauisch.

»Zuerst kosten!«, befiehlt sie und stößt mit mir an.

Ich nehme vorsichtig einen Schluck. »Hm, lecker. Was ist das?«, frage ich.

»Red Bull mit rotem Wodka«, klärt sie mich auf.

»Wodka? Ist das nicht ein bisschen stark? Ich will nicht, dass Dr. Baumann mich gleich bei unserem ersten Rendezvous nach Hause tragen muss.«

»Ihn würde das vermutlich nicht stören«, meint Susi grinsend. »Wer weiß, vielleicht will er dich ohnehin betrunken machen.«

»Ach, Quatsch, Susi, der ist nicht so. Dr. Baumann ist total seriös. Der hat es nicht nötig, eine Frau betrunken zu machen, um sie dann abzuschleppen.«

»Wie du meinst«, erwidert Susi. »Ich sage nur eins: Midlife-Crisis!«

»So alt ist der doch gar nicht. Höchstens fünfundvierzig, schätze ich.«

»Das sind überhaupt die Schlimmsten«, behauptet Susi sofort. »Am Beginn der Krise, aber körperlich noch gut in Schuss. Ich bin mir jedenfalls ziemlich sicher, dass er versuchen wird, dich anzubaggern.«

»Ich weiß nicht«, sage ich zögernd. »Das kann ich mir bei ihm gar nicht vorstellen. Ein bisschen Flirten, ja, aber dass er gleich aufs Ganze geht …«

»Egal, du wirst es ja bald herausfinden«, sagt Susi schulterzuckend und trinkt einen Schluck. »Weißt du schon, wie du reagieren wirst, falls er es doch versucht?«, fragt sie dann neugierig.

»Das ist doch wohl klar!«, antworte ich entrüstet. »Ich würde ihn abblitzen lassen!.«

»Wegen Martin?« Susi betrachtet mich prüfend.

»Ja, sicher, wegen Martin!«

»Hm.«

»Was, hm?«

»Ich weiß nicht …« Susi nippt nachdenklich an ihrem Glas. »Hast du dir das schon mal überlegt, ganz objektiv? Du und Martin sprecht kaum noch miteinander … und ihr habt keinen Sex mehr …«

»Aber das ist doch meine Schuld«, sage ich schnell. »Er würde schon wollen …«

»Was dir auch zu denken geben sollte«, fällt sie mir ins Wort. »Ich meine, seit du dieses Sexverbot ausgesprochen hast, bist du nur noch Luft für ihn. Keine besonders gute Basis für eine Beziehung, findest du nicht?«

»Was willst du damit sagen?«, fahre ich sie an und spüre schon wieder einen dicken Kloß im Hals.

»Reg dich bitte nicht auf«, versucht sie mich zu beruhigen. »Ich meinte ja nur, dass du dir mal ernsthaft überlegen solltest, ob das mit dir und Martin noch einen Sinn hat.«

»Natürlich hat es einen Sinn!«, schreie ich sie verzweifelt an. »Wir lieben uns! Martin und ich gehören zusammen, das sieht doch jeder!«

Susi guckt mich ganz erschrocken an. Einen Moment lang herrscht Schweigen, dann sagt sie vorsichtig: »Sandra, du bist meine beste Freundin, und ich will dir doch nur helfen. Aber ich kann nicht mit ansehen, wie du dich quälst. Und ich sage ja gar nicht, dass das mit euch nichts mehr wird. Ich will nur, dass du das Ganze auch mal objektiv betrachtest.«

»Das tu ich doch!«, behaupte ich trotzig und starre dabei auf meine Schuhspitzen.

»Okay, dann solltest du aber auch darüber nachdenken, warum Martin so panisch auf deinen Babywunsch reagiert hat. Vor allem, wo er doch ganz gut mit Kindern umgehen kann«, fügt sie hinzu.

»Wahrscheinlich ist es einfach zu früh für ihn«, suche ich nach einer Rechtfertigung für Martin. »Und ehrlich gesagt bin ich ja auch noch nicht so weit.«

»Okay, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass eure Beziehung im Moment mehr als wackelig ist.«

»Daran ist doch bloß diese Lorenzgeschichte schuld. Hätte ich nicht alles ausgequatscht, würde Martin nicht so im Schlamassel sitzen. Deswegen ist er sauer auf mich. Was ich auch verstehen kann«, sage ich leise und lasse den Kopf hängen.

»Tja, das war eine unangenehme Geschichte. Weißt du schon, wie sie ausgegangen ist?«

Ich schüttle den Kopf. »Ich fürchte, nicht gut. Martin hat sich noch nicht gemeldet, und ich hab mich nicht getraut, ihn anzurufen.«

Susi schweigt für ein paar Sekunden, dann holt sie tief Luft. »Okay, Sandra, mag sein, dass du da einen Fehler begangen hast, und mag auch sein, dass Martin das jetzt ausbaden muss, aber dennoch …« Sie sieht mich eindringlich an. »… es kann doch nicht sein, dass das jetzt ewig zwischen euch steht. Wenn er dir das nicht verzeihen kann, dann stellt sich für mich die Frage, ob du ihm überhaupt noch was bedeutest.«

Einen Moment lang muss ich heftig gegen meine Tränen ankämpfen. Ich trinke mein Glas mit einem Zug leer und stelle es wieder ab.

Susi hat recht. Ich muss etwas tun. Ich muss herausfinden, wie Martin zu mir steht. Ich muss ein für alle Mal Klarheit schaffen. Und plötzlich weiß ich auch, wie.

»Weißt du was?«, sage ich mit grimmiger Entschlossenheit. »Ich werde es dir beweisen!«

»Was beweisen?«, fragt Susi verwirrt.

»Dass ich Martin noch etwas bedeute.« Ich stehe auf. »Ich werde es dir beweisen … ich werde es uns beweisen.« Ich sehe auf die Uhr. Schon halb acht. Gleich muss ich fahren.

»Ja? Wie denn?«

»Ich werde es Martin sagen.«

»Was sagen?«

»Dass ich eine Verabredung mit Baumann habe.«

»Aber … dann wird er es dir einfach verbieten«, stammelt Susi. »Du weißt doch, wie Männer sind.«

Ich schüttle entschlossen den Kopf und angle mein Handy aus der Tasche. »Dazu wird er keine Gelegenheit haben.« Susi starrt mich fragend an, und ich beginne, auf den Tasten herumzuhämmern.

»Okay, sieh es dir an!« Ich halte ihr das Handy hin, damit sie es lesen kann:

Lieber Martin! Ich treffe mich heute Abend um acht mit Steffen Baumann vom Beckstein-Verlag im Prado. Ich glaube, er interessiert sich nicht nur für meine Bücher, sondern auch für mich … Sandra

»Wow!«, haucht Susi. »Martin wird ausflippen.«

»Das hoffe ich«, sage ich und drücke gleichzeitig auf Senden.

»Und wie willst du verhindern, dass er dich anruft und dir das Treffen verbietet?«, fragt Susi.

»Ganz einfach.« Ich betätige die Off-Taste an meinem Handy. »Wenn Martin mich tatsächlich noch liebt, wird er im Prado auftauchen.«

»Und wenn er dir eine Szene macht?«, fragt Susi mit großen Augen.

»Das Risiko nehme ich gern in Kauf. Und falls er nicht auftaucht, dann …« Ich schlucke trocken und fühle, wie meine Augen zu schwimmen beginnen. »Dann kann Baumann mich haben – falls er das überhaupt will.«