Freitag, der 14. Mai

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Keine.

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1) Von wegen, morgen sieht die Welt schon wieder anders aus. Selten so gelacht. Hahaha!!!

2) Habe einen ekligen, fetten Pickel mitten auf der Nase. Frage mich, ob der gestern Nacht auch schon da war. Wahrscheinlich. Nehme an, Ben hat nur aus Mitleid mit mir geredet.

Bin eben aus der Schule gekommen und todmüde! Kein Wunder! Nach der Sache im Garten letzte Nacht habe ich nur noch drei Stunden geschlafen. (Gerade, als ich eingeschlafen war, fing Ottilie an zu schreien und dann hatte ich heute auch noch zur Ersten.) Als ich aufgewacht bin, fiel mir das ganze Elend mit dem Elternabend wieder ein und ich wäre am liebsten überhaupt nicht mehr aufgestanden. Irgendwann ist Mama dann reingekommen und hat gesagt, ich müsste mich anziehen. Weil sie so traurig klang und so schlecht aussah, hab ich gedacht, ich fang jetzt nicht an, mit ihr zu diskutieren, sondern geb mir einfach einen Ruck und stelle mich meinen Ängsten. (Das sage ich mir immer, wenn es mir schlecht geht. Kommt aus meiner Lieblingsserie. Da bewirbt sich die Hauptfigur um ein Praktikum und hat totalen Schiss vor dem Vorstellungsgespräch. Aber statt Panik zu schieben, sagt sie: »Ich stelle mich meinen Ängsten und bewältige sie!« Klingt irgendwie gut, finde ich. Hat so was NINJA-MÄSSIGES …).

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Auf jeden Fall bin ich aufgestanden und kam mir total tapfer vor. Auf dem Schulweg war mir kotzübel, aber dann hab ich mir eingeredet, dass kein Schwein aus meiner Klasse irgendwas von dieser Elternabendbelauschaktion mitbekommen hat. Das hat erst auch ganz gut funktioniert. Leider nur so lange, bis ich Christian und den rothaarigen Oliver getroffen hab und Oliver mich gefragt hat, was ich gestern auf dem Elternabend eigentlich wollte.

Christian hat gegrinst und gemeint: »Na, ist doch klar, sie wollte sich zum Deppen machen.«

Oliver hat noch blöder gegrinst und geantwortet: »Aber das ist sie doch schon längst!«

Und dann haben sie sich auf die Schultern geklopft und gekrümmt vor Lachen und ich hab wieder mal bedauert, dass ich damals in der Dritten mit Judo aufgehört habe. Sonst hätte ich die beiden inzwischen schon dreimal voll erledigt: Wumms – und ab durch die Mitte!

Zum Glück hat’s im selben Moment zum Unterricht geklingelt und ich hab diese Vollidioten stehen gelassen und bin erhobenen Hauptes ab in den Unterricht.

In der Ersten hatten wir Gott sei Dank Mathe bei Herrn Clausen. Der hat sich gleich auf den Satz des Pythagoras gestürzt. Von den anderen hatte scheinbar noch keiner irgendwas von gestern Abend mitgekriegt. (Bis auf Hanna, aber das hatte ich mir schon gedacht. Bei der Mutter …)

In der Pause ist Hanna dann gleich auf mich los und hat mir zugezischt, ich hätte sie jawohl nicht mehr alle.

»Dein Glück, dass meine Mutter anschließend noch mit Frau Simbrinck geredet hat.«

Ich hab sie total perplex angestarrt.

»Wie geredet?«

»Na, geredet eben. Die Sache ist geklärt. Wir müssen nicht mehr mit Scharina in ein Zelt.«

»Oh …«

Ich hab geschluckt, aber Hanna war immer noch auf Hundertachtzig.

» Ein bisschen freuen könntest du dich schon. Immerhin hab ich Frau Simbrinck nicht erzählt, dass Scharina dich angemacht hat. Obwohl das viel einfacher gewesen wär …«

»Und wen, bitte schön, soll sie angemacht haben?«

»Na, wen wohl?«

»Dich etwa?«

»Wenn du weiter in diesem Ton mit mir redest, sag ich gar nichts mehr.« Damit hat Hanna sich umgedreht und ist beleidigt abgerauscht, allerdings nicht, ohne Katja und Franzi vorher noch zuzurufen, dass es gestern im Schwimmbad ja ganz megatoll gewesen wäre. Ich sag dir, das Einzige, was mir durch den Kopf ging, war nur: Ach, du Scheiße!

Für einen Moment hab ich gedacht, okay, das war’s jetzt. Und ich musste an die Sache mit dem Schalter denken, der umgelegt wird, und dass die eine Seite bei ihr in letzter Zeit wirklich Überhandnimmt und dass ich es satthabe. Aber dann kam Hanna plötzlich wieder zurück und hat gesagt (unglaublich, aber wahr), es täte ihr leid. So hätte sie es nicht gemeint.

Ich muss Hanna total perplex angestarrt haben. Schließlich hat sie sich noch nie bei mir entschuldigt, solange ich sie kenne! Aber ehe ich noch weiter darüber nachdenken konnte, hat sie mich schon umarmt und gemeint, ich sei doch ihre beste Freundin. Und dass sie das Ganze im Grunde nur für mich gemacht hätte. Und dass es ihr leidtut, wenn sie mich damit irgendwie verletzt hat. Und dass Scharina es bestimmt auch gar nicht so schlecht findet, bei Frau Simbrinck mit im Zelt zu schlafen.

Das Komische war, dass ich eigentlich noch immer stocksauer auf sie war, aber ich habe keinen Ton gesagt. Was mir jetzt irgendwie megafeige vorkommt.

Aber während sie weiter von Sylt erzählt hat und wie viel Spaß wir auf der Klassenreise haben werden und dass sie mit Sophie, Katja und Franzi schon ausgemacht hat, dass wir uns einen Abend loseisen und ins »Pony« gehen, was die totale In-Disco sein soll, da hab ich mir vorgestellt, wie es ist, ganz allein auf dem Zeltplatz herumzuhocken, während die anderen genauso viel Spaß haben wie gestern im Schwimmbad.

Und da war ich einfach nur noch erleichtert, dass Hanna wieder nett zu mir war.

Das hielt dann ungefähr fünf Minuten an, bis Hanna mich fragte, ob ich Ben schon den Brief von ihr gegeben hab. Da wurde mir dann gleich wieder schlecht. DIESER BEKLOPPTE BRIEF! Hanna meinte, ich müsste ihn Ben heute auf jeden Fall noch geben. Ich hab ein letztes Mal versucht, ihr die Sache auszureden, aber ohne Erfolg. Sie sagt, sie muss unbedingt vor der Klassenreise wissen, was Ben für sie empfindet. Was soll man dazu sagen?

Also hab ich versprochen, ich tu’s. Anders komm ich ja eh nicht aus der Nummer raus.

18.43 Uhr.

Ben spielt draußen Fußball. Könnte ihm den Brief jetzt geben.

18.56 Uhr.

Ich glaub, ich pack’s nicht, ihm den Brief zu geben.

19.02 Uhr.

Hab den Brief eben gegen das Licht gehalten. Sie hat ihm auf rosa Diddl-Papier geschrieben und das, was ich lesen konnte, klang echt schwülstig. Wenn ich richtig geguckt hab, hat sie noch nicht mal mit ihrem vollen Namen unterschrieben, sondern nur mit ihren Initialen – wie in diesen Rosamunde-Pilcher-Büchern, die ihre Mutter immer liest. Darf man wirklich zusehen, wie sich jemand so ins Unglück stürzt?

19.04 Uhr.

Bens Mutter hat ihn eben zum Abendbrot reingerufen. Noch kann ich den Brief verlieren. (Wobei Hanna mir das nie glauben würde …)

20.10 Uhr.

Hab Papa beim Abendbrot gefragt, wie er es finden würde, wenn ihm eine Frau einen Liebesbrief in die Hand drückt, der von ihrer Freundin ist. Papa meinte, er wäre geschmeichelt, aber er würde es mutiger von der Schreiberin finden, so einen Brief persönlich zu überreichen. Ich hab ihn gefragt, was er gemacht hätte, wenn er so einen Brief bekommen hätte, als er vierzehn war. Er hat geantwortet, wenn er sich recht erinnern würde, hätte er mal so einen Brief bekommen. Dummerweise wäre er damals noch recht unreif gewesen und hätte ihn laut vor der Klasse vorgelesen. Schade, dass Hanna sich nicht vorher mit meinem Vater unterhalten hat.

22.12 Uhr.

Ich bin eben noch einmal aus dem Bett geklettert und hab den Brief in Bens Briefkasten geworfen. Fühle mich wie jemand, der seine Freundin sehenden Auges ins Verderben rennen lässt.

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