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In Wiebkes Büro schalteten wir lediglich eine Schreibtischlampe ein und setzten uns vor ihren aufgeklappten Laptop.

Maximilian atmete tief durch und sah mich an. Ich nickte.

Er klickte mit der Maus und Wiebkes Aufnahme aus dem Red Room begann…

Zuerst nur ein Standbild. Das rote Herz auf der weißen Wand. Dann, nach einigen Minuten zerfiel es in tausend Stücke und wurde durch eine digitale Uhr ersetzt, die rückwärts lief. Sie zeigte etwas über eine Stunde an. Die Sekunden eilten dahin.

»Offenbar ein Countdown«, murmelte Maximilian. »Vermutlich fand danach ein Livestream statt.«

Das Bild veränderte sich erneut. An der rechten oberen Ecke erschien das Datum von letzter Woche. Die Kamera selbst war auf eine Deckenleuchte gerichtet.

»Das jetzt ist eine Aufzeichnung«, sagte ich. »Das ist nicht live.«

»Vermutlich, damit für die Wartenden die Zeit bis zum richtigen Event schneller vergeht«, meinte Maximilian.

Ein Kameraschwenk. Ein Obduktionstisch aus Stahl. Leer. Das Metall glänzte im künstlichen Licht. Daneben ein Tisch vollbepackt mit Skalpellen, Knochensägen, Geflügelscheren und Ähnlichem.

Eine Person erschien. Ein Mann. Dunkel gekleidet. Mit einer dieser weißen Anonymus-Masken auf dem Gesicht – grinsend, mit prominenter Nase, hervortretenden rot angemalten Wangenknochen und schwarzem Schnauzer sowie Spitzbart.

Er nickte in die Kamera, ordnete sein Werkzeug, hielt einzelne Teile näher ans Objektiv und verschwand wieder.

Ein erneuter Kameraschwenk. Nach unten. Dort stand ein Käfig. In ihm war es dunkel. Jemand leuchtete hinein. Das Gesicht einer jungen Frau. Absolute Verzweiflung auf ihren Zügen. Ihr Mund war geknebelt.

»Oh mein Gott«, flüsterte Maximilian vollkommen entsetzt. »Jetzt verstehe ich, was mit Wiebke los ist. Glaubst du, die haben die Frau wirklich…«

»…vor laufender Kamera gefoltert und umgebracht?«, vervollständigte ich seinen Satz.

Er nickte.

»Das kann ich dir nicht beantworten«, erwiderte ich.

»Sowas will ich mir gar nicht vorstellen müssen«, sagte er.

Urplötzlich verschwand das Bild. Ein Schild erschien: Kein Zutritt für Unbefugte. Und dann wieder die weiße Wand mit dem grobgeschmierten, roten Herzen.

»Da ist Wiebke rausgeflogen«, sagte ich.

»Mhm«, machte er.

Ein Textbanner erschien. Es lief von links nach rechts über den Monitor.

Kat … Kafh… Katinka. Hilfe. Nsrtin … ich … Li….

Ich sog scharf die Luft ein. Das Blut gefror mir in den Adern.

Mir wurde bewusst, dass mich Maximilian anstarrte. »Das ist an dich gerichtet, nicht wahr?«

»Ich weiß es nicht«, sagte ich wahrheitsgemäß.

»Lüg mich nicht an!«, zischte er. »Katinka – das war dein früherer Name.«

Ich schüttelte den Kopf. »Das ist vorbei. Viele heißen so.«

»Ach wirklich?« Er schnaubte.

»Ja.« Ich fühlte mich schwach und verloren.

»Und warum flippt das jetzt plötzlich über unseren Bildschirm? Rein zufällig , während Wiebke sich wo auch immer reinhackt? Der Zufall ist doch viel zu groß!«

»Ich weiß es nicht«, wiederholte ich.

»Du lügst mich nur an! Und das, nachdem wir so lange zusammen sind. Du hast nicht das geringste Vertrauen zu mir!« Er stand auf, ging aus dem Zimmer und ich hörte, wie er die Tür nach draußen zuschmiss.