Die Ampel sprang auf Grün. Ich gab vorsichtig Gas, um zu verhindern, dass Martin durch eine abrupte Beschleunigung mit seiner verletzten Schulter gegen den Gurt gedrückt wurde.
Noch zehn Minuten, dann waren wir zuhause.
Ich warf ihm einen schnellen Blick zu. Er hielt sich eine dicke Verbandskompresse an das Einschussloch. Zwei durchgeblutete Pakete lagen bereits im Fußraum. Er wirkte blass, seine Lippen hatten eine bläuliche Färbung angenommen.
»Nur nicht schlapp machen«, sagte ich zu ihm, um ihn wach zu halten.
»Okay«, murmelte er.
»Du wolltest mir erzählen, was da überhaupt los war mit deinem Buddy Louis und diesem komischen Asiaten.«
»Keine Lust.«
Ich sah noch einmal zu ihm hinüber, bevor ich mich wieder aufs Fahren konzentrierte. »Du machst mir vielleicht Spaß! Wir wissen beide, dass du jeden Moment aus den Latschen kippst. Wir müssen dich ablenken, damit du durchhältst. Also, was war da los?«
Er seufzte. »Lettland. Warst du da schon mal?«
»Kleiner Staat, viel Wald. Ziemlich kalt im Winter. Und sicher gibt es dort Elche.« Mehr Unsinn fiel mir auf die Schnelle nicht ein.
Er lachte und stöhnte sofort auf. »Über Lettland läuft jede Menge Geldwäsche. Im großen Stil. Dang Hwang…«
»Das ist der, dem ich eine Kugel in den Kopf jagen musste?«
»Genau der. Ein Nordkoreaner. Banker.«
»Hm. Jetzt nicht mehr.« Behutsam nahm ich eine Kurve. »Er hat die krummen Geldgeschäfte gemanagt?«
»In großem Umfang und für einen längeren Zeitraum. Aber irgendwann hat er sich dazu entschlossen, auszusteigen. Hat er jedenfalls behauptet. Und ein Freund von mir…«
»Louis?«
»Nicht der. Ein anderer.«
»Du scheinst viele ausgesprochen nette Freunde zu haben.«
Er schnaubte. »Die sammeln sich in meinem Job so an.« Er hustete. »Jedenfalls, dieser Freund … ich schuldete ihm einen Gefallen. Und wenn man in meinem Beruf nicht zu seinem Wort steht…«
»Dann ist man selbst nichts mehr wert«, vervollständigte ich seinen Satz.
»Genau, Helena. Der Plan war folgender: Ich begleite ein Double von Dang Hwang aus Lettland über Litauen und Polen bis nach Berlin. Und der echte Dang Hwang kommt unterdessen anderweitig weg, sagt gegen seine gesamte Gruppe aus, verrät seine Hintermänner, alle Verbindungen und bekommt dafür eine neue Identität.«
»Klingt gut, lief scheinbar jedoch anders«, bemerkte ich.
»Völlig anders. Ich bin mit dem Double, einem Fahrer, und einem Sicherheitsmann los. Alles schien in bester Ordnung…« Er verstummte.
Ich schaute ihn an. Er hatte die Augen geschlossen.
»Hey!«, rief ich laut.
Er blinzelte. »Wo war ich?«
»Du bist mit dem Double los.«
»Der Doppelgänger. Genau … Alles war okay, bis uns Louis aufgespürt hat.«
»Du hast als Einziger überlebt, oder?«
»Ja. Louis wollte von mir wissen, wieviel mir von der gesamten Operation bekannt ist. Was echt nicht der Rede wert war. Er wollte sichergehen, dass ich nichts an Dritte verraten habe. Er ist … er war eigentlich ein großer Schisser. Wollte stets jedes Risiko minimieren.«
»Deshalb hat er dich mit Heroin vollgepumpt.«
»Louis wusste, dass ich bei einem früheren Einsatz bereits einmal angefixt worden bin und dass ich es fast nicht geschafft hätte, die Kurve zu kriegen. Dass es mich deshalb umso härter treffen würde, wenn er mich erneut in diesen Albtraum schickt. Und als mein ehemaliger Ausbilder, war ihm klar, dass ich ihm im Normalzustand nie und nimmer auch nur ein Sterbenswörtchen erzählt hätte.«
»Du weißt, er hätte dich irgendwann beseitigt.« Ich bremste und ließ eine Straßenbahn passieren, bevor ich erneut losfuhr.
»Selbstverständlich hätte er das. Ich wäre dann nur noch Ballast für ihn gewesen.«
»Aber wenn dieser Dang Hwang … der wahre, der Banker … plötzlich mit Louis hier in der Villa saß, kann das nur eins bedeuten…«
» Dang Hwang hat sich nicht an die Abmachung gehalten. Ich nehme an, er hatte das nie vor. Höchstwahrscheinlich hat er sich ein riesiges Vermögen auf ein Offshore-Konto transferiert und wollte sich mit Louis zusammen aus dem Staub machen.«
»Und der tote Doppelgänger hätte dann als echter Dang Hwang hergehalten?«
Martin stöhnte. »Vermutlich. Keine Ahnung.«
Noch zwei Minuten bis nach Hause. Lange würde ich ihn nicht mehr wachhalten können. »Louis hätte sich das mit dem Heroin lieber sparen sollen. Dich gleich abzuknallen, wäre wesentlich klüger gewesen.«
»Ach ja?« Das kam wütend. Gut.
»Na, was hat ihm seine gesamte Vorsicht gebracht? Jetzt ist er mausetot und liegt in einer beschissenen Villa auf dem kalten Marmor herum. Der Asiate auch. Und das Geld befindet sich irgendwo und niemand kommt mehr ran.«
»Das Geld«, murmelte Martin. »Das viele Geld.« Sein Kopf sackte nach vorn. Er hatte das Bewusstsein verloren.
Ich erreichte den Durchgang beim Vorderhaus, der zu unserem Hinterhaus führte. Mit laufendem Motor stieg ich aus, öffnete beide Flügel des Tores und fuhr im Schritttempo bis in den ersten Innenhof vor Gabrieles Laden.
Maximilian stand bei den Stufen, die Hände in den Taschen vergraben und sah mich durchdringend an. Gewitterwolken hatten sich auf seinem Gesicht gebildet.
Der nächste Ärger, der mich erwartete. Und das nicht zu knapp. Aber zunächst mussten wir Martin versorgen, bevor er uns verblutete.