Violet nahm drei Kugeln Zitrone, das war gerade ihr Lieblingseis. Jordan entschied sich für Schoko, Stracciatella und Kokos und danach zahlte er für beide.
Sie gingen mit ihrem Eis zum Spielplatz hinter der Kirche und setzten sich aufs Klettergerüst.
Sie war so gespannt, was Jordan ihr sagen wollte, dass ihr das Eis gar nicht richtig schmeckte. Aber er kam einfach nicht zur Sache. Er redete von der Schule und dass Sport sein Lieblingsfach war und dass er später Profifußballer werden wollte und dass Rot seine Lieblingsfarbe war und wie toll er die Musik von Joey Joe and the Joysticks fand, bis Violet es nicht mehr aushielt und ihn mitten im Satz unterbrach.
„Warum bist du denn jetzt hergekommen?“, fragte sie.
„Hm.“ Er runzelte die Stirn, als ob er über die Frage erst mal gründlich nachdenken müsste. „Also, zum einen finde ich dich total nett“, sagte er dann.
Violet spürte, wie ihr ganz warm wurde, obwohl es ein ziemlich kühler Tag war und sie ja auch noch Eis aß. Jordan war bestimmt schon zehn oder elf. Und er war der beste Spieler von Bluestedt. Das fand auch Jack, die sich das Video vom Spiel am Samstag mindestens dreiundvierzigmal angeguckt hatte.
„Auf den muss man aufpassen“, hatte sie gesagt. Ein größeres Lob war noch nie aus ihrem Mund gekommen.
Es war also schon etwas Besonderes, dass Jordan Violet nett fand.
Violet fand ihn auch nett, aber das sagte sie jetzt nicht. Schließlich wollte sie endlich wissen, warum er nach Rivenhoe gekommen war.
„Und zum anderen?“, fragte sie.
„Zum anderen wollte ich dich fragen, ob du mit mir bowlen gehst“, sagte Jordan. „Meine Eltern wollen am Samstag eine Bahn mieten und ich darf einen Freund einladen. Da hab ich an dich gedacht.“
„Echt?“ Nun wurde Violets Gesicht noch heißer. „Das ist aber nett.“
„Es wäre super, wenn du kommst.“
Klar komm ich, wollte Violet gerade sagen, aber im letzten Moment fiel ihr ein, dass es leider nicht ging. Am Samstag war doch der Geburtstag von Jack und Zack. „Nächsten Samstag? Am Tag vor dem Endspiel?“
Jordan nickte. Wie erwartungsvoll er Violet jetzt ansah. Seine Augen waren dunkelbraun wie das Schokoladeneis in seiner Waffel, das war ihr bisher noch gar nicht aufgefallen.
„Da kann ich leider nicht“, sagte Violet traurig.
„Oh nein! Warum denn nicht?“
„Am Samstag hat Jack Geburtstag. Und ihr … ich meine … sein Bruder Zack, sie sind nämlich Zwillinge.“
„Stimmt!“ Jordan schlug sich mit der Hand gegen die Stirn. „Du hattest mir ja neulich schon erzählt, dass du da eingeladen bist. Das ist aber wirklich total schade.“
„Du musst dir einen anderen zum Bowlen suchen.“
Jordan schüttelte den Kopf. „Nee, dann sag ich lieber ab. Ohne dich macht mir das auch keinen Spaß.“
Violet dachte einen Moment lang nach. „Willst du mit zu der Party kommen?“, fragte sie dann.
„Zu Jack Dumpling?“ Jordan lachte ungläubig.
Violet nickte.
„Also, das wäre …“, er schluckte. „Das wäre der absolute Hammer.“
„Ich muss Jack und Zack natürlich erst mal fragen“, sagte Violet. „Aber das ist bestimmt okay.“
„Ja, aber … ich bin doch einer von den Blauen.“
Violet lachte. „Das macht nichts. Ist doch nur ein Spiel!“
Jordan lächelte. „Das stimmt auch wieder.“
Jack und Zack hatten überhaupt nichts dagegen, dass Violet Jordan mitbringen wollte. Im Gegenteil, Jack war begeistert, als sie hörte, dass Violet den Stürmer der Blauen kannte.
„Vielleicht kriegen wir ihn dazu, dass er uns etwas über ihre Schwachstellen verrät“, sagte sie.
„Das macht er bestimmt nicht“, sagte Violet. „Der ist doch nicht blöd.“
Zack legte nachdenklich den Kopf schief. „Ich frag mich, warum er mitkommen will. Ich meine, einen Tag vor dem Endspiel zu einer Party von den Gegnern zu gehen, ist ganz schön gewagt.“
„Warum?“, fragte Violet. „Wir tun ihm doch nichts.“
„Aber normal ist es nicht“, sagte Jack. „Das finde ich auch.“
Sie saßen auf der großen Kätzchenweide am Bach und ließen die Füße baumeln. Unter ihnen glitzerte das Wasser und über ihnen zwitscherten die Vögel.
Violet dachte an Jordans schokoladenbraune Augen und dass er zu ihr gesagt hatte, dass er sie total nett fand. Sie spürte, wie sich ein warmes Gefühl in ihrem Körper ausbreitete, als ob die Frühlingssonne direkt in ihren Bauch schien. Jordan kam nur wegen ihr mit zur Party. Das wusste sie, aber das erzählte sie den Zwillingen nicht. Jack und Zack hätten bestimmt Witze über sie gemacht, und das wollte sie nicht.
„Er will Jack kennenlernen“, sagte sie stattdessen. „Er war total von den Socken, als er gehört hat, dass wir befreundet sind.“
„Du bist berühmt, Jack!“, spottete Zack. „Wahrscheinlich kommen bald die reichen Fußballbonzen nach Rivenhoe und werben dich für ihre Vereine ab. Und du verdienst so viel Geld wie Olivia Sweetly und kannst dir deine eigene Insel kaufen.“
„Ich geh aber nicht weg aus Rivenhoe“, sagte Jack. „Das wäre ja noch schöner.“
„Genau.“ Da kam Violet noch ein anderer Gedanke. „Jordan hat mir gesagt, dass er Fußballprofi werden will“, sagte sie. „Vielleicht will er ja von den Blauen nach Rivenhoe wechseln.“
„Wozu das denn?“, fragte Zack.
„Na ja, Rivenhoe ist doch zurzeit die stärkste Mannschaft, oder?“
„Und ob“, sagte Jack.
„Abwarten“, wandte Zack ein. „Wer am Sonntag das Turnier gewinnt, ist die stärkste Mannschaft.“
„Und das sind wir“, sagte Jack.
Violet zählte die Tage, die Stunden, die Minuten bis zum Samstag. Als ob es ihr eigener Geburtstag wäre und nicht der von Jack und Zack. Sie freute sich so darauf, Jordan wiederzusehen. Wie er sich wohl mit Jack und Zack verstehen würde? Hoffentlich gut. Hoffentlich nicht zu gut. Nicht dass er am Ende gar keine Augen mehr für Violet hatte und nur noch mit Jack redete.
Dann war es endlich Samstagmorgen, aber die Warterei war trotzdem nicht zu Ende. Die Party ging nämlich erst um halb fünf los, vorher hatten Jack und die Jungs noch Training.
Um nicht durchzudrehen, ging Violet in den Blumenladen und besuchte Tante Abigail.
Abigail band gerade kleine Blumensträußchen aus pinken Primeln und grünem Schleierkraut. „Die können sich morgen alle ins Knopfloch stecken“, sagte sie. „Das sieht bestimmt wunderschön aus.“
Violet setzte sich zu ihr an den Ladentisch, um ihr zu helfen. Lady Madonna äugte aus ihrem Käfig zu ihnen herunter.
„Olé, olé, olé, olé!“, zwitscherte sie.
„Sie hofft immer noch, dass ich sie mit zum Finale nehme“, sagte Tante Abigail.
„Und? Darf sie mit?“
„Damit sie wieder abhaut und sich mit irgendwelchem Abfall den Magen verdirbt?“, fragte Tante Abigail.
„Schade, schade, jammerschade“, piepste Lady Madonna.
„Lass sie doch mitkommen“, sagte Violet. „Dieses Mal ist sie bestimmt brav.“
„Schalalalala?“ Lady Madonna schielte mit schief gelegtem Kopf durchs Gitter.
Tante Abigail zuckte mit den Schultern. „Vielleicht. Aber nur, wenn du bis morgen Mittag den Schnabel hältst, Madonna.“
„Oje!“ Violet seufzte. „Das schafft sie doch nie.“
Aber Lady Madonna verstummte tatsächlich und gab keinen Pieps mehr von sich, während sich die Schale vor Tante Abigail und Violet mit den winzigen grün-pinken Blumensträußen füllte, die die beiden bastelten.
„Was wollte denn dieser Junge von dir, der dich am Mittwoch abgeholt hat?“, erkundigte sich Tante Abigail.
Gut, dass ihre Tante den Blick auf die Blumen gesenkt hatte, dadurch sah sie nicht, wie Violets Gesicht zu glühen begann.
„Du meinst Jordan?“
Tante Abigail nickte.
„Er wollte mich für heute zum Bowlen einladen. Aber das geht nicht. Ich bin ja bei Jack und Zack auf der Party.“
„Ach so.“
„Ich mach einen Glückspunsch für die beiden“, erzählte Violet, um Tante Abigail von Jordan abzulenken.
Tante Abigail spürte besser als irgendein anderer Erwachsener auf der Welt, was in Violet vorging. Und im Moment wollte Violet nicht, dass irgendjemand wusste, was in ihr vorging, wenn sie an Jordans schokoladenbraune Augen dachte.
Zu ihrer Erleichterung biss Tante Abigail sofort an. „Einen Glückspunsch? Was kommt da denn rein?“
„Lauter leckere Sachen: Honigmelonen, Apfelsaft, Himbeersirup und Malventee.“
„Das klingt fantastisch! Den musst du für mich auch mal machen. Wer kommt denn alles zu der Party?“
„Die ganze Fußballmannschaft von Rivenhoe.“ Jordan erwähnte Violet vorsichtshalber nicht. „Die haben gleich noch Training. Währenddessen bereiten Zack und ich den Punsch vor …“
Weiter kam sie nicht. Über ihnen begann Lady Madonna wie eine Verrückte mit den Flügeln zu schlagen, sodass der Käfig ins Schwanken geriet und wild hin und her schaukelte.
„Hände weg vom Punsch!“, zwitscherte sie laut. „Rivenhoe, weiter so!“
„Was ist denn jetzt los?“ Violet blickte besorgt zu Lady Madonna.
Tante Abigail stand auf, öffnete die Käfigtür und holte den türkisfarbenen Wellensittich heraus, der vor Aufregung zitterte.
„Ganz ruhig“, sagte sie leise. „Ist ja alles gut.“
„Hände weg vom Punsch!“, piepste Madonna noch einmal, während sie ihr Köpfchen an Tante Abigails grüner Bluse rieb.
„Was hat sie bloß?“, fragte Violet.
Tante Abigail zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Vielleicht war das in letzter Zeit einfach zu viel Aufregung für sie. Diese Fußballspiele nehmen sie furchtbar mit.“
„Schalalalala?“, flötete Lady Madonna kaum hörbar.
„Natürlich nehm ich dich mit zum Endspiel, Madonna“, beruhigte sie Tante Abigail. „Was wären wir denn ohne dich?“