4

»Doch genug davon«, sagt Titania dann, ihr Ton auf einmal fast scharf, »auf Oberon werden wir schon noch zurückkommen. Doch es geht heute auch um Walpurgis, nicht wahr, denn unsere Geschichte hat zu einem Walpurgis begonnen. Ihr wollt also mehr über meine Knospen hören?«

»Ja! Deine Knospen!«

Sie nickt und schreitet langsam wieder in die Mitte der Bühne.

»Noch ist es kalt, bald wird es zu heiß werden. Noch erzählen wir nur von Walpurgis, spielen es nach auf den Brettern des Theaters, bald werden wir es wieder leben. Zu keinem anderen Fest habe ich so viel zu tun. Ich stehe früh auf, um in den großen Treibhäusern meine jährliche und wichtigste Ernte einzubringen.«

»Zeig sie uns, zeig sie uns!«, ruft die Menge. »Öffne die Türen!«

Titania schüttelt den Kopf.

»Nicht dieses und nicht nächstes Jahr und auch nicht übernächstes. Nicht zu Imbolk und auch nicht zu Walpurgis selbst. Nicht euch und auch nicht anderen Gästen. Das Schloss mag euch heute einlassen, doch die Treibhäuser bleiben allen außer mir verschlossen, das wisst ihr nur zu gut.

Stellt euch stattdessen einen weitläufigen Hof vor, von Stacheldrahtzäunen umgrenzt, darin die Glashäuser. Die Scheiben milchig, man erkennt kaum mehr als Schatten dahinter. Wenn ich jedoch eintrete, trete ich in feuchte Luft, bin umgeben von großen Pflanzen mit langen Stielen, Blättern, die sich in die schmalen Wege zwischen den Beeten drängen. Ganz anders als alles, was sonst in Anemos wächst: ausladender, bunter, saftiger.

An anderen Tagen würde ich die Pflanzen kontrollieren, die Feuchtigkeit der Erde, über die Blätter streichen, hier und dort etwas wegschneiden, neue Triebe suchen. Auch heute streichle ich Blütenblätter groß wie Badewannen, staube sie ab, wiege manche Früchte in den Händen, klopfe an ihnen, sind sie schon reif?

Und dann ziehe ich eine der Pflanzen zu mir, bis die feste Blütenknospe vor meinem Gesicht zittert und auf und ab wippt. Ich löse die Gartenschere von meinem Gürtel, klemme den Stängel zwischen die Klingen, und mit einem einzigen Schnitt habe ich die Knospe vom Stängel abgetrennt. Sie fällt in die bereits wartende Hand, und ich lege sie in den Korb, den ich mit mir trage.

Die Pflanze richtet sich wieder auf, schaudert.

Vor Walpurgis müssen jedes Jahr viele Knospen von ihren Stängeln getrennt werden, die Klingen meiner Schere schnappen immer und immer wieder zu, das Geräusch ist kratzend und scharf. Ich schlage Wunden, die bald verheilen werden, denn ich mache meine Arbeit gut, und es ist Erntetag.«

»Titanias Korb füllt sich, als wäre das nichts«, singt der Chor, »als wäre nicht jede Knospe so unglaublich viel wert, als häufte sie nicht Reichtum in diesem Korb an. Sie trägt ihn, als wäre dieser Reichtum leicht, leicht zu ernten, leicht zu verteilen.

Denn zu Walpurgis wollen wir berühren und berühren lassen. Wir wollen eindringen und eindringen lassen. Es ist ein Geschenk, dass wir diese Pflanzen gefunden haben, dass Titania uns diese Pflanzen gebracht hat, die alle Grenzen überschreiten können, tief in uns greifen, und sich dennoch nur dann auffalten, wenn wir zu ihnen Ja sagen und sie zu uns auch.«

»Diese Blüten«, sagt Titania, und sie zeigt die schwarze Knospe, die sie aus der Rocktasche geholt hat und die nun auf ihrer Handfläche liegt, »bedeuten Walpurgis, mehr als alles andere in Anemos.«

Das Publikum jubelt, schreit, streckt Titania die offenen Hände entgegen: »Schenk sie uns doch, wirf sie uns zu!«

»Und doch werden nur wenige eine Knospe erhalten«, antwortet der Chor und die Menge verstummt, »denn nur wenige können sie sich leisten. Die meisten von uns werden sie nie berühren.«

»Ach, von Blütenblättern umherzt zu werden«, ruft eine Stimme. »Nur ein Viertelstündchen lang!«

»Hast du genug zum Tauschen?«, fragt eine andere. »So siehst du mir nicht aus.«

»Ich habe jede Einzelne von ihnen mühsam aufgezogen«, sagt Titania, »denn sie ähneln in nichts den kleinen Windröschen, wollen im Gegensatz zu diesen hier nicht sprießen, vertragen kaum Bodengifte. Mal ist ihnen zu heiß, dann wieder zu kalt, Anemos’ Winde sind ihnen immer zu scharf. Ihre Knospen sind widerstandsfähig, sobald sie sich an uns schmiegen und sich von uns nähren, aber davor brauchen sie umso mehr Pflege. Und dann gebe ich sie eine nach der anderen her.«