Um halb sechs trafen sie sich wie verabredet auf der Piazza. Von dort aus brauchten sie eine Stunde bis zu jenem Laden, wo seit Samstagnachmittag ein Großteil der Vorräte und Werkzeuge abgestellt war.

Der Vorarbeiter Fiore war um die fünfzig. Er war klein gewachsen, stämmig mit einem grauen Bürstenhaarschnitt und alles andere als umgänglich, was man ihm angesichts seiner Erfahrung und zuverlässigen Arbeitsweise allerdings verzieh.

Francesco, der nur wenig älter war, wirkte geradezu alt. Er war nicht immer Holzfäller, sondern auch fliegender Händler, Koch, Fuhrmann und Handwerker gewesen. Als Arbeiter taugte er nicht viel, doch sein unerschöpflicher Schatz an Erzählungen und Geschichten machte die langen Winterabende und Regentage, wenn die Holzfäller gezwungen sind, untätig in der Hütte zu bleiben, erträglicher.

Amedeo, Guglielmos Altersgenosse, war außerdem sein Cousin. Er hatte weder besondere Eigenschaften noch Merkmale. Und Germano war mit seinen knapp zwanzig Jahren bei Weitem der Jüngste der Mannschaft.

Der Bus brachte sie in zwei Stunden nach Massa. Dort hätte ein Lastenkarren bereitstehen sollen; weil

Um sein Versäumnis wiedergutzumachen, lud der Bauer Guglielmo und seine Männer zum Abendessen ein. Er war aus dem Norden und schien viel von sich und seiner Funktion zu halten. Er meinte, er verstehe sich mit dem aufgeschlossenen Gutsverwalter bestens, es seien die ignoranten und konservativen Bauern, die die Reformen nicht umsetzen wollten.

Die Männer legten sich bald schlafen, man hatte sie auf einem kleinen Heuboden neben dem Stall untergebracht. Germano blieb, gebannt von einer jungen Bäuerin, länger auf. Morgens um fünf musste Guglielmo geradezu an ihm rütteln, um ihn wach zu kriegen. Brummend und das Schicksal verfluchend, das ihn als Holzfäller hatte auf die Welt kommen lassen, stand der junge Mann auf und sammelte seine Siebensachen ein.

Auch Guglielmo war schlecht gelaunt. Er hatte wenig geschlafen, sein Kopf fühlte sich schwer an, die Knochen bleiern.

Schließlich marschierten sie los. Eine Weile erklangen die Hufe der Maultiere auf dem Pflaster. Dann wurden sie vom erdigen Grund der Straße abgedämpft.

Germano bildete den Abschluss des Zuges. Er lief mit den Händen in den Hosentaschen, den Kopf ließ er zwischen den Schultern hängen; obwohl es kalt war, blieb die im Schlaf angesammelte Wärme in seinem Körper. Wie aufgezogen ging er die Straße lang, und als sie eine Abkürzung nahmen, stolperte er zwei, drei Mal über einen Stein und stürzte beinahe. Er nahm sich vor, ein wenig besser aufzupassen, doch als sie wieder auf der Straße waren, fiel er erneut in einen Dämmerzustand.

Vorne liefen sie ebenfalls still nebeneinander her.

Es wurde langsam hell. Die Straße folgte dem gewundenen Verlauf eines Grabens. Wuchernde Brombeersträucher, dürre Büsche und vereinzelte Bäumchen wuchsen am Rand. Auf beiden Seiten des Grabens erstreckten sich zunächst Maisfelder; dahinter stieg das Gelände steil an und wurde lehmig und rutschig. Die wenigen zerstreuten Häuser auf den umliegenden Anhöhen schienen unbewohnt.

Das Grüppchen setzte seinen Marsch schweigend fort. Im Osten, über der Hügellinie, begann der Himmel aufzuhellen.

»Der Tag bricht an«, stellte Amedeo fest.

»Besser Holzfäller«, sagte Amedeo, »als Bauer …«

»Und besser als Gutsbesitzer«, spöttelte Germano hinter ihm.

»Ich meine: Wenigstens kommt man ein wenig herum.«

»Ich bin genug herumgekommen«, begann Francesco, »zu meinen Zeiten als fliegender Händler. Zwischen Massa und Volterra gibt es kein Dorf, das ich nicht gesehen habe. Ich war auch an den großen Märkten in Florenz, Siena …«

Den leichten Anstieg nahmen sie kaum wahr. Sie liefen zügig, plauderten und rauchten; gern wären sie ewig diesem wahrlich endlos erscheinenden Weg gefolgt. Hinter jeder Kurve fanden sie eine neue, schnurgerade Strecke in einer unveränderten Landschaft vor: Immer dieselben flachen Felder und kargen Hügel auf beiden Seiten des Grabens, die die Sicht links und rechts bald versperrten.

»Ist die Müdigkeit verflogen?«, fragte Guglielmo Germano.

»Du hattest es gut gestern Abend, nicht wahr? Mit diesem Mädchen«, meinte Amedeo.

Germanos Miene verfinsterte sich.

»So eine Schnepfe«, sagte er schließlich. »Ich wollte, dass sie mit nach draußen kommt, doch sie wollte es nicht verstehen.«

»Oder sie tat nur so«, sagte Amedeo.

»Dann wärst du besser mit uns schlafen gekommen«, meinte Guglielmo.

»Hörst du, da unten?«, meinte Germano. »Rebhühner!«

Man konnte die typischen Rufe vernehmen. Sie mussten sich schon auf die morgendliche Futtersuche begeben haben. Mit dem Graben, den Kornfeldern, dem Gebüsch und den Steilhängen war das Gelände für diese Art Wild ideal. Der junge Mann, der nicht nur den Frauen leidenschaftlich gern hinterherjagte, war Feuer und Flamme.

»Hätte ich mein Gewehr dabei, würde ich einen kurzen Abstecher machen und mit dem Mittagessen zurückkehren«, sagte er und zeigte auf die mit Gestrüpp bewachsenen Steilhänge zur Linken.

»Das dürftest du gar nicht, hier ist Schutzgebiet«, sagte Amedeo.

»Wenn ich ein Gewehr hätte, würden wir schon sehen, was ich von den Schildern halte«, entgegnete Germano.

Der plötzliche Richtungswechsel des Maultiertreibers setzte ihren Gesprächen ein Ende. Sie

»Wo soll’s in dieser Gegend bitte Wälder geben?«, brummte er gereizt. »Hier wächst nicht einmal ein Grashalm.«

Die kurz zuvor heiteren und sogar fröhlichen Gesichter waren wieder verschlossen, beinahe finster.

Die Steigung ließ allmählich nach, und der Blick weitete sich. Langsam verschwand der Lehm. Hinter den letzten Hügelkuppen erhob sich, wenn auch noch am weiten Horizont, eine breite, schwarze Pyramide.

Sie machten in einem kleinen Tal Rast, um zu frühstücken. Das Essen, der Wein und die kleine Rauchpause belebten die Truppe wieder. Nur Germano hielt aus Prinzip an seiner schlechten Laune fest.

»Sieht’s in der ganzen Maremma so aus?«, fragte er. »Man läuft und läuft, trifft keine Menschenseele und landet nie irgendwo.«

Amedeo musste lachen:

»Wo würdest du denn gern landen?«

»Und dieses Massa«, fuhr Germano fort, ohne ihn zu beachten. »Ich höre immer Massa, Massa, allerdings ist Pomarance im Vergleich dazu ein Juwel.«

Germano war Lokalpatriot. Er fühlte sich

Guglielmo erhob sich als Erster wieder. Langsam machte sich jenes Gefühl in ihm breit, das zuerst von der Finsternis und dann der Erschöpfung unterdrückt worden war: der Wunsch, zum Holzschlag zu gelangen, ihn in Besitz zu nehmen und mit der Arbeit zu beginnen. Die Vorstellung, dass sie die ersten beiden Tage mit dem Bau der Hütte verbringen würden, betrübte ihn. Er hatte die Idee verworfen, eine bereits existierende Hütte am gegenüberliegenden Hang zu nutzen, weil sie durch den langen Arbeitsweg noch viel mehr Zeit verloren hätten. Während sie den letzten Hügel erklommen, durchfuhr ihn der Gedanke, dass sie ohne den Zeitverlust beim Hof schon am Abend zuvor hätten ankommen können. Als er vom Gipfel aus am Horizont die Sonne in ihrer ganzen Pracht hinter verquollenen, zerklüfteten Wolken aufgehen sah, ergriff ihn ein regelrechter Drang, loszurennen, etwas zu tun, die verlorene Zeit wieder wettzumachen.

Es wuchsen immer mehr Büsche und Sträucher am Abhang.

»Ist es noch weit?«, fragte Germano.

»Siehst du das, dort oben?«, meinte Guglielmo und blieb kurz stehen, um auf einen Punkt am bewaldeten Grat zu zeigen. »Wo die drei großen Bäume stehen?

»Na toll! Das dauert bestimmt noch zwei Stunden.«

In Wahrheit brauchten sie längst nicht so lange. Nachdem sie den Bach in der Talmulde überquert hatten, fing ein fast ununterbrochener und teils schroffer Anstieg an, der sie in einer Dreiviertelstunde zu den drei allein stehenden Bäumen führte, wo der Schlag begann.

Die am Horizont nun aufgestiegene Sonne erfüllte das Tal mit Licht, unten floss der Sellate. Nebelschwaden lagen über dem Bach; die Luft war verhangen und strahlend zugleich. Guglielmo atmete tief ein; er spürte, wie Kraft und Wohlbehagen seine Brust erfüllten. Er betrachtete den Schlag mit wohlverdientem Stolz. Schließlich löste er den Blick und sagte zu Fiore gewandt:

»Hier, auf der linken Seite, reicht er bis zum Pfad, außer an den beiden Stellen, wo er abknickt. Auf der rechten hält man sich an den anderen Schlag; dann gibt es eine Felsspalte, die immer breiter wird und bis zum Bach hinunterführt. Stell dich hier zu mir hin, dann siehst du es besser.« Er schwenkte die Arme, um Fiore die genaue Grenze des Holzschlags zu zeigen. »Wie du siehst, ist der beste Teil dieser da oben. Unten wächst wie üblich auch kleines Zeug, und direkt über dem Bach lässt es sich nur schwer arbeiten. Doch drei Hektar Pinienwald und viereinhalb Niederwald, fast alles gute Qualität, zum Preis, den du kennst« – er hatte nur Fiore den Preis genannt –, »das

Mit dem Wort Niederwald bezeichnen Holzfäller einen Wald unter zwanzig Jahren, der für gewöhnlich nicht über sieben oder acht Meter hoch ist. Von guter Qualität sind der Erdbeerbaum, die Steineiche, Eiche und Zerreiche; von schlechter die Hainbuche, Esche und Schmuckesche. Die gute Qualität gibt, wie es der Name besagt, eine gute Kohle her. Die Pinie fällt man ab fünfundzwanzig, dreißig Jahren, wenn sie acht, zehn oder fünfzehn Meter hoch ist, daraus wird Bau- oder Grubenholz.

Die Holzfäller hörten Guglielmos Ausführungen aufmerksam zu, obwohl die Qualität des Kaufs für sie nicht von Bedeutung war, da sie keinen Anteil am Umsatz hatten. Nur Germano zeigte sich demonstrativ gleichgültig. Er hatte sich etwas abseits hingesetzt und dem Schlag den Rücken zugekehrt, sich eine Zigarette angesteckt und schien einzig damit beschäftigt, zu rauchen.

»Arbeit hat es genug«, meinte Amedeo, da Fiore keine Anstalten machte, einen Kommentar abzugeben.

»Für fünf Monate, mindestens«, stimmte ihm Guglielmo zu.

»Auf den ersten Blick hätte ich gesagt, es ist ein Schlag von vierzig Jahren«, meinte Francesco über den Pinienwald.

»Er wird sich gut abholzen lassen«, sagte Amedeo. »Zumindest hier oben.«

Die wohlwollenden Einschätzungen Amedeos und

»Na?«, fragte Guglielmo. »Was meinst du, Fiore?«

»Es ist ein gutes Geschäft. Zumindest scheint es so.«

Nach diesem lakonischen und nicht allzu bemühten Urteil marschierte Fiore als Erster los und folgte dem Weg, der das Waldstück auf der linken Seite begrenzte.

»Wie? Es geht noch weiter?«, meinte Germano hinter ihm.

Niemand gab auf ihn acht. Vorne trabte Fiore; der Treiber passte bei diesem steilen Hang auf seine Tiere auf. Guglielmo unterhielt sich mit Francesco und Amedeo, ab und an blieben sie stehen, um sich eine Sache näher anzusehen.

Der Weg wurde schroffer und war mit dichtem Gestrüpp überwachsen. Auch wenn er sich umdrehte, konnte Fiore die anderen nicht mehr sehen, doch er hörte nach wie vor ihre Stimmen. Schließlich gelangte er auf einem breiten, von Felsbrocken übersäten Bachbett wieder ins Freie. In der Mitte floss nicht mehr als ein Rinnsal.

Von dort aus erklommen sie den gegenüberliegenden Hang bis zur Hütte, die sie die ersten Tage beherbergen würde. Sie luden das Werkzeug, den Kochkessel, die Vorräte und Decken ab und schickten die Maultiere zurück. Francesco machte sich als Koch

Guglielmo war erschöpft und setzte sich vor die Hütte. Die andere Seite lag vollständig im Schatten. Der Holzschlag hatte die Form eines gleichschenkligen Dreiecks: Der Bach bildete die Grundlinie, die drei allein stehenden Bäume die Spitze. Er betrachtete ihn mal als Ganzes, mal fuhr er mit den Augen an den Rändern und dem Weg entlang, von unten nach oben, korrigierte im Kopf die Einschnitte und ging am Schlag entlang wieder hinunter und rüber auf die andere Seite zur Kluft, der er mit dem Blick bis zu dem Punkt folgte, an dem sie über den Bach ragte. Alles stimmte ihn fröhlich, der dunkle Fleck der Steineichen genauso wie das strichförmige Weiß der Buchen und Eschen oder das leuchtende Grün der Pinien, und auch die rötliche Spur des Pfads oder der bläuliche Streifen der Spalte.

Dann, mit einem Mal, verfinsterten sich alle Farben und gingen ineinander über. Alle Freude verließ Guglielmo. Er verharrte ein paar weitere Minuten vor