Kapitel Drei
* * * * *
Adam
Meine harte Schale bekam allmählich Risse. Nervös blickte ich mich in der düsteren Zelle um. Sie hatte eindeutig bessere Tage erlebt, doch das spielte keine Rolle mehr. Innerhalb von nur achtundvierzig Stunden war ich zum zweiten Mal in Gefangenschaft geraten und mit hoher Wahrscheinlichkeit drohte mir hier nun der Tod.
Beim ersten Mal war ich der Supervisor Forces von Elverston in die Hände gefallen. Eine Tatsache, die meine Wut anstachelte, denn ich hätte besser aufpassen müssen. Die mechanischen Monster kannten kein Gewissen und waren nicht zimperlich mit mir umgegangen. Für sie gab es nur eine Priorität: den erteilten Befehl auszuführen. Ob dabei jemand zu Schaden kam, war zweitrangig. Sie unterstanden einzig und allein dem Justizrat der Stadt. Der wiederum bestand aus den obersten Befehlshabern und Speichelleckern. Fällte er ein Todesurteil, dann bedeutete das ein langsames und schmerzvolles Ableben.
Kaum hatte ich mich mit meinem Schicksal abgefunden, wurde ich von den Rebellen befreit, nur um gleich darauf von ihnen erneut in Fesseln gelegt zu werden. Vielleicht würde ich überleben, vielleicht auch nicht. Wenn ich wenigstens wüsste, was sie vorhatten. Ich tappte jedoch völlig im Dunkeln, was meinen angestauten Zorn umso mehr anheizte.
Zumindest hatte ich nicht gelogen, als ich behauptete, die Supervisors würden uns nach Withergate eskortieren, wenngleich ich nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte. Was uns dort erwartete, hatte ich wohlwissend verschwiegen. Der Ort war sogar den Bürgern Elverston unbekannt. Ich wusste nur davon,
weil der Justizrat es mir bei meiner Verurteilung genüsslich unter die Nase gerieben hatte.
Verzweifelt seufzte ich auf und hoffte, dass die Gefangennahme durch die Black Devils
ein glückliches Ende finden würde. Ich war erst siebenundzwanzig und hatte nicht vor, dem Sensenmann bereits jetzt zu begegnen. Bislang stand jedoch alles auf der Kippe und genau das ließ meine Nervosität wachsen.
Vorsichtig setzte ich mich auf das verrostete Bettgestell. Da es verräterisch unter meinem Gewicht ächzte, entschied ich mich doch für den kalten Boden und starrte durch die Gitterstäbe in den Gang hinaus. Offensichtlich hatte der Typ namens Daiven keine Wache für uns abgestellt. Ob das ein positives oder negatives Zeichen war, würde sich bald zeigen.
»Adam?«, hörte ich Lizzys verängstigte Stimme zu mir herüberhallen. Sie saß in der Zelle neben mir und durch die Gitterstäbe sah ich sie am ganzen Körper zittern.
»Du musst dich nicht fürchten«, versuchte ich sie zu beruhigen.
»Aber George ... George ist tot«, jammerte sie.
»Ja und er ist selbst schuld. Er hat nichts anderes verdient. Das weißt du! Er war ein mieser Verräter! Wegen ihm hat doch der ganze Mist erst angefangen.« Ich rief mir sein überraschtes Gesicht ins Gedächtnis zurück, kurz bevor er erkannte, dass die Explosion nicht mehr aufzuhalten gewesen war. Doch Georges Schicksal interessierte mich nicht weiter.
Zähneknirschend ballte ich die Hände. Ungern erinnerte ich mich an den Tag, an dem mir Präsident Brent Lamont persönlich den Befehl für die Entwicklung der Sprengfallen erteilt hatte. Er hatte genug von dem schwindelerregenden Fortschritt der Rebellen, die laut seinen Worten tagtäglich der Grenze immer näher kamen. Das musste ein Ende haben. Aus diesem Grund fühlte ich mich für den Tod der
anderen im Wald mitverantwortlich. Darüber hinaus bereitete mir ein weiterer Punkt große Sorgen. Bislang waren nur die Militärroboter im Grenzgebiet damit ausgestattet worden. Sollte sich Lamont in die Ecke gedrängt fühlen, würde er gewiss keine Sekunde zögern, um diesen Mechanismus auch bei den Maschinen innerhalb Elverstons anzuwenden. Eine Vorstellung, die mir Bauchschmerzen verursachte. Womöglich war die Gefangennahme durch die Rebellen dennoch ein Glücksfall, denn ihnen standen die Mittel zur Verfügung, den letzten Schritt zu verhindern. Ich musste es nur geschickt anstellen, um Kommandant Callahan davon zu überzeugen in meinem Sinne zu handeln. Eine weitere Option stand mir derzeit nicht offen.
»Sie werden uns töten, oder Adam?« Lizzys Schluchzen riss mich aus meinen Überlegungen.
Ich seufzte, denn ich kannte die Antwort nicht, trotzdem versuchte ich, sie zu trösten: »Lebend sind wir für sie wertvoller als tot. Vor allem, weil sie keine Ahnung haben, wer wir sind.«
»Das werden sie schon aus uns herausprügeln. Ich habe genug von ihren Methoden gehört, um das sagen zu können«, antwortete Kyle eine Zelle weiter mit resigniertem Tonfall.
Gereizt stand ich auf und lief hektisch in der kleinen Zelle im Kreis. »Das sind doch nur Spekulationen und Gerüchte ... mehr nicht! Ich wiederhole es gerne noch einmal. Die Rebellen schlagen keinen Vorteil daraus, wenn sie uns töten. Wir dagegen bekommen die Möglichkeit ihnen zu sagen, was in der Stadt passiert war. Ich denke, sie haben überhaupt keine Ahnung. Dennoch trotzen sie Elverston schon ewig. Deswegen wurden doch die verdammten Sprengfallen eingesetzt. Wenigstens gibt es einen Lichtblick. Jetzt, da ich Timbermore Point gesehen habe, bin ich sicher, ihre Truppenstärke reicht aus, um das Schlimmste zu verhindern. Wir müssen ihnen nur sagen, wie sie sie ausschalten können.«
»Inwieweit soll uns das helfen?«, erkundigte sich Kyle. »Wir wurden von ihnen zwar vor Withergate gerettet, aber sie sind noch immer unsere Feinde und wir ihre Gefangenen. Sie glauben uns doch kein Wort.«
»Feinde ... ja. Wir müssen eben überzeugend sein. Die Lage ist ernst und ...« In Gedanken fiel mir ein nur allzubekanntes Sprichwort ein: Der Feind meines Feindes ist mein Freund.
»Haltet gefälligst die Klappe!«, bellte Mike, der in der ersten Zelle saß. »Vielleicht sind hier nur deshalb keine Wachen, weil sie uns auf anderem Weg im Auge behalten. Wir müssen uns mit der Situation abfinden und uns darauf konzentrieren zu überleben. Auf nichts anderes kommt es an und hört mit eurem sinnlosen Geschwätz endlich auf.«
Widerwillig gab ich ihm Recht. Mit bleiernen Beinen setzte ich mich erneut auf den Boden und zog die Knie an. Punkt für Punkt ließ ich das Gesagte Revue passieren. Obwohl ich als einziger von uns zum damaligen Entwicklerteam der Sprengfallen gehörte, war ich unbemerkt dem Widerstand beigetreten. Dieser hatte es sich zur Aufgabe gesetzt, die Supervisors heimlich zu manipulieren, damit sie nicht explodierten. Gerade als wir damit anfingen, hatte uns unser Anführer George, um den eigenen verräterischen Hintern zu retten, an den Justizrat verpfiffen. Ihm allein hatte ich meine Verhaftung durch die Supervisor Forces überhaupt zu verdanken. Sein Tod war die gerechte Strafe für seinen Verrat. Durch seine Schuld saßen wir in dieser ausweglosen Situation fest und mussten vorsichtig vorgehen. Ich konnte von mir behaupten, dass ich alles versuchen würde, aber galt das auch für meine Mitstreiter? Kyle und Mike würden vielleicht eine Weile durchhalten. Lizzy, sowie Josh, der bislang geschwiegen hatte, starben vermutlich als Erste. Der Rest war bereits im Wald draufgegangen.
Die Erinnerungen an den unglücklichen Unfall kehrten mit geballter Wucht zurück. Mein Gewissen, das ich bis eben tapfer niedergerungen hatte, regte sich. An diesem trostlosen Ort und mit der Aussicht, den nächsten Tag womöglich nicht zu überleben, wurde ich regelrecht von Gewissensbissen überrollt. Erfolglos versuchte ich mir einzureden, dass es ein Unfall war und es nicht in meiner Macht gelegen hatte, es zu verhindern.
Ich schluckte schwer. Egal wie weit ich das Geschehene auch von mir schob, ich fühlte mich verantwortlich. Nach außen hin gab ich mich unantastbar und stark, in meinem Inneren nagten unaufhörlich Schuldgefühle an mir. Die Angst vor der Ungewissheit jagte mir zusätzlich einen eiskalten Schauder über den Rücken. Ich fing an zu zittern und mir wurde schwarz vor Augen. Ein flaues Gefühl erfasste meine Magengegend. Nicht mehr lange und ich würde mich übergeben.
Ich allein trug die Schuld an ihrem Tod. Ich hätte schneller reagieren müssen, als ich bemerkte, dass die Sprengfalle sich scharf stellte. Das hätte nicht passieren dürfen. Ich hatte sie extra mit einer fünfminütigen Zeitverzögerung programmiert. Warum war sie trotzdem explodiert? Und warum hatte ich bis zum letzten Augenblick geschwiegen? Weshalb hatte ich es überhaupt soweit kommen lassen? Von Anfang an hätte ich mich Lamonts Befehl widersetzen müssen.
»Ich bin nicht viel besser als er. Ich bin genauso ein Mörder«, flüsterte ich und vergrub den Kopf zwischen den Knien.
Gallenflüssigkeit stieg mir die Kehle hoch, während sich eine Träne aus meinem Augenwinkel löste. Im Geiste blickte ich in die überraschten Gesichter der Toten, die ich durch meine eigene überhastete Flucht vor der Detonation im Stich gelassen hatte. Sie klagten mich an. Sie hatten mir ihr Vertrauen geschenkt und gehofft, dass ich das Richtige tat und ich hatte sie sterben lassen. Nur zu deutlich sah ich die versprengten und blutigen Körperteile vor mir auf dem Waldboden liegen.
Zusammengekauert lag ich in der Zelle und zitterte wie Espenlaub. Seit langem fühlte ich mich wieder wie der kleine Junge, der in seinem Zimmer hilflos darauf wartete, dass der Vater nach Hause kam, um ihn mit einer ordentlichen Tracht Prügel für seine wiederholte Aufmüpfigkeit zu bestrafen. Obwohl er doch nichts anderes getan hatte, als die Wahrheit zu erkennen. Das Adrenalin, das mir bis eben eine gewisse Stärke verlieh, verlor seine Wirkung. Die Furcht nahm von mir Besitz und ich wünschte mir verzweifelt, die Zeit zurückdrehen zu können. Aber das war nicht möglich. Keine Technik der Welt würde meine Fehler ausmerzen. Vielleicht war es doch nicht die schlechteste Option, wenn die Rebellen schon bald das vollendeten, was Lamonts Handlanger vor zwei Tagen begonnen hatten.
* * *
Nervös blickte ich auf die ledernen Hand- und Fußfesseln, die mich auf dem Stuhl festhielten und mir keinerlei Bewegungsspielraum boten. Über meinem Kopf brannte eine Neonlampe. Die Wache an der Tür starrte beharrlich über mich hinweg, während ich hartnäckig versuchte, keine Gefühlsregungen zu zeigen. Solch ein Ort war mir bestens bekannt.
Der Raum, in den ich gebracht worden war, erinnerte mich an das Labor zu Hause. Anders als die Gefängniszellen im Keller war alles in Weiß gehalten. Die technische Einrichtung vermittelte den Eindruck, als wäre sie auf dem neusten Stand. Ich entdeckte mehrere Hochleistungscomputer und die Überreste eines auseinandergenommenen Supervisors auf einem Labortisch. Hinzu kamen die üblichen verschiedenen Schnittstellen und Kabelverbindungen, um die Programmierung
des Roboters zu testen und entsprechende Befehle zu übermitteln und auszuwerten. In einer Ecke stapelten sich veraltete Bauteile, auf der anderen Seite technische Gerätschaften.
Ich war zwar mit den Dingen vertraut, konnte mir jedoch nicht vorstellen, was die Rebellen mit mir vorhatten. Ich war ein Mensch und kein Roboter, mich konnten sie nicht einfach auseinandernehmen. Die Unwissenheit brachte meinen Herzschlag in Aufruhr. Meine Nervosität wuchs, sowie die Angst vor meinem möglichen Tod.
Gerade als ich glaubte, die Furcht einigermaßen im Griff zu haben, öffnete sich die Tür. Zwei Männer und eine blonde Frau traten ein. Die abgestellte Wache salutierte, dann verschwand sie eilig nach draußen.
Der hochgewachsene und muskulöse Mann, dessen Faust ich bei der Ankunft kennenlernen durfte, kam mit langsamen Schritten auf mich zu. Seine kalten Augen ruhten gehässig auf mir. Dann verzogen sich seine Mundwinkel mit einem Mal zu einem herablassenden Grinsen. »Verzeihung, ich habe mich vorhin nicht richtig vorgestellt. Ich bin Ray Callahan. Oberkommandant der Black Devils
«, sprach er mit tiefer Stimme.
Unweigerlich verkrampfte ich mich. Ich hatte seinen schmerzhaften Willkommensgruß nicht vergessen. Zugleich erinnerte ich mich an die zahlreichen Gerüchte, die dem Mann vorauseilten. Vorausgesetzt sie entsprachen der Wahrheit, war er mindestens so unbarmherzig und verabscheuungswürdig wie Lamont.
»Plötzlich so höflich«, zischte ich angriffslustig. Aggressivität war schon seit Langem meine Art, mich zu schützen, und zudem das Einzige, das mein Vater mir nicht hatte nehmen können.
»Wie du willst. Lassen wir die Freundlichkeiten und fangen sofort an. Sophie. Nash.« Callahan tauschte mit der Frau einen
wissenden Blick aus, die daraufhin in den hinteren Teil des Raumes eilte. Der zweite Mann folgte ihr und ich erkannte ihn als Pilot des Pyrobirds wieder.
Unruhig beobachtete ich das Geschehen. Die Blondine hielt auf eine Apparatur zu, die sich auf Rollen befand. Nash half ihr das schwere Gerät fortzubewegen und neben mir zu positionieren. Überrascht stellte ich fest, um was es sich handelte. Es war ein Apex. Die Höllenmaschine, die einzig zu dem Zweck erschaffen worden war, Gedanken und Gefühle eines Menschen zu analysieren und an eine andere Person zu übermitteln. Nichts und niemand war in der Lage den Apex zu überlisten, außer man wusste, wo dessen Schwachstelle lag.
Mir war das Prinzip der Maschine durchaus bekannt und genau das nährte meine Furcht. Meine Kehle wurde trocken. Ich verspürte eine Gänsehaut, während mein Puls in ungeahnte Höhen schnellte.
»Kennst du schon unser Folterinstrument? Ich nenne es den Wahrheitsfinder.« Die Finger des Oberkommandanten fuhren liebevoll über das Gehäuse, als würde er eine Katze streicheln.
Fieberhaft überlegte ich, wie ich die Befragung manipulieren könnte und diese gleichzeitig heil überstand. In fünfzig Prozent aller Fälle wurde das Gehirn so massiv geschädigt, dass der Proband in ein tiefes Koma fiel und binnen weniger Stunden verstarb. Diejenigen, die überlebten, waren danach nicht mehr dieselben.
Ich erwischte mich bei dem Gedanken, dass ich jede körperliche Folter der Höllenmaschine vorgezogen hätte. Darauf hatte ich mich auch eingestellt. Der Apex veränderte alles. Beklommen sann ich über die neue Situation nach. Mein ursprünglich ausgearbeiteter Plan, der mich bis eben noch zuversichtlich gestimmt hatte, war wie eine Seifenblase zerplatzt. Jetzt betrachtete ich die Situation in einem neuen Licht. Die Rebellen würden genug erfahren, bevor ich überhaupt
erst in der Lage wäre, ihnen meine Beweggründe zu erklären. Damit war mein Todesurteil unterschrieben.
Ich presste die Lippen fest aufeinander. Aufgewühlt kämpfte ich meine Furcht nieder und ließ zu, dass mein Zorn allmählich die Oberhand gewann. Ich starrte Callahan an, der hämisch grinsend vor mir auf- und abmarschierte. Wäre ich nicht zur Bewegungslosigkeit verdammt, hätte ich mich nur zu gerne auf ihn gestürzt, um ihm seine blasierte Visage einzuschlagen.
Die Frau fixierte meinen Kopf mit einem Ledergurt an der Kopfstütze. Anschließend klebte sie mir die Elektroden an und verband sie mit mehreren Kabeln. Wie ich wusste, hatte man Anfang des einundzwanzigsten Jahrhunderts ähnliche Geräte benutzt, um Gehirnströme zu messen. Das Gleiche tat sie mit Nash, der sich mir gegenüber auf einen Stuhl gesetzt hatte. Sein abfälliger Gesichtsausdruck sprach Bände. Er würde sich mit mir verbinden und sicherlich nicht zurückhaltend sein, sobald er in mein Gehirn eingedrungen war. Diese Vorstellung gefiel mir überhaupt nicht. Zumal ich das untrügliche Gefühl hatte, dass er das nicht zum ersten Mal tat.
Ich holte tief Luft und versuchte mich zu konzentrieren. Egal wie, es musste mir unter allen Umständen gelingen, den Apex auszutricksen. Das war die einzige Hoffnung, die mir blieb.
Während ich darüber nachdachte, wie mir es gelingen könnte, verspürte ich mit einem Mal einen glühenden stechenden Schmerz an der Schläfe. Die Blondine hatte mir die lange Nadel des hochempfindlichen Senders tief unter die Haut geschoben. Mit einem weiteren Kabel verband sie ihn mit dem Monitor und von dort aus mit Nash. Das bedeutete: Er fungierte als Steuermann, um meine Gedanken zu lenken und zu bündeln. Anschließend würde er sie auf den Bildschirm übertragen. So war Callahan in der Lage alles zu erfahren, was je in meinem Kopf gespeichert wurde. Er würde sein Ziel erreichen und mir meine tiefsten Geheimnisse entlocken.
»Ihr werdet von mir gar nichts erfahren! Im Gegenteil, ihr werdet es bereuen!«, knurrte ich, obwohl ich wusste, dass ich kaum etwas entgegenzusetzen hatte. Ich fühlte mich machtlos, wie schon seit Jahren nicht mehr.
Der Oberkommandant antwortete mit einem teuflischen Lachen.
Angewidert spie ich ihm vor die Füße. Nash beantwortete meine offensichtliche Abscheu mit einem heftigen Faustschlag gegen meinen Unterkiefer. Es folgte ein weiterer Schlag gegen das Nasenbein. Sofort brachte ein intensiver Schmerz meinen Schädel zum Pochen. Mein Kopf stand kurz vor einer Explosion, während ein qualvoller Schrei meiner Kehle entfloh. Tränen raubten mir die Sicht. Ein Blutrinnsal lief mir aus der Nase und benetzte meine Oberlippe. Höchstwahrscheinlich hatte er sie mir gebrochen.
»Du wirst mir alles verraten, was ich wissen will«, hallten die bissigen Worte des Piloten an mein Ohr.
»Das wirst du. Er ist der Beste«, bestätigte Callahan feixend.
Als ich endlich wieder etwas sehen konnte, hatte der Oberkommandant auf einem Stuhl neben seinem Handlanger Platz genommen. Er nickte der Frau auffordernd zu. In seinen hellen Augen spiegelte sich Kaltblütigkeit wider.
Die Blondine positionierte sich vor mich und hielt eine Spritze mit einer goldgelben Flüssigkeit in der Hand. »Wenn du dich wehrst, verschlimmern sich deine Schmerzen automatisch. Daher rate ich dir, entspann dich und du hast eine gute Chance zu überleben.«
»... sagt der Henker mit dem Beil, bevor er dem Todgeweihten den Kopf von den Schultern trennt«, erwiderte ich schneidend.
»Du hast Humor. Das gefällt mir.« Callahan grinste und klopfte Nash auf die Schulter. »Wenn du kannst, lass ihn am
Leben. Ich glaube, er würde sich fantastisch in unserer Truppe machen.«
»Ich gebe immer mein Bestes, Sir!« Nash lächelte spöttisch und wandte sich an die Frau: »Mum, ich bin bereit.«
Konsterniert über die neueste Information ballte ich grimmig die Hände zu Fäusten. Mein Groll war jetzt die einzige Barriere, die mich vor Nashs Eindringen in mein Gehirn bewahrte. Es war der einzige mir bekannte Abwehrmechanismus gegen den Apex. Allerdings war mir bestens bekannt, dass er mit drakonischen Schmerzen einherging. Niemand hatte ihnen bisher mehr als wenige Minuten getrotzt. Das wusste ich so genau, weil ich aufgrund von Lamonts Befehlen schon mehrfach unfreiwillig bei solchen Befragungen zugegen gewesen war.
Ohne Vorwarnung verspürte ich den brennenden Stich der Nadel in die Halsvene. Augenblicklich raste eine glutheiße Flüssigkeit durch meinen Körper. Sie breitete sich wie ein Flammeninferno in mir aus und schien alles auf ihrem Weg zu Asche zu verbrennen. Ich stieß einen kehligen Schrei aus. Binnen weniger Sekunden intensivierten sich die Schmerzen zu einer unvorstellbaren Qual. Zitternd klapperte ich mit den Zähnen und hatte das Gefühl, als würden abertausend Wespen in mein Fleisch stechen und mir ihr Gift in die Adern pumpen. Ein undurchdringlicher Schleier legte sich über meine Augen und nahm mir erneut die Sicht. Alles um mich herum wurde dunkel und ich hörte nur noch den eigenen hastigen Atem.
Verbissen kämpfte ich gegen die Schmerzen an, indem ich mich vehement auf meine Wut konzentrierte. Ich dachte an George, den ich verabscheut hatte. Genauso wie Lamont, der die unschuldigen Bürger von Elverston ohne ihr Wissen und Einverständnis heimlich als Versuchsobjekte missbrauchte. Ich rief mir die wilde Prügelei im Wald ins Gedächtnis. Kurz darauf entsann ich mich an die Faustschläge von Nash zurück. Das alles
zusammen schien überraschend die Qual zu mildern und ich hielt eisern daran fest.
»Adam? Adam wo bist du?« Die strenge Stimme meines Vaters drang durch die geschlossene Schranktür bis zu mir vor.
Zitternd hockte ich mit angezogenen Knien auf dem Boden. Die Dunkelheit des Verstecks schenkte mir nicht wie üblich Trost. Meine Augen brannten und die Wangen waren nass von den vielen Tränen. Es würde nicht lange dauern, bis er mich fand. Genau davor hatte ich fürchterliche Angst. Ich war doch nur ein achtjähriger Junge, der nicht wusste, wie er sich zur Wehr setzen sollte.
»Jetzt komm endlich raus oder du kannst dich die nächsten Tage auf etwas gefasst machen!«
Ich biss mir auf die Unterlippe. Er durfte mich nicht finden. Dieses eine Mal nicht.
Im nächsten Augenblick wurde die Schranktür aufgerissen. Das hereinfallende Sonnenlicht blendete mich kurzzeitig. Dann sah ich ihn. Die bedrohliche Gestalt meines Vaters ragte groß und angsteinflößend vor mir auf. Er packte mich grob am Oberarm und schleifte mich ins Freie.
»Tu das nie wieder oder ich prügel dich zu Tode!«, brüllte er und schon spürte ich den harten Faustschlag gegen den Hinterkopf.
Ich schrie, während vor meinen Augen kleine Sterne aufblinkten. Es folgten weitere Schläge und Fußtritte, bis ich mich vor Schmerzen nicht mehr rührte. Ein falsches Wort, eine falsche Bewegung und er würde die Drohung wahrmachen. Das war keine Seltenheit, seitdem meine Mutter gestorben war. Täglich spürte ich seine Wutausbrüche am eigenen Leib. Wäre sie doch da! Sie hätte so etwas nie zugelassen. Das wünschte ich mehr als sehnsüchtig.
»Steh auf! Mach schon!«, befahl er mir barsch, doch ich blieb wie ein Stein am Boden liegen. Ich konnte und wollte mich nicht rühren, denn ich wusste, was er mit mir vorhatte. Das Gleiche, das seit Jahren mit mir passierte.
Nicht schon wieder, dachte ich und war unfähig, weitere Tränen zurückzuhalten. Ich erinnerte mich nur zu deutlich an die Pein, die hinter mir lag und die ich bald wiederholt ertragen musste.
»Colonel Smith, nehmen Sie ihn mit. Aber passen Sie auf, dass ihn niemand sieht. Ich komme in einer halben Stunde nach!«
»Ja, Sir! Selbstverständlich, Sir!« Der muskulöse Mann mit der dunklen Haut trat in mein Sichtfeld und salutierte.
»Va... Vater ... bitte!«, flehte ich verzweifelt, aber er hatte bereits das Zimmer verlassen. Ich kümmerte ihn nicht weiter. So und nicht anders kannte ich ihn. Ich hasste und fürchtete ihn gleichermaßen. Doch wer war ich, um mich ihm zu widersetzen? Ich war nur ein Junge, der ihm gehorchen musste. Er dagegen war das gnadenlose Monster.
Problemlos hob mich der Colonel auf die Beine. Zwei weitere Soldaten in Uniformen kamen hinzu. Der eine legte mir Handfesseln an, der andere einen Knebel. Auch diese Situation war mir nicht fremd. So konnten sie mich problemlos zum Dach eskortieren und in den Pyrobird bringen, ohne dass ich schreiend weglief.
Im nächsten Moment lag ich festgeschnallt auf einer Liege. Der Knebel verhinderte weiterhin, dass ich um mein Leben schrie. Leise schluchzte ich vor mich hin. Grelles Neonlicht über meinem Kopf erhellte das gesamte Labor, es war mir nur allzu bekannt. Fünf Wissenschaftler in weißen Anzügen liefen durch den Raum und unterhielten sich miteinander. Mein rechter Arm interessierte sie dabei am meisten.
»Die künstliche Haut hat sich einwandfrei dem natürlichen Gewebe angepasst. Seht ihr das hier? Der Übergang ist nur zu erkennen, wenn man es weiß«, sagte eine Frau und pikste mehrmals mit einer Nadel auf eine bestimmte Stelle meines Unterarms.
Ich zuckte zusammen.
»Das Schmerzverhalten hat sich ebenfalls dem Körper angeglichen«, erläuterte ein Mann und klopfte der Frau beglückwünschend auf die Schulter.
»Aber wie sieht es mit dem restlichen kybernetischen Arm aus?«, kam die Frage eines älteren Herrn, den ich sehr gut kannte. George Espen. Er war ein enger Vertrauter meines Vaters und sein Chefwissenschaftler.
»Er funktioniert seit gut drei Monaten tadellos. Falls nicht, hätte Brent es uns längst berichtet«, bedeutete die Frau. »Oder bist du anderer Meinung, George?«
George schwieg.
»Dann lasst uns endlich anfangen. Versetzt ihn in Narkose.« Die Worte wurden von einer zweiten Frau ausgesprochen, die bisher nicht bei diesen qualvollen Untersuchungen dabei gewesen war.
Neugierig beobachtete ich sie. Sie war jung. Jünger als alle anderen. Die langen blonden Haare fielen ihr lockig über die Schultern. Für einen flüchtigen Moment keimte Hoffnung in mir auf, die jedoch so schnell verflog, als sie gekommen war.
Die Wissenschaftlerin rammte mir eine lange Nadel in den linken Arm, fixierte sie mit Klebeband und schloss dann einen Beutel mit einer rötlich schimmernden Flüssigkeit an, die augenblicklich in meine Vene tropfte. Ich wollte schreien und fliehen, doch ich konnte nicht.
Kurz darauf wurden meine Augenlider schwer und immer schwerer. Alles um mich herum verschwamm. Das Letzte, das ich bewusst mitbekam, war das Entfernen des Knebels und dass mir
jemand eine Maske aufs Gesicht drückte. Danach glitt ich in eine bodenlose pechschwarze Dunkelheit ab.