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ünf Jahre später arbeitete Caroline immer noch in der Remise, aber vieles hatte sich verändert. Mindy und Bobby waren nicht mehr ihre Babys. Sie waren fast mit der ersten und dritten Klasse fertig. Und sie weinten nur noch selten, selbst wenn über ihren Vater geredet wurde.
Und Mrs. Bell – Kendra, wie Caroline sie mittlerweile oft nannte –, hatte sich vollkommen gewandelt. Sie verschlief nicht mehr die Tage. Sie war eine gute Mutter. Und sie arbeitete, weshalb es zu den Aufgaben von Caroline gehörte, die Kinder zweimal in der Woche von der Wohnung ihrer Großeltern in der Upper East Side abzuholen. Eine Aufgabe, an der keiner von ihnen sonderlich Gefallen fand. Verglichen mit seinen Eltern war Dr. Bell ein wahrer Freigeist gewesen.
Caroline hatte gerade deren Wohnung verlassen und war mit den Kindern bereits auf halbem Weg zum Aufzug, als die Großmutter ihr hinterherrief. Sie drehte sich um. Beide Großeltern standen nebeneinander vor ihrer Wohnungstür. Dr. Bell war schmal, fast hager, die dünnen Haarsträhnen hatte er sich quer über den Schädel gekämmt. Als Leiter der Gefäßchirurgie am renommierten Mount Sinai Medical Center war er es gewohnt gewesen, dass alle nach seiner Pfeife tanzten. Obwohl er sich seit nunmehr neun Jahren im Ruhestand befand, hatte sich sein mürrischer Gesichtsausdruck, den er Tag für Tag im Krankenhaus zur Schau gestellt hatte, nicht geändert.
Von Cynthias früherer Schönheit – mittlerweile war auch sie schon in den Achtzigern – konnte keine Rede mehr sein. Von
den vielen Stunden in der Sonne war ihre Haut trocken und runzlig geworden. Ihre Mundwinkel hingen stets nach unten und verliehen ihr einen permanent beleidigten Ausdruck.
»Ja?«, fragte Caroline.
»Hat Kendra wenigstens versucht
, diese Fernsehproduzentin für Martins Fall zu interessieren?«, fragte Dr. Bell.
Caroline lächelte höflich. »Es steht mir nicht zu, anderen zu erzählen, mit wem sich Mrs. Bell unterhält …«
»Sie meinen Kendra
«, unterbrach er sie unwirsch. »Meine Frau ist die einzige Mrs. Bell. Diese Frau ist nicht mehr mit meinem Sohn verheiratet, weil mein Sohn in seiner Einfahrt erschossen wurde.«
Caroline zwang sich zu einer freundlichen Miene. Oh, sie erinnerte sich sehr genau an das, was sich ein halbes Jahr zuvor wegen dieser Fernsehproduzentin abgespielt hatte. Robert und Cynthia waren nach Mindys Tanzaufführung, die nach der Schule stattgefunden hatte, mit nach Hause gekommen und hatten dort Kendra von Unter Verdacht
erzählt, einer Sendung, die sich ungelöster Verbrechensfälle annahm. Ohne Kendras Wissen hatten sie das Produktionsstudio angeschrieben und darum gebeten, Martins ungeklärten Mordfall in die Sendung zu nehmen.
Die einzig wahre Mrs. Bell, Cynthia, mischte sich nun ein. »Kendra sagte uns, dass die Produzentin, eine gewisse Laurie Moran, den Fall abgelehnt hat.«
Caroline nickte. »Genau das ist passiert. Kendra war darüber ebenso verärgert wie Sie. Aber jetzt muss ich Ihre Enkelkinder nach Hause bringen, bevor meine Arbeitszeit endet«, sagte sie noch, obwohl sie nie auf die Uhr schaute.
Als sie kurz darauf im Fahrstuhl in die Lobby des Apartmenthauses, in dem die Bells wohnten, nach unten fuhren, beschlich sie ein ungutes Gefühl: Die beiden würden die Sache nicht auf sich beruhen lassen, da war sie sich sicher. Den Namen Laurie Moran würde sie noch öfter zu hören bekommen.