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U ngeachtet Maureen Russells strikter Anweisung an ihre Referendare, nach einer Stunde die Party zu verlassen, schien sich die Vorsitzende Richterin, als es auf halb acht zuging, bestens zu amüsieren. Sie hatte sich die meiste Zeit mit Leo unterhalten, der, wie Laurie feststellte, das Gespräch ebenso zu genießen schien. Und ihr fiel auf, dass sich Leo noch einmal zur Richterin umdrehte, als sich am Ende der Party alle verabschiedeten.
Sie ist wirklich sehr attraktiv , dachte Laurie. Die Richterin musste so um die sechzig sein. Und ihre sonst so strenge Miene wurde von ihren weißen Haaren und ihrem jugendlichen Gesicht Lügen gestraft, sobald sie lächelte.
»Eine neue Freundin?«, fragte Laurie, als sie im Gang vor dem Gerichtssaal auf Leo stieß. »Ein kleines Vögelchen hat mir gezwitschert, dass sie eine sehr beeindruckende Frau ist.«
»Hör doch auf damit!«
»Jetzt weißt du, wie ich mich das ganze letzte Jahr gefühlt habe.« Es schien kein Tag vergangen zu sein, an dem er sie nicht auf Alex angesprochen hatte.
»Aber ich hatte doch recht, oder?«
»Und wer sagt, dass ich nicht auch recht habe?«
»Hör auf«, wiederholte er, aber ihr entging nicht sein verhaltenes Lächeln.
Dann entdeckte sie Alex, der mit Timmy auf sie zukam.
»Wohin jetzt?«, fragte Alex. Er rieb sich die Hände und schien nach diesem Ereignis kaum zu wissen, wohin mit seiner Energie .
»Der hier hat noch Hausaufgaben zu machen.« Laurie legte ihrem Sohn die Hand auf die Schulter.
»Wenn Alex jetzt Richter ist, kann er meinen Lehrern doch einen Brief schreiben, dass sie bei mir mal ein Auge zudrücken sollen.«
»Heb dir das lieber für später auf, wenn du mal richtig in Schwierigkeiten steckst«, witzelte Leo.
Timmy nickte. »Gute Idee, Grandpa.«
Andrew konnte nicht mit zum Essen kommen, da er am nächsten Morgen sehr früh einen Gerichtstermin hatte. Leo bot sich an, Timmy zur Wohnung zurückzubringen, damit er seine Hausaufgaben machen und Laurie mit Alex zum Essen ausgehen konnte. Als Laurie sie ins Taxi steigen sah, wurde ihr klar, dass sie es kaum erwarten konnte, eine für die gesamte Familie geeignete Wohnung zu finden. Alex’ Wohnung am Beekman Place war zwar groß genug, sodass auch sie und Timmy hätten einziehen können, aber Timmy bräuchte dann eine halbe Stunde zur Schule, und ihr Vater müsste ebenfalls umziehen, wenn er weiterhin in ihrer Nähe wohnen wollte. Außerdem gefiel ihr der Gedanke, ihr neues Leben an einem ganz neuen Ort zu beginnen.
Im Wagen fragte Alex, wohin sie wolle. Ramon, fügte er noch an, habe zu Hause aber auch noch eine ganze Menge zu essen. Doch Ramon wiegelte sofort ab: »Der Marshals Service ist mit der Installierung des Sicherheitssystems heute leider nicht fertig geworden. Es sieht noch ziemlich chaotisch aus mit den vielen Leitungen und Kameras.«
Als Bundesrichter kam Alex in den Genuss der höchsten Sicherheitsstufe und eines Sicherheitssystems, das direkt mit der Bundespolizei verbunden war. Er hatte vorgeschlagen, man könne sich das Geld doch sparen und warten, bis er seine neue Wohnung bezogen habe, aber darauf ließen sich die Behörden nicht ein .
»Wie wär’s also mit dem Gotham?«, schlug er vor.
»Wie der Herr Richter wünschen«, antwortete Laurie, während Ramon den Motor anließ. »Du hast jetzt eine lebenslange Berufung auf deinen Traumjob. Fühlt es sich jetzt anders an, nachdem es offiziell ist?«
»Willst du es wirklich wissen?« Er griff nach ihrer Hand und berührte den Ring an ihrem Finger. »Ich hab schon eine lebenslange Berufung, die wirklich wichtig ist.«