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G
race hielt sich in Jerrys Büro auf, als Laurie am nächsten Morgen in der Arbeit eintraf. Beide waren über das Handy gebeugt, das Grace in der Hand hielt.
»Er hasst Hunde?«, sagte Jerry.
»Was ist das für ein Mensch, der Hunde hasst? Was stimmt mit dem nicht? Das ist doch einer, den man automatisch nach links wischt.« Laurie hörte das Piepen, als Grace mit ihrem perfekt manikürten Finger über das Display strich.
»Suchst du wieder nach Jungs?«, rief Laurie und unterbrach damit ihre Online-Dating-Sitzung. Online-Dating war ihr glücklicherweise erspart geblieben, aber natürlich wusste sie, dass »nach links wischen« gleichbedeutend war mit jemandem die Tür vor der Nase zuknallen. Außerdem wunderte sie sich über Graces sorglosen Umgang damit. Eigentlich war sie als Single rundum glücklich, offensichtlich genoss sie aber auch die Schmetterlinge im Bauch, wenn sie jemand Neues kennenlernte.
Ertappt stopfte sich Grace das Handy in die Tasche ihres eng anliegenden schwarzen Blazers. »Sorry. Wir waren beide schon früher da, aber vermutlich hat mittlerweile die Arbeitszeit angefangen.«
Laurie winkte nur ab. »Keine Sorge.« Sie hatte sich zwar angewöhnt, Jerry und Grace zu ihrer »Studiofamilie« zu zählen, letztlich aber sahen die beiden in ihr doch auch die Chefin.
»Es können nicht alle so viel Glück haben wie du mit Alex«, sagte Grace. »Du hast in der Arbeit den richtigen Typen gefunden.
Und ich muss eben einen Haufen Frösche aus dem Internet küssen.«
»Was ist mit Ryan?«, fragte Jerry. »Als er hier anfing, hast du ständig davon gesprochen, wie toll
er sei.«
»Ja, und dann hab ich ihn näher kennengelernt«, sagte Grace und rollte mit den Augen. »Nein, danke. Aber wenn wir schon von unserem so sehr von sich überzeugten Mr. Nichols reden: Er ist vor ein paar Minuten vorbeigekommen und wollte wissen, wann Kendra Bell zu einem ersten Interview erscheint. Entschuldige, wenn ich das so offen sage, aber manchmal vergisst er, wer die Sendung hier leitet.«
»Um fair zu sein, ich habe ihn gestern gebeten, mich zu Kendra zu begleiten«, erklärte Laurie.
»Und wie ist es gelaufen?«, fragte Jerry.
»Gut«, antwortete sie und zog die von Kendra unterzeichnete Teilnahmeerklärung aus der Aktentasche. »Sie nimmt an der Sendung teil. Komisch ist nur: Sie hat mir letzten Abend noch auf die Mailbox gesprochen und dabei geklungen, als hätte sie eine Heidenangst.«
Jerry verschränkte die Arme und machte ein nachdenkliches Gesicht. »Na ja, du hast ihr aber auch die Daumenschrauben angelegt. Entweder nimmt sie an der Sendung teil, oder ihre Schwiegereltern erfahren, dass sie die Sendung verhindert hat.«
Laurie nickte. »So war es doch schon, als wir sie aufgesucht haben. Bei ihrem Anruf allerdings hat sie ganz anders geklungen – als wäre in der Zwischenzeit etwas passiert, was sie ziemlich erschüttert hat.«
»Vielleicht hat sie sich unsere Erfolgsbilanz angesehen«, sagte Grace. Bislang hatte Unter Verdacht
jeden Fall aufgeklärt, der für die Produktion ausgewählt wurde.
»Vielleicht«, sagte Laurie und musste wieder an den Unbekannten denken, mit dem sich Kendra angeblich in einer Bar
getroffen hatte. Falls Kendra einen Auftragskiller angeheuert hatte, um Martin umzubringen, hatte sie allen Grund, sich vor Lauries Recherchen zu fürchten. Der Täter würde sicherlich nicht wollen, dass sie mit einer Fernsehproduzentin sprach. Die Warnung ihres Vaters kam ihr in den Sinn, und kurz fragte sie sich, wohin dieser Fall sie führen mochte.
Laurie fand Ryan in seinem Büro, wo er auf einem grünen Astroturf-Streifen Puts übte. »Grace meint, du hättest mich gesucht«, sagte sie, als er gerade seinen Schlag ausführte.
Der Ball rollte nach rechts und landete auf dem Teppichboden.
»Sorry«, sagte sie.
»Gut, dass er nicht gezählt hat.« Er hielt ihr den Putter hin, damit sie es selbst versuchen konnte, aber sie lehnte ab.
»Glaub mir, ich schaffe es noch, den Ball durchs Fenster zu jagen.« Sie erzählte ihm von Kendra Bells seltsamem Anruf am Abend zuvor. »Sie kann heute in der Praxis früher Schluss machen, wir treffen uns daher um drei Uhr mit ihr. Ich gehe davon aus, dass sie uns wegen der Kinder nicht bei sich zu Hause haben möchte, mal sehen, ob sie bereit ist, zu uns zu kommen.«
»Um drei geht bei mir nicht. Um diese Zeit habe ich einen Termin mit meinem Trainer.«
»Dann erzähl ich dir später, wie es gelaufen ist. Ich bin gespannt, ob sie irgendwelche alternativen Theorien zum Mord anzubieten hat. Die öffentlichen Spekulationen haben sich bislang ja ausschließlich um sie gedreht.«
»Du willst keinen anderen Termin vorschlagen?«
»Nein. Sie arbeitet Vollzeit und hat zwei Kinder, da bleibt nicht viel Spielraum. Aber ich wünsche dir einen erfolgreichen Work-out.
«
Laurie hatte sich gerade mal durch die Hälfte von Rhoda Carmichaels Immobilienangeboten geackert, als die Maklerin anrief. »Spannen Sie mich nicht weiter auf die Folter«, sagte Rhoda. »Geben Sie mir Ihre Liste der Angebote, die Sie interessieren, und ich vereinbare Besichtigungstermine.«
Laurie blätterte durch den Ordner und stellte fest, dass sie bislang nur zwei Seiten mit einem Eselsohr angemerkt hatte. Die Angebote waren durch die Bank exklusive Objekte, die sie sich allein niemals hätte leisten können. Aber sie waren alle so … kalt. Fast zu
makellos. Die Vorstellung, dass sie und Timmy darin wohnten, fiel ihr schwer.
»Die an der 86th und Lexington Avenue würde von der Lage ganz gut passen«, sagte sie etwas halbherzig und wunderte sich, warum nur zwei Fotos beigelegt waren. »Und die Wohnung an der 90th wäre gut geschnitten, sodass Ramon einen separaten Bereich für sich hätte, aber sie liegt ein wenig zu sehr im Osten.«
»Na, vergessen Sie nicht die neue U-Bahn an der 2nd Avenue«, zwitscherte Rhoda. »Was mal völlig ab vom Schuss lag, gilt mittlerweile als Topgegend.«
»Es geht eher um die Entfernung zu meinem Vater und zur Schule. Wir haben so unsere Gewohnheiten.«
»Laurie, ehrlich. Manchmal hab ich den Eindruck, Sie wollen gar nicht umziehen.«
Da könnte sie recht haben
, dachte Laurie. Ich möchte Alex heiraten, aber ich möchte nicht mein ganzes Leben umkrempeln.
»Vielleicht können wir unsere Nachbarn nebenan zum Auszug bewegen und die beiden Wohnungen zu einer einzigen zusammenlegen«, sagte sie aus einer Laune heraus.
»Dann viel Glück bei dem Versuch, die Zustimmung der anderen Wohnungseigentümer einzuholen. Und wo wollen Sie in dem Jahr, in dem umgebaut wird, wohnen?« Damit nahm sie Laurie sofort den Wind aus den Segeln. »Die an der 86th und
Lexington wird nicht lange auf dem Markt sein. Lassen Sie mich für heute einen Termin ausmachen. Wie wäre es um zwölf Uhr?«
Laurie seufzte. Sie hätte Zeit, was wohl auch auf Alex zutreffen würde. »Gut, machen Sie das.« Wenigstens hatte sie damit einen Vorwand, um sich mitten am Tag mit Alex zu treffen.