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L
aurie saß in ihrem Lieblings-Bürosessel und sah auf die City hinaus. Immer noch konnte sie es kaum fassen, dass sie ein so großes Büro mit deckenhohen Fenstern und Blick auf die Eisbahn des Rockefeller Center hatte. Es war Ende März, die Schlittschuhläufer hatten sich über die gesamte Eisfläche verteilt und nutzten die letzten beiden Wochen, bevor die Bahn abgebaut werden würde.
Laurie fühlte sich in ihrem Büro sehr zu Hause und hatte alles selbst ausgesucht, vom Sessel, in dem sie gerade saß, bis zu dem langen weißen Ledersofa, den Hängeleuchten und dem Beistelltisch mit Glasplatte. Auch wenn sie und Alex eine neue Wohnung bezogen, hatte sie immer noch ihr Büro – einen vertrauten Ort, der ihr gehörte.
Sie hatte eine Liste mit Stichpunkten aufgesetzt, die sie bei ihrem Treffen mit Kendra Bell durchgehen würde. Wie erwartet, wollte sich Kendra mit ihr nicht bei sich zu Hause treffen. Da sie aus Zeitgründen aber auch nicht den Weg nach Midtown zum Sender auf sich nehmen wollte, fragte sich Laurie, ob sie einen Vorwand suchte, um das Treffen platzen zu lassen.
Schließlich hatte Kendra das Otto vorgeschlagen, ein italienisches Restaurant im Greenwich Village, das Laurie ebenfalls kannte. Das machte es einfacher.
Die Zeile ganz unten auf ihrer Liste lautete: *Bar/East Village/»Deckung«?
Der Kontakt ihres Vaters beim NYPD
hatte bestätigt, dass Kendra sich in einer Bar aufgehalten hatte, ohne allerdings einen Namen genannt zu haben
.
Sie unterstrich das in diesem Zusammenhang geäußerte Wort »Deckung«. Leo hatte gemutmaßt, es könnte eventuell mit verdeckten Ermittlungen zu tun haben, sie wollte aber lieber glauben, dass es sich um einen Hinweis handelte, der zu dieser Bar führte.
Wenn sie wenigstens den Namen des Lokals kennen würde, könnte sie mit den Mitarbeitern reden und fragen, ob sie sich an Kendra und den mysteriösen Unbekannten erinnerten – selbst wenn das unwahrscheinlich war, schließlich lag der Mord fünf Jahre zurück. Aber vielleicht hatte sie ja Glück. Ohne den Namen des Lokals allerdings käme sie überhaupt nicht weiter.
Sie stand auf und trat an ihren Schreibtisch. Jahrelang hatte hier nur ein Bild von Greg, Timmy und ihr am Strand in East Hampton gestanden. Jetzt hatte sie daneben ein Foto von Alex, Timmy, Leo und sich selbst gestellt, das sie alle vor dem Lincoln Center nach einem Jazzabend zeigte. Schauen wir doch mal
, dachte sie. Sie weckte ihren Computer auf und gab »New York City Bar Deckung« im Suchfenster des Browsers ein.
Zu den Ergebnissen gehörte unter anderem ein Artikel über verdeckte Ermittlungen in Lokalen, dazu eine Story über einen Überfall in einer Bar, in der die Gäste zu Tode geängstigt »in Deckung« gegangen waren.
Nichts, was ihr weitergeholfen hätte.
Sie wollte es mit anderen Suchbegriffen probieren, als ihr Telefon klingelte. Durch die offene Bürotür hörte sie, wie Grace dranging: »Ich glaube, sie hat einen Termin, einen Moment, ich sehe mal nach.« Zwei Sekunden später stand Grace in der Tür. »Es ist Dana.«
Dana Licameli war die Sekretärin von Lauries Boss Brett Young. Wie alle in den Fisher Blake Studios wussten, musste sie mit einer Engelsgeduld gesegnet sein. »Sie sagt, Brett ist im Moment nicht zu bremsen. Er möchte dich sofort sehen.
«
Laurie sah auf ihre Uhr. In einer Dreiviertelstunde war sie mit Kendra verabredet. Allein für die Taxifahrt musste sie um diese Tageszeit eine halbe Stunde einrechnen.
»Ich bin um drei mit jemandem verabredet.«
»Du kennst mich. Ich hab jederzeit eine Ausrede parat, aber du weißt auch, dass ich Dana kenne. Und das hier klingt ganz danach, als hätte Brett mal wieder einen seiner üblichen Anfälle.«
Laurie sah zu ihrem Computer, wünschte sich, den Namen der Bar zu kennen, vertraute aber auch auf Graces Einschätzung.
Sie war schon an deren Schreibtisch vorbei, als sie ihre Assistentin wieder am Telefon hörte. »Laurie ist schon unterwegs, Dana. Vielleicht kannst du ihn ja davon abhalten, einen Herzanfall zu bekommen, bevor sie da ist.«