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S päter an diesem Abend ging Laurie durch die Wohnung und machte alle Lichter aus, bevor sie sich schlafen legte.
Alex war früh am nächsten Morgen mit einem Richter, bei dem er nach dem Studium gearbeitet hatte, zum Frühstück verabredet. Sein juristischer Mentor wollte ihm unbedingt noch einige Ratschläge mit auf den weiteren Weg geben.
Bevor sie auch das Licht in der Küche ausschaltete, bestaunte sie die Sauberkeit, die hier herrschte. Die Granitarbeitsplatte glänzte, kein einziger Krümel lag auf dem Fliesenboden. So gern sie hier kochte, vor dem Aufräumen graute ihr immer. Sie würde es sehr genießen, mit Ramon unter einem Dach zu leben.
Sie hatte sich gerade ins Bett gelegt und freute sich auf den neuesten Karin-Slaughter-Krimi, als ihr Handy auf dem Nachttisch summte. Es war Ryan. Er rief sonst nie so spät an. Genau genommen rief er sie nie an.
»Hallo«, sagte sie. Ihr schwante Übles.
»Ich wusste nicht, ob du noch wach bist.«
»Ich hab mich gerade hingelegt. Was gibt es?«
»Entschuldige, aber ich muss dich das fragen. Kennst du meinen Onkel Jed?«
Laurie kannte Ryans Onkel nicht. Sie wusste nur, dass sich Onkel Jed mit Brett Young das Zimmer auf der Northwestern geteilt hatte, was höchstwahrscheinlich keine geringe Rolle gespielt hatte, als sein Neffe Ryan sofort einen gut dotierten Job bei den Fisher Blake Studios bekam. »Ich weiß, wer er ist, ja. Was ist mit ihm?«, fragte sie .
»Na ja, es hat sich herausgestellt, dass der Mann seiner Verlegerin mit dem Vater von Martin Bell dem Vorsitz einer Gesellschaft zur Leseförderung von Kindern angehört.«
»Aha«, antwortete sie und versuchte sich die vielen Beziehungen in Erinnerung zu rufen, die sowieso schon zwischen Martins Vater und ihrem Chef Brett Young bestanden. »Ich glaube, einer von Bretts Collegefreunden spielt mit Dr. Bells Steuerberater Tennis. Robert Bell ist anscheinend seinen Rolodex durchgegangen. Ich nehme an, er hat dich angerufen?« Sie machte sich schon darauf gefasst, dass Ryan einen neuen Versuch startete, ihr die Leitung der Sendung abspenstig zu machen.
»Ja – jetzt gerade, auf meinem Handy, trotz der späten Stunde. Um ehrlich zu sein, es gefällt mir gar nicht, dass so viel Druck ausgeübt wird. Robert Bell und seine Frau sind offensichtlich von Kendras Schuld überzeugt und wollen, dass wir sie vor der Kamera gehörig auseinandernehmen.«
»Ist das so?« Sie war überrascht von seiner kritischen Reaktion.
»Ich hab ihm in aller Höflichkeit zu verstehen gegeben, dass ich mich bei ihm melden werde. Hast du schon eine Entscheidung getroffen, ob wir den Fall weiter vorantreiben?«
Laurie hätte ihn am liebsten gebeten, seine Worte noch mal zu wiederholen. Sonst fragte er nur äußerst selten nach ihren Entscheidungen. »Meiner Meinung nach wäre es ein toller Fall für uns«, sagte sie, »aber wir müssen den Eltern unmissverständlich klarmachen, dass wir in aller Objektivität ermitteln. Wir sind nicht ihre Lakaien.«
»Ganz meine Meinung«, pflichtete er bei. »Was, wenn wir morgen mit ihnen persönlich reden? Dann können wir als geschlossenes Team auftreten, und sie wissen, dass sie niemanden von uns herumscheuchen können.«
»Das klingt … perfekt.« Es war das erste Mal, dass sie das Gefühl hatte, Ryan stünde auf ihrer Seite .
Als sie auflegte, war sie rundherum zufrieden.
Natürlich hatte sie keine Ahnung, dass keine drei Kilometer entfernt jemand sie auf seinem Computer googelte, sich mit ihrem bisherigen Leben beschäftigte und überlegte, wie sein nächster Schritt aussehen sollte.