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L
aurie und ihr Produktionsassistent Jerry trafen auf die Minute genau um 15.30 Uhr in der Wohnung der Longfellows in der West End Avenue an der Upper West Side ein.
»Was für Decken«, staunte Jerry, als die Aufzugstüren im achtzehnten Stock aufgingen. »Die sind hier ja an die vier Meter hoch. Und der Stuck! Klassisches Art déco.«
»Vielleicht solltest du mir eine Wohnung suchen«, scherzte Laurie. Sie hatte beschlossen, jemanden mitzubringen, für den Fall, dass sie von den Longfellows wichtige Aussagen erhielt und einen Zeugen brauchte. So wunderbar sie in letzter Zeit auch mit Ryan auskam, es hätte doch vielleicht für Missstimmung gesorgt, wenn sie gleich mit dem Moderator der Sendung und früheren Staatsanwalt angerückt wäre. Immerhin hatte Alex den Senator um einen Gefallen gebeten. Und im Gegensatz zu Ryan war Jerry jemand, den man unmöglich nicht mögen konnte.
Auf ihr Klingeln folgte sofort wildes Hundekläffen. »Ike! Lincoln!« Hinter der Tür versuchte eine Frau die Hunde zum Verstummen zu bringen. Das Bellen wurde leiser und schließlich zu einem Winseln, das Laurie als den Versuch interpretierte, sich eine Leckerei zu erschmeicheln. »Wie oft muss ich es euch noch sagen? Ihr sollt nett sein, wenn Besuch kommt.«
Als die Tür aufging, wurden sie von zwei kleinen Hunden begrüßt, die sie unermüdlich umkreisten und an ihren Schuhen schnüffelten. Die Frau dahinter streckte ihnen die Hand entgegen. »Hallo, ich bin Leigh Ann Longfellow.« Sie trug ein
klassisches marineblaues Etuikleid und dazu nudefarbene Pumps, die dunkelbraunen Haare waren, ähnlich wie bei Laurie, zu einem schulterlangen Bob geschnitten. Ihre Alabasterhaut war makellos. »Entschuldigen Sie die beiden Rabauken. Auch wenn man es ihnen nicht ansieht, sind sie eigentlich gut erzogen. Leider entscheiden ausschließlich sie, wann sie das auch zeigen wollen. Im Moment, glaube ich, sind sie ganz aufgeregt, dass Mommy und Daddy schon so früh zu Hause sind.«
»Kein Problem«, sagte Laurie. »Ich liebe Hunde. Das sind … Zwergspitze?«
»Fast. Papillons. Sie sind schon acht, führen sich aber immer noch wie Welpen auf, wenn sie jemanden Neues zu Gesicht bekommen.«
Jerry war bereits in die Hocke gegangen, ließ die Hunde an sich hochspringen und sich von ihnen das Gesicht ablecken. Er grinste zu den beiden Frauen hoch. »Hi, ich bin Jerry«, sagte er und winkte kurz. »Lauries Produktionsassistent.«
Leigh Ann führte sie in ein geräumiges Wohnzimmer mit geschmackvoller moderner Einrichtung in neutralen Farbtönen. Die einzige Andeutung von Unordnung bestand in einem großen Hundekorb neben dem offenen Kamin, um den eine Sammlung von Stofftieren lag. Dem Anblick eines kopflosen Fleecelamms nach zu schließen, aus dem die weiße Baumwollfüllung quoll, hatten Ike und Lincoln erst vor kurzer Zeit ein heftiges Tauziehen veranstaltet.
Laurie und Jerry wollten gerade Platz nehmen, als Senator Longfellow den Raum betrat. Er war genauso eindrucksvoll wie auf den Wahlkampfplakaten und Pressekonferenzen.
Laurie hatte sich eingehend mit Daniel Longfellows Vergangenheit vertraut gemacht. Als einziger Sohn eines Portiers und einer Hausfrau hatte er West Point besucht, während seiner Dienstzeit in Afghanistan nach den Anschlägen auf das World Trade Center war ihm eine Tapferkeitsmedaille verliehen
worden. Laurie erinnerte sich noch an sein Wahlkampfvideo, das seine Biografie groß herausgestellt hatte. Er sei vom Militär nach New York zurückgekehrt, sagte er, weil er entschlossen sei, die von ihm so geliebte Stadt zu einem sicheren und florierenden Ort für alle zu machen.
Er war groß, wahrscheinlich um die ein Meter neunzig, hatte dunkelblonde Haare und leuchtend blaue Augen. Und wenn er neben Leigh Ann stand und den Arm um sie legte, wirkte das völlig natürlich.
»Ich sehe, unsere Kleinen haben Sie schon kennengelernt«, sagte er zu Laurie und Jerry und deutete auf die zu seinen Füßen hechelnden Hunde.
»Da haben sie schon für gesorgt, Herr Senator«, antwortete Laurie und stellte sich vor.
»Ike und Lincoln. Ich nenne sie immer die Papillon-Präsidenten. Und bitte nennen Sie mich Dan. Der Mehrheitsführer hält gerade eine Konferenzschaltung ab. Verraten Sie es niemandem, aber ich habe einfach auf stumm gestellt, damit ich rauskommen und Sie begrüßen kann. Unterhalten Sie sich doch schon mal mit Leigh Ann, und ich stoße dann gleich dazu.«
»Klingt gut«, stimmte Laurie zu.
Er gab seiner Frau einen schnellen Kuss auf den Mund und verließ den Raum. Laurie bemühte sich, die beiden nicht anzustarren, aber sie spürte förmlich die Energie, die zwischen Dan und Leigh Ann herrschte. Unweigerlich musste sie daran denken, was Cynthia Bell über sie gesagt hatte: Die beiden vergötterten einander.
Laurie hatte noch keine einzige Frage gestellt, einer Sache aber war sie sich schon sicher: Dieses Paar liebte sich heiß und innig.