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aurie dankte dem Senator erneut, dass er sich Zeit nahm, mit ihnen zu reden.
»Es ist mir eine Freude. Ihr Verlobter hat mir beim Anhörungsverfahren großen Respekt abgenötigt. Er hat sich durch nichts aus der Ruhe bringen lassen, auch wenn manche meiner Senatskollegen mit Widerstand gedroht haben, weil er einen gewissen Finanzbetrüger verteidigt hat.«
Sollte die unverhohlene Anspielung auf den Carl-Newman-Fall sie daran erinnern, dass Longfellow bei Alex’ Ernennung zum Bundesrichter eine entscheidende Rolle gespielt hatte? Laurie war entschlossen, sich davon in ihrem Urteil nicht beeinflussen zu lassen.
»Meines Wissens wurden Sie im Zuge der damaligen Ermittlungen von der Polizei befragt«, begann sie.
Der lockere Ton, in dem er eben noch mit seiner Frau gescherzt hatte, war schlagartig verflogen. »Es war irgendwie surreal«, sagte er sehr ernst. »Ich habe Martin ja nie kennengelernt, aber gegenüber Leigh Ann meinte ich oft im Spaß, er würde bald meinen Platz als Ehemann einnehmen, während ich mich in Albany aufhielt. Und dann sind wir aus Washington zurückgekommen, nachdem ich urplötzlich in den Senat berufen werden sollte, und sie erhält einen Anruf und erfährt, dass er ermordet wurde. Am nächsten Tag konnte man alles in den Zeitungen lesen. Sehen Sie sich die Lokalblätter von dieser Woche an, Sie werden feststellen, dass die zwei größten Storys die von seiner Ermordung und die von meiner Berufung in den Senat
waren. Die Telefone in meinem neuen Büro waren kaum angeschlossen, als ich die Nachricht erhielt, dass die New Yorker Polizei mit Leigh Ann und mir sprechen möchte. Im ersten Moment dachte ich, es gehe um irgendwelche Finanzierungsfragen oder um eine offizielle Sache, aber dann sagte man mir, man wolle über Martin Bells Ermordung reden.«
»Was glauben Sie, war damals der Grund, warum Sie in die Ermittlungen miteinbezogen wurden?«
»Wir haben angenommen, es gehe um die gemeinsame Arbeit mit Leigh Ann für die Hayden School. Eine Routineüberprüfung von allen Personen, die in seinem Telefonverzeichnis auftauchten. Die Polizei ist zu uns gekommen und wollte mit Leigh Ann allein sprechen, was mir nicht ungewöhnlich erschien. Ihr Verlobter hat jetzt ja ebenfalls darauf bestanden«, sagte er mit einem unverbindlichen Lächeln.
Laurie nickte und bedeutete ihm fortzufahren.
»Sie haben dann auch mit mir gesprochen und wollten wissen, wo ich mich zum Tatzeitpunkt aufgehalten hätte. Ich musste fast lachen und dachte schon, sie wollen bloß den neuen Senator schikanieren. Aber es war ihnen ernst. Nun, ich habe sie darauf hingewiesen, dass Fotos von mir in der New York Times
und in der Washington Post
zu finden seien, die mich an jenem Tag in Washington, D.C., zeigen. Ich habe ihnen den Namen des Hotels genannt, wo wir übernachteten, und sogar angeboten, den Kontakt zum Mehrheitsführer im Senat herzustellen, falls sie sich bestätigen lassen wollten, dass ich wirklich noch zum Frühstück mit ihm geblieben bin. Um ehrlich zu sein, die Polizisten machten einen ziemlich betretenen Eindruck. Bei allem Respekt für die New Yorker Polizei, aber sie hätten doch selbst drauf kommen können, dass wir an dem Tag gar nicht in der Stadt waren. Nachdem das also geklärt war, habe ich gefragt, warum um alles in der Welt sie uns überhaupt in die Ermittlungen einbezogen haben. Da erfuhr ich, dass nach
Kendras Mutmaßung Martin und Leigh Ann … Nun, ich will es noch nicht mal aussprechen, Sie kennen die Anschuldigung sicherlich.«
»Und wie haben Sie darauf reagiert, Senator?«
»Ich war wie vom Donner gerührt! Es war … blanker Unsinn. Außerdem hatte man in den Nachrichten bereits erfahren, wer als Haupttatverdächtige galt. Es gilt die Unschuldsvermutung, keine Frage, aber das stärkste Indiz für Kendras Schuld war für mich immer ihr völlig haltloser Versuch, mir die Tat in die Schuhe zu schieben.« Kurz blitzte so etwas wie Wut in seiner Stimme auf, aber er hatte sich schnell wieder im Griff. »Ich wollte zu hundert Prozent sicherstellen, dass die Polizei hinsichtlich meiner vermeintlichen Beteiligung absolut keinen Zweifel hegte. Daher ließ ich ihr die Hotelquittung, sogar den Zettel für die Parkgarage, meine Mautaufzeichnungen sowie die Artikel über meinen Besuch in Washington, D.C. zukommen. Und in der Presse musste ich lesen, dass Kendra große Summen Bargeld abgehoben hatte, um möglicherweise einen Auftragsmörder zu bezahlen. Damit das keiner über mich behaupten konnte, gestattete ich der Polizei sogar Einblick in meine Kontoauszüge.«
»Sie scheinen wirklich alles offengelegt zu haben.«
»Ich habe nichts zu verbergen, damals nicht und jetzt auch nicht«, antwortete er entschieden. »Wir haben diese wunderschöne Wohnung dank meiner tatkräftigen Frau, aber ich bestehe darauf, die Hälfte davon von meinem Politikergehalt zu bezahlen. Glauben Sie mir, es bleibt nichts übrig, um Geld für einen Auftragskiller zur Seite zu legen. Ich dachte mir damals, je schneller sie mich von ihrer Liste streichen, desto mehr Zeit haben sie, den wirklichen Mörder zu finden.«
»Ich stelle mir vor, es gab auch noch andere Überlegungen als Ihren Wunsch, der Polizei zu helfen. Trotz des massiven Medieninteresses an dem Fall scheint kein einziges Blatt je
darüber berichtet zu haben, dass Sie oder Ihre Frau von der Polizei befragt wurden.«
»Können Sie sich vorstellen, welchen Wirbel das gemacht hätte? Der jüngste US
-Senator – in einen Mordfall verwickelt?«
»Es gibt einen Grund, warum Sie sich nicht mit uns in meinem Studio oder in Ihrem Büro treffen wollten.«
Er nickte. »Natürlich. Ich gestehe freimütig, dass ich damals sogar im Büro des Polizeichefs angerufen habe. Ich wollte, dass die Polizei auf höchster Ebene weiß, dass ich in jeder erdenklichen Weise kooperiere, aber ich wollte unter keinen Umständen einen Medienrummel heraufbeschwören. Er versicherte mir, dass ich mehr als genügend Beweise für meine Unschuld geliefert hätte. Ich hatte den Eindruck, dass die Polizei sogar mit anderen Ehemaligen der Hayden School gesprochen hatte, die wohl bestätigten, dass eine Liaison zwischen Martin und Leigh Ann schlicht unvorstellbar war. Und jetzt beginnt das alles wieder von vorn«, sagte er und lächelte, sah Laurie dabei aber ernst in die Augen.
Sie ahnte seine unausgesprochene Frage, weshalb sie ihm das sagte, was einer Antwort am nächsten kam: »Wir verbreiten keine Theorien über mögliche Verdächtige, solange uns nicht verlässliche Fakten vorliegen.«
»Das beruhigt mich zu hören, Laurie. Ich habe übrigens jede Folge Ihrer Sendung gesehen, und ich bewundere Ihre Arbeit. Aber nur unter uns – ich denke, diesmal steht nur eine einzige Person unter Verdacht, nämlich Kendra Bell. Und ich hoffe, Sie können es ein für alle Mal beweisen.«