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ährend Laurie bei ihrer Überraschungsparty Geschenke auspackte, schenkte sich Senator Daniel Longfellow in der Küche ein Glas Cabernet ein. Seine Frau bereitete das Essen für die Hunde zu. Wegen Lincolns Lebensmittelallergien benötigte er eine Mixtur aus verschriebenem Dosenfutter und einem Trockenfutter mit Bestandteilen von Kürbis und Kaninchen. Und weil Leigh Ann der Überzeugung war, die Hunde würden bemerken, wenn sie unterschiedlich behandelt würden, erhielt Ike das gleiche Futter.
Dem Senator entging nicht Leigh Anns Blick, aber sie sparte sich einen Kommentar. Beide tranken an Wochentagen nur selten Wein. Diese Regel hatten sie sich kurz nach ihrem Kennenlernen auferlegt. Ihnen war aufgefallen, dass sie aufgrund der Anforderungen ihres Studiums an der Columbia ein wenig zu häufig Alkohol tranken. »Trocken während der Woche« wurde ihnen zur Gewohnheit – eine der vielen, die sie sich zur Förderung ihrer Gesundheit und Produktivität zu eigen gemacht hatten.
Aber nach dem Besuch der Unter Verdacht
-Produzenten war ihm nach einem Glas Wein zumute. »Ich denke, es ist ganz gut gelaufen«, sagte er zu Leigh Ann. »Was meinst du?«
»Ich kann nur über meinen Teil des Gesprächs reden. Sie sind mir ganz vernünftig vorgekommen. Aber ich habe den Eindruck, sie weiß nicht viel über die ursprünglichen Ermittlungen. Was mich doch überrascht hat.«
Daniel nahm einen Schluck. »Dann unterschätzt du, wie viele
Hebel ich in Bewegung setzen musste, damit unsere Namen nicht in den Polizeiakten auftauchen. Der Polizeichef hat es anscheinend ernst gemeint, als er sagte, die ermittelnden Kollegen hätten keinen Grund, uns weiter zu behelligen.«
Er hatte so hart gearbeitet – nein, sie beide
hatten so hart gearbeitet –, damit sie jetzt hier waren. Nach seiner ersten Wahl in die State Assembly war er überzeugt gewesen, er würde nach Albany gehen und all die großartigen Veränderungen herbeiführen, für die er in seinem Wahlkampf so energisch geworben hatte. Aber er war nur einer von hundertfünfzig Abgeordneten in der Assembly und fand sich in einem System wieder, in dem Reformstau, Bürokratiefilz und Vetternwirtschaft herrschten. Und kaum hatte er sich in der Hauptstadt des Bundesstaates annähernd zurechtgefunden, als es wieder an der Zeit war, sich auf die Jagd nach Wahlkampfspenden zu machen und Anzeigen zu schalten. Die Politikexperten sahen in ihm weiterhin einen aufsteigenden Stern, nur gab es nichts, wohin er hätte aufsteigen können. Die Senatoren des Staates und der Gouverneur waren nicht gewillt, ihre Posten zu räumen. Er hing auf einer Stelle fest, die doch sein politisches »Sprungbrett« hätte sein sollen.
Ganz davon zu schweigen, dass Leigh Ann die Stadt hasste. Hinter fest verschlossenen Türen nannte sie Albany ein »langweiliges Kaff« und gab Daniel jeden Tag zu verstehen, dass sie beide doch wohl um einiges cleverer waren als seine gewählten Abgeordnetenkollegen. Da er immer zwischen New York City und der Bundeshauptstadt pendelte, führten sie den Großteil des Jahres eine Fernbeziehung.
Und plötzlich, dank einer Kabinettsumbildung, für die einer der beiden Senatoren aus New York ausersehen war, tat sich die große Chance auf, und der aufstrebende Daniel Longfellow hatte ein Ziel vor Augen. Nach Ablauf der beiden Jahre, die von der Mandatszeit des vorherigen Senators noch verblieben
waren, war er drei Jahre zuvor dann selbst gewählt worden. Dabei hatte er fast achtzig Prozent der Stimmen auf sich vereinen können, was in diesen politisch so zerrissenen Zeiten einer Sensation gleichkam. Am wichtigsten aber war, zumindest für ihn, dass er wirklich daran glaubte, etwas verändern zu können. Er versuchte das ganze Gerede auszublenden, wonach er ein noch höheres Amt anstreben sollte. Jeden Tag aufs Neue war er bemüht, kraft seines Amtes das Leben der gewöhnlichen Amerikaner zu verbessern, so wie er es geschworen hatte.
Nur manchmal hatte er das Gefühl, als würde es ihm nie gelingen, die dunkle Phase ihrer Vergangenheit endgültig hinter sich zu lassen. Als vergangene Woche Alex Buckley angerufen und ihn gebeten hatte, sich mit seiner Verlobten wegen des Martin-Bell-Falls zu treffen, war er erneut der Panik nahe gewesen – so wie er es seit fünf Jahren nicht mehr erlebt hatte. Vielleicht hätte ich damals, als ich wegen Martin Bell befragt wurde, der Polizei die ganze Geschichte erzählen sollen
, dachte er. Ich habe einen Krieg überstanden, ich hätte es aushalten müssen, den Dingen ihren Lauf zu lassen. Ich habe immer versucht, ehrenhaft und anständig zu leben. Ich habe einen Fehler gemacht, und manchmal denke ich, die Schuld bringt mich noch ins Grab.
Er versuchte sich zu beruhigen. Vielleicht hatte Leigh Ann ja recht, wie fast immer, redete er sich ein. Ihre Antworten hatten Laurie Moran anscheinend zufriedengestellt, so wie sie nach dem Mordfall auch die Polizei zufriedengestellt hatten.
»Meinst du, ich sollte jemanden aus dem Büro anrufen lassen?«, fragte er. »Wir könnten die Möglichkeit einer Verleumdungsklage erwähnen, falls sie Kendras Verdächtigungen in der Sendung wiederholen.«
Sie sah ihn an, als hätte er vorgeschlagen, mit einem Fahrrad zum Mond zu fliegen. Er wusste, Leigh Ann liebte ihn – so wie er sie liebte –, aber er wusste auch (und verehrte sie deswegen), dass seine Frau Dummköpfe nicht ertrug
.
»Und ihnen damit eine Story über einen Senator liefern, der eine verwitwete Mutter zum Schweigen bringen möchte?« Sie gab das Hundefutter in die beiden Schälchen. »Wirbel nicht unnütz Staub auf. Unsere Aussagen waren eindeutig: Martin Bell war lediglich mit mir im Vorsitz, eine alte Kindheitsbekanntschaft.«
Sie wussten beide, dass das nicht ganz stimmte.