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S ie erläuterte dem Lieutenant gerade ihre Theorie, als die Tür aufging und ihr Vater eintraf. Er umarmte sie fest, und als er sie endlich losließ, vergewisserte er sich, dass sie nicht verletzt war.
»Dad, es ist alles in Ordnung. Was machst du denn hier?«
Nach dem Gespräch mit den Polizisten hatte sie, erneut mit Charlottes Handy, Leo angerufen und gebeten, sich um Timmy zu kümmern. Sie hatte ihn nur ungern bei seinem ominösen Dinner gestört, aber sie konnte Timmy nicht ohne Erklärung bei seinem Freund bleiben lassen.
»Keine Sorge. Timmy ist in ausgezeichneten Händen. Seine Babysitterin hat mir gerade eine SMS geschickt. Sie ist noch kurz vor ihm in der Wohnung eingetroffen, und sie kommen, wie’s scheint, bestens miteinander klar.«
»So schnell? Dad, es tut mir furchtbar leid, dass ich dich bei deinem Dinner gestört habe, aber du kannst doch nicht einfach so überstürzt eine fremde Frau anheuern, die auf Timmy aufpasst.«
»Sie ist keine fremde Frau«, sagte er und wirkte mit einem Mal ein wenig nervös. Sie hatte ihren Vater selten so hölzern erlebt. »Man kann sich auf sie verlassen.« Und dann flüsterte er, sodass nur sie es noch verstehen konnte: »Sie ist nämlich Vorsitzende Richterin am Bundesbezirksgericht.«
Laurie hatte es nicht für möglich gehalten, dass ihr dieser Abend doch noch ein Lächeln entlocken könnte, aber so war es nun. Sie stellte sich ihren Vater beim Dinner – bei einem Date  – mit Richterin Russell vor. Er musste sich bei ihr gemeldet haben, nachdem sie sich in der vergangenen Woche bei Alex’ Amtseinführung kennengelernt hatten. Nachdem er dann vorzeitig zum Aufbruch gezwungen wurde, hatte er ihr anscheinend die Umstände erklärt, und so war er jetzt hier, und sie leistete seinem Enkelkind Gesellschaft.
»Na, wenn alles gut geht, könnt ihr jedenfalls später mal von einem interessanten ersten Date erzählen.«
»Tut mir leid, dass ich mich zu dieser spontanen Entscheidung veranlasst sah, aber Alex hat mich angerufen, als Maureen und ich gerade im Restaurant aufgebrochen sind. Er wollte glatt den Rest der Konferenz sausen lassen und noch heute Abend zurückfliegen, bis ich ihm versichert habe, dass ich mich sofort zum Tatort auf den Weg mache.«
Nach Leo hatte Laurie Alex in Washington, D.C., angerufen. Sie hatte den Ernst der Lage herunterzuspielen versucht, aber sie hätte wissen müssen, dass er trotzdem beunruhigt war.
Lieutenant Flannigan unterbrach sie und stellte sich vor. »Es ist mir eine Ehre, Sie kennenzulernen, Mr. Farley.«
»Nennen Sie mich Leo. Ich dachte mir, bis ich hier eintreffe, wären Sie längst wieder in der Dienststelle und würden mit den Detectives reden.«
»Ich dachte mir, unter den gegebenen Umständen schicken wir die Detectives gleich zu den Zeugen. Laurie hat mir gerade von jemandem erzählt, der ihr möglicherweise schon die ganze Woche gefolgt ist.«
»Wer?« Leo klang alarmiert. »Jemand ist dir gefolgt?«
»Ich habe gedacht, ich bilde es mir nur ein«, erwiderte sie und erklärte, warum sie nicht schon früher davon erzählt hatte. »Jetzt bin ich mir nicht mehr sicher. Es ist nur eine Mutmaßung. Aber wenn Kendra jemanden angeheuert hat, um ihren Mann zu töten, könnte sie ihn jetzt auch wieder angeheuert haben, damit er herausfindet, wie nah wir der Wahrheit schon gekommen sind. Meine Aufzeichnungen und mein Laptop waren in der Tasche, das ist jetzt alles verloren.« In Wahrheit enthielten ihre Aufzeichnungen nichts als Spekulationen. Wenn, dann musste es den Typen aus dem Cover eher beruhigen, wenn er sah, dass sie bei der Feststellung seiner Identität auch nicht weiter gekommen war als die Polizei.
Leo schüttelte den Kopf. »Es geht nicht nur um deine Aufzeichnungen, Laurie. Charlotte hat mir erzählt, was vorgefallen ist. Du wurdest vor ein Auto gestoßen. Du hättest ums Leben kommen können.«
»Das wäre sicherlich eine Möglichkeit gewesen, damit Sie Ihre Ermittlungen einstellen«, meinte Flannigan trocken. Voller Todesangst hatte sie das Taxi auf sich zukommen sehen, aber keinen Gedanken daran verschwendet, dass jemand sie tatsächlich hatte umbringen wollen. »Oder«, fuhr Flannigan fort, »es war doch nur ein normaler Raubüberfall. Aber das wissen wir erst, wenn wir den Täter schnappen.«
Es war ihm anzusehen, dass er sich keine allzu großen Hoffnungen machte.