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A
m folgenden Abend bemerkte Laurie Alex bereits, als sie vor dem Marea durch die Scheibe sah. Er wirkte entspannt und selbstbewusst, während er am Pult der Platzanweiserin stand. Sie hatten sich vier Tage nicht gesehen, und fast schon hatte sie wieder vergessen, wie attraktiv er war.
Seine blaugrünen Augen hinter der schwarz gerahmten Brille strahlten, als sie das Restaurant betrat. »Da ist sie ja!« Er umarmte sie fest, und erst jetzt wurde ihr bewusst, wie sehr er ihr gefehlt hatte.
Nachdem sie an ihrem Lieblingstisch Platz genommen hatten, erkundigte sie sich nach dem Einweisungsprogramm für neu ernannte Richter, an dem er in Washington teilgenommen hatte. Am Telefon hatten sie in den vergangenen Tagen fast ausschließlich über den Überfall geredet. Sie hatte ihm das Versprechen abgenommen, dass der Vorfall heute nicht erwähnt würde.
»Ich habe mehr gelernt, als ich erwartet habe. Strafrechtsverfahren kenne ich in- und auswendig, klar, aber es gab sehr hilfreiche Materialien über große Zivilrechtsverfahren und Sammelklagen. Jetzt habe ich nur noch den Rest dieser Woche, bevor mir die Vorsitzende Richterin nächste Woche die ersten Fälle übertragen wird.«
Er klang überraschend verunsichert, aber sie wusste, dass er für die Arbeit mehr als qualifiziert war. Seine Nervosität bezeugte nur, mit wie viel Ehrfurcht er sich seiner neuen Verantwortung stellte
.
»Wahrscheinlich hast du dir nie träumen lassen, dass deine Vorsitzende Richterin die Babysitterin für deinen zukünftigen Stiefsohn abgibt, bevor sie dir einen Fall anvertraut.«
Er schmunzelte bei dem Gedanken, dass Richterin Russell ein Date mit Leo gehabt hatte. »Bei meiner Amtseinführung hatte ich so das Gefühl, als hätte es zwischen den beiden gefunkt. Normalerweise flattert sie bei solchen Anlässen ja von einer Gruppe zur nächsten, hier aber hat sie sich fast ausschließlich mit deinem Vater unterhalten.«
»Dann überleg mal … wenn es zwischen Dad und der Richterin wirklich was Ernstes wird, könnte sie glatt noch meine Stiefmutter werden, und für dich ist sie dann die … Stief-Schwiegermutter? Besteht da vielleicht ein Interessenkonflikt?«
Er schien sich den Sachverhalt allen Ernstes durch den Kopf gehen zu lassen und schüttelte schließlich verwirrt den Kopf. »Ich habe absolut keine Ahnung. Du meinst, es könnte wirklich so ernst werden?«
»Wer weiß? Aber nachdem er mich ständig zu einer Beziehung mit dir gedrängt hat, freue ich mich schon darauf, wenn ich jetzt mal den Spieß umdrehen kann.«
Alex wurde noch ernster. »Ist es für dich in Ordnung, wenn eine andere Frau in sein Leben tritt?«
»Natürlich.« Lauries Mutter Eileen war vor Timmys Geburt gestorben. Sie hatte immer erzählt, dass sie den Jungen, den sie als Erstes geküsst hatte, auch geheiratet habe. Lauries Eltern gehörten zu jenen Paaren, die immer Händchen gehalten hatten, ohne dass ihnen das groß bewusst gewesen wäre. »Ich weiß, dass er als Dad und Großvater glücklich ist, aber es ist wirklich an der Zeit. Ich will nicht, dass er immer allein ist. Am Freitagabend treffen sie sich wieder, na ja … wir werden ja sehen. Bislang sind das alles bloß harmlose Verabredungen zum Essen. Es freut mich, wenn er seinen Spaß hat.«
»Apropos Verabredung, rate mal, wer mich zum Essen
eingeladen hat, um meine Ernennung zum Bundesrichter zu feiern?«
»Sollte ich eifersüchtig sein?«, sagte sie und runzelte die Stirn.
»Definitiv nicht. Carl Newman«, antwortete er und senkte die Stimme.
Sie hatte keine Ahnung, wie die Kommunikation eines Richters mit ehemaligen Mandanten geregelt war, aber diesem Mandanten wurde in New York City mit so großer Geringschätzung begegnet, dass er Alex’ Ernennung zum Bundesrichter beinahe gefährdet hatte. »Du gehst doch aber nicht hin, oder?«
»Nein, ich denke nicht im Traum dran. Das wäre alles andere als angemessen. Um ehrlich zu sein, er gehört zu den sehr wenigen Mandanten, bei denen ich mir gewünscht hätte, er wäre verurteilt worden.«
»Er hatte eben einen sehr guten Anwalt.«
»Gib nicht mir die Schuld dafür. Gib sie den Ermittlungsbeamten und vielleicht noch den Geschworenen.«
»Weißt du, was ich mir denke?«
»Was?«
»Sie waren durch dein attraktives Äußeres und deinen ansteckenden Charme eben abgelenkt.«
Er lachte und schüttelte den Kopf. »Ich sollte öfter die Stadt verlassen.« Ohne groß darüber nachzudenken, fasste er nach ihrer Hand.